Читать книгу Following You - Bis du nicht mehr fliehen kannst - Mika D. Mon - Страница 20
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Er
Nach etwa elf Stunden Flug landen wir in einem kleinen, abgelegenen Flughafen mitten im kolumbianischen Flachland, gut fünf Autostunden von der Hauptstadt Bogota (oder Bogotá? – irgendwie sowas) entfernt. Wir werden von tropischer Hitze und schwerer, feuchter Luft, die über dem Asphalt flimmert, empfangen. Das Zirpen und Summen von Insekten dringt von überall zu uns heran. Ich bin froh, als wir in einen klimatisierten Leihwagen steigen können.
Ace hat mit einigen schwer bewaffneten Leuten gesprochen und ihnen dicke Geldbündel zugesteckt. Das ganze Land ist korrupt – was in diesem Fall unser Vorteil ist. Andernfalls hätten wir kaum direkt nach einem Anschlag in Deutschland unbehelligt und ungefragt hierher einreisen können.
Wir fahren etwa eine Stunde, bis wir die nächstgrößere Stadt erreichen. Dort checken wir in einem Nobelhotel ein. Direkt in der opulenten Empfangshalle kommt ein Hotelier auf uns, der unser spärliches Gepäck entgegennimmt.
Wir haben uns im Jet etwas gewaschen, sodass wir nicht mehr so aussehen wie die letzten Banditen. Ace hat sich für die Reise einen maßgeschneiderten Anzug angezogen und sieht aus wie ein reicher, schnöseliger Geschäftsmann und Grimm – tja. Der passt perfekt zur kolumbianischen Mafia und wird von den einheimischen Bürgern mit verängstigten Blicken angesehen. Kiki sieht, abgesehen davon, dass sie barfuß herumläuft, weil ihre Nylonstrumpfhose völlig verdreckt und zerrissen war, aus wie eine bunte, wunderschöne Prinzessin aus einem anderen Land. Und ich? Ich spiele eben Ace’ Bodyguard.
Im Hotel gibt es ein Restaurant mit überteuerten Preisen, einen eigenen Fitness- und Wellnessbereich sowie eine gigantische Poollandschaft innen und außen. Ace bucht eine Suite für sich, eine für mich und Kiki sowie ein Einzelzimmer für Grimm.
Als Kiki und ich unser Zimmer betreten, herrscht Schweigen zwischen uns. Wir haben uns nicht beschwert, als Ace die Unterkunft für uns beide gebucht hat. Dennoch fühlt es sich unangenehm an. Ich weiß, sie hat es mir nicht verziehen, sie einfach aus meinem Leben verbannt zu haben. Aber was noch viel schwerer wiegt, ist meine Schuld an dem Tod ihres Vaters. Es liegen so viele unausgesprochene, ungeklärte Dinge zwischen uns, dass es sich anfühlt, als wären wir von einer unsichtbaren Wand getrennt.
Kiki geht auf das riesige, bodentiefe Panoramafenster zu, welches eine atemberaubende Sicht auf die Urlaubslandschaft gewährt. Ihr Paillettenkleid glitzert in allen Regenbogenfarben, als die Sonnenstrahlen auf sie treffen.
Sie ist wunderschön, meine zerbrochene Prinzessin.
»Ich muss einkaufen. Ich habe keine Kleidung, keine Zahnbürste und nichts«, murmelt sie leise vor sich hin, während ich etwa eine Armlänge entfernt hinter ihr stehen bleibe. Ich wünschte, ich könnte sie berühren, sie festhalten und trösten. Aber es fühlt sich an, als habe ich alle Berechtigung, mich ihr auch nur zu nähern, verloren.
Scheiße, verdammt. Wann bin ich zu so einem selbstmitleidigen Weichei geworden?
Ich kotze mich selbst dermaßen an, dass ich … nunja – kotzen könnte.
Ich wende mich von ihr ab und nehme den Hörer des Telefons neben dem Doppelbett in die Hand. Die Rezeptionistin meldet sich auf Englisch. Ich sage ihr, sie soll jemanden losschicken, der einen Satz Damenkleidung in Größe S, Schuhe in Größe 37, Damenhygieneartikel und eine Zahnbürste besorgt. Ohne zu fragen warum, schickt sie jemanden los.
Als ich auflege, dreht sich Kiki zu mir um.
»Warum hast du nicht mit mir geredet und mir alles erklärt?«, fragt sie.
Ich lasse mich geschafft auf das Bett sinken und stütze meine Ellbogen auf meinen Knien ab.
»Ich dachte, dass es so besser ist. Außerdem bin ich nicht der Typ für … Gefühlssachen. Es war scheiße genug, dich wegzuschicken – ich wollte nicht, dass du irgendetwas hinterhertrauerst, was nie eine Zukunft hätte. Es war der einzige Weg, wie du ein normales Leben hättest weiterführen können. Ohne mich. Ohne Kriminalität und ohne Mafia. Es bestand schließlich die Chance, dass Angelo euch in Ruhe lassen und die Rache nur an uns nehmen würde. Immerhin habe ich seinen Sohn getötet und nicht du.«
»Aber dein Plan ist nicht aufgegangen«, schlussfolgert sie.
Ich nicke.
»Ich hatte vor, dich dennoch zu überwachen und für deine Sicherheit zu sorgen, aber …«
»Ace ist dir dazwischengegrätscht«, vollendet sie meinen Satz. »Deswegen hast du Grimm beauftragt, ich weiß. Und ich dachte, ich wäre dir egal.« Sie lächelt leicht, wird dann aber wieder ernst. »Ich denke aber immer noch, dass es besser wäre, du hättest mit mir geredet.«
»Ich bin halt nicht so der Redner«, brumme ich.
»Ich weiß.« Kiki kommt auf mich zu und lässt sich neben mich auf das Bett sinken.
Ich halte meinen Kopf gesenkt, die Ellbogen auf die Knie gestützt und die Hände gefaltet. Es fühlt sich an, als sollte ich sie nicht mal mehr ansehen. Was habe ich ihr nur angetan? Sie muss mich hassen – so wie ich mich hasse.
»Du gibst dir die Schuld an allem«, sagt sie sanft und legt plötzlich ihre kleine Hand auf meine. Mein Körper wird von ihrer Berührung ausgehend mit einer Wärme geflutet, die in mir den Wunsch weckt, sie zu mir zu ziehen und nie wieder gehen zu lassen. Aber das kann ich nicht. Nicht mehr. Nicht nach allem. Ich habe dieses Privileg verloren und ein stechender Schmerz zuckt durch meine Brust.
»Ich habe Schuld an allem«, betone ich.
»Unsinn!« Kiki schnaubt und drückt meine Hände sanft. »Es gibt nur zwei, die Schuld an allem haben. Das ist einmal der Pharmakonzern, der das alles erst ins Rollen gebracht hat, und dieser Angelo, der letztendlich den Befehl dazu gegeben hat, uns anzugreifen und jeden zu töten.«
»Wenn ich dich damals nicht entführt hätte, dann wäre es niemals soweit gekommen, Viktoria. Das musst doch sogar du mit deiner ständig rosaroten Brille so sehen!«
»Nein, Seth! Der Auftrag, mich zu entführen, war so oder so gegeben. Wenn du es nicht getan hättest, dann hätte es jemand anderes gemacht. Dann wäre ich vermutlich nicht mit meinem Leben davongekommen.«
»Dann wäre Luis Angelo aber nie aufgetaucht. Ich hätte ihn nie umgebracht. Sein Vater hätte nie den Befehl erteilt, euch anzugreifen, und dein Vater würde noch leben.«
»… und ich wäre vielleicht tot«, vollendet sie meine Ausführung. »Seth, ich wäre umgebracht worden! Gefoltert und zerstückelt in Einzelteilen zu meinem Vater gesendet worden. Denkst du, wenn mein Vater auf den Deal eingegangen wäre, hätten sie mich gehen lassen? Du bist nicht der Böse in dieser Geschichte. Sondern diejenigen, die meine Entführung in Auftrag gegeben haben! Der Mann, der den Befehl gegeben hat, meinen Vater zu töten!«
Ich schweige. Das Mädchen ist unverbesserlich und ich habe keine Ahnung, wie ich sie noch davon überzeugen kann, dass ihre Ansicht vollkommen realitätsfern ist.
»Bitte hör auf, dir diese Schuld einzureden!« Der Griff ihrer schlanken, zarten Finger um meine wird fester.
Ich drehe meinen gesenkten Kopf langsam zu ihr und blicke sie an.
Ihr puppenhaftes Gesicht ist meinem so nah und ihre aquamarinfarbenen Augen glitzern flehentlich. Sie sieht müde aus. Körperlich und seelisch.
»Ich brauche dich jetzt, Seth. Als du mich weggeschickt hast, hat es mir das Herz gebrochen. Ich habe versucht, mir einzureden, dass du es gar nicht wert bist. Dass du ein böser Mensch bist …«
»Was ich bin.«
Sie übergeht meinen Einwand und tut so, als habe sie es nicht gehört.
»Aber so sehr ich auch versucht habe, es mir einzureden, konnte ich nicht aufhören, an dich zu denken und zu hoffen, dass du zu mir zurückkommst. Und jetzt brauche ich dich! Ich habe niemanden mehr. Ich weiß nicht mal, wie ich alles ohne meinen Vater überstehen soll. Wie ich mit diesem Schmerz in mir klarkommen soll. Wo ich die Kraft hernehmen soll, weiterzumachen. Bitte! Hör auf dir diese Vorwürfe zu machen und sei jetzt für mich da!«
Eine Träne löst sich aus ihrem Auge, sammelt sich unter ihren langen Wimpern und rollt ihre Wange hinab. Kiki sieht mich schwer atmend und so verzweifelt an, dass ich ihren Schmerz regelrecht spüren kann. Ich wünschte, ich könnte ihr die Trauer und die Ängste nehmen, könnte ihr eine Welt ohne Leid und Sorge schenken, so wie sie es verdient hätte. Aber so eine Welt gibt es nicht.
Langsam löse ich meine Hand und hebe sie an, um sie an ihre Wange zu legen.
Sie schmiegt sich in sie hinein und schließt die Augen, wodurch sich zwei weitere Tränen lösen. Ich wische sie mit meinem Daumen fort.
»Kannst du mir verzeihen?«, frage ich rau.
Kiki nickt stumm, lehnt sich mir verzweifelt und mit geschlossenen Augen entgegen.
Endlich schlinge ich meine Arme um sie und ziehe sie an mich. Ich halte ihren zerbrechlichen Körper fest und spüre, wie sie zittert. Langsam lasse ich mich mit ihr nach hinten auf das Bett sinken, dabei sauge ihren Duft tief in mich auf.
Es tut so gut, sie dicht bei mir zu spüren. Ihre Wärme, ihre zarte Haut, ihr weiches Haar. Es ist, als würden die Scherben meiner Seele langsam wieder zusammengesetzt werden. Dabei bin ich nicht mal derjenige, der die letzten Wochen leiden musste.
Kiki vergräbt ihre Nase an meinem Hals, greift in den Stoff meines Shirts und hält sich an mir fest, als wäre ich der Rettungsreif, der sie am Untergehen hindert.