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II. Forschungsbericht

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Germanistik und Interkulturalität – Herbert Uerlings – Norbert Mecklenburg – Leo Kreutzer

Zwar lässt sich in der Retrospektive erkennen, dass die Literaturwissenschaft schon immer die Aspekte und Fragestellungen behandelt hat, die als interkulturelle bezeichnet werden können. Eine explizite Auseinandersetzung mit interkulturellen Perspektiven bildet sich in der Germanistik aber erst in den 1990er Jahren heraus. Dies ist sicherlich darauf zurückzuführen, dass die Erfahrungen mit der Arbeitsmigration und den Fluchtbewegungen seit den 1960er Jahren, die Deutschland trotz gegenläufiger Versicherungen zu einer Einwanderungsgesellschaft gemacht hatten, und die Auswirkungen der Globalisierung auch die Germanistik erreicht haben. Im Zuge der Etablierung der Germanistik als Kulturwissenschaft wurde so die Interkulturalität zu einem neuen Forschungsparadigma. Die Gründung der Gesellschaft für Interkulturelle Germanistik (mit Alois Wierlacher) und die Etablierung des Adelbert von Chamisso-Preises (mit Harald Weinrich und Irmgard Ackermann) sind Meilensteine dieser Entwicklung, zeigen aber zunächst noch die Bindung dieses Forschungsinteresses an den Bereich Deutsch als Fremdsprache und an die Vermittlung deutscher Kultur im Ausland. Während sich in den angloamerikanischen Ländern die postcolonial studies entwickelten (siehe unten), etablierte sich in der deutschen Germanistik zunächst eine eigenständige Form interkultureller Literaturwissenschaft, die in der Tradition einer kritischen Hermeneutik und der Kritischen Theorie den Bezug deutscher Literatur und Kultur zu anderen Kulturen in literarischen Texten untersuchte. Herbert Uerlings’ Studie Poetiken der Interkulturalität. Haiti bei Kleist, Seghers, Müller, Buch und Fichte aus dem Jahre 1997 kann als Pionierleistung einer kritischen interkulturellen Literaturwissenschaft verstanden werden, mit der ein statisches und homogenes Verständnis von ‚Kultur(en)‘ überwunden und eine neue Forschungsperspektive definiert wurde. Weitere Grundlagen der neuen Forschungsrichtung entwickelte Norbert Mecklenburg, der wie Uerlings dafür plädierte, bei der Beschäftigung mit interkulturellen Aspekten der Literatur nicht den genuin literaturwissenschaftlichen Zugang aus den Augen zu verlieren. In dem Beitrag Über kulturelle und poetische Alterität. Kultur- und literaturtheoretische Grundprobleme einer interkulturellen Germanistik (Mecklenburg 1990) plädierte Mecklenburg für eine kritische Hermeneutik, die sich den Einflüssen auch der postkolonialen Kritik öffnen, dabei aber insofern die spezifisch literaturwissenschaftliche Perspektive bewahren sollte, als die literarische Alterität als Fremdheitserfahrung verstanden und somit als ‚Einübung‘ in Interkulturalität begriffen werden könne. Im Jahre 2008 hat Mecklenburg mit seinem Band Das Mädchen aus der Fremde. Germanistik als interkulturelle Literaturwissenschaft die Summe seiner Studien zu diesem Bereich vorgelegt und ein grundlegendes Standardwerk präsentiert. Wichtig für die germanistische Diskussion war auch der Beitrag von Ortrud Gutjahr, die im Jahre 2002 in dem Band Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte (vgl. Gutjahr 2002) ein schlüssiges Konzept für die germanistische als interkulturelle Literaturwissenschaft vorlegte, das kongenial ergänzt wurde durch den Beitrag von Marina Münkler zur mediävistischen Germanistik (vgl. Münkler 2002). Erste Zusammenfassungen des Forschungsstands boten Michael Hofmann (Hofmann 2006) und Andrea Leskovec (Leskovec 2011). Jüngst verfassten Dieter Heimböckel und Manfred Weinberg den programmatischen Artikel Interkulturalität als Projekt (Heimböckel/Weinberg 2014). Wichtig sind im Übrigen die Arbeiten von Leo Kreutzer, der in Kooperation mit der westafrikanischen Germanistik ein Konzept entwickelt hat, in dem die germanistische Literaturwissenschaft als kritische Entwicklungsforschung definiert und kanonische literarische Texte im Kontext von Modernisierung und Entwicklung neu interpretiert wurden (vgl. Kreutzer 1989).

Edward Said – Deutscher ‚Orientalismus‘

Parallel zu diesen Bestrebungen entwickelten sich zunächst vor allem in der US-amerikanischen Germanistik Ansätze, mit denen die Anregungen der postcolonial studies auf die deutsche Kultur übertragen werden sollten. Bahnbrechend für die Entwicklung dieser postcolonial studies war Edward Saids Studie Orientalism (zuerst 1978), mit der die Diskurse über den ‚Orient‘ als Konstrukte eines hegemonialen Systems ‚des Westens‘ verstanden wurden und deren Verbindung zur kolonialen Herrschaft unterstrichen wurde. Davon ausgehend, legte Nina Berman im Jahre 1997 die Studie Orientalismus, Kolonialismus und Moderne. Zum Bild des Orients in der deutschsprachigen Kultur um 1900 vor (Berman 1997). Susanne Zantop wandte sich in ihrer Studie Kolonialphantasien im vorkolonialen Deutschland (1770–1870) (engl. 1997, deutsch vgl. Zantop 1999) gegen die These von einem deutschen ‚Sonderweg‘ in der Zeit der kolonialen Herrschaft und betonte die Affinitäten zum kolonialen Denken auch in der klassischen deutschen Literatur. Russel Berman stellte demgegenüber in Enlightenment or Empire? (Berman 1998) die These auf, dass sich etwa bei Georg Forster Perspektiven einer mimetischen Poetik finden, die Alterität tendenziell ohne Herrschaft denkbar erscheinen ließ. Todd Kontje wiederum diskutierte in seiner grundlegenden Studie German Orientalisms (2004) Saids These und breitete umfangreiches deutschsprachiges historisches Material aus, in dem insbesondere auch der europäische Osten als Spielart des deutschen Orientalismus begriffen wurde. Unter Berücksichtigung ästhetischer Eigenlogik vertiefen die Arbeiten von Iulia-Karin Patrut diese Forschungsrichtung und erweisen die enorme Bedeutung Osteuropas für die Herausbildung orientalistischen und kolonialistischen Denkens im deutschsprachigen Raum (Patrut 2014b, Patrut 2014c). Dass Saids Thesen freilich nicht unmittelbar auf die deutschen Verhältnisse anzuwenden seien und das Verhältnis von Orient-Diskurs und Literatur differenziert zu betrachten sei, betonten Andrea Polaschegg (Polaschegg 2005) und die Sammelbände Der Deutschen Morgenland. Bilder des Orients in der deutschen Literatur und Kultur von 1770 bis 1850 (Goer/Hofmann 2007), Orientdiskurse in der deutschen Literatur. (Bogdal 2007) und Morgenland und Moderne (Dunker/Hofmann 2014).

Axel Dunker – ‚Mit Deutschland um die Welt‘ – Postkoloniale Germanistik

Die Etablierung einer explizit postkolonialen germanistischen Literaturwissenschaft vollzog sich dann in den Jahren nach 2000. So gab Axel Dunker im Jahre 2005 den Band (Post-) Kolonialismus und deutsche Literatur. Impulse der angloamerikanischen Literatur- und Kulturtheorie (Dunker 2005) heraus und bot mit Kontrapunktische Lektüren (Dunker 2008) eine konkrete Anwendung der erneuerten Thesen Edward Saids (in Kultur und Imperialismus. Einbildungskraft und Politik im Zeichen der Macht, Said 1984) vor allem auf die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts. Bereits 2006 nahm Herbert Uerlings in ‚Ich bin von niedriger Rasse‘. (Post-)Kolonialismus und Geschlechterdifferenz in der deutschen Literatur eine Profilierung postkolonialer Studien vor. Sein Ansatz fokussiert auf Machtasymmetrien und ‚weiße‘ okkupatorische Blickregimes und schlägt eine Brücke zwischen Herangehensweisen der kritischen Interkulturalitätsforschung und der postkolonialen Studien. Die Arbeiten Iulia-Karin Patruts haben erwiesen, dass sich kolonialistische Diskurse auf dem Gebiet Deutschlands (in Ermangelung an Kolonien) im Inneren auf ‚Zigeuner‘ beziehen – ein Zusammenhang, mit dem sich auch zahlreiche literarische Texte seit 1770 auseinandersetzen (Patrut 2014a). Einen wichtigen Beitrag zur Etablierung eines postkolonialen Bewusstseins in Deutschland weit über die Germanistik hinaus hatten Alexander Honold und Klaus Scherpe mit ihrem Kompendium Mit Deutschland um die Welt. Eine Kulturgeschichte des Fremden in der Kolonialzeit (Honold/Scherpe 2004) geleistet, das in einer Fülle von Fallgeschichten den Einfluss der deutschen Kolonialherrschaft auf das nationale Selbstverständnis vor allem im wilhelminischen Kaiserreich anschaulich demonstrierte. Eine eindrucksvolle Bestandsaufnahme des neuen Forschungsfeldes boten Gabriele Dürbeck und Axel Dunker in dem Band Postkoloniale Germanistik. Bestandsaufnahme, theoretische Perspektiven, Lektüren (Dürbeck/Dunker 2014), in dem die theoretischen und forschungsgeschichtlichen Grundlagen des neuen Ansatzes ebenso dargelegt werden wie wichtige neue Anregungen zu Interpretationen kanonischer und auch populärer Texte. Durchgängig plädieren die Autorinnen und Autoren des Bandes für eine Durchdringung und Kooperation zwischen interkultureller Literaturwissenschaft und postkolonialen Ansätzen – eine Position, die auch Dirk Göttsche in der umfassenden Studie Remembering Africa. The Rediscovery of Colonialism in Contemporary German Literature (Göttsche 2013) vertritt.

Einführung in die interkulturelle Literatur

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