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Freitag, 10. September 2010 – Portmullen, Baumschule

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„Du, Hazel, Emily hat erzählt, der neue Lehrer ist ganz nett“, berichtete Caitlin erleichtert, während sie rosa blühende Sommerheide in Reihen auf den Verkaufstisch stellte.

Doch plötzlich sah sie beunruhigt auf.

„Aber er ist ganz anders als Mrs. Montgomery, die jetzt die erste Klasse übernommen hat. Emily sagt, er ist über den Schulhof gerannt und hat mit den Jungen Ball gespielt!“

Hazel sah sie strahlend an: „Ist doch toll! So einen Lehrer hab ich mir früher auch immer gewünscht!“

„Ja, schon. Aber wenn er sich wie ein Schüler benimmt, haben sie doch keinen Respekt mehr vor ihm!“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Das hat Mrs. Montgomery uns immer erklärt. Sie sagte, sie müsse streng sein und dürfe keinen persönlichen Kontakt zwischen sich und den Kindern dulden, weil diese sonst nicht lernten, erwachsenen Menschen mit Gehorsam und Respekt zu begegnen.“

„Findest du nicht, Caitlin“, Hazel blickte sie ernst an, „Emily braucht einen Lehrer, der sie ein wenig aus der Reserve lockt und ihr Freude am Lernen vermittelt?“

„Du meinst, weil sie so still ist?“

„Ja, ich denke Emily braucht jemanden, der mit ihr fühlt, sie zum Lachen bringt und ihr Mut macht, anstatt sie noch mehr einzuschüchtern!“

Betreten senkte Caitlin den Blick.

„Du meinst, sonst wird sie so ein verschüchtertes graues Mäuschen wie ich?!“

Hazel schwieg und trennte die verschiedenen Heidesorten mit einer grünen Reihe kleiner Buchsbäume von einander, damit die Kunden sie besser unterscheiden konnten.

„Du hast ja Recht, Hazel“, stellte Caitlin resigniert fest. „Emily fehlt Leichtigkeit in ihrem Leben, Ausgelassenheit. Seit Jake weg ist, haben wir nicht mehr viel Spaß. Und bei Mrs. Montgomery durften die Kinder nicht lachen.“

Caitlin seufzte, doch dann stellte sie überrascht fest: „Vielleicht ist sie wegen Mr. Wood plötzlich so fröhlich?! Stell dir vor, Hazel, sie kommt singend aus der Schule heim und erzählt wie ein Wasserfall. Das hat sie vorher nie getan!“

„Siehst du, dann ist dieser „Fremde“ aus dem fernen Frankreich gar nicht so schlimm wie du befürchtet hattest!“

„Und sein Englisch ist wirklich gut! Man hört gar nicht, dass er aus Frankreich kommt.“

„Vielleicht hat er nicht immer dort gelebt.“

„Kann schon sein.“

„Sonst hätte er doch auch einen anderen Namen“, bemerkte Hazel, „Wood ist nicht typisch französisch, nicht wahr?!“

„Du hast recht, Hazel“, kicherte Caitlin, „sonst hieße er ja Monsieur Forêt!“

Die Frauen lachten.

„Wer ist Monsieur Forêt?“, fragte plötzlich Jamie, der soeben das Gewächshaus betreten hatte.

Hazel hielt inne.

„Kann es sein, dass du furchtbar neugierig bist, James MacDougall?!“, schalt sie.

„Ich will bloß nichts verpassen! Ein Monsieur Forêt passt nämlich gar nicht in meinen Plan! Schließlich sollst du dich unsterblich in mich verlieben, Hasel-Äuglein!“

Breit grinsend trat er auf Hazel zu und legte den Arm um ihre Hüfte.

„Hör‘ mal, Jamie, es gibt hier nicht nur unbekannte französische Männer, sondern auch noch andere Frauen außer mir!“

Flink entwand sie sich seinem Griff und sah in Caitlins Richtung. Jamies Blick folgte, und Caitlin lief rot an wie ein Schulmädchen.

„Ich glaube, da ist gerade ein Kunde gekommen“, erklärte Hazel schelmisch und ließ Caitlin mit Jamie zurück.

Tatsächlich war ein Auto vorgefahren, und ein Mann stieg aus. Entschlossen betrat er das Baumschulgelände. Er trug Jeans und einen roten Pullover – und pechschwarze Locken, die ihm bis in den Nacken fielen. Hazel erstarrte. Der Kunde ebenfalls. Für einen kurzen Moment standen sie sich wie angewurzelt gegenüber, bis Hazel den Vorteil des vertrauten Terrains nutzte und lächelnd auf ihn zu trat.

„Hi, Connor! Was machst du denn hier?!“

Connor blickte an Hazel hinab, registrierte die grüne Arbeitshose, Sicherheitsstiefel und ein Lederetui am Gürtel, in dem eine Gartenschere steckte.

„Arbeitest du hier?“, fragte er überrascht. Doch dann lächelte er. „Natürlich arbeitest du hier!“

„Sieht so aus! Und du? Möchtest du etwas kaufen?“ Hazel griff nach der nächsten Pflanze.

„Vielleicht einen schönen Ilex oder hier die Hortensie? Blau oder rosa?“

Lachend hob sie einen Container nach dem anderen an, damit er ihre Verlegenheit nicht bemerkte. Doch Connor zog einen Zettel aus der Hosentasche, den er nun entfaltete. Sorgfältig strich er ihn glatt, als handelte es sich um ein wertvolles Manuskript, das irrtümlich ins Altpapier geraten war.

„Ich möchte ganz bestimmte Pflanzen kaufen, Hazel“, sprach er betont, und die frühe Nachmittagssonne erleuchtete sein Gesicht. Diesmal schien es nicht Rotgold, sondern Milchig-weiß. Seltsam, dachte Hazel, wie das Licht die Farbe der Haut beeinflusste. Dennoch verlor Connor nichts von seiner außergewöhnlichen Ausstrahlung. Im Gegenteil. Das Aquamarinblau leuchtete noch heller und verlieh ihm eine Kühle, die in unerklärlichem Kontrast zum Ausdruck seiner Augen stand. Denn darin schien ein Feuer zu lodern. Eingerahmt von dichten schwarzen Wimpern, um deren Länge und Schwung ihn gewiss jede Frau beneidete.

Hazel war gespannt. Welche Pflanzenarten ließen ihn dermaßen entflammen? Fragend sah sie ihn an.

„Ich hätte gerne je eine dieser Pflanzen:

Quercus robur

Ulex europaeus

Sorbus aucuparia

Calluna vulgaris

Sambucus nigra

Fraxinus excelsior

Abies alba“, las Connor die Liste gewissenhaft vor, doch Hazel spürte, dass er die Namen auch im Traum gekannt hätte.

„Eine ungewöhnliche Zusammenstellung“, erklärte sie, „hoffentlich haben wir alle Pflanzen vorrätig!“

„Wichtig ist mir auch“, sprach Connor, „dass sie schon eine gewisse Größe haben. Die Bäume hätte ich gerne als Halbstamm mit einem Umfang von 16/18.“

„Du kennst dich ja gut aus! Dann bist du wohl nicht nur Geschichtsprofessor, sondern auch Biologe?!“, lachte Hazel bewundernd.

„Das könnte man meinen“, gab Connor zu.

„Komm‘, wir sehen mal nach, ob wir die passenden Pflanzen finden.“

Hazel führte Connor über das Gelände zu den Laubbäumen.

„Hast du dir die Pflanzliste selbst zusammengestellt?“

„Ja“, Connor stockte, „mehr oder weniger.“

Fragend sah Hazel ihn an.

„Es hat mir jemand Hinweise gegeben, einen Plan sozusagen.“

„Dann sind die Pflanzen gar nicht für dich?“

„Doch. Auch.“

Hazel überlegte, was er damit meinte. Warum tat er so geheimnisvoll? Wollte er ihr eine Freundin verheimlichen? Warum wollte er sein Rätsel vor ihr nicht aufdecken? Ach, vielleicht war dieser Auftraggeber auch völlig belanglos, beruhigte Hazel sich selbst.

„Wie auch immer, hier haben wir Eichen. Quercus robur in 16/18, hm. Schau‘ mal, diese würde doch passen, oder?“

„Ja, sie sieht gut aus, kräftig gewachsen und ordentlich belaubt.“

„Du hast Glück, Connor. Das ist die einzige dieser Größe im Container. Du könntest sie also heute schon mitnehmen. Hast du einen Anhänger dabei?“

„Nein, leider nicht, den muss ich mir noch leihen.“

„Wenn du alle Bäume kaufst, die auf deiner Liste stehen, können wir dir die Pflanzen auch nach Hause liefern!“

„Das ist eine gute Idee!“

„Dann lass‘ uns mal sehen, ob wir auch eine schöne Esche finden.“

So liefen Hazel und Connor durch die Baumschule und luden große Bäume und die kleineren Sträucher auf zwei Paletten, die Connor mit dem Hubwagen selbst auf den Hof fuhr, obwohl Hazel heftig protestierte. William, ihr älterer Kollege, der gerade Ware vom LKW ablud, amüsierte sich über ihr Gezeter, denn gewöhnlich bestand Hazel darauf, Pflanzen selbst zu transportieren, weil sie vor den männlichen Kollegen ihre Kraft und Eigenständigkeit unter Beweis stellen wollte.

„Richtig so, junger Mann“, rief er lachend, „bremsen Sie die wilde Hazel mal ein bisschen aus!“

„Ach, Will, du weißt, dass ich das alleine kann!“, schimpfte Hazel und wirbelte um Connor herum wie eine Hummel. Der lachte nur und stellte die Paletten neben dem LKW ab.

„Wollen wir die gleich aufladen?“, fragte Will und zeigte auf die Pflanzen.

„Hast du denn Zeit für eine Auslieferung? Musst du nicht erst zu Magnus auf die Baustelle fahren?“, erkundigte sich Hazel. Will wehrte ab.

„Er wohnt doch in der Nähe! Das ist schnell gemacht!“

Erstaunt sah Connor den kleinen rundlichen Mann mit dem schütteren Haar und dem roten wettergegerbten Gesicht an.

„Woher wissen Sie, wo ich wohne?“ fragte er Will.

„Ach“, erwiderte dieser gedehnt, „das spricht sich doch schnell rum!“

Hazel blickte von einem zum anderen.

„Ich lebe wohl hinter dem Mond!“, stellte sie ärgerlich fest.

„Da ist es doch auch ganz schön!“, feixte William und griff nach dem Hubwagen. Connor schwieg. Während Hazel wütend den Lieferschein schrieb, luden die Männer die schweren Pflanzen auf den Lastwagen.

„Ich brauche deine Adresse, Connor“, rief sie ihn an und wedelte triumphierend mit dem Lieferschein.

„Ach, den brauche ich gar nicht“, erklärte er, „ich zahle gleich alles bar.“

William lachte erneut, und Hazel zerriss wütend den Zettel.

Schließlich folgte Connor ihr zum Kassenhaus. Als er erklärte, er habe als Mann eben mehr Kraft, boxte sie ihm mit gespielter Empörung auf den Oberarm und ignorierte Caitlins entsetzten Blick und ihre rätselhafte Mimik, mit der sie Hazel dringend auf irgendetwas aufmerksam machen wollte. Vielleicht war Magnus überraschend aufgetaucht oder Jamie hatte sie um ihre Hand gebeten, kicherte Hazel in sich hinein.

„Wie schade, dass die Weißtanne nicht dabei war“, erklärte Connor, nachdem er bezahlt hatte.

Hazel dagegen freute sich insgeheim, denn dadurch war Connor gezwungen, noch einmal wiederzukommen.

„Ich werde dir eine Schöne bestellen“, versprach sie. Connor sah ihr in die Augen, und Hazel umklammerte mit den Händen die Kante vom Tresen.

„Davon bin ich überzeugt“, hörte sie seine warme Stimme.

Damit hätte Connor gehen können, doch er blieb wie angewurzelt stehen.

„Hast du das ernst gemeint?“

„Was?“, hauchte Hazel und versuchte, den Kloß im Hals hinunter zu schlucken.

„Dass du mich in die Höhle begleiten möchtest!“

„Ja“, antwortete sie ohne zu überlegen und fügte in Gedanken hinzu, „dich würde ich überall hin begleiten!“

„Hast du am Sonntag Zeit?“

Hazel fühlte, wie ihr die Beine zitterten. War es die Angst vor den Schädeln? Vor den schaurigen Tiefen im Felsgestein? Oder lag es an der faszinierenden, scheinbar unendlichen Tiefe in den Augen dieses Mannes, den sie bereits in ihrem Traum gesehen hatte? Wie war es möglich, dass er nun leibhaftig vor ihr stand? War es Zufall? Oder etwa Schicksal? War es ein prophetischer Traum gewesen? Passierte so etwas häufiger, dass Träume plötzlich wahr wurden? Leider konnte Hazel sich nicht mehr daran erinnern, was im Traum geschehen war. Allein dieses Gesicht hatte sämtlichen Schlafphasen widerstanden und sie am Morgen mit einem seltsamen Kribbeln im Körper erweckt.

Dieses Kribbeln setzte sich nun fort. Hazel war alt genug um zu wissen, wie es sich anfühlte, verliebt zu sein. Und doch war es nicht dasselbe. Irgendetwas war zwischen ihnen. Etwas Vertrautes, Unerklärliches. Obwohl sie Connor erst zum zweiten Mal begegnet war, spürte sie, dass hinter seiner „Fremdheit“ eine Art Heimat lag, ein Gefühl wie zu Hause, wie unendliches Vertrauen. War das Liebe auf den ersten Blick? Oder steckte noch mehr dahinter? Und warum geschah dies alles?

„Hazel?“

Besorgt blickten sie die Meereshöhlen an. Die Meereshöhlen, in denen trotz des tosenden Wassers ein Feuer loderte, das im Begriff war, auf Hazel überzugreifen.

„Ja“, sprach sie heiser, „ich habe am Sonntag Zeit. Ich werde Ben bitten, uns den Weg zur Höhle zu zeigen.“

„Das ist sehr lieb von dir.“

Lieb. Wieder kroch die Gänsehaut über ihren Körper. Hazel lächelte.

„Ich muss jetzt gehen“, bedauerte Connor.

Hazel streckte ihm die Hand entgegen. Würde sie es noch einmal spüren? Tatsächlich, wie kleine Nadelstiche prickelte es, als Connors Hand sich sanft um ihre legte. Er musste es auch spüren. Doch Connor sprach kein Wort.

Plötzlich öffnete sich die Tür und William trat ein.

„Oh, seit wann werden unsere Kunden mit Handschlag verabschiedet?! Habt ihr euch wieder vertragen?“

Lachend klopfte er Hazel auf die Schulter. Unwillig zog sie ihre Hand zurück.

„Bei guten Kunden ist das selbstverständlich“, behauptete sie und zwinkerte Connor zu.

„Ich werde dann mal losfahren, damit Sie heute noch pflanzen können, Mr. Wood!“

Hazel zuckte zusammen.

„Danke. Ich werde Sie begleiten und beim Abladen helfen.“

„Prima, jetzt ist Ihre Kleidung sowieso schon im Eimer!“, lachte Will schallend und wies auf braune Erdspuren auf Hose und Pullover, bevor er sich auf den Weg zu Mr. Woods Haus machte.

„Bis Sonntag, Hazel. Um zehn?“

Connor lächelte.

Hazel nickte.

„Um zehn am Hafen.“

Kaum hatte Connor den Parkplatz verlassen, als Caitlin ins Kassenhaus gestürmt kam und eine verstörte Hazel vorfand, die wie erstarrt am Tresen lehnte.

„Ich weiß schon, was du sagen willst!“, kam sie Caitlin zuvor, ohne den Blick von der gegenüberliegenden Wand abzuwenden, an der Spinnen zwischen den organischen Düngerpackungen Netze gewebt hatten, wo die Sonne gelbe Streifen auf die Pflanzenschutzmittel malte und ein Werbeposter sich vom Rahmen löste.

„Hazel!“, rief Caitlin trotzdem, „Hazel, das war Mr. Wood!“

„Ich weiß.“

„Emilys neuer Lehrer!“

„Ich weiß.“

„Hazel, warum starrst du so?!“

Wild wedelte Caitlin mit der Hand vor ihren Augen.

„Ich weiß nicht.“

„Mensch, Hazel, ich wollte dich noch warnen, aber du hast ja nichts begriffen! Ich dachte, ich seh‘ nicht richtig, als du ihn geboxt hast!“

Caitlin lachte laut los, und endlich löste Hazel den Blick von der Wand.

„Caitlin“, rief sie aufgeregt, „Caitlin, er war es!“

„Wie, er war es? Natürlich war das Mr. Wood! Emilys Klassenlehrer!“

Hazel schüttelte ihre zarte Kollegin an den Schultern.

„Nein!“

„Doch!“

„Caitlin! Der Mann aus meinem Traum!“

„Nein!“

„Doch!“

„Dein Traummann?“

„Ja.“

Hazel plumpste nieder auf den kleinen Hocker, der gewöhnlich als Tritt diente, wenn sie oben aus dem Regal ein Fachbuch angelten.

„Hazel.“

Auch Caitlin musste sich setzen, fand aber nur den Stapel unausgepackter Werbekataloge, die darauf warteten, mit dem Firmenstempel versehen zu werden.

Als sich jedoch abrupt die Tür öffnete und sie Magnus vermuteten, sprangen beide Frauen augenblicklich auf, um festzustellen, dass es sich nur um Jamie handelte, der Caitlin gefolgt war. Mit pochenden Herzen standen sie atemlos im Kassenhaus, bleich vor Schreck, sahen einander an und mussten laut loslachen. Jamie wirkte irritiert.

„Was gibt es denn zu lachen, wenn ich reinkomme?“, beschwerte er sich.

„That’s amore!“, trällerte Hazel ausgelassen und drehte sich im Kreis, während Caitlin Gilbert Becauds „Was ist so schön an der Liebe“ sang.

„Spinnt ihr jetzt total?“

„Vielleicht, doch das ist uns egal!“, säuselte Hazel den Reim auf Jamies Frage und begann mit ihm zu tanzen. Verwirrt sah er hinüber zu Caitlin und löste sich von Hazel.

„Euch soll einer verstehen!“, murmelte Jamie und lief hinaus.

Dolúrna

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