Читать книгу Following You - Bis in die Ewigkeit - Mika D. Mon - Страница 10
Seth
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Natürlich lasse ich meine Prinzessin nicht aus den Augen – ich ziehe mich bloß weit genug zurück, damit sie mich nicht bemerkt. Es ist zu viel passiert, als dass ich sie guten Gewissens alleine lassen könnte. Jedes Mal, wenn sie nicht in meiner Nähe ist und ich keine Kontrolle darüber habe, was mit ihr geschehen könnte, werde ich nervös. Aber Kiki muss nicht wissen, dass ich nur einige Meter entfernt stehe und sie über die Spiegelung eines Fensters beobachte. Ich stecke mir eine Zigarette an, verenge die Augen und versuche anhand der Gesten, die die beiden Frauen machen, zu erkennen, worüber sie reden. Leider bin ich zu weit weg und die Menschen in der Stadt sind zu laut, um ihre Worte zu verstehen. Aber ich erkenne, dass die beiden über ein ernstes Thema sprechen. Gut – über welche fröhlichen Sachen könnte Kiki momentan schon reden? Ihr Vater ist gestorben und ihr Heim zerstört. Und dann bin da noch ich. Der Mann, der sie vor einigen Wochen entführt und den unbändigen Sturm in ihrem Leben erst entfesselt hat.
Nachdem Kiki und Leonie ihr Mädelstreffen beendet haben und ich meine Freundin abgeholt und nach Hause gebracht habe, mache ich mich auf den Weg zu Ace. Wir haben unseren kolumbianischen Erzfeind, das Los Caídos-Syndikat, erst vor wenigen Tagen zur Strecke gebracht. Damit ist unser Ziel jedoch noch lange nicht erreicht. Denn der eigentliche Plan ist es, unseren eigenen Anführer, Deimos Kahlish, zu stürzen, sodass Ace sein Erbe antreten und den Thron unserer Organisation besteigen kann.
Ace. Der Wichser, der all die Zeit über wusste, dass mein Vater umgebracht wurde. Ace, der es nicht nötig gehabt hatte, mir die Wahrheit zu erzählen.
Vor seiner Haustür bleibe ich stehen, ziehe tief an meiner Zigarette und lasse den heißen Qualm meine Lunge fluten. Als ich die Kippe heruntergeraucht habe, schnipse ich sie auf den Boden und betrete das spiegelglatte Hochhaus, in dem Ace wohnt. In meinem Kopf höre ich Kiki darüber meckern, dass ich den Stummel gefälligst aufheben und in den Müll werfen soll. Ich schiebe die imaginäre Moralapostel mürrisch beiseite. Immerhin habe ich weitaus Schlimmeres in meinem Leben gemacht, als die sowieso dreckigen Straßen vollzumüllen.
Mit dem Aufzug fahre ich hoch bis zu dem Penthouse. Ace hat mich bereits erwartet, denn die Tür zu seiner Wohnung steht offen. Ich betrete den riesigen Wohnraum mit der fernöstlichen Einrichtung, dem niedrigen Esstisch mit den Sitzkissen und den japanischen Lampions als Beleuchtung.
»Du bist spät dran«, begrüßt mich der Hausherr. Er trägt ein schwarzes Hemd, bei dem die obersten Knöpfe geöffnet sind und eine graue Jeans. Die dunkle Kleidung und sein braunes, zurückgekämmtes Haar stehen in starkem Kontrast zu seinen eisblauen Augen.
Ich antworte ihm nicht, sehe gar nicht ein, wieso ich mich vor ihm rechtfertigen müsste. Stattdessen gehe ich an ihm vorbei und setze mich auf das Sofa, welches im Boden eingelassen ist.
Grimm ist schon hier, steht mit dem Rücken zu mir vor der großen Panoramaverglasung und sieht mit verschränkten Armen auf Frankfurt hinab. Er begrüßt mich nicht.
»Also …«, sage ich und schlage die Beine übereinander, während ich die Arme auf die Lehne lege. »Leg los.«
Ace seufzt und streicht sich mit einer mit vielen Ringen geschmückten Hand durchs Haar, ehe er den Kopf schüttelt. »Gut, wie du willst.« Dann kommt er die drei Treppenstufen zu dem Sofa hinab und setzt sich mir gegenüber. Sein Blick bohrt sich in meinen. »Die gute Nachricht ist: Um Dario ist es ruhig. Er hat die Los Caídos übernommen.«
Dario hat den gesamten Angelo-Clan hinrichten lassen, bevor wir es selbst erledigen konnten. Lediglich die achtzehnjährige Tochter Lucia hatte er am Leben gelassen, um sie zur Frau zu nehmen und die Macht ohne interne Kriege an sich zu reißen. Doch was er nicht ahnte, war, dass wir Grimm auf die kleine Lucia angesetzt hatten und sie kurz nach dem Verschwinden von Ace und mir durch genau diesen gemeuchelt werden würde.
»Wie kann er das ganze Syndikat jetzt schon übernommen haben? Es hätte ein Krieg um die Vorherrschaft ausbrechen müssen«, wundere ich mich und lege meine Stirn in Falten.
Ace hebt seine Augenbrauen verheißungsvoll und lehnt sich auf dem Sofa zurück.
»Tja …«, sagt er. »Er hat Lucia geheiratet.«
»Das kann nicht sein. Lucia ist tot.«
»Das dachten wir, ja. Aber meine Spione behaupten, sie wäre quicklebendig.«
»Vielleicht ist sie ein Double? Um die Macht ohne Widerstand zu übernehmen?« Eine andere Erklärung fällt mir nicht ein. Mein Blick huscht zu Grimm. Obwohl er sich noch keinen Millimeter bewegt hat, ist seine Haltung plötzlich angespannt. Die Sehnen an seinen tätowierten Armen treten stark hervor und seine Skelettfinger graben sich in seine Muskeln.
Ace nimmt eine Mappe von dem Glastisch vor dem Sofa, schlägt sie auf und wirft einige Fotos auf den Tisch.
»Sieh selbst.«
Ich lehne mich vor und betrachte die Aufnahmen. Sie zeigen eine junge Frau mit dunklen Haaren und gespenstisch blasser Haut. Ihre Augen sind rot geschwollen und dunkel unterlaufen, doch ihr Gesicht trägt eine Maske aus Trotz und Stolz. Ihr Körper dagegen ist gehüllt in ein langes, weißes Hochzeitskleid. Dario steht neben ihr, umfasst ihren Oberarm so fest, dass er ihre Haut quetscht. Es ist nicht zu übersehen, dass dieses Mädchen zu einer Hochzeit gezwungen ist. Die anderen Bilder zeigen ebenfalls Lucia und Dario. Ich blättere sie durch und obwohl ich keine Ahnung habe, wie die echte Erbin des Angelos-Clans aussieht, bin ich mir sicher, dass diese Frau auf den Bildern keine gekaufte Schauspielerin ist.
»Shit.«
Grimm wendet sich vom Fenster ab und kommt auf uns zu. Vor dem Wohnzimmertisch bleibt er stehen und starrt auf die Beweise hinab. Eine harte Anspannung zieht durch seine Augen und seinen Kiefer. Er sagt nichts.
»Es ist, wie es ist.« Ace schiebt die Fotografien zur Seite und blickt mich an. »Hauptsache, er lässt uns in Ruhe, sodass wir uns nun auf Kahlish konzentrieren können.« In seinen kalten Iriden lodert ein Feuer.
Damit ist das Thema Lucia schon gegessen? Mehr haben wir dazu nicht zu sagen? Ich bin verwirrt, aber was soll’s.
»Wie gehen wir vor?«, frage ich. »Spazieren wir einfach rein und legen ihn um?«
»Nein, Seth. So einfach ist das nicht. Wir können Kahlish nicht töten. Im Laufe der letzten zwanzig Jahre hat er sich Unmengen an Kontakten aufgebaut. Seine Wurzeln reichen tief. Wir müssen sie langsam aus dem nährenden Boden hinausziehen, bis die Blätter fallen und die Krone stirbt.«
Ich rollte die Augen. »Wenn ich poetischen Müll hören will, gucke ich Herr der Ringe. Drück dich klar aus, Ace.«
»Ich brauche seine Kontakte. Es bringt nichts, auf dem Thron zu sitzen, wenn die Schatzkammern zu sind!«
»Und wie sollen wir das anstellen? Er wird ja wohl kaum ein Adressbuch irgendwo herumliegen haben.«
»Natürlich nicht. Es gibt einige kleinere Informanten und Anhänger, die ich bereits auf meine Seite ziehen konnte. Das wird allerdings nur funktionieren, solange ich mehr zahle als Kahlish. Aber für die großen Fische brauche ich andere Köder.«
»Verdammt, ich hasse deine Metaphern!«, knurre ich. »Was für verfickte Köder denn?«
»Das kommt ganz darauf an. Jeder hat andere Vorlieben. Für den einen mag es ein bestimmter Gefallen sein, für den anderen nur mehr Einfluss und Macht. Aber ich habe einen Trumpf im Ärmel, der mir helfen wird, die entsprechenden Strippen zu ziehen. Danach werden du und Grimm die Leibwachen von Deimos ausschalten. Mit zunehmendem Alter ist er immer paranoider geworden. Nur die Wenigsten haben noch persönlichen Kontakt zu ihm. Er wird ständig von einer Schar Elite-Wächter bewacht. Wie ihr sie erledigt, überlasse ich euch. Darin seid ihr die Profis.«
»Das heißt, während du dich um das Diplomatische kümmerst, sollen Grimm und ich herausfinden, wie wir seine Bodyguards loswerden und ihn erledigen können?«
»Korrekt. Allerdings dürft ihr auf keinen Fall ohne mein Zeichen zuschlagen. Stirbt Kahlish zu früh, reißt er alle Kontakte mit sich. Für mich bleibt dann nur noch ein Thron in einem Haufen von Asche zurück.«
»Gut. Hast du Informationen darüber, wo sich Kahlish aufhält?«
»Noch nicht. Aber ich werde bald ein paar Informationen darüber bekommen. Dann werdet ihr eine Nachricht von mir erhalten.«
»Das bedeutet, abwarten, bis du dich meldest? Dann ausspionieren und zuschlagen, wenn alles vorbereitet ist«, fasse ich die Situation nochmal zusammen.
»Richtig.« Ace’ Lippen heben sich zu einem wölfischen Lächeln.
»Sind wir dann hier fertig?« Ich stehe bereits auf. Der einzige Grund, warum ich noch hier bin, ist, dass ich nach dieser Mission frei sein werde.
»Wie geht es denn deiner Prinzessin? Willst du nicht noch etwas trinken?«, fragt Ace verwundert.
»Ich habe keine Lust auf Smalltalk.« Mit diesen Worten wende ich mich ab und ziehe bereits meine Schachtel Zigaretten aus meiner Hosentasche. »Melde dich bei mir, wenn du mehr Informationen hast.«
Als ich das Hochhaus verlasse und wieder frische Luft atme, fällt eine große Anspannung von mir ab. Erst jetzt bemerke ich, dass ich all die Zeit über die Kiefer aufeinandergepresst habe. Meine Wangen schmerzen von dem Druck. Wieso nimmt mich Ace’ Verrat so sehr mit? Wieso macht es mich so wütend? Es ist ja nicht so, als wären wir Freunde gewesen. Er war immer nur ein Kollege. Einer, den ich ganz gut leiden konnte. Aber mehr nicht. Wieso führe ich mich dennoch auf wie eine betrogene Ehefrau? Verdammt.
Ich nehme mir eine Kippe aus der Schachtel und klemme sie mir zwischen die Lippen. Während ich sie anzünde, lehne ich mich neben den Eingang und warte. Wenige Minuten später öffnet sich die Tür und Grimm tritt heraus. Er zieht sich seine schwarze Kapuze über, als könne sie ihn vor den Blicken der Menschen auf der Straße verbergen. Ohne mich anzusehen, geht er an mir vorbei.
Flüchtet er?
»Grimm.«
Er bleibt stehen und wendet den Kopf leicht zur Seite, als würde er über seine Schulter sehen. Der schwarze Stoff seiner Kapuze verdeckt jedoch sein Gesicht.
»Ich will mit dir reden«, erkläre ich ihm.
Nur unwillig wendet er sich zu mir um.
»Worüber?«
»Das weißt du ganz genau«, schnaube ich. »Sonst würdest du dich hier nicht herumdrucksen wie ein ertappter Hund.«
Seine Brauen ziehen sich verwirrt zusammen und seine jadegrünen Augen blicken verständnislos in meine.
»Verdammt, Grimm!« Mit einer schnellen Bewegung fasse ich nach seinem Arm und ziehe ihn näher zu mir heran.
Er lässt es geschehen, stellt sich neben mich, sodass wir nicht so laut reden müssen.
»Was ist mit Lucia? Kann es wirklich sein, dass sie lebt? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass du deinen Job versaut hast!«
Seine Pupillen ziehen sich zusammen, werden klein wie Stecknadelköpfe.
»Ich habe sie nicht getötet«, raunt Grimm leise.
Fassungslos starre ich ihn an. Es gibt keinen kaltblütigeren Mörder als ihn. Niemand sonst tötet mit so viel Hingabe und Freude. Ich weiß es. Ich habe den wahnsinnigen Glanz in seinen Augen mehr als einmal gesehen. Wieso sollte ausgerechnet er jemanden leben lassen?
»Wieso?«, hauche ich und schüttele meinen Kopf.
Grimm hebt die Schultern.
»Sie war bereits tot.«
Ich blinzle. Was soll das denn jetzt heißen?
»Ich verstehe kein Wort. Komm schon, du kannst mir doch nicht erzählen, dass du in Kolumbien plötzlich dein Mitleid entdeckt hast.«
Wir starren uns gegenseitig an. Schweigen breitet sich zwischen uns aus. Es scheint nicht, als würde er mir noch eine vernünftige Antwort geben wollen.
»Du hast gelogen und gesagt, dein Auftrag wäre erledigt«, zerstöre ich die Stille nach ein paar Atemzügen. »Wieso?«
Grimm seufzt und wendet den Blick von mir ab. Stattdessen sieht er an mir vorbei ins Nichts. »Ich weiß es nicht. Es war einfach unnötig. Wir sind die Los Caídos los. Es hätte euch nur Sorgen bereitet«, rechtfertigt er sich schulterzuckend.
»Zu Recht! Ich habe immerhin ihren Bruder auf dem Gewissen. Denkst du nicht, dass sie früher oder später Rache will?«
Eine Weile denkt er über meine Worte nach.
»Es war ein Fehler«, gibt er schließlich zu, »ich hätte meinen Auftrag erfüllen müssen.«
Ich breite meine Arme aus und nicke.
»Ja, hättest du!«
»Jetzt ist es zu spät. Sie hat jetzt erst einmal andere Probleme, wie auf den Bildern unschwer zu erkennen war.«
»Diesmal dürfen wir keine Fehler machen«, antworte ich. Grimm ist nicht der Einzige, der etwas verbockt hat. Letztendlich war es ja allein meine Schuld, dass die Los Caídos uns überhaupt erst auf den Fersen waren.
Grimm nickt und sieht mich noch einen Moment lang an, dann stößt er sich von der Wand ab, an der wir lehnen. Er setzt seinen Weg ohne ein Wort des Abschieds fort. Ich blicke seiner schwarz gekleideten Gestalt nach, bis sie in den Menschenmassen Frankfurts verschwindet.