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5. Romantische Impulse und moderne Philosophie

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Romantik, Hermeneutik und Dekonstruktion

Auch die philosophische Hermeneutik des 20. Jahrhunderts verwaltet ein romantisches Erbe. Der Philosoph Friedrich Schleiermacher gilt als Begründer der modernen Hermeneutik. Seine Konzeption der hermeneutischen Tätigkeit ist besonders geprägt durch die Idee der Individualisierung des Sinnes: Der Text enthält ein Angebot an Interpretationsmöglichkeiten, die aber der individuellen Realisierung durch den Leser bedürfen. Was ein Text bedeutet, lässt sich nicht feststellen, es realisiert sich stets in der Arbeit mit ihm. Allerdings kann der Leser den Text nicht beliebig interpretieren. Ein Gleichnis der Interaktion zwischen Text und Leser ist der Dialog. Literarische Texte sind besonders komplex. Vertreter der philosophischen Hermeneutik in der Nachfolge Schleiermachers, insbesondere Hans-Georg Gadamer, aber auch viele literarische Autoren, haben der Literatur wegen dieser Unerschöpflichkeit eines stets neu zu aktualisierenden Sinnpotentials besonderes Interesse entgegen gebracht.

Der romantische Text versteht sich grundsätzlich als Ansporn zur schöpferischen Interpretation, nicht zur eindimensionalen Decodierung. Das dekonstruktivistische Denken des späten 20. Jahrhunderts setzt sich hiervon durch Überbietung ab; es versteht in Radikalisierung jener hermeneutischen Position jeden Text als eine Zeichenkette, welcher kein homogenes Bedeutungspotential, kein eingeschriebener Sinn korrespondiert. So erfolgt im Lesen eine Zuschreibung von Sinn, die keinen vorgegebenen Spielregeln unterliegt. Die Arbeitshypothese innerer Stimmigkeit wird aufgegeben; das ästhetische Gebilde gilt als durch Brüche und Spannungen bestimmt. Texte werden nicht eigentlich verstanden; sie bleiben unverständlich, insofern die Möglichkeiten, sie zu deuten, unkontrollierbar und unendlich sind. Zudem bilden sie keine stabilen Einheiten, sie sind vielmehr offene Vielheiten aus Zeichen, können dekomponiert und rekomponiert werden. Diverse Vertreter eines solchen Textverständnisses sehen in romantischen Autoren Vorläufer oder frühe Verbündete. Neben dem Monolog des Novalis und E. T. A. Hoffmanns Experimenten mit der Romanform können vor allem Friedrich Schlegels Reflexionen über die „Unverständlichkeit“ als Antizipationen rezenter Texttheorien gelesen werden. Texte erscheinen Schlegel als Gegenstände prinzipiell unendlicher Deutungsanstrengungen: Sie eröffnen als etwas Unverständliches absichtsvoll einen Spielraum möglicher Auslegungen, die zu keinem Abschluss kommen können (vgl. FS II, 370–371).

Romantik, Moderne, Postmoderne

Unter dem Aspekt ihrer Modernität und ihrer Anschlussfähigkeit auch für postmoderne Positionen ist die Romantik in den vergangenen drei Jahrzehnten wiederholt neu in den Blick gerückt worden. So erschien 1987 ein Sammelband mit dem Titel Romantik. Literatur und Philosophie (hrsg. v. Volker Bohn), der keineswegs nur Abhandlungen über im engeren Sinn romantische Autoren, sondern auch über spätere Schriftsteller und Philosophen enthält. Als gemeinsamer Nenner der in den Beiträgen skizzierten Positionen und Tendenzen erweist sich die Idee einer Irreduzibilität des Ästhetischen sowie der in ihm sich artikulierenden Erfahrungen auf begriffliche Abstraktionen und geschlossene Theorien; eine Konsequenz daraus ist die Literarisierung des philosophischen Denkens (Bohn 1987, 9). Dem weitgehenden Konsens jüngerer Romantikforschung entsprechend, wird Romantik als „zweite Aufklärung“ gedeutet, „welche die Beschränkungen der ersten reflektiert“ (Bohn 1987, 9). Manfred Frank hat mit ähnlicher Akzentuierung vor allem das zukunftweisende Moment romantischer Ästhetik betont, der zufolge die „dem Kunstwerk eigene Wahrheit – im Unterschied zu der wissenschaftlichen Wirklichkeits-Konstatierung – […] darin [bestehe], dass sie die tiefe Unwahrheit hinter jener sinnenfälligen Wirklichkeit hervorkehrt, mit deren Deskription sich die positivistische Wirklichkeitserfassung begnügt“ (Frank 1989, 27). Maßgebliche Anschlussstellen sowohl für die Philosophie und Ästhetik als auch für die Literatur der Gegenwart und jüngeren Vergangenheit an die Romantik sind bis heute vor allem die Konzepte der Nichtbegrifflichkeit, der Reflexivität und der Progression.

Einführung in die Literatur der Romantik

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