Читать книгу Zu Hause ist anderswo - Monika Kunze - Страница 3

Prolog

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Das Mädchen versucht die Augen zu schließen, als könne sie damit alles ungeschehen machen. Aber ihre Lider gehorchen ihrem Willen nicht, sie bleiben geöffnet. Ihr Kopf dröhnt, ein stechender Schmerz durchfährt die Schädeldecke. Was ist passiert? Wo befindet sie sich überhaupt?

Sie spürt, wie etwas Kaltes, nicht Greifbares sie niederzwingt.

Angst? Genau dieselbe Angst, die ihr vor Minuten noch befohlen hatte zu laufen, weit wegzulaufen vor dem Grauen?

Aber sosehr sie sich auch anstrengt, sie kommt nicht von der Stelle. Ihre Beine sind einbetoniert. Jeder Versuch sich zu befreien, macht alles nur noch schlimmer.

Tränen laufen ihr übers Gesicht.

Was machen die fremden Männer hier? Sie kommen näher … sie glaubt, die Bedrohung mit den Händen greifen zu können. Aber warum haben die Ungeheuer keine Gesichter?

Plötzlich taucht eine Frau auf. Auch sie ist ohne Gesicht, doch die Kleine weiß auch so, wer sie ist. Die Hände und die Kleidung der Frau sind blutverschmiert. Sie schreit wie eine Furie.

"Lasst das Mädel! Nicht auch noch das Mädel!"

Für einen Moment gelingt es ihr, die Männer wegzureißen.

Das Mädchen windet sich und stöhnt. Aus allen Poren rinnt der Schweiß. Sie versucht, ihre Hände schützend vors Gesicht zu schlagen. Vergeblich.

Ihr Herz beginnt zu rasen, weil sie weiß, dass sie man sie zwingen wird, alles noch einmal mit anzusehen.

Wenigstens will sie nichts hören, versucht sich die Ohren zuzuhalten. Vergeblich.

Sie hört jede Einzelheit.

Sie will schreien, aber sie bringt kaum ein Flüstern zustande.

Die beiden fremden Männer lassen von der Frau ab, die auf dem Boden liegt und schlagen dafür wieder auf den dünnen Mann ein, mit Fäusten, Knüppeln und Gewehrkolben. Dabei stoßen sie ein unmenschliches, unartikuliertes Gebrüll aus.

Wütend zerren die Gesichtslosen ihr Opfer hoch und schlagen den ausgemergelten Körper gegen eine Wand.

Das Kind zuckt zusammen bei jedem der klatschenden Geräusche …

Aufhören! Aufhören, schreit es in ihr, aber sie bringt noch immer kein Wort heraus. Die fremden Stimmen werden immer lauter und drohender. Den Sinn des Gebrülls versteht sie nicht.

Ein Stöhnen? Sie lauscht. Nein, kein Stöhnen, überhaupt kein Geräusch, nur Stille. Gespenstisch.

Ein beißender Geruch steigt in ihre Nase. Schwefel und Blut? So muss es in der Hölle stinken, denkt sie. Dann hört sie ein Knacken, Splittern und Bersten, ein Geräusch, als bisse ein Hund in einen Knochen.

Mit einem Mal weiß sie, dass die Qual für den dünnen Mann zu Ende ist.

Doch was ist mit ihrer eigenen Qual?

Ist es nicht endlich an der Zeit, das Schweigen zu brechen?

Zu Hause ist anderswo

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