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Kapitel 4

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„Bitte, bitte sei da!“, flehte Theresa, als sie die Klingel sturm läutete. Die Schicht war der Horror gewesen und nun stand sie verzweifelt vor Luisas Tür. Sie musste sich dringend ihren Frust von der Seele reden und wer, wenn nicht die beste Freundin käme hierfür infrage? Luisa war alles, was sie nicht war, zumindest empfand Theresa das so. Sie war schön, erfolgreich und wurde scheinbar vom Schicksal geliebt. Fast mühelos schritt sie durchs Leben. Das Einzige was ihr gelegentlich zu schaffen machte war, dass sie keine feste Beziehung hatte, aber Luisa ließ sich das nur ungern anmerken. Und das Einzige was Theresa manchmal zu schaffen machte war, das Luisa ständig mit Lebensweisheiten um sich schmiss.

Immer noch hielt Theresa den Daumen auf die Klingel gedrückt. Kurz verdunkelte ein Schatten den Spion, dann öffnete Luisa mit tropfenden Haaren und in ein Handtuch gewickelt die Türe. „Sag mal spinnst du?“, zog sie genervt Theresas Hand von der Klingel.

„Ich hatte den schlimmsten Tag meines Lebens“, beklagte sich Theresa, ohne auf Luisas Verärgerung einzugehen und trat kurzerhand in die Wohnung.

„Aber bitte komm doch rein“, sagte Luisa leicht überrascht, als sie die Türe wieder leise hinter sich schloss.

„Wie beschissen muss mein Leben eigentlich noch werden?“, fuhr Theresa fort, und schmatzte einen Kuss auf Luisas Wange. „Die Agentur hat mich angerufen und jetzt hab ich einen Job.“

Augenblicklich hatte Luisa ihren Ärger vergessen. „Du hast einen Job? Oh mein Gott, das ist doch fantastisch.“ Freudig wirbelte Luisa Theresa im Kreis und hätte sie damit fast von den Beinen gerissen. Dabei rutschte Luisas Handtuch beinahe von ihrer schmalen Figur und ihre langen nassen Haare, klatschten Theresa in Gesicht.

„Es ist nichts Großes, nur ein Werbespot“, versuchte Theresa sich aus Luisas feuchter Attacke zu befreien. Ein langes schwarzes Haar blieb ihr im Gesicht kleben und verzweifelt versuchte Theresa, es sich von der Wange zu streichen.

„Und, für was wirbst du?“, fragte Luisa interessiert, während sie sich ein weiteres Handtuch zu einem Turban auf den Kopf wickelte. „Autos? Die neue C, D, E-Klasse?“

„Äh, nein …“, druckste Theresa verlegen herum. „Es ist mehr etwas für Frauen.“

„Kosmetik?“, fragte Luisa, während sie eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank holte. Doch dann hielt sie Theresa stoppend die flache Hand vors Gesicht. „Nein, nicht sagen. Shampoo … richtig?“, fragend zog sie dabei die Augenbrauen unter ihr Handtuch.

Bedauernd schüttelte Theresa den Kopf. „Leider nein.“

„Okay“, murmelte Luisa vor sich hin. „Für was könnten Frauen noch werben? … Spülmittel, Schuhe, Kleidung …“

„Für Slipeinlagen“, beendete Theresa das Ratespiel kaum hörbar und blickte auf den Boden. Puh, jetzt war es raus. Künftig würde sie also als Frau mit Blasenschwäche über den Bildschirm flimmern.

„Oh …“, überwältigt von dieser Information machte Luisa große Augen. „Das ist ja …“, und plötzlich prustete sie los. Vor Lachen konnte sie sich kaum mehr auf den Beinen halten. Vornübergebeugt hielt sie sich den Bauch, während ihr die Tränen aus den Augen traten.

Beleidigt sah Theresa ihre sogenannte Freundin an.

„Ich mach mir …“, gluckste Luisa nach Atem ringend, „… gleich in die Hose. Gib mir mal eine deiner Slipeinlagen.“

Verzweifelt schloss Theresa die Augen. Dieser Tag war doch der reinste Albtraum. Wie oft hatte sie sich das heute eigentlich schon gedacht? Warum nur war sie nicht einfach nachhause gefahren, hatte sich die Bettdecke über den Kopf gezogen und gewartet, bis dieser Tag vorüber war? Luisa schaffte es mit ihrem Gelächter, dass sie sich noch elender fühlte.

„Ha, ha“, giftete Theresa, „du bist wirklich kindisch.“

„Ja ich weiß“, gab Luisa zu. „Aber es ist Ehrensache, wenn es bei mir soweit ist, benutze ich nur deine Marke.“ Dann fing sie wieder an, zu lachen.

Missmutig sah Theresa ihrer Freundin dabei zu, wie sie scheinbar den Spaß ihres Lebens hatte.

„Es tut mir leid, Theresa.“ Krampfhaft um Ernst bemüht richtete sich Luisa auf. „Ich freu mich wirklich für dich. Wann geht der Dreh denn los?“

„Nächste Woche Montag.“ Oh Gott, sie fühlte sich einfach nur schlecht. Was würde Sven dazu sagen, was würden überhaupt alle Leute dazu sagen? „Hast du sie erkannt? Das ist doch die aus der Werbung … du weißt schon … die Inkontinente.“

Aufmunternd legte Luisa ihren Arm um Theresa. „Jetzt mach nicht so ein Gesicht. So schlimm ist der Spot doch auch wieder nicht. Nach den vielen Absagen müsstest du dich doch eigentlich freuen.“

Deprimiert starrte Theresa vor sich hin. Welche Frau freut sich denn bitte darüber, Slipeinlagen Ultra tragen zu müssen/dürfen? Gequält sah sie Luisa an. „Findest du etwa auch, dass ich dem Idealbild einer inkontinenten Frau entspreche?“

Hilflos erwiderte Luisa ihren Blick: „Das ist doch keine Frage des Aussehens. Außerdem … du bist Schauspielerin. Was erwartest du?“

„Du sagst es, ich bin Schauspielerin und kein schauspielerndes Testimonial.“

„Also ich finde das allemal besser, als eine Tote spielen zu müssen“, meinte Luisa sehr sachlich.

„Aber als Tote benötige ich wenigstens keine Wattepolsterung für meine Unterwäsche.“ Trotzig schob Theresa ihre Unterlippe vor.

„Nein, dass nicht, aber wenn es blöd läuft, wäscht dich die Pathologin mit Profil, mit kaltem Wasser ab. Und jetzt tu mir den Gefallen und hör endlich auf zu jammern. Lass uns lieber feiern gehen.“

„Ich hatte den schlimmsten Tag meines Lebens und du willst feiern gehen? Findest du den Anlass nicht etwas daneben?“

„Wenn das Leben dir Zitronen gibt, tausch sie in Limetten um, und dann machen wir uns Caipirinha daraus“, grinste Luisa. „Und jetzt feiern wir, dass dein angeblich, ach so beschissener Tag zu Ende ist!“

Ohne Theresa noch die Möglichkeit zu geben, irgend-etwas einwenden zu können, stand sie auf und ging in ihr Schlafzimmer, um sich anzuziehen. Nachdenklich blieb Theresa zurück. Irgendwie hatte sie wirklich keine Lust darauf auszugehen, und schon gar keine Lust, irgendwelches Obst umzutauschen.

Nein, sie ließ sich nicht gehen, aber es frustrierte Theresa halt, dass immer noch sie es war, die im Wartesaal des Glücks auf und ab spazierte, während ständig andere aufgerufen wurden und an ihr vorbeizogen. Seufzend warf sie sich in die Kissen. Warum nur bekam immer sie so bedeutungslose Rollen?

Luisa tröstete sie zwar immer mit den Worten, auch Kleinvieh mache Mist, doch leider fühlte Theresa, dass sie so viel Mist gar nicht scheffeln konnte, als dass sie davon hätte leben können. Ein Jahr ist es mittlerweile schon her, dass sie den letzten Auftrag hatte. Damals sah man sie als Rezeptionistin, in einer der täglich ausgestrahlten Soaps, hinter dem Empfang stehen. Doch zu mehr als einem „Dankeschön“, hatte es, wie schon so oft, nicht gereicht. Ihren atemberaubenden Dialog hatte sie allerdings immer noch im Kopf: „Ihr Zimmer ist bereit Herr Baumgartner, Nummer 312. Dritter Stock. Hier ist ihr Schlüssel. Der Aufzug ist dort drüben.“

Ende, Cut und Aus. In diesem Hotel wollte Herr Baumgartner wohl nicht noch einmal absteigen.

Aber vielleicht hatte Luisa ja Recht, und sie machte sich unnötig Gedanken. Endlich hatte sie doch die Möglichkeit, mit mehr als nur einem Satz, ihr Können unter Beweis zu stellen. In diesem Spot wäre sie nicht nur eine kleine Nebendarstellerin; nein, sie hatte die Hauptrolle ergattert. Aber warum konnte sie sich dann nicht darüber freuen? Eigentlich sollte sie doch um jede noch so bescheuerte Rolle froh sein. Und warum machte sie sich Sorgen, was andere über sie dachten? Immerhin sind die Gagen für Werbespots höher als bei Seriennebenrollen. Und das Geld hatte sie, weiß Gott, bitter nötig. Das war der ausschlaggebende Punkt. Sie sollte sich allein schon wegen des Geldes damit abfinden.

Während Luisa noch immer mit der richtigen Kleiderwahl beschäftigt war, machte sich Theresa auf die Suche nach ihrem Handy. Jetzt, da sie sich die Rolle schön geredet hatte, wollte sie ihr neues Jobangebot unbedingt auch Sven mitteilen.

Irgendwo in den Untiefen ihrer Tasche hatte sich ihr Handy in ein Loch vergraben. Es blieb Theresa nichts anderes übrig, als den gesamten Inhalt auf dem Wohnzimmertisch ihrer Freundin zu entleeren. Zwischen Kassenzetteln, Bonbons und allerlei Krimskrams, den sie nie benötigte, fand sie es endlich. Demnächst räum ich da drin mal auf, nahm sie sich vor und schaute auf das Display ihres Handys. Eine ungelesene Nachricht wurde angezeigt, eingegangen vor einer halben Stunde. Der Signalton war wahrscheinlich während Luisas Gelächter untergegangen.

Hallo Schatz! Arbeite heute wieder etwas länger. Warte nicht auf mich. Kuss Dein Sven.

Stirnrunzelnd nahm Theresa zur Kenntnis, dass das in letzter Zeit immer öfter der Fall war. Na egal, zuckte sie mit den Schultern, dann würde sie jetzt einfach in die Bar gehen und es ihm später erzählen. Schnell tippte sie ein Okay ein, und fügte noch einen küssenden Smiley dazu. Rein aus Gewohnheit.

„Wie lange dauert das denn noch?“, rief Theresa ins Schlafzimmer, während sie ihre Tasche wieder genauso packte, wie sie sie entleert hatte.

„Bin schon fertig.“ Wie eine Schaufensterpuppe stand Luisa im Türrahmen. Ihre hübsche Figur betonte sie mit einer grauen Stoffhose, dazu trug sie einen leichten Pullover und Stilettos. Ihr langes schwarzes Haar hatte sie seitlich zu einem lockeren Zopf geflochten, welcher am Ende von einem dünnen Haargummi zusammengehalten wurde.

„Wow, du siehst umwerfend aus“, lächelte Theresa neidlos und stand auf.

„Willst du dich nicht auch etwas herrichten?“, fragte Luisa erstaunt. Dass ihre Freundin ständig wie eine heruntergekommene graue Maus das Haus verließ, wollte ihr nicht einleuchten.

„Lass mal,“ winkte Theresa ab. „Es reicht doch, wenn alle Augen auf dich gerichtet sind.“

Luisa verzog ihren Mund. „Und du bist dir sicher, dass du Schauspielerin bist?“

„Immerhin hab ich eine Schauspielausbildung.“

„Dann solltest du doch wissen, dass Schauspieler davon Leben, angesehen zu werden.“ In Luisas Augen hatte ihre Freundin nämlich so viel zu bieten. Üppige Oberweite, schmale Taille und blonde Haare. Ihre immer leicht traurig drein blickenden blauen Augen würden sicherlich mit etwas Wimperntusche mehr zur Geltung kommen. Ihr Mund hatte diesen verführerischen Schwung, den Männer gerne als Kussmund bezeichnen. Aus Theresa könnte man so viel machen, wenn sie nur wollte. Wollte sie aber nicht.

Gleichgültig verzog Theresa das Gesicht. Sie hasste sie es einfach, wenn sie wegen ihres Aussehens angestarrt wurde. Diese Scheu konnte sie nur vor der Kamera ablegen. Sobald das Licht jedoch erlosch, fiel sie wieder in ihr unscheinbares Dasein zurück. Außerdem hasste sie ihren Busen, weshalb sie diesen auch gerne unter weiter Kleidung versteckte.

„Dann mach doch wenigstens dein schönes, glanzloses Haar auf“, zog Luisa sie auf.

„Bitte fang nicht an wie Sven“, wies Theresa sie zurecht. Es reichte ihr schon, dass er sich pausenlos darüber beklagte, dass sie ihre Weiblichkeit mehr nach außen tragen könnte und dass ihm ihr saloppes Benehmen auf den Geist ging. Was ja Luisa ebenfalls immer wieder bemängelte. „Ich muss nicht rumlaufen wie eine Diva.“

„Nein musst du nicht. Aber ein bisschen weniger Mädchen von nebenan, dafür mehr Vamp, und du würdest sicher mehr Aufmerksamkeit bekommen.“

Wütend starrte Theresa ihre Freundin an. „Manchmal glaube ich wirklich, dass du mit Sven unter einer Decke steckst. Warum versteht ihr beide eigentlich nicht, dass ich wegen meines Talents anerkannt werden möchte?!“

„Weiß ich doch, Schatz,“ versöhnlich, legte Luisa ihren Arm um Theresas Schulter, „aber wer soll denn dein Talent hören wollen, wenn du so … so …“, sie suchte nach den richtigen Worten. „Wenn du so gewöhnlich aussiehst.“

„Gewöhnlich?“ Innerlich war Theresa dem Platzen nahe. Warum meckerte denn nur jeder an ihr herum? Hatte sie heute nicht schon genug durchgemacht?

Luisa biss sich auf die Lippen. „Na ja, nicht gewöhnlich in dem Sinne, sondern mehr … alltäglich. Wenn du nicht ewig nur als Statistin gebucht werden willst, solltest du einfach ein bisschen mehr aus dir machen. Glaub mir doch einfach mal.“

„Wenn überhaupt, bin ich Kleindarstellerin. Immerhin hab ich ja noch ein bisschen was zu sagen.“ Resigniert winkte Theresa ab. Es war sowieso sinnlos, sich mit Luisa darüber zu unterhalten. „Lass uns jetzt einfach gehen.“

Lustlos erhob sich Theresa nun endgültig von der Couch, während Luisa sich auf die Suche nach ihrer Brille machte, die sie gar nicht brauchte. Neuerdings trug sie ebenfalls so ein riesiges Gestell, wie es auch Stars wie Justin Biber oder Madonna als Accessoire auf ihre Nase setzten, aber Theresa musste zugeben, dass es ihr ausgesprochen gutstand. Luisa sah aus wie Schneewittchen, nur eben jetzt mit Brille. Immer auf der Hut, nicht versehentlich, in den vergifteten Apfel zu beißen. Wobei ihr sowieso niemand so etwas angedreht hätte. Das echte Schneewittchen hätte sich bestimmt nie getraut der bösen Königin zu sagen: „Zieh dich erst einmal um, bevor ich von dir etwas annehme.“ Bei diesem Vergleich musste Theresa schmunzeln.

„Was ist?“, wollte Luisa wissen.

„Nichts, Schneewittchen, lass uns gehen.“

Verdutzt sah Luisa sie an. „Hab ich was verpasst?“

„Nein, und jetzt los“, hakte Theresa sich bei ihrer Freundin unter. Vielleicht würde sie ihr die Geschichte von Schneewittchen einmal erzählen.

Gemeinsam liefen sie die Straße zu dem Pub hinauf. Morgen würde sicherlich ein schöner Tag werden. Den Frühling konnte man förmlich riechen. Theresa zog dennoch ihren Parka, den Luisa am Liebsten in der Tonne gesehen hätte, enger um sich.

Rache zum Dessert

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