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II. Konkurrenzregeln

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Zur Auflösung von Konkurrenzen zwischen Vorschriften, die sich auf derselben[71] Stufe der Normenpyramide befinden, existieren die beiden nachfolgenden Regeln, die als allgemeine Rechtsgrundsätze jeweils auch ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung (so aber z.B. § 8 Abs. 1 Hs. 2 PolG NRW[72] bzw. Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG) gelten.[73] Soweit eine dieser zwei[74] Regeln eingreift, liegt ein Fall der „verdrängenden“ bzw. „konsumtiven Normenkonkurrenz“ vor.[75]

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Die spezielle Rechtsnorm verdrängt die allgemeine Rechtsnorm („lex specialis derogat legi generali“).[76] Hintergrund dessen ist die Überlegung, dass die spezielle Rechtsnorm eine sachnähere und damit -gerechtere Regelung des betreffenden Lebenssachverhalts trifft als die allgemeine, welche darüber hinaus noch weitere Konstellationen abdecken muss.[77] Deshalb darf Erstere vom Rechtsanwender nicht durch Rückgriff auf Letztere unterlaufen bzw. ihr Zweck vereitelt werden.[78] I.d.S. spezieller ist eine Vorschrift gegenüber einer anderen dann, wenn

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– Erstere zusätzlich zu sämtlichen Tatbestandsmerkmalen (z.B. t1 + t2 + t3) der Letzteren mindestens noch eine weitere – eben „spezielle“ – tatbestandliche Voraussetzung enthält (z.B. t4),[79] d.h. sich beide zueinander verhalten wie zwei Kreise, „von denen der eine vollständig innerhalb des anderen liegt“[80] (so z.B. die Privilegierung des § 216 StGB im Verhältnis zum Grundtatbestand des § 212 StGB[81]), und

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– die Rechtsfolgen der beiden zueinander im Konkurrenzverhältnis stehenden Vorschriften sich gegenseitig ausschließen, sog. logische Spezialität.[82] Andernfalls, d.h. soweit ihre Rechtsfolgen miteinander verträglich sind, ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Rechtsfolgen der auf Seite des Tatbestands spezielleren Rechtsnorm (z.B. Art. 8 Abs. 1 GG: Schutz nur von friedlichen Versammlungen ohne Waffen) i.S.e. abschließenden Regelung an die Stelle der Rechtsfolgen der hiernach allgemeinen Vorschrift treten sollen (dann z.B. überhaupt kein grundrechtlicher Schutz von unfriedlichen Versammlungen bzw. solchen mit Waffen, auch nicht durch Art. 2 Abs. 1 GG; str.) oder aber diese modifizieren bzw. bloß ergänzen.[83]

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Beispiel[84]

Wird Z im „Cocktailbar-Fall“ (Rn. 2) wegen Raubes nach § 249 Abs. 1 StGB angeklagt und befindet das Gericht ihn hiernach für schuldig, so ist er daneben nicht auch noch wegen Diebstahls nach § 242 Abs. 1 StGB zu verurteilen. Denn weil § 249 Abs. 1 StGB unter Einschluss sämtlicher Tatbestandsmerkmale des § 242 Abs. 1 StGB („Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen“) noch weitere Voraussetzungen beinhaltet („mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben“), handelt es sich bei § 249 Abs. 1 StGB (Bestrafung „mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr“) im Verhältnis zu § 242 Abs. 1 StGB (Bestrafung „mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe“) um die speziellere Vorschrift. Folglich wird die allgemeine Vorschrift des § 242 Abs. 1 StGB nach dem lex specialis-Grundsatz durch die spezielle Vorschrift des § 249 Abs. 1 StGB verdrängt. Entsprechendes gilt ebenfalls im Hinblick auf den Nötigungstatbestand des § 240 Abs. 1 StGB.

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Im Ergebnis ebenso zu entscheiden sein kann das Konkurrenzverhältnis auch dann, wenn sich die Tatbestände der im konkreten Fall in Betracht kommenden Rechtssätze „zueinander wie zwei sich überschneidende Kreise verhalten.“[85] Schließlich kann die Auslegung auch dazu führen, dass eine Vorschrift eine andere selbst dann im Wege der Spezialität verdrängt, wenn beide Tatbestände an unterschiedliche Merkmale anknüpfen, sog. „inhaltliche Spezialität“ (so z.B. die Sachmängelgewährleistungsrechte aus § 437 BGB im Verhältnis zum Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 BGB).[86]

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Soweit danach in Bezug auf zwei Rechtssätze ein Spezialitätsverhältnis zu bejahen ist, hat dies zur Folge, dass die spezielle Vorschrift die Anwendbarkeit der allgemeinen im konkreten Fall ausschließt, sog. Anwendungsvorrang der speziellen vor der allgemeinen Rechtsnorm.[87]

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„Aufhänger“ für die Prüfung des lex specialis-Grundsatzes in der Fallbearbeitung ist die Frage, ob die allgemeine Vorschrift anwendbar ist. Dies ist u.a. dann nicht der Fall, wenn sie durch eine spezielle Regelung verdrängt wird, welche mithin zuerst zu prüfen ist.[88]

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Die spätere (jüngere) Rechtsnorm verdrängt[89] die frühere (ältere) Rechtsnorm („lex posterior derogat legi priori“).[90] Begründet wird dies mit dem mutmaßlichen Willen des Normgebers: Dieser habe durch den Erlass einer neuen Vorschrift zugleich zum Ausdruck gebracht, dass alle entgegenstehenden alten Rechtsnormen derselben Rangstufe ihre rechtliche Verbindlichkeit verlieren.[91] Ein Rückgriff auf diesen ungeschriebenen „gewohnheitsrechtlich anerkannte[n] Rechtssatz“[92] kommt allerdings dann nicht in Betracht, wenn der Gesetzgeber die Konkurrenzfrage ausdrücklich geregelt hat (formelle Derogation), etwa indem er die frühere Regelung außer Kraft setzt (z.B. Art. 2 Nr. 28 des Gesetzes zur Modernisierung und Bereinigung von Justizgesetzen im Land NRW vom 26.1.2010: „Es werden aufgehoben […] das Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AG VwGO)“) oder deren Fortgeltung anordnet (z.B. Art. 229 § 5 S. 1 EGBGB: „Auf Schuldverhältnisse, die vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind, [ist] das Bürgerliche Gesetzbuch […] in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden“).[93] Als Spezialregelung zu Art. 31 GG (Rn. 50) ordnet Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG (ggf. i.V.m. Art 84 Abs. 1 S. 4 GG) die Geltung des lex posterior-Grundsatzes auf den dort in Bezug genommenen Gebieten „im Verhältnis von Bundes- und Landesrecht“, d.h. rangübergreifend, explizit an.[94] Für den Bereich des Strafrechts schreibt § 2 Abs. 1 StGB als Konkretisierung des aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Rückwirkungsverbots ausdrücklich vor, dass „die Strafe und ihre Nebenfolgen […] sich nach dem Gesetz [bestimmen], das zur Zeit der Tat gilt“ – und nicht etwa nach einem, das erst später erlassen wurde.[95]

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Nach welcher Regel zu verfahren ist, wenn im konkreten Fall die Voraussetzungen von mehr als einem der drei vorgenannten derogat-Grundsätze erfüllt sind, ist der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen; aus dieser ergibt sich u.a. der Vorrang des lex superior-Grundsatzes sowohl gegenüber dem lex posterior- als auch gegenüber dem lex specialis-Grundsatz.[96]

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Hinweis

Der Begriff „Anwendungsvorrang“ wird in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet:[97]

Zum einen kennzeichnet er die Rechtsfolgen, die eintreten, wenn eine Vorschrift des nationalen Rechts in Widerspruch zum EU-Recht steht. In einer solchen Konstellation ist die innerstaatliche Vorschrift auf den konkreten Fall nicht anwendbar, sog. Anwendungsvorrang des EU-Rechts gegenüber diesem widersprechenden nationalen Recht (Rn. 57);
zum anderen bezeichnet er die Sperrwirkung, die das mit dem höherrangigen Recht vereinbare niederrangige Recht diesem gegenüber in Bezug auf die konkrete Rechtsanwendung entfaltet, sog. Anwendungsvorrang der rangniederen vor der ranghöheren Rechtsnorm (Rn. 61 f.);
darüber hinaus wird er dazu verwendet, um den Anwendungsvorrang der speziellen vor der allgemeinen Vorschrift zu beschreiben (lex specialis derogat legi generali; Rn. 64 ff.).
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