Читать книгу Einführung in die Literatur der Romantik - Monika Schmitz-Emans - Страница 20

5. Philosophie des Idealismus und der Romantik

Оглавление

Romantische Affinitäten zum philosophischen Denken

Die Literatur der Romantik ist durch ihre fruchtbare Beziehung zur zeitgenössischen Philosophie geprägt. Ihre Neigung zur Auseinandersetzung mit philosophischen Fragen schlägt sich allerdings nicht in Systementwürfen, sondern in Essays und Fragmenten nieder, abgestimmt auf die Idee einer jedes gedankliche System sprengenden Dynamik und Entwicklungsfähigkeit. Im Zentrum der im engeren Sinn romantischen Philosophie steht die Frage nach dem „Absoluten“, das auch als der „Geist“ oder das „Sein“ apostrophiert wird – also nach einem Urgrund aller seienden Dinge, in welchem sie trotz ihrer Ausdifferenzierung vereinigt sind und bei aller Gegensätzlichkeit doch zusammenwirken. Natur und Geschichte werden als sich offenbarende Manifestationen dieses Absoluten betrachtet, das sich einem leitenden Theorem zufolge in der Erscheinungswelt stets nur zeichenhaft mitteilt. Die sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen gelten so primär als Repräsentationen des Absoluten. Hierin wiederum gründet das Interesse des romantischen Denkens an Konzepten und Theorien des Symbolischen, des Allegorischen und der Metapher, aber auch an der Repräsentationsform der Spiegelung.

Kants Transzendentalphilosophie

Kants Kritik der reinen Vernunft von 1781 (zweite überarb. Aufl.: 1787) vollzieht nach eigenem Selbstverständnis eine Kopernikanische Wende in der Erkenntnistheorie. Er bricht mit der tradierten Vorstellung, Erkenntnis bestehe darin, die Begriffe des Geistes nach den Gegenständen auszurichten, und kehrt das Bedingungsverhältnis – zunächst hypothetisch – um: Zwischen den Gegenständen der Erfahrung und den Begriffen des erkennenden Subjekts von diesen Gegenständen sei deshalb eine Korrespondenz möglich, weil sich die Gegenstände nach den Begriffen richten. Raum und Zeit sind apriorische Anschauungsformen des Subjekts. Und so kommt die Frage nach den Möglichkeitsbedingungen von Erkenntnis mit der Frage nach den Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände selbst zur Deckung. Kant nennt seinen Reflexionsprozess transzendental, weil er über die Sphäre der Erkenntnisobjekte hinausgreifend nach deren Bedingungsgründen fragt. Eine Folge seines Erkenntniskonzepts ist die radikale Trennung zwischen der Erscheinungswelt und einem unerkennbar bleibenden Ding an sich. Alle in der Erfahrungswelt ausgemachten Gesetze gelten nur in Bezug auf das erkennende Subjekt. Kants Erkenntnistheorie ist gleichwohl nicht relativistisch und subjektivistisch. Denn er unterstellt, dass die Erkenntnisstrukturen in allen Individuen analog sind.

Fichtes Idealismus

Fichtes Idealismus – erstmals vorgestellt in der Schrift Über den Begriff der Wissenschaftslehre (1794), gefolgt vom Hauptwerk Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre 1794/95 – setzt Kants Transzendentalphilosophie radikalisierend fort und bietet dem romantischen Denken eine wichtige Ausgangsbasis. Er ist primär eine Philosophie des Ichs, allerdings nicht des empirischen, sondern eines absoluten Ichs. An die Stelle des Gegensatzes von Subjekt und Objekt tritt bei Fichte dieses Ich als ein selbstreflexives Subjekt, welches sich selbst sowie (in einem Akt der Selbstentäußerung und Selbstbegrenzung) auch das „Nicht-Ich“ setzt und sich seiner im Prozess philosophischer Reflexion wieder bemächtigt. Im Satz „Ich bin ich“ kommt die Urhandlung des sich selbst setzenden Ichs zum Ausdruck. Wie das Nicht-Ich, so wird auch das empirische Ich durch eine ursprüngliche Tathandlung des absoluten Ichs hervorgebracht. Insofern entsprechen das Ich und die Welt (das „Nicht-Ich“) einander. In der Wissenschaftslehre wird also in konsequenter Fortführung des idealistischen Denkansatzes alles Sein aus dem Bewusstsein abgeleitet. Die Außenwelt hat nur in Beziehung auf das absolute Ich Realität. Dieses ist seinem Wesen nach unendliche Tätigkeit und bedarf der Gegenstände, um sich im Bezug auf diese zu entfalten. Dem romantischen Denken kommt insbesondere Fichtes Konzeption der produktiven Einbildungskraft entgegen, die in seiner Philosophie eine tragende Rolle spielt: Sie ist das „wunderbarste“ Vermögen des weltsetzenden Ichs.

Die Frühromantiker greifen Fichtes Ideen schnell auf. Friedrich Schlegel stimmt ihnen schon deshalb nachdrücklich zu, weil Fichte nach seiner Deutung die Setzung der Welt als einen Schöpfungsakt analog zum künstlerischen Schöpfungsprozess konzipiert. „Der Idealismus betrachtet die Natur wie ein Kunstwerk, wie ein Gedicht. Der Mensch dichtet gleichsam die Welt, nur weiß er es nicht gleich“ (FS XII, 105). Fichte selbst ist jedoch an ästhetischen Fragen wenig interessiert. Darum nehmen die Romantiker seine Ideen zwar zur Ausgangsbasis und assimilieren sie ihren eigenen ästhetischen Interessen, jedoch nicht ohne bald eine gewisse Unduldsamkeit gegenüber dem Systemphilosophen spüren zu lassen.

Novalis’ Fichte- und Hemsterhuis-Studien

Novalis hat sich mit Fichte in besonders gründlicher und zugleich selbständiger Weise auseinandergesetzt. Er transformiert Fichtes Philosophie in einen „magischen Idealism[us]“ (vgl. u.a. N III, 385) und bezeichnet die „Kunst, die Sinnenwelt willkührlich zu gebrauchen“ als „Magie“ (N II, 546). Gleichzeitig artikulieren sich aber auch Zweifel an der Allmacht des Fichteschen Ichs (N II, 107: „Hat Fichte nicht zu willkührlich alles ins Ich hineingelegt?“). So sagt Novalis sich 1797 von Fichte los, nicht ohne die von dessen Denken ausgehende Verführung zu betonen. Das Denken des Holländers Frans Hemsterhuis (1721–1790) wird ihm zur Kontraindikation. Hier wird die dichterische Einbildungskraft als ein Medium höherer Erkenntnis und die dichterische Sprache als göttliche Offenbarung betrachtet. Imagination und Dichtung erschließen eine den Alltagssinnen unzugängliche höhere Welt. Novalis teilt mit Hemsterhuis die Idee, die einseitige Rationalität müsse überwunden werden. Es gelte, den Weg von der philosophischen Abstraktion zurück in die Konkretion, von der Eiswüste der reinen Vernunft ins bunte Land der Sinne zu finden. Das dichterische Wort erschließt nach seiner Überzeugung die Geheimnisse der Welt. An der Idee einer Hervorbringung der Welt durch den Gedanken hält er dabei stets fest.

Das Älteste Systemprogramm

Ein so zentraler wie vieldiskutierter philosophischer Text aus dem Umfeld der Frühromantik ist das sogenannte Älteste Systemprogramm des Idealismus, ein fragmentarischer Text aus dem Nachlass Hegels, der 1917 erstmals von Franz Rosenzweig veröffentlicht wurde. Er enthält den Entwurf zu einem philosophischen System. Das auf 1796 oder die ersten Monate des Jahres 1797 zu datierende Blatt stammt zwar von Hegels Hand, doch seine Verfasserschaft ist ungeklärt; manche Interpreten hielten es für die Abschrift eines Textes von Schelling oder Hölderlin. In der Grundargumentation steht das Systemprogramm Schiller nahe. Dieser hatte in den Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) die utopische Konzeption einer versöhnten idealen Gesellschaftsordnung umrissen und die Dichtung als deren Wegbereiterin verstanden, indem er zugleich die Autonomie des Ästhetischen betonte. Das Systemprogramm ist zudem durch die republikanischen Ideen der Französischen Revolution geprägt und weist einen radikal staatskritischen, ja anarchischen Zug auf. Ich und Natur, Geschichte und Gesellschaft werden als virtuelle Einheit gedacht. Tragend ist die Idee der Zweckfreiheit, die aus Kants Ästhetik übernommen wird, wo sie das Schöne charakterisiert, das als autonome Schöpfung vermittelnd zwischen allen ansonsten disparaten und widerstreitenden Teilinteressen wirkt. Die Konzeption dieser Einheit von Natur und Ich, Subjekt und Objekt, die im Zeichen der Schönheitsidee proklamiert wird, versteht sich als Korrektiv zur gegenwärtigen Welt, die zerrissen und unglücklich ist.

Schellings Naturphilosophie

Schelling setzt in seinen naturphilosophischen Frühschriften den Denkansatz des Ältesten Systemprogramms fort. Er postuliert ein „Ureines“ als die erste und grundlegende Einheit allen Seins: ein absolutes Ich als den Ausgangspunkt einer Entwicklung hin zum absoluten Geist. In der Natur sieht er das Medium dieses Entwicklungsvorgangs: eine Gesamtheit von Symbolen des Geistes, in denen dieser sich zu erkennen hätte. Das um die Mitte der 1790er Jahre entstehende Schellingsche System des transzendentalen Idealismus statuiert die Einheit von Natur und Geist und versteht sich daher als Identitätsphilosophie. Die 1797 erschienene Einleitung zu den Ideen zu einer Philosophie der Natur umreißt einen identitätsphilosophischen Naturbegriff. In kritischer Auseinandersetzung mit der Philosophie Kants stellt Schellings naturphilosophische Reflexion die Polarität von Natur und Geist in ihren Mittelpunkt und versucht, deren Vermittlung über den Begriff des Absoluten zu denken. Schelling orientiert sich dabei an Leibniz, Spinoza und Giordano Bruno sowie an Friedrich Heinrich Jacobis Schrift Über die Lehre des Spinoza in Briefen an Moses Mendelssohn (1785). Natur und Geist sind nach Schelling allenfalls äußerlich geschieden, bleiben jedoch dialektisch aufeinander bezogen und bilden daher eine innere Einheit. Die schöpferische Kraft der Natur bezeichnet Schelling als natura naturans, die Erscheinungswelt als natura naturata; er will beide dabei aber als Einheit verstanden wissen. Schelling verknüpft letztlich vormoderne Vorstellungen über eine zeichenhafte Natur mit neueren geschichtsphilosophischen Spekulationen. Schon in den 90er Jahren wird er zum leitenden Vertreter der deutschen Naturphilosophie. Auf die literarischen Vertreter der Frühromantik wirkt er vor allem mit seiner Konzeption einer „Weltseele“ anregend, eines organisierenden und totalisierenden Prinzips, in dem alle Gegensätze von Natur und Geschichte, Materie und Geist aufgehoben sind. Natur und Kunst werden als analog betrachtet. Beide lassen sich als Verbindungen zwischen Leiblichem und Seelischem verstehen. Den produktiven Künstler erfasst eine schaffende Kraft, die Schelling auch als „werktätige Wissenschaft“ charakterisiert, und die dem Produzierenden das Unendliche in die Endlichkeit des einzelnen Werks übersetzen lässt. Zeitweilig stellt Schelling die künstlerische Tätigkeit über alle anderen Aktivitäten. Im Spätwerk allerdings stehen die Beziehungen zwischen Denken und Glauben im Vordergrund.

Analogiedenken

Vor allem unter dem Einfluss Schellings entwickelt die romantische Naturphilosophie die Vorstellung, ein ursprünglich Absolutes habe sich in Natur und Geschichte ausdifferenziert. Natur und Geschichte bilden immer noch einen inneren Zusammenhang. Sie stehen ebenso in einer Analogiebeziehung wie Mikro- und Makrokosmos, Mensch und Naturganzes. Geschichte ist zum einen Entfernung von den Ursprüngen, zum anderen aber auch die Voraussetzung einer möglichen Rückkehr zu diesen auf einer höheren Stufe der Reflexion. Die Vertreter der literarischen Romantik teilen mit Schelling das Bedürfnis, den Dualismus von Geist und Materie zu überwinden. Dabei erproben sie verschiedene Ansätze. A.W. Schlegel begründet in seiner Kunstlehre (1801/02) die Möglichkeit eines Rückschlusses vom Erscheinenden auf Geistiges und umgekehrt mit deren ursprünglichen Einheit. Da die intuitiv vorausgesetzte Einheit von Geist und Materie vergessen worden ist, gilt es ihm als vorrangige Aufgabe der Dichtkunst, durch sprachliche Synthesen von Körperlichem und Geistigem an deren innere Wesensverwandtschaft zu erinnern.

Hegel

Über Fichtes abstrakte Erörterungen der Beziehung zwischen Ich und Nicht-Ich und über Schellings Modellierung der Beziehung zwischen Natur und Geist hinausgehend, entwirft Hegel eine Theorie der Geschichte. Er versteht diese als Entwicklungsgang des Geistes, in dessen Verlauf dieser sich entfaltet und zu sich selbst kommt. Hegels Philosophie steht dem romantischen Diskurs nahe, doch es bestehen auch Spannungen, schon weil Hegels Denken auf eine umfassende Systematik angelegt ist. Differenzen zu den Romantikern ergeben sich zumal aus seiner Einschätzung der Rolle der Kunst im Gesamtzusammenhang der Geschichte. Denn zum einen interessiert er sich (anders als etwa Schelling) nicht für die Produktion von Kunst, sondern nur für die fertigen Werke, zum anderen ordnet er die Kunst dem begrifflichen Denken unter. Sie leistet zwar einen Beitrag zur Wahrheitsfindung, tut dies aber in Bildern, welche in Begriffe erst noch aufgelöst werden müssen. Die Philosophie der Kunst ist nicht die höchste Philosophie; die Offenbarungen der Kunst sind nicht die höchsten Offenbarungen. Hegel integriert Kunst und Kunstwerke in ein systematisches Ganzes, ‚verortet‘ sie damit funktional und historisch. Schon dies widerstrebt der romantischen Tendenz zur Entgrenzung der ästhetischen Aktivität.

Schopenhauer

Schopenhauers philosophisches Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung (Erster Band: 1819, Zweiter Band 1844) beschreibt die Welt als Vorstellung des Ichs; der erste Satz statuiert: „Die Welt ist meine Vorstellung“. Alle Dinge sind dem Menschen nur als Erscheinungen gegeben. Das Wesen der Dinge ist von außen nicht zu erfassen; hier ist nichts greifbar als Bilder und Namen. Eine Möglichkeit, dem Wesen der Welt beizukommen, besteht in der Rückwendung auf sich selbst. Schopenhauer betrachtet das Bewusstsein als bloße Oberfläche des menschlichen Wesens. Diese Oberfläche allein pflegt der Mensch zu kennen, obwohl die eigentlichen Antriebskräfte für sein Leben und Handeln, ja selbst für sein Denken und seine angeblich nach logischen Gesetzen zustande kommenden Urteile ganz woanders liegen: im unzugänglichen Innern, im Willen. Der Wille, der zunächst einmal Wille zum Leben ist, liegt allen unseren Vorstellungen zugrunde. Zum Reich der Vorstellungen, des bloß oberflächlichen Scheins, gehört auch die Individualität. Das Individuum ist die Erscheinungsform des Willens in Raum und Zeit – mehr nicht. Alles irdische Leben ist für Schopenhauer primär leidvoll. Die durch die Kunst ermöglichte Kontemplation der Ideen bedeutet Erlösung von diesen Leiden. Die Kunst stellt das Leben aus der Distanz ästhetischer Überformung dar und ist Ausdruck der Verweigerung ihm gegenüber. Schopenhauer begreift vor allem die Tragödie explizit als Auseinandersetzung mit Kontingenz. Alle Kunst nährt die Sehnsucht nach dem Tod, vor allem die Musik als die höchste Kunst.

Einführung in die Literatur der Romantik

Подняться наверх