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3. Nebenbestimmungen zum Verwaltungsakt
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Die im Hinblick auf den Regelungsinhalt eines Verwaltungsakts gesetzlich vorgesehenen Entscheidungsaussprüche der Behörde („Tenor“; Rn. 55) sind mitunter nur wenig flexibel ausgestaltet.[154] Liegen beispielsweise die Voraussetzungen für die Erteilung einer vom Bürger beantragten Genehmigung (z.B. Baugenehmigung) vor, wird sie ihm erteilt. Sind sie nicht erfüllt (z.B. weil das aus Sicherheitsgründen zwingend notwendige Treppengeländer fehlt), wird die Genehmigung versagt. Im Interesse des Einzelnen, aber auch zum Schutz Dritter sowie der Allgemeinheit, bietet § 36 VwVfG der Verwaltung daher die Möglichkeit, die im Verwaltungsakt enthaltene Hauptregelung durch zusätzliche (Neben-)Bestimmungen zu ergänzen bzw. zu beschränken. Anstelle eines strikten „Nein“ bei Nichtvorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen kann die Behörde den begehrten Antrag mit dem milderen Mittel des „Ja, aber“ erteilen (z.B. Erteilung der Baugenehmigung mit der Auflage, das Treppengeländer noch anzubringen). Nebenbestimmungen sind daher ein Mittel der „Feinsteuerung“ in der Verwaltungspraxis.
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Die nachträgliche Beifügung einer Nebenbestimmung zu einem bereits bestehenden Verwaltungsakt stellt ihrerseits den Erlass eines (weiteren) selbstständigen Verwaltungsakts dar. Ist ein solches Vorgehen nicht spezialgesetzlich vorgesehen (z.B. § 17 BImSchG, § 5 GastG), so liegt hierin eine Modifikation des ursprünglichen Verwaltungsakts, welche nur unter den Voraussetzungen der §§ 48, 49 VwVfG zulässig ist (Rn. 310 ff.).
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Eine nicht abschließende Aufzählung[155] der wichtigsten Typen von Nebenbestimmungen sowie die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit sind in § 36 VwVfG geregelt (vgl. ferner § 120 AO, § 32 SGB X), der als allgemeine Vorschrift allerdings von fachrechtlichen Spezialvorschriften (z.B. § 12 Abs. 2 AufenthG, § 145 Abs. 4 BauGB, § 9 Abs. 2 WaffG) verdrängt wird, welche die Beifügung von Nebenbestimmungen mitunter ausdrücklich ge- (z.B. § 8 Abs. 2 S. 1 FStrG) bzw. verbieten (z.B. § 15 Abs. 4 PBefG). Sofern diese im Einzelfall jedoch nicht einschlägig sind bzw. keine abschließende Regelung treffen und auch nicht ausnahmsweise aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen eine Nebenbestimmungsfeindlichkeit der jeweiligen Hauptregelung folgt (z.B. statusändernde Verwaltungsakte wie die Beamtenernennung, Einbürgerung sowie privatrechtsgestaltende Verwaltungsakte; Rn. 45), richtet sich die Prüfung der Zulässigkeit von Nebenbestimmungen zu einem Verwaltungsakt auf Bundesebene nach § 36 VwVfG.
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Hat der Betroffene nach dem jeweiligen Fachrecht einen Anspruch auf den Verwaltungsakt (gebundene Entscheidung), so „darf“ (Ermessen) der Verwaltungsakt nur dann mit einer Nebenbestimmung versehen werden, wenn sie entweder durch eine Rechtsvorschrift zugelassen ist (z.B. § 3 Abs. 2 GastG) oder wenn die Nebenbestimmung sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt werden, siehe § 36 Abs. 1 VwVfG. Zu Letzterem kann die Behörde aus Gründen der Verhältnismäßigkeit einmal sogar verpflichtet sein – was i.d.R. insbesondere dann der Fall ist, wenn nur noch geringfügige Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands fehlen. Denn der Erlass eines beantragten Verwaltungsakts (z.B. Baugenehmigung) mit einer Nebenbestimmung (z.B. Auflage, das fehlende Treppengeländer noch anzubringen; Rn. 77) ist im Vergleich zu dessen vollständiger Ablehnung das mildere Mittel.[156]
Dies entspricht dem Zweck von § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG, eine Nebenbestimmung beifügen zu dürfen, die es der Behörde ermöglicht, einen begünstigenden Verwaltungsakt zu erlassen, obwohl noch nicht sämtliche vom Fachrecht hierfür aufgestellten Voraussetzungen erfüllt oder nachgewiesen sind. „Die Nebenbestimmung ist ein Mittel, das Fehlen von Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsakts zu überbrücken.“ Im Interesse des betroffenen Bürgers eröffnet sich so ein Weg, Gründe für eine Versagung auszuräumen. Liegen hingegen die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes vollständig vor und wurde diesem gleichwohl ein Widerrufsvorbehalt nur für den Fall beigefügt, dass diese gesetzlichen Voraussetzungen zukünftig wegfallen sollten, so ist eine solche Nebenbestimmung von der Ermächtigungsgrundlage des § 36 Abs. 1 Alt. 2 VwVfG nicht gedeckt. Zudem würden die differenzierten Regelungen über den Widerruf rechtmäßig erlassener Verwaltungsakte nach § 49 Abs. 2 S. 1 VwVfG unterlaufen. Dies gilt jedenfalls für solche Nebenbestimmungen, die wie die auflösende Bedingung, die Befristung und der Widerrufsvorbehalt darauf abzielen, die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts zu beseitigen (Rn. 83).[157]
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Steht der Erlass des Verwaltungsakts dagegen im Ermessen der Behörde, d.h. kann sie von diesem auch vollständig absehen, so ist es ihr auch gestattet („darf“; Ermessen), diesen – unter Beachtung der Vorgaben des § 36 Abs. 1 VwVfG („unbeschadet“) – nur mit einschränkenden Nebenbestimmungen zu erlassen, § 36 Abs. 2 VwVfG.
Beispiel[158]
L ist Inhaber eines Blumenladens in der Stadt S. Zwecks Umsatzsteigerung beabsichtigt L, auf dem 3,5 m breiten Bürgersteig einen Handkarren mit seinen schönsten Blumen aufzustellen. Auf seinen bei der zuständigen Behörde gestellten Antrag hin erteilt diese ihm zwar die erforderliche Sondernutzungserlaubnis (Ermessensverwaltungsakt), allerdings mit der Auflage, dass zumindest die Hälfte der im Handkarren positionierten Blumen solche einheimischer Art sein müssen. L fühlt sich hierdurch in seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit eingeschränkt und möchte wissen, ob diese Nebenbestimmung i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 L-VwVfG rechtmäßig ist.
Die Anordnung einer belastenden Nebenbestimmung wie der hier von der Behörde ausgesprochenen Auflage bedarf zu ihrer Rechtmäßigkeit einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Wo diese genau zu verorten ist, ist streitig. Sofern keine spezialgesetzliche Regelung vorhanden ist, wird in Bezug auf Ermessensverwaltungsakte der vorliegenden Art teilweise auf § 36 Abs. 2 L-VwVfG zurückgegriffen, wonach deren Erlass bzw. Verbindung mit einer Nebenbestimmung im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde steht. Nach a.A. sei die Rechtsgrundlage für die Beifügung von Nebenbestimmungen dagegen unmittelbar in der Ermächtigungsgrundlage zum Erlass des (Ermessens-)Hauptverwaltungsakts – hier: der Sondernutzungserlaubnis – als wesensgleiches Minus zur unbeschränkten Genehmigungserteilung mit enthalten. Da folglich nach beiden Auffassungen eine Ermächtigungsgrundlage für die hier erfolgte Anordnung der Auflage vorhanden ist und diese nach beiden Ansätzen inhaltlich den Regeln fehlerfreier Ermessensausübung (§ 40 L-VwVfG) unterliegt, kann vorliegend eine Streitentscheidung dahingestellt bleiben. Nach diesen Regeln ist die Auflage u.a. nur dann rechtmäßig, wenn die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat. Im Hinblick auf die hier erteilte Sondernutzungserlaubnis dürfen Ziele jenseits der spezifisch straßenrechtlichen Zwecksetzung nicht verfolgt werden. Eben dies hat die Behörde mit der Forderung nach der Bereithaltung eines bestimmten Angebots an Waren aus heimischem Anbau aber getan. Die Auflage ist daher rechtswidrig.
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In jedem Fall, d.h. sowohl in dem des Abs. 1 als auch des Abs. 2 von § 36 VwVfG, darf gemäß dessen Abs. 3 eine Nebenbestimmung nicht dem Zweck des Verwaltungsakts zuwiderlaufen (z.B. Erteilung einer wasserrechtlichen Erlaubnis mit derart hohen Anforderungen, dass die Gewässerbenutzung faktisch unmöglich ist). Die Nebenbestimmung muss mit dem Verwaltungsakt, dem sie beigefügt ist, in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Das in § 56 Abs. 1 S. 2 VwVfG für öffentlich-rechtliche Verträge normierte Koppelungsverbot (Rn. 108) gilt insoweit als allgemeiner Rechtsgrundsatz entsprechend.
JURIQ-Klausurtipp
Während für den Rechtsschutz gegen Nebenbestimmungen[159] deren jeweilige genaue Qualifikation als Bedingung, Auflage etc. regelmäßig dahingestellt bleiben kann, kommt es für die Frage nach deren materiell-rechtlicher Zulässigkeit sehr wohl darauf an, mit welcher Art von Nebenbestimmung der Verwaltungsakt im Einzelfall erlassen bzw. verbunden wurde.[160] Denn es gilt der allgemeine Grundsatz, dass die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme von ihrer Rechtsnatur abhängt. Die unterschiedlichen Arten von Nebenbestimmungen sind in § 36 Abs. 2 VwVfG legaldefiniert.[161]
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Die in § 36 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwVfG geregelten Nebenbestimmungen bestimmen die innere Wirksamkeit des Verwaltungsakts (Rn. 253), indem sie den zeitlichen Geltungsbereich der in ihm enthaltenen Regelung eingrenzen. Eine eigene Sachregelung wird mit ihnen jedoch nicht getroffen, weshalb sie auch als unselbstständiger (integraler) Bestandteil des Verwaltungsakts, mit dem sie erlassen werden, charakterisiert werden.
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Die in § 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG in Anlehnung an § 163 BGB geregelte Befristung ist eine Bestimmung, nach der eine Vergünstigung oder Belastung zu einem bestimmten (z.B. 31.12.2019) oder zumindest bestimmbaren (z.B. innerhalb eines Monats nach Zustellung) Zeitpunkt beginnt, endet oder für einen bestimmten Zeitraum gilt.[162]
Beispiel[163]
Auf Antrag von Einzelhändler E hin wird diesem die Erlaubnis erteilt, sein in Küstennähe befindliches Geschäft ab sofort bis zum Ende der Saison am 30.9. des Jahres auch am Sonntagvormittag geöffnet zu halten.
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Ist das „Ob“ und/oder das „Wann“ des Eintritts des zukünftigen Ereignisses, mit dem die im Verwaltungsakt ausgesprochene Vergünstigung oder Belastung eintreten (aufschiebende Bedingung) oder wegfallen (auflösende Bedingung[164]) soll, dagegen ungewiss, so handelt es sich um eine Bedingung, siehe § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG (vgl. auch § 158 BGB).
Eine „Bedingung“ i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG wird dadurch charakterisiert, dass sie den Eintritt oder den Wegfall einer Vergünstigung oder Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen (nicht: vergangenen), d.h. nach dem Bescheiderlass eintretenden Ereignisses abhängig macht. Dabei fallen unter den Begriff des Ereignisses nur empirisch nachprüfbare, d.h. von der Außenwelt durch Erleben, Hören oder Sehen wahrnehmbare Handlungen, Erklärungen oder Geschehnisse – nicht dagegen nur zur Gedankenwelt eines Beteiligten gehörende Vorstellungen.[165]
Dass der Eintritt des Ereignisses ggf. vom Willen eines Beteiligten abhängig ist (so etwa im nachfolgenden Stellplatz-Beispiel), schließt die Annahme einer (unechten bzw. Potestativ-)Bedingung nicht aus. Demgegenüber dient das Instrument der Bedingung nicht dazu, der Behörde die Möglichkeit zu verschaffen, die rechtliche Bewertung abgeschlossener Sachverhalte offenzulassen oder einer zukünftigen rechtlichen (Neu-)Bewertung vorzubehalten, weshalb Überprüfungsvorbehalte in Bezug auf abgeschlossene Sachverhalte von der Rechtsprechung nicht als Bedingung angesehen werden.[166]
Beispiel 1[167]
Erteilung einer Baugenehmigung mit der aufschiebenden Bedingung, dass noch 3 Einstellplätze für Kraftfahrzeuge geschaffen werden.
Beispiel 2[168]
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer der Beschäftigung des Ausländers bei einem bestimmten inländischen Arbeitgeber (auflösende Bedingung).
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Um eine besondere Form der auflösenden Bedingung handelt es sich schließlich bei dem in § 36 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG vorgesehenen Widerrufsvorbehalt[169], wobei dessen nachfolgende Ausübung durch die Behörde, d.h. die Erklärung des Widerrufs mittels gesonderten Verwaltungsakts, das Ereignis ist. Nach § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 VwVfG gibt der Vorbehalt des Widerrufs der Verwaltung die Befugnis, den mit dieser Art von Nebenbestimmung versehenen Verwaltungsakt später zu widerrufen (Rn. 329). Zugleich weist der Widerrufsvorbehalt den Adressaten von vornherein auf diese Möglichkeit hin, so dass bei diesem kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des betreffenden Verwaltungsakts zu entstehen vermag, vgl. § 49 Abs. 6 S. 1 VwVfG (Rn. 332).
Beispiel[170]
Z beabsichtigt, auf dem Bürgersteig einer durch die Stadt S führenden Bundesfernstraße einen Zeitungskiosk zu betreiben. Die von ihm nach § 8 Abs. 1 FStrG beantragte Sondernutzungserlaubnis wird mit dem „Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs“ (vgl. § 8 Abs. 2 S. 1 FStrG) erteilt.
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Mit der Auflage[171] (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG; vgl. auch § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwVfG; Rn. 329) schreibt die Behörde dem durch den betreffenden Verwaltungsakt Begünstigten ein bestimmtes Verhalten (Tun, Dulden oder Unterlassen) vor. Sie enthält folglich eine eigene, selbstständig vollstreckbare Sachregelung zusätzlich zu der im Verwaltungsakt ausgesprochenen Hauptregelung (vgl. auch den Gesetzeswortlaut: „verbunden werden mit“) und wird daher ihrerseits als Verwaltungsakt qualifiziert (str.).[172] Gleichwohl ist die Auflage „nur“ eine Nebenbestimmung, da sie von der Hauptregelung inhaltlich wie rechtlich abhängig ist.[173]
Beispiel[174]
In unmittelbarer Nähe des Fußballstadions in M betreibt G eine Gaststätte. Nachdem es infolge Alkoholkonsums in der Gaststätte des G vor Heimspielen des FC M regelmäßig zu schweren Auseinandersetzungen unterschiedlicher Fangruppen und zum „Anpöbeln“ auch unbeteiligter Stadionbesucher gekommen war, erließ die zuständige Behörde eine auf § 5 Abs. 1 Nr. 3 GastG gestützte Auflage, mit der sie G aufgab, jeweils 2 Stunden vor Beginn bis 3 Stunden nach Beendigung eines Heimspiels des FC M alkoholhaltige Getränke nur bis zu einem maximalen Alkoholgehalt von 3 % auszuschenken.
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Sind im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts bestimmte Auswirkungen der in diesem getroffenen Regelung zwar denkbar, aber noch nicht eindeutig feststellbar und will sich die Behörde die Möglichkeit vorbehalten, später noch entsprechend reagieren zu können, so kann sie den Verwaltungsakt mit einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung oder Ergänzung einer Auflage versehen, siehe § 36 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG. Dieser Auflagenvorbehalt[175] dient ebenso wie der Widerrufsvorbehalt dazu, die Entstehung von schutzwürdigem Vertrauen auszuschließen (Rn. 86).
Beispiel[176]
Genehmigung einer Diskothek unter dem Vorbehalt der nachträglichen Ergänzung von Lärmschutzauflagen.
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Was die Abgrenzung der Nebenbestimmungen untereinander anbelangt, so bereitet insbesondere die Unterscheidung zwischen der aufschiebenden Bedingung (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG; Rn. 85) und der Auflage (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG; Rn. 87) häufig Schwierigkeiten (z.B. Erteilung einer Baugenehmigung mit dem „Zusatz“, 3 Stellplätze auf dem Grundstück zu errichten). Die inhaltlichen Unterschiede zwischen beiden bestehen darin, dass der mit einer Auflage verbundene Verwaltungsakt sofort und unabhängig davon rechtswirksam ist, ob die Auflage erfüllt wird oder nicht – wohingegen im Fall der aufschiebenden Bedingung der Verwaltungsakt erst mit ihrem Eintritt wirksam wird – und das dem Begünstigten mit einer Auflage vorgeschriebene Verhalten – im Gegensatz zur aufschiebenden Bedingung – von der Behörde im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden (Auflage als Grundverwaltungsakt; Rn. 335 und Rn. 341) bzw. diese den Hauptverwaltungsakt unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwVfG widerrufen kann (Rn. 329).
Hinweis
Klassisch insoweit der von Carl Friedrich von Savigny[177] formulierte Merksatz: „Die Bedingung […] suspendi[e]rt, zwingt aber nicht; der Modus [scil. die Auflage] zwingt, suspendi[e]rt aber nicht.“
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Ob überhaupt[178] eine und gegebenenfalls welche Art von Nebenbestimmung im konkreten Fall vorliegt, ist im Wege der Auslegung der betreffenden behördlichen Regelung nach ihrem objektiven Erklärungswert zu ermitteln (vgl. Rn. 42 und Rn. 55). Maßgeblich ist deren materieller Gehalt, nicht die formelle Bezeichnung (z.B. als „Auflage“, „Bedingung“) – sofern Letztere überhaupt unter Rückgriff auf die in § 36 Abs. 2 VwVfG verwendeten Termini erfolgt (Negativbeispiele: „Maßgabe“, „Zusatz“ etc.). Die Wortwahl ist vielmehr lediglich ein erstes Indiz dafür, was die Behörde tatsächlich gewollt hat. Selbst hinter einer scheinbar unzweideutig als „Auflage“ bezeichneten Regelung kann sich daher eine Bedingung – oder gar eine Inhaltsbestimmung (Rn. 91) – verbergen bzw. sich eine „auflösende Bedingung“ aus Sicht eines objektiven Empfängers als vorläufiger Zuwendungsbescheid darstellen (Rn. 65).
Eine Bedingung liegt i.d.R. nur dann vor, wenn die Beachtung der jeweiligen behördlichen Verhaltensvorgabe derart bedeutsam ist, dass die Wirksamkeit des Verwaltungsakts mit ihr „steht oder fällt“[179]. Im Zweifel ist daher grundsätzlich von einer Auflage auszugehen, da diese sich aufgrund ihrer selbstständigen Durchsetzbarkeit sowohl für die Behörde als auch angesichts der von ihr unberührt bleibenden Wirksamkeit des Verwaltungsakts für den Betroffenen als die günstigere Maßnahme darstellt. Abweichendes gilt freilich dann, wenn eine dieser beiden Arten von Nebenbestimmungen im Einzelfall unzulässig sein sollte. In einem solchen Fall ist im Zweifel nämlich davon auszugehen, dass die Behörde sich rechtmäßig verhalten, d.h. die allein zulässige Nebenbestimmung gewählt hat.
Beispiel[180]
G beabsichtigt, in der Bonner Südstadt eine Gaststätte zu betreiben und beantragt daher bei der zuständigen Behörde eine entsprechende Erlaubnis. Diese wird ihm auch erteilt, allerdings mit der „Maßgabe“
a) | die bisher allein bestehende Unisex-Toilette durch zehn getrennte Toilettenanlagen für Frauen und Männer zu ersetzen; |
b) | über die neun bereits vorhandenen Toiletten hinaus noch eine weitere zu errichten. |
In Fall a) ist bislang keine (angemessene) Toilettenanlage vorhanden. Bis diese eingebaut wird, soll die Gaststätte nach dem Willen der Behörde nicht in Betrieb gehen. Bei der „Maßgabe“ handelt es sich daher um eine aufschiebende Bedingung i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG NRW. Anders dagegen in Konstellation b). In Anbetracht der neun bereits existierenden Toilettenanlagen besitzt die „Maßgabe“ der Errichtung einer weiteren Toilette hier für die Behörde nicht dieselbe Bedeutung wie in Fall a). Insoweit handelt es sich nur um eine Auflage i.S.v. § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG NRW.
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Von den Nebenbestimmungen i.S.v. § 36 VwVfG zu unterscheiden sind die Inhaltsbestimmungen, vgl. auch § 10 Abs. 5 S. 2 BImSchG. Während namentlich die Auflage zu der im Verwaltungsakt ausgesprochenen Hauptregelung hinzutritt (z.B. Baugenehmigung mit dem Zusatz, an der Außentreppe ein Geländer anzubringen; Rn. 77 und Rn. 80), legen Inhaltsbestimmungen erst den Gegenstand und die Grenzen eines Verwaltungsakts, d.h. den Inhalt seiner „Regelung“ i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG, fest (Rn. 54 ff.; z.B. Ausnahmeerlaubnis gem. § 46 StVO zum Parken auf gekennzeichneten Bewohnerparkplätzen im Bereich Altschwabing). Zu Letzteren zählt richtigerweise auch die erstmalig von Weyreuther[181] sog. modifizierende Auflage, die entgegen ihrer (Falsch-)Bezeichnung als „Auflage“ keine Nebenbestimmung i.S.v. § 36 VwVfG ist. Bei dieser erhält der Bürger nicht das, was er beantragt hat – und das, was er erhält, hat er nicht beantragt (aliud; z.B. Genehmigung eines Wohnhauses mit Flach- anstatt des beantragten Satteldachs). Macht der Bürger von der eingeschränkten bzw. veränderten Genehmigung gleichwohl Gebrauch, so liegt hierin die konkludente nachträgliche Stellung des etwaig erforderlichen Antrags, vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG (Rn. 197). Andernfalls muss er eine Verpflichtungsklage auf Erteilung einer uneingeschränkten Genehmigung erheben.[182]
Hinweis
„Begrifflich setzt eine Nebenbestimmung eine Haupt-[/Inhalts]Bestimmung voraus.“[183] „Während die Nebenbestimmung eine zusätzliche Regelung zu einem inhaltlich bestimmten Verwaltungsakt trifft, legt die [Haupt-/]Inhaltsbestimmung erst den Gegenstand und die Grenzen des Verwaltungsakts fest.“[184]
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Die Differenzierung zwischen einer Inhaltsbestimmung (inkl. der modifizierenden Auflage) einerseits und der Auflage andererseits hat auch praktisch erhebliche Bedeutung: Hält sich der Adressat eines Verwaltungsakts, dessen Inhalt im Vergleich zum gestellten Antrag eingeschränkt oder verändert ist, nicht an diese Inhaltsbestimmung, so handelt er ohne Erlaubnis und damit rechtswidrig. Verstößt er dagegen „nur“ gegen eine Auflage zum antragsgemäß erteilten Verwaltungsakt, so handelt der Betroffene aufgrund der im Verwaltungsakt enthaltenen Sachregelung nicht ohne Erlaubnis. Vielmehr kann die in der Auflage enthaltene weitere Sachregelung von der Behörde nur im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt werden (Auflage als Grundverwaltungsakt) bzw. kann die Behörde den Hauptverwaltungsakt (die Genehmigung) unter den Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 VwVfG widerrufen (Rn. 89).
Beispiel[185]
Das Gewerbeaufsichtsamt hat Fabrikant F eine Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Ölfeuerungsanlage erteilt „mit der Maßgabe, dass bei Ölfeuerungsbetrieb mit schwerem Heizöl nur Heizöl S mit einem Schwefelgehalt von höchstens 1 % verfeuert werden darf“. F möchte wissen, wie es rechtlich zu bewerten ist, wenn er die Anlage entgegen dieser Maßgabe nicht mit schwefelarmem Heizöl betreiben würde.
Die behördliche Maßgabe, welche bei Ölfeuerungsbetrieb mit schwerem Heizöl nur die Verwendung von Heizöl S mit einem Schwefelgehalt von höchstens 1 % gestattet, ist keine Auflage. Sie kennzeichnet vielmehr den Umfang der dem F erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. F ist nicht schlechthin, sondern nur für den Fall der Verwendung von schwefelarmem Heizöl gestattet worden, eine Ölfeuerungsanlage zu betreiben. Verwendet er anderes Öl, so verstößt er nicht gegen eine Auflage, sondern betreibt die Anlage ungenehmigt.
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Die Abgrenzung der Inhaltsbestimmung von der Nebenbestimmung erfolgt – ebenso wie die Abgrenzung der verschiedenen Arten von Nebenbestimmungen untereinander – im Wege der Auslegung (vgl. Rn. 90). Eine Inhaltsbestimmung liegt regelmäßig dann vor, wenn bestimmte typische Rechtsfolgen, die mit dem Verwaltungsakt normalerweise (nach dem Gesetz) verbunden sind, entweder vollständig ausgeschlossen oder aber inhaltlich modifiziert werden.
Beispiel[186]
Autofahrer A besitzt noch einen Führerschein der Klasse 4 mit folgendem Eintrag: „Wegen Erblindung des linken Auges ist beim Führen von Fahrzeugen mit offenem Führersitz eine Schutzbrille zu tragen.“ Als Halter eines Leichtkraftrads war A bei der V-Versicherungs AG gegen Haftpflicht versichert. Nachdem A, der ohne Schutzbrille fuhr, mit einem von rechts kommenden, vorfahrtberechtigten Mopedfahrer zusammengestoßen war, verstarb Letzterer noch an der Unfallstelle. V lehnte es daraufhin ab, dem A Versicherungsschutz zu gewähren, weil er bei der Unfallfahrt keine Schutzbrille getragen und damit bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht die vorgeschriebene Fahrerlaubnis gehabt habe. Vor dem zuständigen Landgericht begehrt A nunmehr, die Deckungspflicht von V festzustellen. Hat A in der Sache Recht?
Hinweis: Nach § 2 Nr. 2 lit. c) der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), die dem Versicherungsverhältnis zwischen A und V zugrunde liegen, ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Fahrer des Fahrzeugs bei Eintritt des Versicherungsfalls nicht die vorgeschriebene Fahrerlaubnis hat.
Ja. Der in § 2 Nr. 2 lit. c) AVB verwendete Ausdruck „Fahrerlaubnis“ ist ein in § 2 StVG genau festgelegter Rechtsbegriff und bedeutet die auf Grund des Straßenverkehrsgesetzes erteilte behördliche Ermächtigung zum Führen eines Kraftfahrzeugs der in Frage kommenden Art. Art und Inhalt der Fahrerlaubnis ergeben sich aus der darüber ausgestellten amtlichen Bescheinigung, dem Führerschein. Wäre die Verpflichtung des A, beim Fahren eine Schutzbrille zu tragen, eine echte Bedingung im Rechtssinn, so hinge die Rechtswirksamkeit der ihm erteilten Fahrerlaubnis von seinem künftigen ungewissen Verhalten ab. Je nachdem, ob er mit oder ohne Brille fährt, würde er das eine Mal mit, das andere Mal ohne Fahrerlaubnis fahren und sich im letzteren Fall eines Vergehens nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG schuldig machen. Ist die besagte Verpflichtung hingegen als eine Auflage, als eine zur Fahrerlaubnis selbstständig hinzuzutretende und davon unabhängig erzwingbare Anordnung anzusehen, so lässt eine Zuwiderhandlung die Rechtswirksamkeit und den Bestand der Fahrerlaubnis unberührt. Es liegt dann nur eine Ordnungswidrigkeit nach § 24 StVG vor. Vor diesem Hintergrund ist das im Führerschein eingetragene Gebot zum Tragen einer Brille nicht als Bedingung, sondern als Auflage zu qualifizieren. Als Dauererlaubnis soll die Fahrerlaubnis klare Verhältnisse schaffen. Ihre Rechtswirksamkeit und ihr Fortbestand kann nicht von dem ungewissen künftigen Verhalten des Fahrers dergestalt abhängen, dass die Fahrerlaubnis bei vorschriftswidrigem Verhalten erlischt, aber sofort wieder auflebt, sobald der Fahrer sich vorschriftsmäßig verhält. Von einem Fahrer, der unter Missachtung der in seinem Führerschein stehenden Anordnung beim Fahren keine Brille getragen hat, kann man nicht sagen, er sei ohne Fahrerlaubnis gefahren. Sein Verhalten ist vielmehr dahin zu beurteilen, dass er zwar die vorgeschriebene Fahrerlaubnis besessen, aber die Verpflichtung zum Tragen einer Brille nicht erfüllt hat. Diese differenzierte Beurteilung ist nur bei Annahme einer Auflage möglich, weil ein Verstoß gegen diese den Bestand der Fahrerlaubnis nicht beeinträchtigt. Dies ist auch sachlich gerechtfertigt, weil die Verletzung einer Auflage in der Regel nicht so schwer wiegt wie ein Fahren ohne Führerschein. A hat danach bei Eintritt des Versicherungsfalls die vorgeschriebene Fahrerlaubnis gehabt. Er ist zwar der Auflage, beim Fahren eine Schutzbrille zu tragen, nicht nachgekommen. In diesem Verstoß gegen § 12 Abs. 2 S. 1 StVZO a.F. (vgl. nunmehr Ziff. 01.03 der Anlage 9 zu § 25 Abs. 3 FeV) liegt aber keine Verletzung der Führerscheinklausel des § 2 Nr. 2 lit. c) AVB, da diese allein auf das Vorhandensein der Fahrerlaubnis abstellt.
3. Teil Handlungsformen der Verwaltung › B. Handlungsformen der Verwaltung auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts › II. Öffentlich-rechtlicher Vertrag