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Was wir mit “Reden“ verknüpfen

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Das Reden ist in unserer Gesellschaft unglaublich wichtig. Wir wollen kommunizieren, um eine Rückmeldung über uns und unser Verhalten zu bekommen. Gern wollen wir auf diese Weise auch Konflikte lösen und/oder unseren Standpunkt vertreten.

Viele Leute wollen uns auch ihre Meinung “aufdrücken“. Es ist ihnen sehr wichtig, dass wir ihre Sicht auf unser Handeln und Verhalten kennen. Im besten Fall sollen wir uns ihren Wünschen und Erwartungen an uns anpassen – idealerweise ohne Gegenwehr.

Jeder kennt in seinem Leben Leute, die es wahnsinnig gut mit ihm meinen. „Ich mein‘ ja nur…“ oder „Es wäre toll, wenn Du Dir das einmal durch den Kopf gehen lässt…“ sind Sätze, mit denen sie uns zum Umdenken bewegen wollen. Bei vielen Menschen lasse ich mir die wichtigen Botschaften tatsächlich durch den Kopf gehen. Sie gehen zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus.

Klar, es gibt Personen, die es aufrichtig gut mit uns meinen. Wenn diese Menschen uns etwas mitteilen, denken wir allerdings zumeist von allein darüber nach, ob an dem Gesagten etwas dran sein könnte. Ist dies der Fall, verstehen wir und setzen um.

Früher gab es einen Satz, den zumeist Frauen ausgesprochen haben. „Schatz, wir müssen reden.“ Das Ergebnis war, dass die Männer überraschenderweise Überstunden leisten mussten oder eine wichtige Verabredung vergessen hatten. Erschreckend ist für mich, dass in der heutigen Gesellschaft auch immer mehr Männer dazu neigen, diesen unrühmlichen Satz innerhalb einer Beziehung einzusetzen. In der Regel fühlen wir uns bei einer solchen Ansprache in die Kindheit zurückversetzt, in der Mutter, Vater, Oma oder Opa unbedingt mit uns reden mussten. Zumeist war dies nicht mit etwas Gutem verbunden.

Möglicherweise ist es auch sehr deutsch, alles besprechen, bereden und klären zu wollen. Spannend zu beobachten ist das bei Kontaktabbrüchen. Während die eine Partei sich einen klärenden Abschied wünscht, kann die andere wortlos verschwinden. Hierbei sollte allerdings berücksichtigt werden, ob die Menschen einfach nur feige sind oder ob sie bereits genug geredet haben.

Unstrittig ist, dass das Reden wichtig ist. Wir können stolz auf jeden Fortschritt sein und sollten unsere Sprache nutzen. Bei der deutschen Sprache ist der Grad zum Rückschritt allerdings sehr schmal. Heute ist schnell der Bildungsstand eines Menschen anhand seines Wortschatzes, seiner Ausdrucksweise und seiner Aussprache erkennbar. Von emotionalem Sprachgebrauch möchte ich zunächst noch einmal gar nicht sprechen.

Wir müssen reden. Soweit ist an dem Satz erst einmal nichts Falsches zu erkennen. Geraten wir durch diese Botschaft aber in Bedrängnis, weil wir plötzlich über heikle Themen und Gefühle reden müssen, erfasst uns der spontane Fluchtinstinkt. Besonders vorsichtig sollten wir aber sein, wenn wir diese Aufforderung aussprechen. Haben wir das Gefühl, emotional oder rational vom Ausgang des Gespräches abhängig zu sein? Haben wir keinen Plan B? Reicht es nicht, wenn wir aus den Handlungen unseres Gesprächspartners lesen und für uns unsere Konsequenzen ableiten? Benötigen wir diese Aufforderung tatsächlich?

Die nachfolgenden Gesprächskonstellationen sollen zeigen, dass weniger in einigen Fällen tatsächlich mehr ist. Wir haben mehr Zeit, wenn wir weniger unnötige Gespräche führen. Wir haben mehr Geld, wenn wir in dieser Zeit auch Geld verdienen können. Wir haben sogar mehr Gesundheit, wenn wir unsere Nerven schonen. Wir haben mehr Erfolge, wenn wir nicht immer versuchen, die Welt oder einzelne Personen zu verändern, zu verbessern oder zu retten. Zudem erkennen wir, dass wir uns von unseren Wunschvorstellungen, die andere erfüllen sollen, verabschieden und mit Volldampf an der Verwirklichung unserer Träume arbeiten sollten.

Außerdem erleben wir weniger Enttäuschungen, weil wir weniger Freunde, dafür aber ehrliche, an unserer Seite haben. Woher kommen wohl die Aussprüche: „Dem kann ich blind vertrauen.“ oder „Wir verstehen uns auch ohne Worte.“? Wahrscheinlich nicht daher, dass die Menschen sich andauernd in die Augen gesehen und totgequatscht haben.

Personen, die wir Jahre lang nicht gesehen haben, können wieder in unser Leben kommen, wenn sie echte Freunde gewesen sind. Es gibt keine Vorwürfe. In diesen Fällen müssen wir nicht reden, sondern wollen es – beide. Diese Menschen erleben wir nicht als anstrengend. Das hingegen sind zumeist Leute, die wir seit Ewigkeiten in unserem Alltag mitschleppen. Es sind die Personen, bei denen wir das Telefon schnell auf lautlos stellen, deren Nachrichten wir nicht lesen, die wir kaum ertragen, denn sie wollen immer reden – am liebsten über sich.


Wir müssen (nicht) reden

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