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Prolog

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Das Bild war hell und klar und so scharf, dass man das Gefühl hatte, nur den Arm ausstrecken zu müssen, um das Ziel berühren zu können. Schmidt & Bender, das Feinste vom Feinen. Hatte ihm zumindest dieser Corporal erzählt. Elijah selbst kannte sich damit nicht aus, obwohl sein Vater ihn ein paar Mal mit auf den Schießstand genommen hatte. Mom hatte geschimpft, weil sie meinte, dafür sei er noch viel zu jung, aber Dad meinte, ein Junge könne so etwas gar nicht früh genug lernen. Naja, das war lange her …

Reiß dich zusammen, befahl er sich, jetzt ist keine Zeit für Erinnerungen an die Kindheit, du musst voll da sein. Es war wichtig, dass er sich konzentrierte. Er durfte jetzt keinen Fehler machen und alles vermasseln.

Madison stand hinter ihm und streichelte ihm über den Kopf. »Du tust das Richtige. Es ist wie damals in Milwaukee. Das Böse muss gestoppt werden.«

Auch wenn ich diesmal vielleicht keine Blumen bekomme, dachte Elijah.

»Nein, du bekommst vielleicht keine Blumen, aber ich verspreche dir, es gibt Menschen, die dir dankbar sein werden. Und ob du schon wandertest im finsteren Tal, dir wird nichts mangeln.«

Noch immer irritierte ihn Madisons Fähigkeit, seine Gedanken zu lesen. Oder erriet sie sie nur? Angeblich kam das unter Geschwistern ja vor. Aber diese ständigen Bibelzitate, die nervten wirklich. Nichts gegen die Heilige Schrift, aber das war eine irritierende Angewohnheit. Reverend Hornbine zitierte doch auch nicht in einem fort die Bibelsprüche.

Zum hundertsten Mal kontrollierte er den Stand des Gewehrs. Das Dreibein stand bombenfest, die Waffe selbst war gut schwenkbar. Nicht zu leicht und nicht zu schwer; wenn sich das Ziel bewegte, würde er leicht nachführen können, bei einem Schuss stünde es fest genug, um es nicht zu verfehlen. Und es würde nicht verreißen, wenn ein zweiter Schuss nötig war. Nötig werden sollte. Ein Kinderspiel, selbst auf diese Entfernung. Was sollte mit dieser Waffe schiefgehen?

»Es kann immer etwas passieren. Satan kann versuchen, uns aufzuhalten«, sagte Madison sanft aber bestimmt. Ihr komisches, gelbes Kleid raschelte bei jeder ihrer Bewegungen. Er glaubte, sich erinnern zu können, dass Mom so ein Kleid auf einem alten Foto trug. Sicher war es kein Zufall, dass Madison das jetzt anhatte. Zufälle gab es nicht, wenn es um sie ging.

Er überprüfte, ob das Gewehr gespannt war. Es war. Natürlich. Er vergewisserte sich, dass er den Sicherungshebel blind fand, und entsicherte mit einem schnellen Handgriff. Dann sicherte er die Waffe ebenso rasch wieder. Er hatte das Gefühl, er müsste sich den Schweiß von der Stirn wischen, doch er schwitzte nicht.

»Warum solltest du auch schwitzen? Du tust nichts Falsches.« Die Nacht war mild, eine sanfte Brise strich durch das Fenster, das er immerhin einen Spalt breit hatte öffnen können. Trotz der späten Stunde war es angenehm warm, nicht zu heiß. Die perfekte Temperatur, um zu Hause bei einem kühlen Bier auf der Veranda zu sitzen. Und nicht auf der anderen Seite der Welt in einem dunklen Hotelzimmer zu lauern. Wie ein heimtückischer Mörder.

»Gott hat dich in dieses Land gebracht, weil du sein Werkzeug bist, verstehst du? Du bist Elija, der Gesandte Gottes. Ihr habt die Gebote Jahwes nicht geachtet und seid dem Baal nachgefolgt.«

Elijah grunzte unwillig. Noch mehr Bibelzitate. Er fand, sie wirkten pompös und passten nicht zu Madison.

»Als das Volk das sah, warfen sich alle zu Boden, mit dem Gesicht in den Staub, und riefen: ›Jahwe allein ist Gott! Jahwe allein ist Gott!‹ Und Elija sagte zu ihnen: ›Packt die Propheten des Baal! Keiner darf entkommen!‹.« Am Ende hatte sie die Worte gerufen. Nun beruhigte sie sich wieder. Immerhin.

Leise wiederholte sie den letzten Satz und betonte dabei jedes einzelne Wort: »Keiner darf entkommen. Das ist Gottes Wille, Elijah.«

Er spürte das Gewicht ihrer Hand auf seiner Schulter, als sie fortfuhr: »Du magst es nicht, wenn ich so bin. Es tut mir leid. Es geht eben manchmal mit mir durch – der Auftrag ist so wichtig. Das ist das Wichtigste, was du je getan hast. Dein ganzes Leben kulminiert in diesem Moment.«

Sie biss sich auf die Unterlippe und blickte auf den Boden. »Ich weiß, du bist kein alter Prophet mit einem weißen Rauschebart. Du bist mein Bruder und ich liebe dich. Ich bin sehr stolz auf dich.« Sie beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss auf den Hinterkopf. Wieder raschelte das Kleid.

Schon vor einiger Zeit hatte er bemerkt, dass Madison nach gar nichts roch. Elijah achtete normalerweise nicht besonders auf Gerüche, aber Madisons Geruchlosigkeit war auffällig. Mom roch morgens nach Seife und Duschgel und abends nach Schweiß und Küche – und irgendwie immer nach Mom.

Elijah wandte sich zu Madison um. Sie strahlte ihn an. Sie hatte viel von ihrer Mutter, nur die Augen hatte sie von Dad. Sie sah jetzt aus wie die 15 Jahre, die sie tatsächlich war. Oder sein müsste. Warum wurde sie älter? Was hatte das zu bedeuten?

Er blickte wieder durch das Zielfernrohr. Wer würde dort kommen? Wen würde er töten müssen?

»Du wirst es wissen. Du wirst den falschen Messias erkennen.«

Er seufzte.

Du wirst es wissen … Immer diese Sicherheit in ihrer Stimme. Immerhin hatte sie bisher stets recht gehabt. Warum sollte es diesmal anders sein? Es war wie die anderen Male auch.

Elijah wandte sich wieder der Waffe zu. Um Gewicht einzusparen, bestand das M40A5 zum größten Teil aus matt olivgrünem Fieberglas, wodurch es ein wenig wie ein Spielzeug wirkte. Aus Plastik – das ist doch keine Waffe, hatte er gedacht, als er das Gewehr zum ersten Mal gesehen hatte.

Der Marine, der es ihm gegeben hatte, hatte ihm die Skepsis wohl angesehen. Es gibt nichts Besseres, hatte er ihm versprochen und Elijah in die Augen gesehen. Das war auf Okinawa gewesen. Elijah verstand immer noch nicht, wie es ihm gelungen war, eine Tennistasche mit einem Gewehr quer durchs Land zu schmuggeln. Jedes Mal, wenn er einen Polizisten sah, brach ihm der Schweiß aus, weil er befürchtete, dass einer sich mal zeigen lassen würde, was Elijah da mit sich herumtrug. Er musste wohl einen Schutzengel haben. Oder es war Gottes Wille, wie Madison sagen würde. Vielleicht lag es auch daran, dass den meisten Einheimischen seine Anwesenheit immer etwas peinlich zu sein schien; egal, wohin er ging, waren alle augenblicklich mit etwas anderem beschäftigt, sobald sie den Ausländer erkannten. Naja, am Ende war das auch Gottes Wille.

Das Magazin fasste zehn Schuss und war voll, viel mehr als ein Scharfschütze für diese Art Job brauchte. Das hatte ihm ebenfalls der Corporal erklärt. Wenn der erste Schuss nicht traf, müsste es der zweite tun. Es gab keinen dritten. Die Marines hatten irgendeinen Namen für einen Sniper, der beim ersten Schuss sein Ziel nicht traf, aber er fiel ihm nicht ein. Der Offizier hatte ihm gesagt, wie man einen Schützen nannte, der auch beim zweiten Schuss sein Ziel nicht traf und das hatte er sich gemerkt: Dead Man. Naja, er war ja nicht im Krieg und Elijah war froh, dass er ein paar Versuche mehr hatte. Aber was würde er tun, wenn er den Mann nur verletzte? Sollte er dann nochmals schießen und ihn töten? Einem Mann in den Kopf schießen, der sich vielleicht vor Schmerzen auf dem Boden wand? Er wusste, das würde er nicht tun können, er war doch kein Killer. Und was, wenn er nicht allein war? Wenn ihm jemand zu Hilfe eilte? Wenn ihn jemand zu schützen versuchte und sich vor ihn stellte? Müsste er dann erst den töten? Madison hatte recht, es konnte jede Menge Scheiße passieren.

Durch das Objektiv betrachtete er den Wirt, der gelangweilt die schäbigen Tische in seinem kleinen Restaurant abwischte. Trotz der Dunkelheit war er klar und scharf zu sehen, wie durch ein gutes Fernglas. Er bräuchte nur den Finger zu krümmen und der Mann würde von einer Kugel getroffen zusammenbrechen, da vorne, ein paar hundert Meter entfernt. Er besaß eine perfekte Tötungsmaschine, ein Höhepunkt Jahrtausende währender Versuche der Menschen, sich auf immer effektivere Art umzubringen. Tod auf Knopfdruck.

»Und wenn ich nicht schießen kann

»Glaubst du, Dad hätte gezögert?«

Nein, gewiss nicht. Elijahs Vater war Polizist gewesen. Aber hätte er es überhaupt so weit kommen lassen wie Elijah, der jetzt im vierten Stock eines Hotels saß und auf sein Opfer lauerte?

»Du lauerst nicht. Das ist kein Opfer. Du rettest die Welt vor einem falschen Messias. Vor dem Satan.«

Natürlich war es Sünde, wenn sich jemand als Messias ausgab. Aber hatten solche Verrückten nicht schon immer existiert? Musste man sie aus dem Weg schaffen?

»Sünde?« Madison winkte ab. »Darum geht es nicht. Das ist kein harmloser Spinner. Der und seine Freunde wollen die Welt verändern. Wenn du es nicht verhinderst, wird es passieren. Möchtest du, dass bald Kirchen brennen? Möchtest du, dass Christen bald wieder verfolgt werden? Möchtest du, dass Unschuldige gekreuzigt werden?«

»Nein … natürlich nicht.«

»Sollen noch mehr Menschen sterben? Denk an Matthew … Du hast schon einmal Hunderte gerettet. Jetzt musst du Millionen retten. Du hast es in der Hand. Du bist die Waffe Gottes. Das ist dein Schicksal, vor dem du nicht weglaufen kannst. Jona hat es versucht, Hiob haderte mit seinem Schicksal, aber man kann sich Gottes Willen nicht entziehen.«

Minutenlang sagte keiner etwas. Elijah setzte sich aufrecht hin und drehte seinen Kopf langsam in alle Richtungen, um die Verspannungen zu lösen. Bei jeder Bewegung knackte es.

»Es ist gleich so weit«, flüsterte Madison, obwohl es keinen Grund gab, zu flüstern. Und für sie erst recht nicht.

Elijah nickte. Er entsicherte die Waffe und blickte ruhig durch das Zielfernrohr. Nicht zögern und nicht die Luft anhalten, hatte der Corporal gesagt. Ruhig einatmen, dann ausatmen und abdrücken.

Bewegung kam ins Bild. Ein paar bange Sekunden fragte er sich, ob er sein Ziel auch erkennen würde. Was, wenn eine ganze Gruppe kam? Und was, wenn er keine freie Sicht zum Zielobjekt hätte?

Doch es war, wie Madison es vorausgesagt hatte. Er wusste sofort, wer es war und es war ein leichtes, die Person ins Visier zu nehmen. Ausatmen und abdrücken.

Er atmete ein, dann aus. Ganz ruhig.

Das Messias Casting

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