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1.2.2Empathie und therapeutische Arbeit

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Damit wir dem Kind helfen können, es begleiten können auf seinem Weg, ist vor allem eines notwendig: Empathiefähigkeit. Sich in das Kind und seine Realität einfühlen zu können, es spiegeln zu können in seinen Nöten, aber auch in seinen Bedürfnissen und seinen Erfolgserlebnissen ist das Wichtigste, das der Therapeut leisten können muss. Dies kann umso besser gelingen, je größer die Bandbreite der Erfahrungen des Therapeuten ist, weil diese eigenen Erfahrungen es erst ermöglichen, den anderen verstehen und sich in seine Wirklichkeit hineinversetzen zu können. Diese Empathiefähigkeit ist die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen einer zwischenmenschlichen Beziehung (Belege dafür liefert die neuere Hirnforschung, vgl. z. B. Joachim Bauer 2006). Die Beziehung zwischen Therapeut und Klient wiederum ist der bedeutendste Wirkfaktor in der Psychotherapie (Studien zu dieser Frage wurden z. B. von Grawe 2004, Grawe u. Grawe-Gerber 1999, Wampold et al. 2018, Duncan et al. 2010 sowie von Lambert 1992 durchgeführt). Dies ist genauso für die Lerntherapie anzunehmen, auch wenn sie keine Psychotherapie im engeren Sinne ist, da es bei beiden im Wesentlichen um die Begleitung eines Menschen geht.

Zwar ist unsere grundsätzliche Perspektive, dass in der lerntherapeutischen Arbeit hauptsächlich beim Umfeld des Kindes anzusetzen ist (bei Eltern, Geschwistern, Lehrern, Nachhilfelehrern, Freunden etc.). Gleichzeitig sind die Problematiken der Kinder jedoch individuell verschieden, ihre spezifischen bisherigen Lebens- und Lernerfahrungen werden sich immer unterscheiden und können sich auch innerhalb der Therapie verändern, ohne dass wir darauf bewusst Einfluss genommen hätten. Manche Kinder haben guten Zugang zu einem bestimmten Entspannungsverfahren und zu einem anderen nicht, zu bestimmten Bewegungsspielen oder -übungen usw. Daher sollte der Therapeut über eine Vielzahl von Techniken, Methoden, Spielen etc. verfügen, um bei der Intervention jeweils etwas Passendes auswählen zu können. Dabei kommt der Empathiefähigkeit eine wichtige Rolle zu, weil sie es ermöglicht, adäquat auf das jeweilige Kind und seine Situation reagieren zu können. Diese Beziehungsfähigkeit ist die wichtigste Voraussetzung, das heißt die Möglichkeit, eine tragfähige zwischenmenschliche Beziehung zum Kind herzustellen. Sie speist sich aus dem Reifegrad der Persönlichkeit, der Empathiefähigkeit und der Bereitschaft zur Selbstreflexion.

Therapeutische Arbeit kann umso besser gelingen, je besser man die eigenen Themen außen vor lassen kann (empfundene Unzulänglichkeiten, frühere Kränkungen, Bedürfnisse, Ängste, Vorurteile etc. – also insgesamt die Schattenseiten) oder zumindest je mehr man sich ihrer bewusst und in der Lage ist, sie vorübergehend auszuklammern. Kein Mensch ist perfekt, jeder hat an der ein oder anderen Stelle die Möglichkeit, an sich zu arbeiten – das gehört zu unserem Menschsein. Genau die Bereitschaft dazu ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, wenn ein Therapeutenberuf angestrebt wird.

Den Begriff Therapeut verstehen wir im ursprünglichen griechischen Sinne als »Diener« oder »Begleiter«. Als Begleiter auf dem Weg des Lebens, der Entwicklung und beim nächsten gerade anstehenden seelischen Reifungsschritt. Ganz entscheidend dafür ist die Fähigkeit, wahrzunehmen, was das Gegenüber gerade braucht, das heißt menschlich braucht, und darauf adäquat zu reagieren, das heißt, ihm beim Suchen und im besten Fall auch Finden zur Seite zu stehen.

Systemische Lerntherapie

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