Читать книгу Following You - Bis du nicht mehr fliehen kannst - Mika D. Mon - Страница 13

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Sie


Es gibt Ereignisse im Leben, die Narben auf der Seele hinterlassen, die so tief sind, dass man sie nicht mehr zu verbergen vermag.

Bisher habe ich mich für eine unerschütterliche Frohnatur gehalten, die nichts so schnell aus der Bahn werfen kann. Ich dachte, nachdem meine Mutter uns verlassen und mein Vater mich wie einen kostbaren Kanarienvogel eingesperrt hatte, dass mich nichts mehr in die Knie zwingen könnte. Als ich meiner Mama hinterhersah, wie sie mit zwei riesigen Koffern unser Haus für immer verließ, habe ich tagelang geweint. Mich in Selbstmitleid gesuhlt und an mir gezweifelt.

Sie hatte mir die Entscheidung überlassen, ihr nach Berlin zu folgen und mein ganzes Leben zurückzulassen. Bis zu dem Tag, an dem sie ging, hatte ich die romantische Vorstellung, dass meine eigene Mutter sich niemals gegen mich entscheiden würde. Dass sie nicht gehen würde, wenn ich mich dazu entschied, hierzubleiben. Doch sie hat mir bewiesen, dass auch die Liebe einer Mutter manchmal an ihre Grenzen stößt.

Und auch wenn ich es nicht wollte, wuchs irgendwo in mir der Keim eines Hirngespinstes heran: Sie hat mich nicht genug geliebt. Und wieso? Weil ich nicht gut genug war. Es musste an mir liegen. Ich weiß, dass es nicht so ist. Aber es gibt Gedanken, die man nicht unterdrücken kann. Sie kommen leise und heimlich. Unbemerkt schlägt die dunkle Saat wurzeln und schlingt ihre Ranken um die Seele und den Geist.

Ja. Ich hatte damals eine Wahl gehabt und eine Entscheidung getroffen. Und dennoch hatte ich gehofft, dass die Lippen meiner Mutter folgenden Satz formen würden: »Ohne dich gehe ich nicht!«

Eines Abends, als ich mich in den Schlaf weinte, kam mein Vater zu mir. Er setzte sich neben mich auf mein Bett und nahm meine Hand. Er sah mir in die Augen und sagte:

»Eine Königin steht auf und zieht ihr Schwert.«

Er spielte damit auf unseren Familiennamen König an. Es war ein Spruch, den er mir schon immer predigte, wenn ich hinfiel und weinte oder wenn ein Spielzeug kaputt ging. Ich hatte schnell gelernt, was dieser Satz bedeutet: Lass dich nicht unterkriegen. Das Leben geht weiter. Steh auf und kämpfe.

Seit diesem Tag habe ich nie wieder um meine Mutter geweint. Denn ich verstand: Es änderte nichts. Sie würde nicht zurückkommen und es half nichts, im Selbstmitleid zu versinken.

Doch trotz all dem muss ich jetzt lernen, dass ich nicht so unverwundbar bin, wie ich gedacht habe. Die Ritterrüstung dieser Königin hat Risse bekommen. Seitdem Tag, an dem ich einem Mann aus Notwehr ein Auge zerstach, suchen mich diese Bilder heim. Ich träume davon. Spüre noch in meinen Händen, wie das Plastik über den Schädelknochen schrammt.

Doch das sind noch die harmlosen Träume. Viel schlimmer sind die, in denen ich wehrlos gefesselt bin und mehrere Männer auf mich einschlagen und mir meine Kleidung vom Leib reißen. Jeder Traum endet damit, dass sie alle nacheinander aufplatzen, bevor sie mich vergewaltigen können. Nichts als blutige Häufchen aus Fleisch und Blut bleiben von ihnen zurück.

In all diesem Massaker steht ein Mann. Groß und bedrohlich. Ich weiß, dass es Seth ist, auch wenn ich sein Gesicht nicht sehe. Er blickt mich aus seinen dunklen, von Schatten umrahmten Augen an und dann geht er. Lässt mich gefesselt zurück in diesem Gemetzel aus Blut und Gedärmen. Erst dann wache ich schweißgebadet auf.

Manchmal werde ich auch in meinen Träumen von einer unbekannten Gestalt verfolgt. Keine Ahnung, ob ich damit verarbeite, gestalkt worden zu sein, oder ob es die Angst ist, dass diese kriminellen Typen immer noch hinter uns her sind.

Den ersten Tag nach meiner Heimkehr verbringe ich mit meinem Vater und damit, die Kommissare der Kripo zufriedenzustellen. Sie reden auf mich ein und fragen mich nach jedem Detail. So gut es geht, versuche ich, die Wahrheit zu sagen, und lasse dabei lediglich aus, dass sich eine verdrehte Romanze zwischen mir und meinem Entführer entwickelt hat. Auch Seths Namen erwähne ich nicht.

Am zweiten Tag kommt Leonie zu mir nach Hause, um mich zu besuchen. Sogar mein Vater ist sensibel genug zu wissen, dass ich jetzt meine beste Freundin brauche, und verkneift sich jeden bissigen Kommentar.

»Kiki«, sagt Leonie, als sie mein Zimmer betritt und die Arme ausbreitet. Ich laufe ihr entgegen und lasse mich von ihrer Umarmung einfangen. Fest drücke ich mich gegen sie, nehme ihren Duft tief in meine Lunge auf. Es tut gut, sie zu riechen und sie zu sehen. Sie sieht aus wie immer mit ihren roten Haaren und dem Biker-Look. Jedoch tiefe Sorge steht ihr auf die sonst ebenmäßige Stirn geschrieben.

»Gott, ich bin so froh, dass du lebst.« Ihre Stimme ist leise und belegt, weil sie mit den Tränen ringt. Als ich zu ihr hinaufblicke, sehe ich ihre blauen Augen feucht glitzern.

»Es ist alles gut, Leo«, versuche ich, sie zu beruhigen und lächle sie warm an. »Ich lebe. Ich bin wieder da. Es war die Hölle – aber jetzt ist es vorbei! Also, hey … Kopf hoch!«

Leo sieht mich an, als zweifle sie an meinem Verstand, dann schüttelt sie den Kopf und zieht mich erneut in eine Umarmung.

»Ich hab’ echt keine Ahnung, wie man reagiert, wenn die beste Freundin entführt wurde und gerade erst wiedergekommen ist. Was tut man dann? Was sagt man? Du weißt, dass ich in diesem emotionalen Kram nicht die Allerbeste bin. Ich … ich weiß gar nicht, was ich machen soll.«

»Ist schon gut, Leo. Die Situation ist auch für mich total merkwürdig. Ich meine, bei uns im Wohnzimmer sitzen quasi zwei deutsche FBI-Agenten. Ich bin entführt worden. War eingesperrt in irgendeine Dachgeschoss-Wohnung hier in Frankfurt. Kriminelle Typen haben mich gefesselt und geschlagen, damit mein Vater auf den Deal eingeht und sein Medikament nicht auf den Markt bringt. Das ist alles so abgedreht, dass ich es selbst gar nicht glauben kann. Ich dachte immer, so etwas passiert nur im Fernsehen.« Ich drücke mich absichtlich harmloser aus, als es war, um meine Freundin nicht noch mehr zu verunsichern. Allerdings geht mein Plan nicht auf.

Leo schaut mich zweifelnd mit schmalen Lippen an.

»Ach komm, jetzt zieh nicht so ein Gesicht. Mir geht es doch gut!« Ich nehme ihre Hand und ziehe sie mit mir zu meinem Bett.

Wir lassen uns auf der flauschigen, weißen Tagesdecke nieder und ich behalte ihre Hand in meiner. »Lass uns lieber einfach froh sein, dass ich zurück bin, okay?«

»Aber Kiki, willst du denn gar nicht darüber reden, was dir passiert ist? Wie konnten sie dich überhaupt entführen – ich meine dieser Wachhund da draußen«, sie zeigt mit dem Daumen zur Zimmertür, vor der Dimitri steht, »folgt dir auf Schritt und Tritt. Wie konntest du da …« Ihre Stimme versagt. »Fuck, es tut mir so leid! Ich habe dich auch noch dazu angestiftet, ihn loszuwerden und dich von zu Hause rauszuschleichen! Ich … ich wusste nicht, dass …«

»Leo! Jetzt hör auf! Ich bin erwachsen und ich treffe meine Entscheidungen ganz allein! Außerdem bin ich nicht in der Nacht entführt worden, als wir auf der Studentenparty in dem Nachtclub waren. Du konntest nichts dafür! Red‘ dir so einen Unsinn bloß nicht ein!«

Leonie seufzt und sieht mich resigniert mit einem angehobenen Mundwinkel an. »Du bist so ein Sturkopf.«

Ich grinse und klopfe mir mit der Faust gegen meinen Dickschädel. »Jap. Und stolz drauf. So und jetzt lass uns endlich mal was Schönes machen. Die letzte Zeit war schwer genug. Ich bin einfach froh, zu Hause zu sein und dass du hier bist. Und du hast dir ebenso in den letzten Tagen genug Sorgen gemacht. Du musst jetzt auch etwas ausspannen!«

»Okay, was wollen wir machen?«, fragt Leo lächelnd. »Einen Film schauen? Playstation spielen?«

»Erst das eine, dann das andere!«, entscheide ich und starte die Playstation an meinem Fernseher, über welche ich auch Streaming-Dienste nutzen kann.

Kurz darauf liegen wir zusammen auf meinem Bett und Leonie hält mich fest. Ich kuschle mich an ihren schlanken Körper und lächle in mich hinein. Mein Ohr liegt auf ihrer Brust, in welcher ich ihr Herz schnell schlagen hören kann. Wenigstens für die Zeit mit ihr schaffe ich es, die schrecklichen Bilder aus meinem Kopf zu verbannen. Doch in dem Moment, in dem der Film beginnt, auf den wir uns geeinigt haben, und ich mich wirklich sicher und glücklich fühle, geschieht etwas Merkwürdiges mit mir.

Plötzlich breitet sich eine Kälte in meiner Brust aus, während gleichzeitig Schweiß aus allen Poren schießt. Meine Herzfrequenz beschleunigt sich und mein Atem wird flacher. Ich verstehe nicht, was passiert, und setze mich auf.

Leonie schaut mich erst verwirrt und dann besorgt an. »Ist alles okay? Du bist ganz blass.«

»Ich… ich weiß nicht«, antworte ich atemlos und springe regelrecht vom Bett auf. »Ich glaube, ich falle in Ohnmacht.«

»Was?! Wieso?« Auch Leonie ist sofort alarmiert auf ihren Beinen und legt mir beruhigend eine Hand auf den Rücken, während sich ihre blauen Augen mit Schrecken weiten. »Leg dich aufs Bett und leg die Beine hoch!«

»Nein, lass uns lieber irgendwas tun. Bitte lenk mich irgendwie von diesem schrecklichen Gefühl ab!« Ich habe keine Ahnung, was in mir passiert. Woher dieser merkwürdige Ausbruch kommt oder was er zu bedeuten hat. Für einen Moment denke ich sogar darüber nach, Dimitri zu holen oder den Notarzt zu rufen. Aber ich entscheide mich dagegen und stehe mit zitternden Händen und Beinen da, während ich versuche, meine Atmung zu beruhigen.

»Okay. Lass uns nach unten gehen und dir ein Glas Wasser holen!« Leonie schnappt sich meine Hand und zieht mich mit sich.

Dimitri sieht uns stirnrunzelnd an, als wir so eilig aus dem Raum stürmen und die Treppe hinablaufen. Mit etwas Abstand folgt er uns bis in die Küche.

Leonie öffnet mehrere Schranktüren, bis sie die Gläser findet und eines für mich mit kühlem Wasser aus dem Hahn befüllt.

Ich nehme es dankbar entgegen und setze es an meine trockenen Lippen. Während ich mich auf einen Küchenstuhl sinken lasse, trinke ich es mit langsamen, kleinen Schlucken.

»Und? Geht‘s?«, fragt Leonie besorgt.

Auch Dimitri sieht mich fragend an. »Was ist denn los?«

»Nichts«, antworte ich ausweichend und mache eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Ich glaube, ich hatte nur ein paar Kreislaufprobleme. Es geht schon wieder besser.«

»Sicher?«, fragen Leonie und Dimitri wie aus einem Mund.

Ich atme tief ein, fülle meine Lunge mit dem überlebenswichtigen Sauerstoff. Tatsächlich lässt die Kälte in meinem Inneren langsam nach und die Schwärze vor meinen Augen zieht sich etwas zurück. Bestätigend nicke ich. »Sicher. Das Wasser hat geholfen.«

»Sie sollten sich nicht übernehmen, Viktoria. Sie brauchen Zeit, um alles zu verarbeiten.« Dimitri blickt mich fürsorglich an.

»Ja, ich weiß. Ich werde mehr achtgeben. Dabei haben wir nur gelegen. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte!« Nachdem ich das Glas geleert habe, stehe ich vorsichtig auf. Meine Beine fühlen sich noch etwas weich und zittrig an, aber wenigstens habe ich nicht mehr das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen.

»Vielleicht spielen wir doch lieber erstmal Playstation. Ich glaube, irgendwo ruhig herumliegen kann ich jetzt nicht. Es ist mir lieber, wenn ich irgendwie abgelenkt bin.«

»Na klar, Süße. Alles, was du willst!« Leonies schmale Augenbrauen sind nach wie vor besorgt gekräuselt, aber ich sehe die Entschlossenheit in ihrem Blick, alles für mich zu tun.

Nach einer kurzen Verschnaufpause in der Küche gehen wir wieder nach oben in mein Zimmer. Leonie will gerade nach dem Playstation-Controller greifen, als ich ihre Hand festhalte.

»Danke«, sage ich leise und sehe sie an.

»Wofür?«, fragt sie verwirrt.

»Einfach für alles, Leo. Dafür, dass du du bist und dass ich dich in meinem Leben habe.«

Ihre Lippen heben sich zu einem kleinen Lächeln, während sie mich sanft ansieht.

»Kiki, du bist so viel mehr als einfach eine Freundin für mich …«

Ich lächle ebenfalls. »Du bist auch meine beste Freundin!«

Leonie blinzelt und schluckt. Es wirkt plötzlich, als hätte sie Mühe, ihr Lächeln aufrechtzuerhalten. Die Mundwinkel zittern und ich verstehe nicht, wieso.

»Na dann …« Mehr sagt sie nicht, ehe sie den Playstation-Controller nimmt.

Following You - Bis du nicht mehr fliehen kannst

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