Читать книгу Das Versprechen - Michaela Santowski - Страница 8
5
ОглавлениеMel schmiss die Wohnungstür hinter sich zu und hetzte ans Telefon. Da es das Festnetz war, das klingelte, konnten es nur ihre Eltern sein. Alle anderen benutzten das Handy.
Nachdem sie eine halbe Stunde Neuigkeiten ausgetauscht hatten, sank Mel erschöpf aufs Sofa. Sie hatte eine anstrengende Woche hinter sich; und es war erst Mittwoch. Ihr Vorgesetzter, Herr Schwabe, würde demnächst in Rente gehen. Mel machte sich Hoffnungen auf seine Nachfolge. Also legte sie noch einen Zahn zu. Die Unterstützung ihrer Kollegen war ihr sicher. Sie alle hatten ein super Verhältnis miteinander, und Mel ging wirklich gerne zur Arbeit. Vielleicht, weil sie eben keinen typischen Bürojob ausübten. Die Zeitungsbranche war mit nichts zu vergleichen. Es gab Zeiten, da hatten sie so viel zu tun, als gäbe es kein Morgen – auch in der Anzeigenabteilung – und wiederum an anderen Tagen fanden sie tatsächlich mal Zeit für einen Kaffee und einen kleinen Plausch. Ihre Abteilung bildete da keine Ausnahme. So waren sie im Laufe der Zeit zu einer eingeschworenen Gemeinschaft geworden. Mel hatte die besten Kollegen der Welt. Sie fetzten sich zwar öfter, bedingt durch den Stress, aber das war alles im nächsten Moment wieder vergessen. Ihre Kollegen waren der Ansicht, Mel hätte die Abteilungsleitung mehr als verdient und würde diesen Job mit Bravour meistern. Mel selber war sich zu 80 Prozent sicher, dass auch Herr Schwab das so sah. Trotzdem konnte es nicht schaden, sich noch mehr anzustrengen. Also blieb sie gerne länger im Büro. Und wenn sie ehrlich war, störte es sie nicht einmal besonders. Es gab niemanden, der zuhause auf sie wartete. Und dieses dämliche Dating-Handy hatte sie nicht mehr angefasst. Eine Erfahrung hatte ihr gereicht, um ihre Vorurteile bestätigt zu sehen. Männer lernte man am besten in der freien Wildbahn kennen. Sehnsuchtsvoll seufzte Mel. Hoffentlich passierte das bald. Diese ganzen glücklich verliebten Menschen, die man traf, sobald man nur vor die Haustür ging, ließen sie wehmütig werden.
Ihr Handy brummte. Mel war einen Blick aufs Display und nahm lächelnd an.
„Hey, Süße, wie war dein Tag?“, meldete sie sich. Sie hörte Anna am anderen Ende seufzen. „Ich hatte die langweiligsten Lesungen des Jahres.“
„Brauchst du eine Runde Mitleid?“, fragte Mel ironisch.
„Ich habe mich schon trösten lassen“, erwiderte Anna, und Mel konnte das Lächeln ihrer Freundin durchs Telefon hören. Sie setzte sich aufrecht hin.
„Was habe ich verpasst?“
„Du hast Ben verpasst“, erzählte Anna aufgeregt.
„Wir haben uns doch erst am Sonntag gesehen“, stellte Mel fest. „Da gab es noch keinen Ben.“
„Dating App“, erwiderte Anna schlicht.
„Oh je. Ich hoffe, du hast seinen Beruf vorher abgecheckt.“
„Er ist Grundschullehrer.“
„Klingt gut. Erzähl!“
Anna berichtete ihr, dass sie ihn am Sonntagabend entdeckt hatte. Sie hatten relativ schnell Nummern ausgetauscht und waren seitdem am Chatten. Er war humorvoll und sehr aufmerksam.
„Jedenfalls treffen wir uns am Samstag.“
„Das freut mich für dich. Ich drücke dir die Daumen, dass er kein Reinfall wird.“ Obwohl Mel ihrer Freundin das alles wirklich von Herzen gönnte, versetzte es ihr auch gleichzeitig einen Stich.
„Das wird er nicht“, vernahm sie Annas Stimme. „Und falls doch, gehen wir einfach.“
„Wir?“, harkte Mel nach.
„Doppeldate. Das waren deine Worte.“
„Ich wollte ein Doppeldate“, betonte Mel das Wort Ich.
„Und ich habe es arrangiert. Ben hat einen Freund. Ebenfalls Lehrer. Ich hole dich am Samstag um acht ab. Wir gehen essen. Mexikanisch“, fügte sie hinzu.
„Ich muss lange arbeiten“, widersprach Mel.
„Dann arbeite schneller. Wir sehen uns Samstag.“ Anna hatte aufgelegt.
Mel schüttelte den Kopf. Eigentlich hatte sie noch genug vom letzten Date. Aber wenigstens war Anna diesmal mit dabei. Und wer weiß …
Der Rest der Woche verging wie im Flug. Das Team saß stundenlang zusammen und grübelte über vernünftige Texte. Herr Schwab lobte Mel oft wegen ihrer kreativen Ideen, was Mel viel bedeutete.
Am Samstag erwischte sie gerade noch die U-Bahn, die sie pünktlich nach Hause brachte, damit sie wenigstens noch eine Stunde Zeit für Dusche und Make-up hatte.
Pünktlich um acht stand Anna vor der Tür. Sie trug einen engen, dunkelblauen Samtpullover zu schwarzen Stretch-Jeans und hochhakigen schwarzen Sandalen. Ihre dunklen Locken hatte sie an den Seiten mit zwei Spangen gebändigt. Mel hatte sich für eine rote Bluse entschieden, die sie locker über ihren Blue-Jeans geknotet trug. Dazu rote Sandalen. Ihre blonden Haare lagen als langer Zopf geflochten über ihrem Rücken.
„Wir sehen gut aus“, stellte Anna fest.
„Das tun wir“, bestätigte Mel, hakte ihre Freundin unter und ging gemeinsam mit Anna zur U-Bahn.
„Keine Sorge“, beruhigte Anna Mel, als sie vor dem Restaurant ankamen. „Heute wirst du definitiv mehr Spaß haben.“
Mel lächelte gezwungen. „Viel weniger geht ja auch nicht.“
„Dort hinten sind sie“, sagte Anna, nachdem sie den Mexikaner betreten hatten und deutete auf einen Tisch, an dem zwei Männer ihnen freundlich entgegenblickten. Mel folgte Anna. Die beiden jungen Männer erhoben sich, als Anna und Mel direkt vor ihnen standen, und reichten ihnen die Hand.
„Schön, dass es geklappt hat“, stellte Ben fest. Anna erwiderte sein Lächeln. „Finde ich auch.“ Mel wandte ihre Aufmerksamkeit dem Freund zu. Ihr erster Gedanke war, dass sie niemals einen so attraktiven Lehrer in der Grundschule gehabt hatte.
„Hi. Ich bin Alexander“, stellte er sich vor.
Er hatte längere, dunkelbraune Haare, die er in einem Seitenscheitel, leicht zerstruppelt trug. Seine Augen waren blau, was für Mel eine der attraktivsten Mischungen überhaupt war. Seine Gesichtszüge sahen aus wie gemeißelt, seine Lippen waren voll und sein Lächeln zum Dahinschmelzen. Er trug einen dunklen Wollpullover, kombiniert mit dunklen Jeans und schwarzen Halbschuhen. Er war mit Sicherheit Sportlehrer, da sein Körper durchaus als athletisch bezeichnet werden konnte. Mel ergriff seine Hand und stellte erfreut fest, dass er einen festen, angenehmen Händedruck hatte. Der Abend fing schon mal vielversprechend an. Die Mädels setzten sich den Männern gegenüber. Alexander reichte Mel die Speisekarte. Sie atmete auf. Diesmal durfte sie anscheinend selber entscheiden, was sie trinken und essen wollte.
Vom ersten Moment an unterhielten sich die vier angeregt. Sie waren auf einer Wellenlänge, und Mel fragte sich mehr als einmal, warum jemand wie Alexander noch zu haben war.
„Wo wollen die Damen denn diesen tollen Abend ausklingen lassen?“, erkundigte sich Ben.
„Ich kenne eine sehr gute Cocktailbar“, schlug Alexander vor und blickte fragend in die Runde. Er erntete zustimmendes Nicken.
Die Rechnung teilten sich die Männer.
„Dafür geht die erste Runde Cocktails auf uns“, bemerkte Anna.
„Einverstanden“, stimmte Ben zu und bot Anna seinen Arm.
Alexander ergriff Mels Hand, warf ihr aber einen fragenden Blick zu. Mel lächelte und drückte seine Hand leicht. Er ging vor und führte sie aus dem Restaurant.
„Ich sehe das anders“, lachte Ben und warf Mel einen, wie er wohl hoffte, strengen Blick zu. „Mathe kann durchaus faszinierend sein, wenn man es richtig vermittelt.“
Mel schüttelte heftig den Kopf. „Nichts an Mathe ist faszinierend“, widersprach sie.
Ben sah Alexander hilfesuchend an.
„Halt mich da raus!“, hob Alexander abwehrend die Hände.
„Du bist mir keine Hilfe“, stellte Ben enttäuscht fest.
„Das liegt daran, dass Mel wesentlich besser aussieht als du“, konterte Alexander. „Ich bin ihr vollkommen verfallen.“ Zur Bestätigung legte er Mel den Arm um die Schultern, um sie kurz an sich zu ziehen.
Mel hauchte ihm einen leichten Kuss auf die Wange und warf Ben einen triumphierenden Blick zu. Dieser wandte sich hilfesuchend an Anna.
„Sorry. Mit der Meinung stehst du alleine dar“, erklärte sie schlicht.
„Alle haben sich gegen mich verschworen. Ich bin beleidigt.“
Alexander lachte laut auf. „Ich hol uns noch eine Runde. Das hilft bestimmt.“
„Ich helfe dir tragen“, stellte Ben fest. „Dann kann ich dich unauffällig verprügeln, weil du mir in den Rücken gefallen bist.“
Die beiden verschwanden.
„Und?“, fragte Anna. „Was sagst du?“
„Wo ist der Harken? Die beiden sind absolute Hauptgewinne.“
Anna nickte zustimmend. „Ich habe auch noch keinen Fehler gefunden.“
„Wahrscheinlich haben sie an jedem Finger eine Freundin“, mutmaßte Mel. „Und wir sind die Frauen für Samstage.“
„Das werden wir wohl rausfinden müssen.“
Mel riss erstaunt die Augen auf. „Soll das etwa heißen, du willst Ben bis Sonntag behalten?“
„Muss ich doch“, sagte Anna unschuldig. „Wie soll ich sonst rausfinden, ob es eine Sonntagsfrau gibt.“
„Du bist unmöglich.“
„Ich studiere Psychologie“, verteidigte sich Anna. „Es ist sozusagen meine Pflicht, alles zu hinterfragen und zu beweisen.“
Mel umarmte ihre Freundin kurz. „Es sei dir gegönnt.“
Drei Stunden später verließen sie die Cocktailbar. Mittlerweile war es bereits halb drei.
„Was haltet ihr von einem nächtlichen Spaziergang?“, fragte Ben. „Wir bringen euch nach Hause und suchen uns von dort ein Taxi.“
„Sehr gerne“, stimmte Anna zu und schmiegte sich in Bens Arm.
„Vorausgesetzt Mel wohnt in deiner Nähe“, warf Alexander ein.
„Zwei Straßen weiter“, erklärte Mel.
„Das werden wir gerade noch so schaffen.“
Als sie vor Annas Haus ankamen, verabschiedete sich Alexander zuerst von ihr. „Es hat mich sehr gefreut, dich kennengelernt zu haben. Hoffentlich sehen wir uns ab jetzt häufiger.“
Mel wartete gespannt ab.
Ben zog Anna an sich und flüsterte ihr irgendwas ins Ohr.
Anna schob ihn lächelnd von sich und blickte ihm tief in die Augen. „Vielleicht könntest du in Betracht ziehen, Alexander alleine ein Taxi suchen zu lassen.“
Ben grinste von einem Ohr zum anderen. „Tut mir leid, Kumpel. Ich bin Anna völlig verfallen.“ Dann ergriff er ihre Hand und verschwand mit ihr im Haus.
Alexander blickte den beiden erstaunt hinterher.
„Dann wirst du mich wohl alleine nach Hause geleiten müssen“, lächelte Mel und hakte sich bei ihm ein.
„Es ist mir ein Vergnügen.“
Vor ihrem Haus blieb Mel verlegen stehen. Hoffentlich erwartete Alexander nicht das gleiche von ihr. Sie war niemand, der sich so schnell auf einen Mann einlassen konnte. Alexander stellte sich vor sie und strich ihr eine Haarsträhne, die sich gelöst hatte, hinter das Ohr.
„Ich hatte einen sehr schönen Abend“, stellte er fest. „Es würde mich freuen, dich morgen beziehungsweise nachher wiederzusehen.“
Mel atmete erleichtert auf. „Sehr gerne“, stimmte sie zu. „Es war wirklich sehr schön.“
„Dann hole ich dich um halb vier ab?“, fragte er.
Mel nickte. „Ich freue mich.“
Zögerlich näherte er sich ihr. Mel schloss die Augen und kam ihm entgegen. Kurz darauf spürte sie seine vollen Lippen auf ihren. Ein Schauder lief über ihren Rücken und sie öffnete leicht den Mund. Was dann geschah, ließ ihren Schauder abrupt verenden. Alexander schob seine Zunge so tief in ihren Mund, dass sie fast würgen musste. Gleichzeitig bewegte er sie so schnell hin und her, dass sie gar nicht wusste, ob er ihre Zähne reinigen wollte oder sie küsste. Verwirrt blickte sie ihn an, als er sich wieder aufrichtete. Er strich ihr zärtlich über die Wange und ging. Als Mel kurze Zeit später im Bett lag, dachte sie über diesen Kuss nach. Er war grauenvoll gewesen. Da war er, der Harken an diesem attraktiven Mann. Er konnte absolut nicht küssen.
„Sieh es als Herausforderung“, murmelte sie. „Das ist etwas, was du ihm beibringen kannst.“ Dann drehte sie sich auf die Seite und schlief nichtsdestotrotz mit einem Lächeln im Gesicht ein.
Den nächsten Tag verbrachten sie am Maschsee. Alexander mietete ein Tretboot, mit dem sie verdammt viel Spaß hatten. Mel hörte irgendwann auf zu zählen, wie oft sie in die Büsche am Ufer fuhren, nur weil sie versuchten, irgendwo anzulegen. Als sie nach ihrer Bootsfahrt auf der Terrasse des direkt am See gelegenen Courtyard-Hotels noch etwas Tranken, hielt sich Mel immer noch den Bauch vor Lachen.
„Kaum zu glauben, dass du Sport unterrichtest“, gluckste sie.
„Hey!“, empörte sich Alexander. „Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass ich selten mit meinen Schülern in der Turnhallte Tretboot fahre.“
„Vielleicht solltest du das. Ein paar Trockenübungen schaden dir bestimmt nicht.“
„Ganz schön frech, junge Dame“, stellte er fest.
Händchenhaltend gingen sie später zurück. Vor Mels Haustür küsste er sie erneut. Wieder war es eine Katastrophe. Mel seufzte.
„Vielen Dank für den tollen Tag“, sagte er und zog sie in seine Arme. Mel legte ihren Kopf gegen seine Schulter. Wieso konnte ein so verdammt gutaussehender, gut riechender Mann so grauenhaft küssen? Ein Kuss war so wichtig. Er konnte tausend Schmetterlinge in deinem Bauch entstehen lassen, dich frieren und gleichzeitig schwitzen lassen, dir den Verstand rauben. Und er konnte Tote aufwecken. Das hatte schon Dornröschen feststellen müssen.
„Sehen wir uns am nächsten Wochenende?“
„Am Samstag bin ich abends unterwegs“, antwortete Mel. Alexander konnte seine Enttäuschung nur schwer verbergen, was Mel absolut süß fand.
„Aber am Freitagabend hätte ich Zeit“, fügte sie lächelnd hinzu.
Er strahlte. „Das wäre toll. Wir könnten ins Kino und anschließend noch in die Cocktailbar.“
„Sehr gerne“, stimmte sie zu. Bevor er sie noch einmal küsste, gab sie ihm einen leichten Kuss auf den Mund und verschwand im Haus.
„Bin ich zu streng?“, fragte Mel Anna, die sie direkt angerufen hatte, als sie die Wohnung betreten hatte.
„Schwer zu sagen“, entgegnete Anna. Mel blieb der leichte Unterton nicht verborgen.
„Was ist los?“, fragte sie sofort nach. „War es nicht schön mit Ben?“
„Na ja“, zögerte Anna. „Ich drücke es mal so aus: Ich habe da ähnliche Erfahrungen gemacht wie du.“
„Der Kuss war auch nicht das Gelbe vom Ei“, drückte Mel es vorsichtig aus.
„Nicht wirklich. Leider wurde es beim Sex nicht besser.“
„Das Küssen?“, fragte Mel verwundert nach.
„Der Sex an sich. Zu schnell, zu egoistisch.“
„Das tut mir leid. Vielleicht war er nur aufgeregt.“
„Die Aufregung hätte sich bis zum Morgen allerdings legen können“, seufzte ihre Freundin.
„Du Arme“, warf Mel mitfühlend ein.
„Ich weiß ja“, fuhr Anna fort, „dass es nicht so sehr auf den Sex ankommt. Ben ist ansonsten ein toller Typ.“
„Spinnst du!“, widersprach Mel heftig. „Natürlich kommt es auf den Sex an. Das ist mit das Wichtigste in einer Beziehung. Jeder, der etwas anderes behauptet, hatte noch nie schlechten Sex.“
Anna lachte auf. „Eigentlich hast du recht“, stimmte sie zu.
„Nicht nur eigentlich. Wenn es im Bett nicht stimmt, kann der Rest noch so toll sein, es wird auf Dauer nicht funktionieren.“
„Wer ist jetzt die Psychologin?“
„Was wirst du tun?“, fragte Mel und warf sich aufs Sofa.
„Ich gebe ihm noch ein bis zwei Chancen.“
„Zeig ihm doch einfach, wie es geht“, schlug Mel mit einem dreckigen Grinsen im Gesicht vor.
„Dito“, konterte Anna.
„Mal den Teufel nicht an die Wand“, stöhnte Mel. „Ich habe noch die Hoffnung, dass Alexander in dem Bereich keine Nachhilfe braucht.“
„Ich drücke dir die Daumen. Wann seht ihr euch wieder?“