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Neue Anforderungen an die Vermittlung von Schreibkompetenz

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Auch wenn Multimodalität demnach kein junges Phänomen ist, hat die Digitalisierung mit ihren technischen Möglichkeiten der Textproduktion und -distribution zu neuen, höheren Anforderungen an Schreibprozesse geführt. Schreibende brauchen heute Fähigkeiten, die über die genuin schriftbezogenen Kompetenzen, wie sie die Schreibdidaktik vermittelt, hinausgehen: Sie müssen Schrift in ein multimodales Ensemble integrieren und verschiedene Designentscheidungen (z.B. Layout, Schriftwahl) treffen. Denn auch die von den Rezipierenden an Texte gestellten Ansprüche und Erwartungen sind gestiegen. Multimodalität, so hält Gunter Kress fest, sei heute «the normal state of human communication» (Kress 2010, S. 1). Entsprechend dringend ist es, Schülerinnen, Schüler und Studierende heute dazu zu befähigen, unter diesen Bedingungen adäquat zu kommunizieren (vgl. z.B. Serafini 2015, Papadopoulou, Goria, Manoli & Pagkourelia 2018).

Vor allem die aktuelle Vermittlung von Schreibkompetenz an Hochschulen muss der multimodalen Kommunikation stärker Rechnung tragen (vgl. dazu etwa den Sammelband Archer & Breuer 2015). Schreiben gilt auch auf der tertiären Bildungsstufe als Schlüsselkompetenz und es muss deshalb gefragt werden, wie fach- und berufsspezifische Schreibkompetenzen im Studium unter den beschriebenen Voraussetzungen effektiv und nachhaltig gefördert werden können.

Gerade die tertiäre Ausbildung hinkt allerdings den neuen Anforderungen an die Vermittlung von Schreibkompetenz noch hinterher (vgl. z.B. Führer 2017, S. 3, 14). Khadka & Lee diagnostizieren für den angelsächsischen Raum «an uneasy gap between theory and practice and between students’ preferred literacy practices and actual instruction in writing classrooms» (2019, S. 3). An unseren (Hoch-)Schulen dürfte diese Kluft nicht weniger unbehaglich sein.

Das ist erstaunlich. Denn im Schriftspracherwerb machen Kinder ihre ersten Begegnungen mit Schrift und Text in multimodalen Kontexten: Beispielsweise erfahren sie im öffentlichen Raum an dreidimensionalen Schriftzügen die Materialität der Schrift und in Bilderbüchern, wie vielfältige Text-Bild-Beziehungen Bedeutungen konstruieren können. Auch das erste Experimentieren mit der Schrift in der präliteralen Phase des frühen Schriftspracherwerbs ist von einer engen Verschränkung von Schrift und Bild geprägt (vgl. dazu Günther 1995, Dehn & Sjölin 1996, Weinhold 2000). Multimodale Lese- und Schreibkompetenz wären also schon im Vorschulalter angebahnt. Dennoch ist der Schreib- und Leseerwerb von der Schrift dominiert. So verschiebt sich etwa der Text-Bild-Anteil der im Unterricht angebotenen Lektüren mit zunehmenden Lesefertigkeiten Richtung Text, parallel dazu fokussiert der traditionelle Schreibunterricht auf die Vermittlung des Schriftsprachsystems, d.h. auf die Prozesse des Verschriftens; die materielle, mediale, modale Verfasstheit der Texte wird im Schulunterricht oft nur noch nachgelagert thematisiert, wenn überhaupt, und visuelles Gestalten wird in ein eigenes Fach ausgelagert. Auf der Sekundär- und vor allem auf der Tertiärstufe wird zwar je nach Schultyp und Studienrichtung Visualisierungskompetenz erwartet und gefordert – so werden etwa Grafiken und Tabellen für die Visualisierung von Forschungsergebnissen, Mindmaps für die Ideenfindung verlangt (vgl. Schmohl in diesem Band) –, aber meist nicht explizit vermittelt (vgl. Kellerhals & Rast in diesem Band).

Für die Vermittlung von adäquater Schreibkompetenz braucht es also einen angepassten Textbegriff, den multimodalen Text, und ein angepasstes Kompetenzmodell für das Verfassen und Rezipieren von Texten, eine multimodal literacy bzw. eine multimodale Textkompetenz, wie sie von Weidacher (2007) in die deutsche Diskussion eingeführt worden ist (vgl. auch Stöckl 2011, S. 45). In die Modellierung einer solchen multimodalen Textkompetenz müsste schließlich auch die heute geforderte digitale Textkompetenz (Frederking & Krommer 2019) eingehen. Darüber hinaus wird für die Vermittlung in der Schule und Hochschule eine Metasprache notwendig, die es Lehrenden sowie Schülerinnen/Schülern und Studierenden erlaubt, Multimodalität überhaupt erst zu thematisieren (Papadopoulou et al. 2018, S. 318; vgl. auch Archer in diesem Band).

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