Читать книгу SMALLTOWN GIRLS II - Bis ihr nicht gestorben seid - Miriam Sachs - Страница 8
4.
ОглавлениеEvery day
Voice in my ear
Telling me 'Get out of here'
EELS
Wir haben den ganzen Sonntag verschlafen und die Nacht gleich mit und sind pünktlich morgens um sieben aufgewacht. Charlies Mutter hat uns Frühstück ans Bett gebracht: "Croissants und Saft für den Sleep-Over-Club!" Charlie guckt peinlich berührt. „Das macht sie sonst nie!“, sagt sie.
Gott, die ist aber auch gut drauf! Bitte keine Gute-Morgen-Laune!
„Na Lu, so schlecht geschlafen? Deinen Eltern hab ich übrigens Bescheid gesagt, dass Du hier übernachtet hast.“ Natürlich hast du das! „Danke!“ Und bitte nicht mehr sprechen! Keinen Piep kann ich mehr verarbeiten.
„Lu, hallo, jemand zuhause? Du bist wieder die letzte Schnecke!"
Charlie reißt mich aus meinen Gedanken und wirft mir was zum Anziehen hin. Frau, was stresst Du immer so! „Ist doch noch gar nich so spät! Sieht sogar aus, als wären wir ausnahmsweise mal pünktlich!“
„Und ausnahmsweise mal gut angezogen!", triumphiert Charlie, als ich mich in ihre Jeans quäle. Sunshine hebt die Arme und schnuppert an ihren Klamotten.
„Deo versagt!“, stellt sie fest, das scheint sie aber nicht weiter zu stören. Charlie kramt in ihrem lindgrünen Ikea-Schrank nach schwarzen T-Shirts für Sunshine und erntet mitleidige Blicke.
Wie hab ich früher Charlie um diesen hässlichen Schrank beneidet, noch vor zwei Jahren! Jetzt sind wir rausgewachsen aus diesem Kram, aber wir verstauen immer noch unsere Sachen darin, sie in Ikea, ich in meiner Hello-Kitty-Kommode, und merken gar nicht, dass das alles gar nicht mehr geht. Das ist alles so absurd! Sunshine, die stundenlang Zähne putzt (die hat tatsächlich ihre aufklappbare Zahnbürste immer bei sich!), aber sich weigert, ihr T-Shirt zu wechseln. Charlie, die immer wie aus dem Ei gepellt ist, aber jetzt ihre eigene Morgentoilette vernachlässigt, weil sie uns schick machen will. Mann tut das gut! Obwohl ich morgens am liebsten kein Wort spreche, geschweige denn angequatscht oder herausgeputzt werden will, fühle ich mich zum ersten Mal seit langem geborgen. Was immer passiert. Ich bin nicht allein!
Der Zustand hält an bis wir unten an der Tür sind und Charlies Mutter mir die verdammten Gummistiefel unter die Nase hält.
"Lu, das sind wohl deine? Die lagen übrigens im Gemüsebeet!"
Oh Gott! Wir haben sie einfach vergessen, die Stiefel!
"DAS SIND NICHT MEINE!"
Das war zu laut. Aber ihre geballte gute Laune und diese bunt-geblümten Mörderstiefel! Zu viel! Die Gute-Morgen-Idylle wird zum Horrorfilm. Ich schaue verzweifelt zu Sunshine, aber die ist die Ruhe selbst.
"Das sind meine!", sagt sie, nickt Charlies Mutter freundlich zu, während sie ihr die Stiefel aus der Hand nimmt und sie mit Schwung und vor ihren Augen in die Mülltonne befördert.
Und ich - tripple ausgerechnet in Charlies Miniaturschühchen zur Schule und der Tag ist im wahrsten Sinne gelaufen.
***
„Wollen wir da jetzt echt hin?“ frag ich, als das alte Backsteingemäuer langsam in Sicht kommt. Das ist so ne richtige Alte-Schule-Schule, da hilft auch die neue Turnhalle nix, die wie ein Würfel aus Glas letzten Sommer drangepappt wurde. Aber während wir noch da stehen und überlegen, treiben wir schon im morgendlichen Schüler-Strom in Richtung Backsteinbau. Prompt quatscht uns auch noch die Leyendecker an. Ex-Mathelehrerin. Die singt bei uns im Kirchenchor. Muss man höflich bleiben. Toll! Und schon sind wir drin. Da bleibt man kleben wie die Fliege im Spinnennetz.
In Deutsch sitz ich neuerdings neben Maxi. Sie hat Mundgeruch und kriecht förmlich in mich rein. Was will sie bloß, ich bin doch einer der wenigen Menschen in diesem Klassenzimmer, die Ruhe - zumindest vor ihren "Recherchen" - haben.
"Man hört, du hattest ne Menge Spaß neulich auf Philipps Party!“ Ihr Gesicht zoomt an mich heran, ein so komplett anderer Film, dass ich erst gar nicht weiß, was sie meint.
"Spaß? Klar!"
"Nee, ich meine hattest du ... echt Sex im Gebüsch mit – na du weißt schon wem?"
Gott, ist das lange her! Kommt mir vor als wäre es in einem anderen Leben gewesen! Du weißt schon wer. Sie weiß es also nicht. "Meinst Du den, dessen Name nicht genannt werden darf?" Glotzt sie mich an!
Ich hab ehrlich gesagt selber keinen Schimmer, was da los war mit mir. Ich hab noch nie vorher mit nem Jungen was gehabt. Ich war schon verliebt ... aber in echt? Und dann noch mit einem, den ich gar nicht kenne. Und schon werde ich rot. Und das vor dieser blöden Kuh.
An dem Abend auf der Party – da war mir alles egal. Ich kapier jetzt auch endlich das blöde Wort „Anmache“. Da legt jemand nen Schalter um und man ist plötzlich unter Strom und alle moralischen Sicherungen brennen durch. Nicht schlecht war das. Aber andere Dinge sind wirklich weltbewegender. Das einzige, was sich dadurch in der Schulwelt geändert hat, ist: Ich bin wohl interessanter geworden. Wer hätte das gedacht, sogar die Pfarrerstochter darf rumfummeln!
Irgendwie spüre ich Tränen hochkommen. Nicht wegen Maxi - was die in ihren Aktenordner „Unzucht von Mitschülern“ abheftet, ist mir so was von egal, jetzt mehr denn je!
Aber die Dinge selbst ... Partys feiern, bei Freundinnen übernachten, in einen Swimmingpool fallen, angefasst werden, jemand küssen, den ich bisher noch nie zuvor gesehen hab. Den Duft von Yasmin und Hortensien, eine weiche Wiese, Ameisen, die mir in den Hintern kneifen und ein Typ, der genau dasselbe macht. Ne Menge Gefühle, ein Sog, als ob man die ganze Welt in sich haben möchte. Das wäre beinah mein Erstes Mal geworden. Und dann auch gleich das letzte? - Ich bin fast geplatzt, weil ich mit niemand reden konnte. Charlie nicht, Sunshine nicht. Warum musste ich mich ausgerechnet kurz vorher mit beiden streiten?
Wenn ich mich nicht gestritten hätte, wäre ich allerdings auch nicht abgedampft und in den Pool gefallen. Und eigentlich bin ich nach diesem Reinfall nur im Pool geblieben, weil ich nicht wie ein begossener Pudel wieder rauskriechen wollte. Ich hatte also zwangsweise Spaß! Und als der Typ, der mich da mehr oder weniger aufgefangen hatte, mich angelacht hat, hab ich mitgelacht, obwohl ich ihm am liebsten eine reingehauen hätte. Ich will in letzter Zeit eigentlich dauernd allen eine reinhauen. Wie gut, dass ich so gut erzogen bin.
Und jetzt sitzt Maxi vor mir, diese Informations-Melkmaschine und Giftspritze, und glotzt so was von "ich-versteh-dich-voll", während sie an ihren Ohrringen herum zwirbelt – und die sind mir nur all zu gut bekannt! Große silberne Kreolen mit winzigen geschliffenen Schneckenhausmuscheln innen. Willkommen zurück im Kleinstadtbrei!
„Was sind'n das für Ohrringe?“
"Die hab ich neu! Hat Charlie mir geschenkt"
"Die hab ich ihr geschenkt!!!“
„Ach ja? Jetzt hat sie sie mir geschenkt!“
Sie ist so widerlich. Sie nimmt den rechten ab und lässt die Kreole demonstrativ um ihren Zeigefinger kreisen. In Physik hat sie in der Klausur über die Zentripetalkraft total abgeloost, aber wie man sie in der Praxis einsetzt, um jemand fertig zu machen, das hat sie drauf. Warum in aller Welt schenkt Charlie dieser Kuh meine Ohrringe? Da hab ich ihr eine geknallt.
Jetzt sitze ich im Vorzimmer des Rektors und vergeude noch mehr Zeit mit Warten. Ich sitze und warte auf meine Verurteilung oder darauf, dass der Schulfotograf kommt und Fotos von mir schießt. Profil rechts, frontal, Profil links. Polizeiakte: gewalttätiges Subjekt, Drogenexzesse, Unzucht in Büschen. Neuerdings schlechter Umgang mit ebenfalls zur Gewalt neigenden Zugezogenen aus Berlin-Kreuzberg. Mildernde Umstände: toter Bruder. Und dass wir selbst bald sterben …! Vor ein paar Monaten war meine Welt noch so in Ordnung. Ich bin eigentlich nett! Ich will nicht viel im Leben. Ich will Musik machen! Ich will der Welt gerne zeigen, was in mir steckt. Ich will weder Hotelzimmer zertrümmern noch Leute zusammenschlagen, ich will ...
Die Tür geht auf. Nicht die zum Allerheiligsten des Rektors, sondern zum Flur. Sunshine steckt ihren Kopf ins Zimmer, ihre schwarzen, flusigen Haare sehen aus wie Daunenfedern, zarte Hässliche-Entlein-Federn.
„Hey, die erzählen was von Weiber-Catchen! Hast du gewonnen?“
Sehr witzig. „Hast du nichts Besseres zu tun?“ fügt sie etwas ernster hinzu.
Ich seh sie an und weiß dass sie Recht hat. Wir können uns mit solchem Mist nicht aufhalten.
„Los!“, sagt sie. „Abflug!“
Ich renne durch die Flure, weg von allem, raus aus der Falle! Das ist schlimmer als Schule-Schwänzen. Es ist wie ein Ausbruch. Durch das Portal, es schlägt hinter uns ins Schloss. Wir sind raus.
„So was darf uns nicht mehr passieren!“, sagt Charlie und meint natürlich mich und meine Maxi-Aktion. „Wir stehen über roher Gewalt! Wir müssen drüber stehen. Wir haben keine Zeit zu verlieren mit diesem ganzen Alltagskram!“, meckert sie, während wir die Kurve kratzen in Richtung Stadtrand. „Also musste das sein?“
„Mussten wir überhaupt hin?“, frag ich sie.
„Ich muss mal!“ sagt Sunshine.
Es fühlt sich total richtig an, das alles hinter sich zu lassen. Eine Verwarnung vom Rektor. Bitte schön. Wie nett! Ich hab echte Probleme! Und grad deshalb hat die Ohrfeige gut getan. Ich fühle mich wie erleichtert nach diesem Befreiungsschlag. Ich wünschte ich könnte unserem Feind ein reinhauen. K.O.-Schlag und Sieg.
„Hör auf, so finster zu schauen“, sagt Sunshine sanft zu mir. “Du müsstest echt über diesen Dingen stehen.“
„Und wieso?“
Sie windet sich, dreht an ihrem Lippen-Piercing und verpasst mir schließlich einen kleinen Tritt. „Wenn ich gestern im Morgengrauen meinen toten Bruder gesehen hätte, den ich über alles liebe und den ich so sehr vermisse, so sehr wie nichts auf der Welt - ich glaube ich würde seitdem über dem Boden schweben.“
„Ja ...“ Nur dass die Stiefel mich wieder auf die Erde geholt haben mit voller Wucht. Jakob ist tot. Er kommt nicht wieder. Aber Sunshine sieht mich so intensiv an, dass ich es bei dem „Ja“ belasse.
„Ja!“, sagt jetzt auch Charlie, und sie kriegt dieses wilde Flackern in die Augen. „Lu, es passieren so seltsame Dinge! Dir ist Jakob erschienen, und ich sehe seit Tagen einen Leichenwagen durch den Ort fahren – es ist aber niemand gestorben. Keine Traueranzeigen. Ich habe das Gefühl, das sind Fingerzeige ganz speziell für uns. Mir kommt es vor, als ob wir durch eine Welt rennen, die jeden Moment Risse kriegt – wie der Boden hier!“
Wir gehen in der sengenden Sonne in Richtung Stadtrand, der Asphalt unter meinen Füßen ist tatsächlich aufgerissen und wirft Blasen. Weil ich hinstarre, fügt sie hinzu: „Ich meine das metaphorisch! Ich kann kaum einen geraden Schritt gehen, ohne das Gefühl, in einen Abgrund zu fallen, alles schwankt, flimmert und plötzlich stürzen Motten wie Totenkopffalter auf mich nieder. Ich beneide dich, Lu, dass Du so ne klare und schöne Erscheinung hattest. Das andere macht einem nur Angst.“
„Meine Erscheinung war vielleicht schöner, aber klar? - Jakob hat mir was sagen wollen und ich war total überfordert. Ich kann mich kaum erinnern.“
„Lu! Du musst dich erinnern!“ Charlies Augen blitzen.
Hätte Jakob mir nicht alles aufschreiben können? Schwarz auf weiß. Und leserlich?!
Ich könnt mich ja selber in den Arsch beißen, dass ich ihn nur angestarrt habe. Und jetzt sieht mich sogar Sunshine so erwartungsvoll an. Ich hasse es, dass ich sie enttäusche.
„Vielleicht, weil das alles ne Nummer zu groß ist. Weil wir's nicht kapieren. Vielleicht musst du beim nächsten Mal den Leichenwagen anhalten, Charlie und durchs Fenster sehen!“, sagt Sunshine.
Komisch. Hätte nicht gedacht, dass sie Insektenschwärme und andere Horror-Gimmicks überhaupt ernst nimmt. Und ich? Ich habe mich immer gewehrt gegen übersinnliche Erscheinungen. Brennende Büsche und so – die gehören in die Bibel, aber das passiert doch nicht mir! Na ja, und dann steht da plötzlich Jakob am Baum und sagt mir ... verdammt, was hat er gesagt? Es war doch mehr als nur „Es gibt kein Zurück.“ Warum habe ich nicht zugehört! Wenn ich es nochmal abspielen könnte, wie einen Film!
Charlie hat Recht, hatte sie die ganze Zeit schon! Die Welt hat sich verändert; auch wenn uns das überfordert, wir müssen versuchen, einen Zugang zu kriegen zu … ja zu was denn eigentlich? Zum Himmel? Zu Jakob? Zur Zukunft?
„Zu mir?“, fragt Sunshine. Ich versteh erst gar nicht was sie meint. Wir sind stehen geblieben, rechts geht es runter zum „Randbezirk“: ein paar Eternitplatten-häuschen und der Neubaublock, in dem Sunshine haust.
„Kommt ihr mit zu mir? Wir können ja mal überlegen, wie wir uns irgendwie … spiritueller kriegen.
„Super!“, sagt Charlie misstrauisch. „Sollen wir jetzt wieder Drogen nehmen, oder was?“
„Na auf alle Fälle müssen wir unsere Antennen mal ausfahren!“
Visionen herbei beschwören? Ganz wohl ist mir nicht dabei. Aber warum nicht. In uns gehen ist besser als durch die Stadt irren ohne Plan.
„Okay, no more Drugs!“, beruhigt Sunshine uns. „Ich hätte aber vielleicht noch irgendwo Räucherstäbchen...“ Sie lächelt milde. „Ohne die isses schwer in unserem Klo, wenn die Jungs da ihre Wurzeln schlagen.“
Räucherstäbchen findet Charlie okay.
Sunshine hat das Privileg, als einzige Frau in der sogenannten Kiffer-WG zu wohnen, der berüchtigtsten Wohngemeinschaft der Stadt. Ziemliches Kommen und Gehen. Als wir die Wohnung betreten, stöhnt Charlie auf. “Hier sieht’s ja noch schlimmer aus als neulich!“
Es ist tatsächlich schlimmer denn je. Alles voller DVD-Hüllen, Pizzakartons, Tennissocken und Pfandflaschen.
„Wie kannst du hier leben?“ Charlie schnappt nach Luft.
„Das ist halt der Flur, der gehört allen. Deshalb ist hier auch... na ja … eben von allen etwas.“, sagt sie und klaubt einen ihrer nassen Badeanzüge vom Boden, samt Staubflocken. Da wo der Badeanzug lag, ist es jetzt ein ganz kleines bisschen weniger schmutzig. Sie öffnet die Tür zu ihrem Zimmer und klatscht den Badeanzug auf die Heizung; “Ich fühl mich ganz wohl hier. Und ich hab einen super Ausblick.“
Charlie geht zum Fenster, aber der Blick auf Videoworld überzeugt sie offensichtlich nicht. „Ich weiß nicht, ob ihr euch mit Feng Shui auskennt, aber ich glaube jeder Mensch kann nachvollziehen, dass in so einer Wohnung Visionen ziemlich geringe Chancen haben. Wie kann man auf dieser Müllhalde in sich gehen, hier ist alles total zugerümpelt!“
„Hier kann man nur in sich in gehen!“, kann ich mir nicht verkneifen zu sagen, „Is ja sonst kein Platz!“. Ich bahne mir einen Weg durch einen umgestürzten DVD-Stapel
„Schaut mal,“ sagt Sunshine, „da habt ihr 'n Film, da kommt ein nacktes Orakel vor; altes Griechen-land! sehr erotisch! Mit durchsichtigen Schleiern bekleidetes Mädchen tanzt unter Alkohol vor alten Männern und hat Visionen ...“
„Danke! Was guckst du für Filme?!“
Sunshine grinst „Solchen Müll schleppen die Jungs aus der Videothek an. Wo is mein Laptop?“
Wir finden ihn auf dem Klo neben einem noch fast vollen Zott-Sahne-Joghurt-Becher Erdbeer, direkt gegenüber der Kloschüssel: Ein uraltes I-Book ohne Verschalung, mit Gaffertape-umwickelten Kabeln und offener (!) Skype-Verbindung! Ich stehe neben dem Klo und glotze in die Wohnung von Keine-Ahnung-Wem, der seinen Computer seinerseits verlassen hat. Krass! Deckel zu. Den vom Klo und den vom Notebook. Mit spitzen Fingern reiche ich es an Sunshine weiter.
„Aber ich recherchiere nicht via gewaltver-herrlichende Hollywood-Blockbuster-Filme!“ sagt Charlie und legt die „300“-DVD wieder weg. „Das ist doch kein Spiel! Meinetwegen können wir nach Ritualen googeln, aber vielleicht auch nicht grad auf eurer Toilette!?“
„W-LAN funktioniert nur hier.“
Das Internet ist der Horror! Gib da mal „Übersinnliches“ ein, da landest du ziemlich schnell auf Seiten wie „Engel unter uns“ oder „Frag das Uschi-Orakel!“ Ein Gratis-Klick und Uschi glaubt auch, dass wir im Feuer sterben. Man kann aber ein Schutz-Amulett für 799 € bestellen per Kreditkarte oder Paypal. Sunshine haut den Deckel von ihrem Notebook zu. „Und wenn wir einfach die Klappe halten und meditieren?“
Wir stehen eng beieinander in dem schlauchigen WG-Klo.
„Nee! Lu hat ihren Bruder im Morgengrauen auf der Wiese gesehen. Hier hätte sie garantiert keine Erscheinungen gehabt.“, motzt Charlie.
An der Fensterscheibe will eine dicke Fliege mit dem Kopf durch die Wand. Charlie jagt sie ins Freie. „Wir müssen hier raus. Die einzige Vision, die ich hier krieg, ist die eines Putzeimers randvoll mit Essigreiniger!“
Sunshine sieht mich an. „Findest du das auch?“ Ich fühle mich komisch. Sunshines Bude macht mein Hirn tatsächlich eher dicht als durchlässig. Klar sollten wir vielleicht spiritueller werden. Aber so auf Knopfdruck? Ich hab kein gutes Gefühl. Das geht mir oft so, wenn Charlie so vehemente Ansagen macht, und man dann aus heiterem Himmel plötzlich seine Unterhosen aussortieren soll oder sofort das Konzept Intimbehaarung neu überdenken muss, obwohl man gerade froh war, dass überhaupt was wächst. Mann, mein Hirn ist echt wie benebelt. Keinen klaren Gedanken krieg ich hin ... -
Ich denke an Jakob. Dass ich ihn gesehen habe, war das Schönste, was mir seit langem passiert ist. Und wir wissen so wenig. Ein paar Antworten zu bekommen, wäre so wichtig!
Ich sehe Sunshine an und nicke. Spiritualität. Ja. Okay! - Einen Moment guckt Sunshine finster, dann gibt sie sich einen Ruck. „Okay, bin dabei! Lu, wo genau hattest du eigentlich diese Erscheinung?“
„Unter dem Vogelbeerbaum auf der Wiese, die hinter unserem Garten beginnt ...“
„Heute Abend bei Sonnenuntergang!“
„Heute Abend? Aber...“
„Kein Aber!“