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5) 20. Mai 1909: Der Chef des Admiralstabs der Marine (Baudissin) an den Staatsekretär des Auswärtigen Amts (Schoen)
Оглавление1. Die politische Lage im Vilajet Adana bei Ankunft Euer Majestät Schiff „Lübeck“.
Nach den Mitteilungen des Kommandanten Euer Majestät Schiff „Hamburg“ und des deutschen Konsuls in Mersina konnte bei Eintreffen Euer Majestät Schiff „Lübeck“ die politische Lage im Vilajet Adana als ruhig angesehen werden.
In Mersina selbst waren überhaupt keine Ruhestörungen vorgekommen - dank dem guten Auftreten der hiesigen türkischen Behörden - mehr aber noch wohl infolge des Druckes, welchen die große Anzahl von fremden Kriegsschiffen auf die Bevölkerung ausübte. In Adana selbst waren Plünderungen und Morde seit dem letzten Massaker vom 25. bis 26. April nicht mehr geschehen. Für eine Besserung des furchtbaren Elends unter den noch in den Lagern befindlichen zahlreichen Flüchtlingen - etwa 14500 - aber war von Seiten der türkischen Regierung trotz der Versprechungen des neuen Wali nicht das Geringste geschehen.
2. Der neue Wali.
Wenn es zuerst so schien, als ob der neue Wali - Sihni Pascha - den guten Willen hätte, im Verein mit dem sehr tatkräftigen Truppenkommandeur - Mehmed Ali Bey - bald geordnete Verhältnisse in Adana herzustellen, so muss man nach dem, was er bis jetzt geleistet hat, leider zu der entgegengesetzten Überzeugung kommen.
Der Wali ist nur dem Namen nach Jungtürke, im Übrigen aber tragen seine Handlungen den Charakter des reaktionären Alttürken: Verhandlungen werden möglichst in die Länge gezogen, Versprechungen werden nicht gehalten, und mit der größten Unverschämtheit werden unglaubliche Sachen erlogen.
Als ich dem Wali am 9. Mai meinen Besuch in Adana machte, behauptete er, dass er für die Flüchtlinge alles täte, was in seinen Kräften stände, es würden Häuser wieder hergestellt, Unterkunftsräume geschaffen und Nahrungsmittel ausgegeben - von alledem, stellte sich nachher heraus, war nicht ein Wort wahr.
Dem vorübergehend hier anwesenden englischen Admiral, Curzon Howe, sagte er auf dessen Mitteilung, dass er im Auftrage des Königs sich von dem Zustande der Stadt überzeugen sollte - das wäre nicht nötig, denn es wären nur einzelne wenige Häuser niedergebrannt. Der Admiral ging trotzdem durch die Stadt, und war so empört über den jammervollen Zustand derselben - drei Viertel bilden überhaupt nur noch einen Trümmerhaufen, wo kaum ein Stein auf dem andern steht und die Straßen völlig gesperrt sind - dass er dem Wali nachher bei seinem Gegenbesuch in deutlichen Worten der Lüge zieh.
Anliegender Auszug aus einem Bericht des Wali an die Regierung, welcher in der in Konstantinopel erscheinenden Zeitung „Stambul“ veröffentlicht ist, beweist weiter die Art, mit der hier Lügenberichte fabriziert werden.
Ein anderer Fall, welcher die Falschheit und Unverschämtheit des Wali in deutlichster Weise zeigt, ist folgender:
Ein Armenier, welcher von dem Direktor der Deutschen Baumwollfabrik, Herrn Stöckel, mit einem Auftrag auf die Felder hinausgeschickt werden sollte, wurde trotz der Zusicherung des Wali, dass alles sicher sei, von mehreren Türken in Gegenwart von Soldaten mit dem Tode bedroht. Auf die hierüber erhobene Beschwerde versprach der Wali die exemplarische Bestrafung dieser Türken und besseren Schutz. Kurz darauf aber wurde dieser ganz unschuldige Armenier ins Gefängnis geworfen, während die Türken unbehelligt blieben.
Der Konsul hat hierauf sofort in einem scharfen Schreiben die Freilassung des Armeniers gefordert, aber dieselbe unter allerlei Ausflüchten bisher - nach einer Woche - nicht erlangen können.
Die Folge von diesem zweideutigen Verhalten des Wali ist, dass sich noch kein Armenier traut, wieder an die Arbeit zu gehen. Die Flüchtlinge bleiben lieber unter den kümmerlichsten Verhältnissen in dem unter europäischem Schutz stehenden Lager, wo aber die Gefahr eines Ausbruchs von größeren Epidemien sehr groß ist und nur durch die vorzügliche Organisation und Aufsicht verhindert wird, welche durch den Kommandanten des englischen Linienschiffes „Swiftsure“ und den englischen Konsul geschaffen ist.