Читать книгу Following You - Bis du nicht mehr fliehen kannst - Mika D. Mon - Страница 19
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Sie
Mit einem Mal ist in meiner Welt alles Licht erloschen. Ich brauche deine Dunkelheit nicht mehr, ich habe meine eigene gefunden.
Es war unmöglich, nicht aufzuwachen, während Seth und Ace aneinandergeraten sind. Ich habe fast das gesamte Gespräch mitbekommen. Jetzt weiß ich wenigstens, dass Seth sich durchaus noch Sorgen um mich macht und dass er der Auftraggeber von Grimm war, der mich bewacht hat.
Letztendlich hat Grimm sein Versprechen gehalten, auf mich aufzupassen. Er war es, der Seth von dem Anschlag berichtet und mich zusammen mit ihm aus den Trümmern meines Hauses und meines Lebens gerettet hat.
Ich bin erschüttert, dass Ace vorgeschlagen hat, mich umzubringen. Irgendwie hatte ich ihn für einen netten Kerl gehalten. Aber möglicherweise hatte er es auch gar nicht ernst gemeint. Dennoch sitzt mir deswegen ein Kloß im Hals. Meine Finger zittern und ich balle sie zu Fäusten, um es zu unterbinden. Innerlich fühle ich mich leer und tot.
Die Bilder von meinem Vater, wie er erschossen wird, von Dimitri, der vor ihm auf dem Boden liegt, und von dem völlig zerfetzten Ansgar, gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Diese Ungerechtigkeit, dass diese guten Menschen sterben mussten, entfesselt etwas in mir, das ich so bisher noch nicht kannte. Hass. Und den Wunsch nach Rache. Ja, ich gebe es zu. Dieser Angelo soll dafür büßen!
Bin ich deswegen jetzt ein schlechter Mensch? Für wen versuche ich überhaupt, das liebe, nette Mädchen zu sein? Für meine Mutter, der ihr neuer Mann wichtiger war als ich? Für meinen toten Vater? Für mich selbst?
Ich weiß es nicht.
Nicht mehr.
Ich weiß nur, dass ich entweder untergehen oder kämpfen kann. Und ich bin eine König. Wir geben nicht auf. Wir kämpfen.
Eine Königin zieht ihr Schwert, mein Schatz.
Meine Augen füllen sich erneut mit Tränen. Es fühlt sich an, als würde ich gleich mein Herz regelrecht auskotzen. Ich will es aus meiner Brust reißen, damit es endlich aufhört zu schmerzen. Mein Atem geht abgehackt. Es fühlt sich erneut an, als würde ich ersticken. Ich kenne dieses Gefühl und auch die Kälte, die sich in meiner Brust ausbreitet. Es ist dasselbe Phänomen wie vor ein paar Wochen, als ich diesen Anfall hatte, während Leonie bei mir war.
»Ist alles in Ordnung?«, fragt Seth und kommt mit zwei schnellen Schritten um den Sitz herum auf mich zu. Allerdings bleibt er dann stehen und berührt mich nicht. Es ist, als würde er es sich nicht trauen. Seine Hände verharren auf halbem Weg mitten in der Luft, bevor er sie wieder sinken lässt.
»Alles in Ordnung? Was denkst du denn, Seth?«, frage ich und sehe ihn fassungslos an. »Wonach sieht es denn aus? Mein Vater ist umgebracht worden! Dimitri ist tot! Ansgar lag zerfetzt auf den Trümmern des Hauses!«
»Ich weiß, … es … fuck.« Er schlägt mit der Faust gegen das Kopfteil eines Sitzes und wendet sich von mir ab. Ich bin mir bewusst darüber, dass er sich die Schuld für das alles gibt und dass irgendwo in seinem »Fuck« ein »Tut mir leid« steckt.
Ich lasse die Wolldecke zu Boden fallen, weil ich plötzlich Schweißausbrüche bekomme. Dann laufe ich an ihm vorbei in den Gang des Jets und gehe dort auf und ab. Dabei versuche ich meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Vor meinen Augen wird es schwarz. Ich möchte vor diesem Gefühl in mir flüchten, aber ich kann es nicht. Egal, wohin ich laufe, es verfolgt mich, denn ich kann mir selbst und meinen Ängsten nicht entkommen.
»Kiki!«, ruft Seth.
»Sie hat nur eine Panikattacke«, stellt Ace wie selbstverständlich fest. »Du weißt, das haben viele Menschen nach traumatischen Erlebnissen. Zum Beispiel Soldaten, die aus dem Krieg kommen …«
»Ja, aber …«
»Was kann ich dagegen tun?«, frage ich verzweifelt.
Eine Panikattacke? Kann das wirklich sein?
»Nichts«, antwortet Grimm, der von seinem Platz aufsteht und auf mich zukommt. Er fasst nach meinen Handgelenken, drückt mich nach hinten, sodass meine Knie gegen einen Sitz stoßen und ich unwillkürlich auf diesen falle.
Der Mann mit der Skeletttätowierung kniet sich vor mich und blickt herauf in meine Augen.
Ich bin so überrumpelt, dass ich das Atmen vergesse.
Seth zuckt hinter ihm und will auf uns zukommen, doch Ace legt ihm eine Hand auf die Schulter und hält ihn so zurück.
»Du darfst nicht vor deiner Angst fliehen«, sagt Grimm ruhig. »Sieh mich an.«
Vorsichtig suchen meine Augen seine und ich blicke in die smaragdfarbenen Iriden, die genauso außergewöhnlich sind, wie der Mann, zu dem sie gehören. Dennoch haben seine tiefe Stimme, seine Berührung und sein intensiver Blick, eine beruhigende Wirkung auf mich. Langsam entspanne ich mich.
»Gut«, lobt er mich. »Lass die Angst einfach zu. Sie ist nur ein Gefühl und sie kann dir nichts anhaben. Du kannst sie nur besiegen, indem du es geschehen lässt und aufhörst, vor ihr davonzulaufen.«
»Aber wie soll das gehen?«, frage ich verzweifelt.
»Erzähl mir, was du fühlst.«
»Mein Herz rast, mein Atem geht schnell, mir ist schwindelig und es fühlt sich an, als würde ich gleich in Ohnmacht fallen. Ich schwitze …«, zähle ich auf.
»Ja. Das alles passiert, weil dein Körper auf ›Überleben‹ umschaltet. Deine Herzfrequenz ist erhöht, damit du leistungsfähiger bist, dein Atem geht schnell, damit die Sauerstoffsättigung deines Blutes erhöht wird. Dir ist schwindelig, weil dein Gleichgewichtsorgan überempfindlich ist, um die kleinsten Unebenheiten auszugleichen. Du schwitzt, weil dein Körper sich abkühlt. Er ist gerade hochaktiv und produziert Energie, um zu fliehen oder zu kämpfen. Was in dir passiert, ist eine logische Reaktion deines Organismuses auf eine Gefahrensituation.«
Alles, was Grimm erzählt, klingt so unfassbar logisch. Ich schließe meine Augen, lausche auf mein Innerstes. Ich achte auf meinen schnellen Herzschlag, meine hektische Atmung, das Rauschen in meinen Ohren und die Welt, die sich um mich herum zu drehen scheint, während Grimms warme Finger um meine Handgelenke mich erden. Es vergeht einige Zeit, in der ich dort sitze und auf meinen Körper achte. Mit jeder Minute, die vergeht, bemerke ich, wie ich ruhiger werde. Irgendwann sind der Schwindel, der Schweiß und das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen, verschwunden, ohne dass mir etwas passiert ist.
Ich öffne meine Augen und blicke in die von Grimm. Immer noch hockt er vor mir. Ich sehe kleine Fältchen um seine Augen und neben seinen Mundwinkeln und frage mich plötzlich, wie alt er wohl sein mag.
»Und?«, fragt er.
»Besser.« Ich lächle.
Er nickt und steht auf.
»Danke«, sage ich, aber er ist schon auf dem Weg zurück zu seinem Platz, um sich dort hinzusetzen und mit seinem Messer zu spielen, als sei nichts gewesen.
Ich schäme mich für meine Schwäche – besonders Ace gegenüber. Wenn ich ihnen helfen will, Angelo zu besiegen, darf ich ihnen nicht zur Last fallen. Ich darf ihnen nicht im Weg stehen. Aber meine Panikattacke war der erste Beweis dafür, dass ich nichts als Ärger mache.