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Austin

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Die Kirche am Highway sah aus wie hunderte anderer Kirchen in den USA. Ein weißes Holzgebäude mit einem dunklen Dach und einem kleinen, spitzen Turm. Cullen hatte seinen Wagen vor der Kirche geparkt, direkt unter dem hohen Schild, auf dem in großen Lettern »Welcome« stand. Das »c« hing wenig tiefer und hatte eine andere Farbe als die anderen Buchstaben, vielleicht war das alte heruntergefallen und sie hatten ein neues gekauft.

Cullen fuhr einen Jeep Grand Cherokee, und das nicht nur, weil es ein bequemes Fahrzeug war. Auch wenn es nur ein Mietwagen war, war es ihm wichtig, ein amerikanisches Fabrikat zu fahren. Das war für ihn eine Frage der Glaubwürdigkeit.

Die Klimaanlage lief nicht, dennoch war es im Innern der Kirche angenehm kühl. Obwohl neben seinem Wagen noch zwei andere gestanden hatten, war der Raum leer. Vielleicht nutzten die Besitzer der anderen Autos einfach nur den kostenlosen Parkplatz und waren in einem Geschäft in der Nähe.

Gemächlich schritt Cullen durch die leeren Sitzreihen. Ein schwacher Geruch von Kerzenwachs schwebte in der Luft. Seine regelmäßigen Schritte bildeten das einzige Geräusch neben dem bereits entfernt klingenden Rauschen der Autos auf dem Highway. Tapp, tapp, tapp. Wie ein langsamer Herzschlag.

Er fühlte, wie auch er zur Ruhe kam. Er nahm in der zweiten Sitzreihe Platz. Die Kirche war schmucklos, welch ein Gegensatz zu den barocken Kirchen in Europa, die er im letzten Sommer besichtigt hatte, als er im Rahmen einer Tagung nach München gereist war. Dennoch war in der Alten Welt der Glaube klein, nur wenige nannten sich aus vollem Herzen Christen und auch deren Frömmigkeit war oft seltsam verkopft. Sie nahmen das Wort Gottes nicht ernst und drückten sich vor einem klaren Bekenntnis zu Gott. Egal, Europa war weit weg. Alles war weit weg. Jetzt war nur noch wichtig, dass er bei Gott war.

Er kniete nieder und schloss die Augen. Wartete.

Seine Knie schmerzten bereits, als er Schritte hörte. Highheels. Rot, glänzend, allein das eine Verfehlung an diesem Ort. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wie sie aussahen. Sie ging langsam, aber nicht aus Demut. Ohne hinzusehen, wusste er, wie aufreizend sie ihre Hüften schwang. Sie nahm neben ihm Platz und ihr billiges, blumiges Parfum stieg ihm in die Nase.

»Er kommt nicht«, sagte sie. »Ist wohl gerade woanders beschäftigt.«

Bewegungslos verharrte Cullen im Gebet.

»Vielleicht ist er bei einer hübschen Nonne.« Sie kicherte über ihren Scherz. »Nonnen sind doch die Ehefrauen von Jesus, also muss er sie doch auch mal rannehmen, oder?«

Sie schniefte geräuschvoll. »Andererseits … er ist noch nie zu dir gekommen. Nicht wahr?«

Er hörte das Geräusch von Leder auf Leder. Kramte sie in irgendeiner Tasche?

»Gib’s auf, alter Mann. Wenn er in den letzten 52 Jahren nicht zu dir gesprochen hat, wird er es jetzt auch nicht tun.«

Es raschelte wieder.

»Er hat kein Interesse an dir, okay? Gott hat keinen Bock auf dich. Such dir ein anderes Hobby.« Sie nuschelte jetzt, als hätte sie etwas im Mund.

Er hat zu mir gesprochen, dachte Cullen. Er hat mir einen Auftrag erteilt. Es war ein Telefonanruf gewesen, aber er hatte ihm die Augen geöffnet.

»Wie niedlich. Gott hat dich angerufen. Das macht er immer so. Hat er seine Rufnummer unterdrückt, oder wirst du seine Telefonnummer bei deiner nächsten Predigt durchsagen?«

Die Frau lachte laut auf. Der frivole Klang ihrer Stimme entweihte den Ort. Nein, niemand konnte diesen Ort entweihen, dazu hatte sie nicht die Macht.

»Der Einzige, der hier irgendetwas entweiht, bist du, Reverend.« Das letzte Wort hatte sie ihm ins Ohr geflüstert. »Und was deinen Auftrag angeht – wie kann dir jemand etwas sagen, der nicht mit dir spricht? Hm?«

Eine Weile sagte sie nichts. Cullen hoffte bereits, dass sie das Interesse verloren hatte und ihn verließ. Dass sie einmal, nur ein einziges Mal von ihm abließ.

Dann hörte er das Aufschnappen eines Feuerzeugs. Zündete sie sich etwa eine Zigarette an? Hier?

»Ja, stell dir nur mal vor. Genau das mache ich.«

Cullen spürte seine Knie kaum noch. Doch der Schmerz tat gut, er fühlte sich echt an.

»Ach Cullen, Cullen. Glaubst du, Gott liebt dich, weil dir deine Knie wehtun?« Sie sog den Rauch tief in ihre Lunge und stieß ihn langsam aus.

»Gott weiß gar nicht, dass es dich gibt. Du bist ihm scheißegal.«

Die Bank knarrte, als sie aufstand. »Und wenn er es wüsste, könnte er dich nicht leiden.«

Sie spuckte ihn an. Cullen spürte ihren Speichel warm an seinem Gesicht herablaufen. Er presste die Augen noch mehr zusammen.

»Oh, entschuldige, das macht dich womöglich an, was? Bist du jetzt geil?«

Führe mich nicht in Versuchung, Dämon.

»Sondern erlöse uns von dem Bösen. Und das bist du, Cullen.« Er hörte, wie ein Reißverschluss aufgezogen wurde, und wusste, dass sie sich auszog.

»Oh«, rief sie in gespielter Überraschung aus. »Ich habe ja gar nichts drunter.« Ihre Stimme klang jetzt lasziv, fast weich. »Hab ich glatt vergessen.«

Cullen hörte, wie ein Kleidungsstück zu Boden fiel. Dann noch eines. Er spürte, wie seine Erregung wuchs. Es machte ihn wütend, dass er nichts dagegen tun konnte.

Das ist nicht real, dachte er. Das ist nicht real. Als er die Augen öffnete, stand sie nackt bis auf ihre roten Highheels vor ihm. »Ohhh, Reverend, ich war ein böses Mädchen.« Sie nahm die Zigarette aus dem Mund, hielt sie in der rechten Hand und umschloss die Glut mit ihrer linken Faust. Ihre Scham war so nahe vor seinem Gesicht, dass er jedes einzelne der zarten, roten Haare erkennen konnte.

Sie öffnete die Hand und zeigte ihm die schwarze Brandwunde.

»Gefällt dir das?« Fragend legte sie den Kopf schief. Dann schüttelte sie ihn traurig. Dabei bebten ihre vollen Brüste mit den zartrosa Nippeln.

»Nein, sieht nicht so aus. Dabei wollen wir dir doch gefallen, oder? Das ist doch der einzige Grund, warum junge Frauen sich sexy kleiden. Damit perverse Säcke wie du sich daran aufgeilen können.«

Suchend sah sie sich um. Der weiße Leib schimmerte wie Elfenbein in dem halbdunklen Raum. Ihr Blick fiel auf den Altar. »Ich habe eine Idee.« Sie zwinkerte ihm zu. »Das wird dir gefallen, Reverend.«

Sie trat zu dem schmucklosen, weißen Tisch. Sie strich mit dem Finger über einen der silberfarbenen Kerzenständer, nahm dann schnell das massive Kruzifix aus Messing vom Tisch. Sie schloss die Augen und küsste den stilisierten Jesus, dann ging sie in die Hocke. Sie spreizte die Beine, so dass Cullen ihre geheimsten Stellen sehen musste, ergriff das Kruzifix mit beiden Händen und –

»Nein! Hör auf!« Schnell stand Cullen auf und wandte sich zum Gehen.

»Warum denn? Liebst du unseren Herrn Jesus nicht? Ich möchte dir zeigen, wie ich ihn liebe.«

Cullen Hopefield hastete zwischen den Sitzreihen hindurch zum Ausgang.

»Ohh … ist der dick. Sieh doch her, Reverend! Du verpasst ja das Beste.«

Er öffnete die Tür und gleißendes Sonnenlicht fiel ins Innere der Kirche.

»Lauf doch, aber ich sehe, wie es dir gefällt, –« Ihre letzten Worte verhallten ungehört, als das Tor ins Schloss fiel. Schwer atmend lehnte er sich von außen dagegen. Eine sinnlose Geste, das wusste er, denn Conny würde ihn immer begleiten. Aber noch nie hatte sie ihn in einem Gotteshaus heimgesucht.

Ein Truck fuhr mit durchgedrückter Hupe auf dem Highway vorüber, der Geruch von heißem Asphalt und Abgasen lag in der Luft.

Vielleicht war es ein Zeichen. Vielleicht wusste der Satan von seinem Auftrag und wollte ihn daran hindern.

Das Messias Casting

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