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7) August 1909: Adana
ОглавлениеDas rote Licht der Abenddämmerung strömte in die dunkle Kirche, als der Pfarrer Stephan die Tür der katholischen Kirche aufmachte. Er blickte nach hinten. Das Licht wurde immer schwächer. Der Dämmerungsschein sank immer tiefer. Die Linie des Horizonts vermischte sich langsam mit der Dunkelheit, die auch die Stadt umhüllte. Die ersten Sterne wurden sichtbar. Er trat in die Kirche ein. Die Tür ließ er offen und ging zum Altar, vor dem er langsam zu Knie ging. Er schloss seine Augen. Seine Hände schloss er zusammen. Seine Gedanken wanderten von den Toten im April zu dem Brief vom 17. Juni, der unbeantwortet blieb und Gelehrten Alkuin, als er mit dem Gebet anfing.
„Deinen Frieden, Herr, gib uns vom Himmel, und dein Friede bleibe in unsern Herzen. Lass uns schlafen in Frieden und wachen in dir, auf dass wir vor keinem Grauen der Nacht uns fürchten.“
Der Pfarrer ließ seine Augen geschlossen! Er fühlte eine Kälte um ihn. Schatten bewegten sich in der Dunkelheit. Mit dem Schmerz an seinem Hinterkopf öffnete er seine Augen und sah, wie das Licht von zwei auf ihn gerichteten Augen verschlungen wurde. „Finster!“ ging durch seinen Kopf.
Es wurde kalt und dunkel.
„Die Finsternis darf nicht meine Seele ergreifen“ dachte der Pfarrer, als er zu sich kam und die Kälte langsam anfing von ihm besitz zu ergreifen. Er war nicht mehr in der Kirche.
„Vater unser, der Du bist im Himmel,…“
„Ein Licht vom Weiten, ganz nah
es ist kalt
ein Donner im klaren Himmel
ich bin regungslos
ein Mensch vor mir, verschwitzt
kalter Atem
ich fühle seine Knie, Fäuste
hinterlassene Spuren, überall auf meinem Körper
lande atemlos auf dem kalten Boden.“
„…geheiligt werde Dein Name;“
„Kalt und finster
Eine weiße Rose verworfen auf dem alten Holztisch
keine Vase, halb vertrocknet
Wer brachte die Rose hierhin?
Wer tauschte sein warmes Zimmer mit diesem kalten Ort?
Wer tauschte das Licht mit der Dunkelheit?
Das Gitter vor dem kleinen Fenster verrostet
so nah an meinem Gesicht
ein Baumtrieb, draußen, an der Wand
10 cm hoch
widersteht der Unmenschlichkeit im Trockenen
„… zu uns komme Dein Reich;“
verschleppt durch die Tür
dicke, kahle Wände um mich“
„… Dein Wille geschehe,“
„Geschrei füllt den langen, dunklen Flur.
Ein Kopf schlägt gegen eine Metall-Tür
Zwei zarte, blutige Finger
im Licht eines verblassten Sterns
schauen durch die verrostete Öffnung am Boden
Verbranntes Haar, verbrannte Haut in der Luft“
„… wie im Himmel, also auch auf Erden!“
„Halb Tod auf einem Feld
Ein paar Tropfen Blut stillen die Erde
ein Löwenzahn ganz weit, einsam
ein Löwenzahn vor dem Vollmond, neben mir
Ein Schrei im Dunkeln.
Barfuß, Mondlicht in Tränen.
Wärme im Atem über mich
Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen.
Woher kommt mir Hilfe?“
„… Unser tägliches Brot gib uns heute;“
„Es ist die Mutter?
Fürchte mich nicht,
Du bist mit mir;
Stärke mich
Halte mich durch die rechte Hand deiner Gerechtigkeit
Halte mich fest mit den Händen deiner Liebe
Greif unter meine Arme
hebe mich hoch
gib mir Kraft
lass mich nicht allein
lass mich nicht zurück
werde Leben im Dunkeln
werde meine Faust, nein! meine Hand, zum Streicheln des Kindes
das weint unter dem Baum,
da, da drüben.
Werde meine Faust
Nein! meine Hand, zum festhalten meiner Kinder
werde meine Stimme in den kalten Wintermonaten, wenn es draußen verschneit ist
um ihnen ein Märchen -die Geschichte des Löwenzahns aus der Ferne- zu erzählen,
um ihnen aus einem Buch über die Liebe, vorzulesen.
um sie wach zu rütteln!“
„… und vergib uns unsere Schuld,“
„Es ist dunkel
weine nicht
Mutter!
Sei stark
Für mich Mutter!
ich fühle meine Beine nicht
gib mir Kraft
lass mich nicht allein.
Ich gehe weg...
Umarme mich ein letztes Mal Mutter
dann...
dann verbrenne meinen Körper
zerstreue meine Asche
zerstreue es in die Täler in der Mittagssonne, wenn das Leben noch still ist
zerstreue es in die Berge beim Sonnenaufgang, wenn das Licht den Schnee zu schmelzen bringt
zerstreue es in die Bergspitzen, die mit Schnee bedeckt sind
zerstreue es in die Flüsse, wo Leben gibt
zerstreue es in die Wüste, während das Leben auferweckt.“
Die Sterne verblassten eins nach dem Anderen. Ein Hahn krähte.
„Vergib mir Vater…“
„… wie auch wir vergeben unsern Schuldigern;“
„Vergib ihnen Vater …
lass mich Begegnen dem, was auf mich zukommt, nicht mit Angst, sondern mit Hoffnung“
„… und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Übel.“
Der letzte Stern ließ die Sonne gewähren. Der letzte Schatten der Morgendämmerung wich ab. Der Pfarrer fühlte eine Wärme zuerst am Gesicht, dann an der rechten Hand. Er streckte seine Hand nach oben.
„Ja Vater!“
Er unterdrückte einen letzten Schrei, schloss seine Augen und horchte der Stille.
„… Amen.“
Seine Hand fiel sanft auf dem Boden. Sein Gesicht strahlte eine friedliche Freude aus. Eine Brise wehte von dem Löwenzahn hin über seine Haare.