Читать книгу Einmal Rebellin - Nadine Stenglein - Страница 10

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David empfing sie mit seinem gewöhnlichen Ritual, an das er heute ein anerkennendes Schulterklopfen anschloss. „Ich bewundere dich für deinen Mut“, flüsterte er extra laut, da Marleys Mutter sie vom Flur aus beobachtete. Marley schnappte sich ihre Jacke. „Lass uns gehen“, sagte sie und schielte zu Eleonor, die sich demonstrativ eine Hand gegen die Stirn presste. Ihre chronische Migräne, die erstaunlicherweise immer dann auftauchte, wenn etwas nicht nach Eleonors Kopf ging oder sie sich beleidigt fühlte, schien sie wieder im Griff zu haben.

„Bis später“, sagte Marley.

„Du solltest dich lieber um einen Job kümmern, als dich mit irgendwelchen Leuten herumzutreiben“, kommentierte Eleonor spitz.

David nahm seine französische Kappe ab und verbeugte sich vor ihr. „Aber Frau Oswald, ich bin doch nicht irgendjemand!“, sagte er bestimmt, aber lächelnd.

„Tssss“, machte Eleanor nur und ging ins Wohnzimmer.

Gleich nach dem Frühstück hatte Marley David angerufen und ihm alles erzählt.

„Du hast wirklich das Richtige getan. Am Ende wärst du dort sonst noch verrückt geworden“, sagte er nun und hielt ihr die Tür seines Cabrios auf, das genauso weiß strahlte wie seine Zähne.

„Danke“, erwiderte Marley und stieg ein. Es tat ihr weh, dass ihre Mutter wieder einmal nicht zu ihr hielt, doch dieses Mal musste sie standhaft bleiben. Das Telefonat zwischen Eleonor und ihrem Onkel vorhin war ihr nicht entgangen. Auf einen Wortwechsel mit Marley hingegen wollte er anscheinend verzichten.

„Ich habe gehört, wie sie ihm gesagt hat, dass ich in Sachen Träumerei wohl Monias Gene vererbt bekommen habe. Außerdem scheint er ihr die Hälfte des Gewinns, den der Diamant erzielen würde, versprochen zu haben, wenn sie ihn mir abluchsen kann. Ich bin so furchtbar enttäuscht.“

„Was mehr als verständlich ist. Der Typ ist echt dreist“, entgegnete David und trat das Gaspedal durch. Auf der Fahrt nach Irgendwo erzählte sie ihm von dem Traum, der noch immer in ihr nachwirkte. Doch je weiter sie sich von ihrem Zuhause entfernten, desto besser fühlte sie sich. Sie hielten bei einem Buchcafé in einer kleinen Ortschaft und blätterten in Der kleine Prinz, während sie auf ihren Latte warteten.

„Ich finde, dass du dem Traum wirklich Bedeutung zumessen kannst. Dein Herz schreit förmlich danach. Und wer weiß. Vielleicht hat dich Deans Seele ja tatsächlich angestupst! Die Welt ist so crazy, wieso also sollte so etwas nicht möglich sein?“

„Du bist crazy!“

„Ich sollte auch endlich mal etwas ändern. Meine Werke ausstellen zum Beispiel.“

Seine Akt- und Landschaftsmalerei konnte sich wirklich sehen lassen. Auch Marley hatte schon Modell gestanden, so wie die Natur sie geschaffen hatte. Als Eleonor zufällig das Ergebnis sah, wäre sie beinahe in Ohnmacht gefallen. Doch Marley liebte jedes von Davids Öl- und Aquarellbildern. Ihre Intensität machte sie einzigartig.

„Ein sehr gutes Beispiel! Oder du solltest mit mir nach Amerika kommen.“

Seine Augen wurden groß und erinnerten Marley ein bisschen an die einer Eule, was sie zum Schmunzeln brachte.

„Oh nein, meine Liebe. Das machst du schön alleine. Obwohl Amerika sicher der Hammer ist. Nur finde ich, dass es deine Reise ist.“

Sie verstand sofort, wie er es meinte, und nickte schließlich.

„Außerdem bist du nicht allein. Monia ist ja dabei. Und James Dean wartet schon auf dich. Und ich … ich werde hier sein und dich in die Arme schließen, wenn du als wahre kleine Rebellin zurückkehrst.“ Er zwinkerte ihr zu und las eine Stelle aus dem Buch: „Denn für mich bist du einzigartig.“ Seine Augen leuchteten, als er das sagte, und sie wusste, dass er es ernst meinte.

Die Kellnerin servierte den Latte und lächelte David dabei zu, als gäbe es kein Morgen. Das war eindeutig mehr als nur freundlich gemeint.

„Fast vergeben“, flüsterte er ihr keck zu.

„Schade“, erwiderte sie, seufzte leise, lächelte aber weiter.

„So wie du. Du bist auch einzigartig“, sagte Marley.

Verlegen winkte David ab und musterte seine manikürten Fingernägel.

„Hast du nicht einmal erwähnt, dass die Praxis deines Traummannes voller moderner Kunstdrucke hängt?“

Er blickte auf, nippte von seinem Latte und stimmte ihr dann zu.

„Warum erwähnst du nicht mal nebenbei, dass du auch malst. Vielleicht möchte er sogar ein paar deiner Werke sehen.“

Irritiert starrte David sie über den Tisch hinweg an. Der kleine Milchschnurrbart stand ihm. Erneut musste Marley schmunzeln, während David nickte. „Das ist grandios. Warum bin ich da nicht schon von alleine drauf gekommen, Miss Oswald?“

Bevor sie sich versah, stand er auf, beugte sich über den Tisch und drückte ihr rechts und links einen Schmatzer auf die Wangen.

„Bis ich wieder zurückkomme, hattest du ein Date mit Levin oder sogar mehrere. Und ich habe zumindest ein Vorstellungsgespräch bei einer neuen Firma, die hoffentlich einen besseren Chef hat. Dazu habe ich zwei Seelen glücklich gemacht – Monia und Tom. Und wer weiß, vielleicht verdiene ich besser und kann ein Abendstudium beginnen. Gebongt, Mr Grey?“

Abermals nickte er und sie schüttelten sich die Hände wie nach einem richtigen Vertragsabschluss.

„Und wann fliegst du?“

„Am besten so bald als möglich, bevor ich es mir doch noch anders überlege.“

„Bloß nicht! Außerdem wäre das Vertragsbruch.“ Er wurde ernster: „Meine Güte. Monias Geschichte berührt mich so. Ich mochte deine Tante ja schon immer. Und ja, sie hatte oft diesen abwesenden Blick, in dem sich ein ganzes Kino abspielte, nur dass der Film nach innen gerichtet war. Auch mir hat sie einmal gesagt, ich solle meine Träume leben, weil das Leben viel zu kurz sei. Und damit hat sie verdammt recht!“

„Ja, einmal Rebellin sein“, wiederholte sie leise die Worte, die sie schon in Gegenwart ihrer Mutter ausgesprochen hatte. Und dieses Mal schienen sie sogar noch mehr Gewicht zu haben.

Wie gedacht ließ Eugen die Schmach der Kündigung genauso wenig los wie der Diamant. Als Marley nach Hause kam, weilte er mit Eleonor in ihrem Wohnzimmer. Er musste zu Fuß gekommen sein, denn Marley hatte seinen schwarzen Mercedes nicht in der Einfahrt gesehen. Sein Haus war nur zwei Straßen entfernt. Ein schmuckes altes Stadthaus mit roséfarbener Fassade, einer großen Veranda und einem hübschen, großen Garten, in dem Monia vor allem ihre Rosen und Lilien hegte und pflegte.

„Deine Schwester hat ihr anscheinend völlig den Kopf verdreht. Dieses Phänomen scheint in eurer Familie zu liegen, Eleonor“, hörte Marley ihn sagen.

„Jetzt mach aber mal einen Punkt, Eugen.“

Sie hielten inne, als sie Marley bemerkten. Kurz darauf bat Eleonor ihre Tochter, zu ihnen zu kommen. Das Wörtchen Bitte, das sie dabei erwähnte, schien sie sich regelrecht abzuringen.

Marleys Herz machte einen Satz, aber sie stellte sich der Situation.

Eugen hielt ihr wortlos die Kündigung unter die Nase.

„Guten Abend, Onkel Eugen.“

„Was soll das?“, wollte er wissen. Seine Kiefermuskeln zuckten. Reglos stand er da und scannte jede ihrer Regungen.

„Das ist meine Kündigung.“

„Die du zurückziehen wirst“, warf Eleonor ein und verschränkte die Arme vor der Brust. Marley schüttelte den Kopf.

„Und von was willst du dann leben? Du bekommst nicht einmal Arbeitslosengeld. Das ist töricht. Oder hast du vor, den Diamanten zu verkaufen und von den paar hundert Euro zu leben, die dir Monia vermacht hat?“, wollte Eugen in höhnischem Tonfall von ihr wissen.

„Wirklich Marley, ich bin enttäuscht. Denn du denkst nur an dich. Das ist so egoistisch“, schluchzte Eleonor und ließ sich auf das Sofa sinken.

„Das stimmt nicht, Mutt… Mama.“

„Natürlich stimmt das“, warf Eugen ein. „Und jetzt sei endlich vernünftig und gib mir den Diamanten. Am Montag bist du dann Punkt acht wieder im Büro und ich versuche, das Ganze zu vergessen. Das ist mehr als fair von mir.“

„Der Diamant ist nicht für mich, auch deshalb werde und kann ich ihn dir nicht geben. Und was den Job betrifft, ich habe bereits einen neuen in Aussicht, der mir bessere Chancen bietet.“

Eugen entgleisten alle Gesichtszüge, während Eleonor sich erhob, auf Marley zusteuerte und sie an den Schultern schüttelte. „Das soll ich glauben? Wo soll das sein? Du bist doch nicht mehr normal!“

Eleonor löste ihren harten Griff und verzog das Gesicht. „Die Migräne kommt zurück, und das ist alleine deine Schuld!“, zischte sie.

„Wieso bin ich nicht normal? Weil ich einmal aus dem Takt tanze? Und warum hackst du immerzu auf Monia herum, Onkel Eugen? Sie hat dir nichts getan. Im Gegenteil hat sie immer versucht, dein Herz zu erreichen. Aber das scheint so kalt zu sein wie ein Stein. Hast du darüber schon einmal nachgedacht?“

„Das muss ich mir nicht anhören. So eine Frechheit“, rief er.

Bevor sich Marley versah, riss Eleonor ihr das Kettchen mit dem Diamanten vom Hals, das sie sich wieder umgehängt hatte.

„Nein! Mach das nicht!“, rief Marley und Tränen schossen ihr in die Augen.

„Monia bringt auch jetzt noch Unruhe in unsere Familie. Damit ist nun Schluss“, donnerte Eleonor. Eugen griff nach der Kette, doch Marley war schneller, schnappte sie sich und flüchtete aus dem Wohnzimmer.

„Willst du auch so ein Flittchen werden wie Monia?“, rief Eugen ihr nach.

„Bleib hier!“, schrie Eleonor.

Marley konnte nicht glauben, was gerade geschehen war. In ihrem Zimmer angekommen, sperrte sie die Tür hinter sich ab und griff nach dem Handy. „David? … Kannst du mich abholen? Ich warte an der Ecke Schillerallee auf dich“, bekam sie noch heraus, bevor ihre Stimme in ein haltloses Schluchzen überging.

Einmal Rebellin

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