Читать книгу Einführung in die Literatur der Romantik - Monika Schmitz-Emans - Страница 10
2. „Romantik“ als Integrationsbegriff
ОглавлениеSozialgeschichte und Kulturgeschichte
Die Entwicklung und Akzentuierung der Idee einer romantischen Kunst und Literatur zu Beginn des 19. Jahrhunderts vollziehen sich in enger Wechselwirkung mit sozialgeschichtlichen Veränderungen komplexer Art, insbesondere als Beitrag zur Ausdifferenzierung einer bürgerlichen Kultur, die sich auf die Zukunft hin orientiert und zu diesem Zweck unter anderem die Vergangenheit neu erfindet. Mit Blick auf diesen konstruktiven und innovativen Grundzug spricht man von einer romantischen Politik, Philosophie, Theologie, Naturwissenschaft und Medizin. Zu den bemerkenswertesten Kuriosa in der Geschichte des Wortfeldes um „Romantik“ gehört es allerdings wohl, dass dieser Ausdruck, der bei aller (angeblichen oder tatsächlichen) Mittelalterbegeisterung der sogenannten Romantiker doch im wesentlichen als Kampfbegriff zur Legitimation des Neuen konzipiert worden ist, schließlich zumindest in der Umgangssprache zum Äquivalent für Rückwärtsgewandtheit und Konservativismus wird. Tatsächlich verhalten sich die Dinge komplexer: Die Idee einer romantischen Kultur ist mit der Erinnerung an das christliche Mittelalter deshalb assoziativ verknüpft, weil sie auf die nachantike und insofern christliche – also neuzeitliche – Ära verweist. Die Faszination der romantischen Autoren durch das Mittelalter und die frühe Neuzeit ist zumindest in der Frühromantik Ausdruck der Ausrichtung auf Zukünftiges, weil einem weitgehenden Konsens zufolge gerade das christliche Mittelalter das Absehen von der Gegenwart propagiert und den Blick in räumliche wie in zeitliche Fernen gelenkt hat. Eine entsprechende Stilisierung erfährt es etwa bei Novalis (Die Christenheit oder Europa), wo im Bild eines einigen mittelalterlichen Europas die politische Vision eines idealen Staatswesens umrissen wird.
Das Konzept einer „romantischen Schule“
Eine recht frühe, subjektiv-engagierte und zugleich langfristig folgenreiche Kritik erfährt das, was man im 19. Jahrhundert unter dem Sammelbegriff „Romantik“ zusammenzufassen pflegt, durch Heinrich Heine. Seine Abhandlung über Die romantische Schule von 1836 ist eine geistreiche Kampfschrift, welche bei der Auseinandersetzung mit ihren Gegenständen Simplifizierungen nicht scheut: Heine identifiziert Romantik mit Christentum, Christentum mit Katholizismus, Katholizismus mit Reaktion. Von einzelnen Romantikern ist er fasziniert, während ihm die Gebrüder Schlegel und ihr Kreis verdächtig bleiben. Heines vorrangiges Ziel ist die Korrektur des Bildes, das sich – initiiert durch Madame de Staël – die Franzosen von der deutschen Romantik machen (Heine lebt damals in Paris). Und so kommt es zur Erfindung einer romantischen „Schule“, die doch tatsächlich nie als solche existiert hat.