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Blind Dates

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Anna verschluckte sich beinahe an ihrem Latte to go, als sie aus ihrem roten Käfer stieg. Die Villa lag in London, am südlichen Ende des noblen Stadtviertels Mayfair, halb verborgen hinter einer hohen Buchsbaumhecke, die das ganze Anwesen umzäunte. Anna war schon einige Male hier vorbeigefahren und hatte immer nur das schindelbedeckte, ausladende Dach mit den zwei Türmchen gesehen sowie einen Teil der Fassade darunter. Nun sollte das alles vielleicht einmal ihr gehören?

Anna stieg wieder ein und fuhr an. Im Rückspiegel sah sie, wie sich das Rundbogentor aus schmiedeeisernen Stäben hinter ihnen schloss. Ihr war klar, dass sie gerade den Eingang zu einer Welt betrat, die ihr bis dahin nur aus der Ferne bekannt gewesen war. Sie riss die Augen auf. Das war sie also – Grandma Roses Villa, die sie extra für sie, ihre Enkelin, gekauft hatte. Langsam zog sich Anna die schwarze Perücke vom Kopf und nahm die Sonnenbrille ab.

„Ich glaube, ich träume doch“, wisperte sie.

Die Villa war umgeben von einem parkähnlichen Garten mit Brunnenanlage, Bäumen und Blumenbeeten, zwischen denen sich Kieswege schlängelten. Einer führte direkt zu dem weißen, majestätischen Haupthaus. Im Vorderbereich befand sich eine große Veranda.

„Das ist irre schön, nicht wahr?“, bemerkte Ruby.

Anna bekam den Mund kaum zu. „Das ist grandios.“

„Aber du willst doch nicht hier direkt hinter dem Tor parken, oder? Fahren wir bis zur Treppe“, rief Ruby.

Anna linste zu ihrer Freundin. „Wer hat das Tor eigentlich geöffnet?“

„Na, Dr. Eugene. Er wartet schon auf uns. Los, komm. Die Jungs kommen in eineinhalb Stunden und wir müssen dich noch rausputzen. Ach übrigens, du kannst dir auch ein schickes Auto zulegen. Das habe ich schriftlich von Rose. Das Schreiben ist auch bei Dr. Eugene hinterlegt.“

„Was? In etwas über einer Stunde schon?“

Erschrocken trat Anna das Gaspedal durch. Die Reifen des Käfers wirbelten mächtig Schotter auf. Ihr Herz rotierte schon im Voraus. Dr. Eugene erschien auf der Veranda und winkte ihnen zur Begrüßung. In seinem schwarzen Anzug mit dunkelblauer Seidenkrawatte und dem weißen Hemd sah er wieder aus wie ein englischer Gentleman. Nun, im Grunde war er das ja auch. Als Anna ihn so dastehen sah, erinnerte er sie irgendwie an eine Szene aus Vom Winde verweht.

„Was ist denn nun mit dem Auto?“, unterbrach Ruby die ehrfürchtige Stille, als sie ausgestiegen waren.

„Du kannst dir gerne eines aussuchen. Hat deines nicht erst den Geist aufgegeben? Ich brauche nur eines.“ Anna klopfte lächelnd und durchaus stolz auf das Lenkrad ihres Käfers, der schon so einige Tiefen und manche Höhen mit ihr durchlebt hatte. Sie hing an dem Kleinen.

„Du willst keinen Mercedes oder so?“

Anna schürzte die Lippen und schüttelte den Kopf.

„Und ich dürfte wirklich …?“

„Sehe ich aus, als würde ich Witze machen, Ruby?“

„Selten.“

Ihre Freundin gab ihr einen Kuss auf die Wange und klatschte lachend in die Hände. Unterdessen kam Dr. Eugene zu ihnen.

„Ihre Freundin und ich werden dem ersten Treffen mit den zehn Traummännern von Weitem beiwohnen und Sie nicht stören“, sagte er und reichte Anna eine Hand, nachdem sie und Ruby die fünfzehnstufige Steintreppe zur Veranda hinaufgestiegen waren. Anna atmete tief durch, nickte und lächelte unsicher, während ihr Herzschlag auf Turbo schaltete und sie die Blicke über das Anwesen schweifen ließ. Es gab sogar einen Pavillon, umgeben von einer kleineren Buchsbaumhecke.

„Wirklich ein Traum! Obwohl, mein Elternhaus ist auch nicht übel“, murmelte sie und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Ruby hakte sich bei ihr unter. „Dann warte ab, bis du drin warst.“

„Wo ist Princess? Auf sie freue ich mich am meisten, ehrlich gesagt.“

„Eines nach dem anderen“, sagte Ruby.

Dr. Eugene zeigte Richtung Eingang. „Darf ich bitten, Miss Anna Nash?“

Ruby zwinkerte Anna zu. „Es gibt sogar einen Pool im Garten“, flüsterte sie.

Gemeinsam traten sie durch eine weiße Rundbogentür mit goldenem Löwenkopfknauf, der nicht ganz Annas Geschmack entsprach. Was sie allerdings im Inneren erwartete, übertraf ihre kühnsten Vorstellungen. Helle, weite Räume und glänzender braun-weißer Marmorboden, belegt mit feinsten Teppichen in Pastelltönen. Im ovalen Eingangsbereich stand ein weißer Flügel, bewacht von einer Engelsstatue. Und obwohl die Sonne durch die hohen Fenster schien, konnte Anna nirgends auch nur ein Staubkorn entdecken. Die Einrichtung war eine Mischung aus Antik und Modern. Das sah ganz nach dem Stil ihrer Großmutter aus. Nichts passte wirklich zusammen und dennoch harmonierte es auf fantastische Weise. Anna lächelte. Schon deshalb gefiel es ihr. Sie beschloss, alles so zu lassen, wie es war. Ruby führte sie über eine Wendeltreppe ins Obergeschoss. Es gab gleich fünf Schlafzimmer, fünf Gästezimmer, drei Bäder, ein Wohnzimmer, das mehr einem Saal glich, und sogar ein Ankleidezimmer. Ihr Apartment, wie Ruby es nannte, lag ein wenig abgeschottet am Ende eines weiteren Ganges.

„Rose und ich haben es zusammen eingerichtet“, sagte Ruby.

Anna versuchte vergeblich, die Tür zu öffnen.

Ruby stemmte sich dagegen. „Oh nein. Princess muss sich davor platziert haben. Könntest du mir mal helfen bitte?“, fragte sie, da Anna sie nur beobachtete.

„Tut mir leid. Ich spüre so ein Ziehen in den Armen“, gab diese schmunzelnd zurück.

„Na klasse. Danke auch.“

Ruby schaffte es schließlich, die Tür ein Stück weit zu öffnen. Als Anna dann den Namen der Hündin, die schon ein wenig schwerhörig war, rief, gab die Tür vollends nach, sodass Ruby beinahe ins Zimmer gefallen wäre. Unschuldig blinzelte Princess sie an.

„Danke, Princess. Sehr nett von dir.“ Ruby drehte sich zu Anna um. „Und von dir erst. Du wusstest, dass sie auf dich hören und von allein zur Seite gehen würde, nicht wahr?“

„Ich sage nichts ohne meinen Anwalt.“ Anna schob sich ins Apartment. Lachend vor Glück ging sie in die Knie und schlang ihre Arme um den dicken Hals der Hündin, die ihr Gesicht von oben bis unten abschleckte. Robert würde ausflippen. Er hatte noch nie etwas für Vierbeiner übrig gehabt, schon gar nicht für Princess, und sie oft einen „herumliegenden, nutzlosen Fleischklops mit Behaarung“ genannt. Anna sah sich weiter um, während es sich Princess auf dem Teppich gemütlich machte und die Augen schloss.

Das Wohnzimmer war mit einem Glastisch, mehreren Schränken, einem Flatscreen-TV, modernen Kunstdrucken, einer Ledercouchgarnitur und einem hellgrünen ovalen Teppich sowie diversen Blumen und Pflanztöpfen ausstaffiert. Die Schränke waren allesamt bunt beleuchtet. In ihren Vitrinen befanden sich allerlei Dekosachen.

„Es gibt auch eine Bar.“

Ruby zog eine Schrankwand auf, in der sich Wein- und Sektgläser sowie eine große Auswahl an Flaschen befanden, die durch farbige Strahler beleuchtet wurden. Ein Elvis-Song – „Love me tender“ – ertönte.

„Das hat Rose allein ausgesucht“, bemerkte Ruby und lächelte.

Anna grinste im Weitergehen. „Dachte ich mir.“

Ruby schloss die Bar und folgte ihrer Freundin.

Bunte seidene Gardinenschals hingen an der großen Fensterfront, die auf einen ausladenden Balkon mit kleinem Whirlpool, Topfpalmen und einer Liegecouch führte. Von dort aus konnte man in den rückwärtigen Garten blicken, der ebenso fantastisch angelegt war wie der vordere Teil. Anna entdeckte, dass sich in der Brüstung eine Tür befand, und ging hinaus. Durch die Tür der Brüstung gelangte man auf eine enge, gusseiserne Wendeltreppe, die direkt in den Garten führte.

„Praktisch, oder? So kannst du kommen und gehen, ohne dass es jemand mitbekommt“, sagte Ruby und setzte ein spitzbübisches Schmunzeln auf.

„Ja, ihr habt wirklich alles durchdacht.“

„Bis ins kleinste Detail.“

Wieder im Innenraum betrat Anna ein angeschlossenes, mit dunklen Fliesen und allerlei Strahlern ausgestattetes Bad, das mit bunten Handtüchern und flauschigen Matten bestückt war.

„Die Küche unten nutzt ihr gemeinsam. Das ist doch in Ordnung, oder?“

„Klar!“

Ruby ging zu einer weiteren Tür. „Dahinter ist dein Schlafzimmer.“

Schon drückte sie den goldenen Türknauf in Form einer Rosenblüte nach unten, öffnete die Tür und blieb im Rahmen stehen. Im Inneren des Zimmers erstrahlte ein Himmelbett in Weiß und Zartrosa. An der gegenüberliegenden Wand thronten ein Spiegelschrank und eine schicke grasgrüne Schminkkommode.

„Sorry, dass es letztendlich doch etwas schnell ging. Aber es war nicht leicht, alle Männer an einem Tag terminlich unter einen Hut zu bekommen. Und dazu Dr. Eugene. Du kannst deine Klamotten und was du sonst noch brauchst ja später holen. Ich helfe dir. Ach und noch etwas: Deine Dates wissen, dass du in einer Villa wohnst, und dass diese dir erst einmal nur für einen bestimmten Zeitraum überlassen wurde.“

„Das ist gut!“

Ruby schob Anna ins Schlafzimmer und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.

„Ich hole schnell die Sachen, die wir für dich in London gekauft haben. Die sind noch im Kofferraum“, jubelte sie und bekam hektisch-rote Wangen. Sie wirkte sogar einen Tick aufgeregter als Anna selbst.

Anna setzte sich auf das weiche Bett und strich mit den Fingern über die zarten Laken.

„Mein Gott, Grandma. Du verrückte Nudel“, flüsterte sie, ließ den Blick noch einmal schweifen und glaubte zu träumen.

***

Noch immer versuchte Anna, sich in das rote Cocktailkleid zu zwängen, das Ruby ihr aufgeschwatzt hatte. Mit verkniffenen Mundwinkeln drehte sie sich vor dem Schrankspiegel. Erst rechts, dann links, dann Schulterblick – und Schock! Ihr Po sah aus wie zwei zusammengepresste Melonen. Das ging ja nun mal gar nicht. Sie ging zu Princess und hielt ihr ihre Rückseite entgegen. Der Hund schlummerte noch am selben Platz und verdeckte die Augen mit einer Pfote. Das war Kommentar genug. Sie ging zurück.

„Princess findet es auch nicht gut. Klar, hast du die Heckansicht übersehen?“, fragte Anna. „Unmöglich sieht das aus. Vergiss es, das ziehe ich auf keinen Fall an.“

„Quatsch. Männer mögen das so.“

Anna schüttelte den Kopf und griff nach ihrer Alternative, die sie Gott sei Dank im letzten Moment noch in einem Laden gefunden hatte. Es war eine graue Jeans im Marlene-Stil, dazu eine rote fließende Bluse und Ruby zuliebe die schwarzen Pumps.

„Das ist zu unauffällig. He, du triffst gleich zehn Traummänner. Da sollte man sich …“

„Sie sollen die wahre Anna kennenlernen. So wie ich jetzt bin. Ich möchte keine Maske aufsetzen.“

„Du trägst seit Jahren eine Maske, Liebes, weil du dich selbst immer mehr vernachlässigt hast.“

„Aber du verpasst mir eine zusätzliche, wenn du mich in den Fummel zwingst.“

Ein wahres Wunder geschah, denn Ruby gab sich geschlagen und nickte. „Meinetwegen. Dann hör wenigstens bei den Haaren auf mich. Trag sie offen und setz die neue Brille auf, wenn du schon keine Kontaktlinsen möchtest. Allerdings gibt es inzwischen sicher bessere als damals. Dadurch würden deine himmelblauen Augen und deine niedlichen Sommersprossen viel besser zur Geltung kommen. Die Brille lenkt von allem ab.“

„Wow. Ich hätte nicht gedacht, dass du so schnell aufgibst.“ Anna spitzte die Lippen.

„Na ja, im Grunde hast du ja recht. Du musst allein zu dir finden. Du kennst mich doch“, sagte Ruby.

„Ja, du ungeduldiges Wesen“, erwiderte Anna, woraufhin beide lachen mussten.

Mit ihrem eigenen Stil fühlte sich Anna bedeutend sicherer und wohler. Außerdem hatte das Ganze Farbe und Helligkeit, was schon einmal eine Verbesserung gegenüber ihren sonst weitgehend erdfarbenen Klamotten war, wie sie stolz feststellte. Nachdem Ruby sie dezent geschminkt hatte, konnte es losgehen.

Anna atmete tief durch, als sie auf die Veranda traten. Bevor Ruby zu Dr. Eugene ging, der wenige Meter entfernt stand und alles gut im Blick hatte, spuckte sie Anna andeutungsweise über die Schulter, was ihr Glück bringen sollte. Dieses Ritual hatte Ruby von ihrer Mutter, wie sie ihr erzählte. In Annas Bauch flatterten Schmetterlinge, und er gurgelte in regelmäßigen Abständen von zehn Sekunden. Sie betete, dass sich das Ganze legen würde, sobald der erste Mann in Sichtweite kam. Doch genau das Gegenteil war der Fall. Sie überlegte. Es gab nur zwei Möglichkeiten: davonrennen oder die Geräusche mit lauten Worten übertönen. Letztendlich entschied sie sich für die zweite Variante, als ihr erstes Date aus seinem Wagen, einem roten BMW Cabrio, stieg. Sein Anblick brachte ihren Bauch noch mehr in Wallung. Umso mehr genoss sie den milden Wind, der ihre erhitzten Wangen kühlte. Verdammt, der Typ sah mehr als gut aus! Bestimmt versteckte sich unter seinem weißen Hemd, das er lässig zu einer schwarzen Jeans trug, ein Sixpack. Die weißen Sneakers glänzten im Sonnenschein. Langsam kam er auf Anna zu und lächelte sie an. Strahlende weiße Zähne, markantes Gesicht, dunkle Augen, markante Brauen, volles braunes Haar. Beinahe zu perfekt. Anna merkte, dass sie die Luft anhielt, und atmete langsam aus, während sie einen kurzen Blick zu Ruby wagte, die ihr zuzwinkerte und sich mit den Händen Luft zufächelte.

„Hallo“, begrüßte Mr Dream Anna, reichte ihr aber nicht einmal die Hand. Die Irritation darüber schob sie beiseite. Sein Äußeres und diese warme, tiefe Stimme ließen sie beinahe dahinschmelzen.

„Hallo“, entgegnete sie. Wie einfallsreich von ihnen beiden.

Er sah sich kurz um und widmete seine Aufmerksamkeit wieder vollends ihr. Sie trat von einem Fuß auf den anderen, denn sie spürte genau, dass ihr Bauch gleich seinen Senf dazugeben würde.

„Schön ist es hier, nicht wahr? Schön, dass Sie da sind“, sagte sie laut, während sie bereits ein Gurgeln hörte, das zum Glück nur kurz anhielt.

„Ich bin nicht schwerhörig, Miss. Aber ja, ist es. Sagen Sie, wo …?“

Nein, nicht schon wieder. Förmlich spürte Anna, wie sich ihr Bauch wölbte.

„Ja, wow. Das dachte ich auch, als ich vorhin angekommen bin. Wow, wow, wow … wie schön, wie schön.“ Sie lachte mit dem Gurgeln um die Wette und klatschte in die Hände. Drei Sekunden später kehrte Ruhe ein.

„Wie gesagt … ich bin nicht schwerhörig. Sie vielleicht?“, entgegnete ihr erstes Date laut und schüttelte leicht den Kopf.

Verlegen nickte Anna und kam sich mehr als bescheuert vor. Ruby zuckte verständnislos mit den Schultern und tuschelte mit Dr. Eugene.

„Also, wo ist sie denn jetzt?“, wollte der Traumtyp wissen.

„Wen meinen Sie mit sie?“, fragte Anna.

„Ich meine die Traumfrau, wegen der ich verdammt noch mal extra aus Brighton hierhergefahren bin. Anna Nash.“

Für einen Moment glaubte Anna, ihr würde der Boden unter den Füßen weggezogen. Sie schluckte schwer, bevor sie antwortete. „Ähm ja. Sie ist schon da.“

„Tatsächlich? Und wo? Und wer sind Sie? Die Haushälterin?“

Anna räusperte sich und bekam einen Schweißausbruch, der ihr die Bluse am Rücken kleben ließ. Wieder meldete sich ihr Bauch, als wollte er ihr zurufen, endlich aus der Reserve zu kommen.

„Das bin ich! Ich bin Anna Nash“, rief sie, als das Gurgeln anhielt.

Sämtliche Gesichtsmuskeln des jungen Mannes schienen gleichzeitig zu erschlaffen.

„Sie sind das?“

Dieses Mal war er es, der laut wurde und dann kurz auflachte, woraufhin ihr Bauch richtig ausholte. Sie beugte sich vor, wobei ihr die Brille von der Nase rutschte. Nun war es wirklich das wortwörtliche Blind Date. Ohne Brille sah sie nahezu nichts außer verzerrter Umrisse und einer verschwommenen Umgebung.

„Entschuldigung. Alles okay?“, hörte sie den Traummann fragen.

Anna winkte ab, ging in die Hocke und tastete den Boden ab, um die Brille wiederzufinden. Danach wollte sie sich aus dem Staub machen. Das hier war doch nichts für sie, das hielten ihre Nerven nicht durch.

„Hier. Ihre Brille“, hörte sie ihr Date sagen und richtete sich langsam auf. Sein Gesicht war noch immer verschwommen, aber sie erkannte dennoch, dass er sie musterte. Sie lockerte die steife Haltung, die sie zuvor eingenommen hatte, da es nun auch egal war. Sie war sicher, dass ihr erstes Date sowieso gleich Reißaus nehmen würde, und stellte sich lässig vor ihn. Plötzlich hörte sie ihn sagen: „Wow. Da sind Sie ja. Ja, Sie sind es wirklich.“

Was meinte er damit? Anna streckte ihre Hand aus, und Mr Unbekannt legte die Brille hinein. Sie wollte sie sich gerade aufsetzen, da hielt er sie sanft davon ab, indem er ihre Hand berührte.

„Diese Augen, dieser Blick, diese Haltung. Wenn Sie nun noch lächeln, dann bin ich wieder so hin und weg wie damals, als ich zum ersten Mal Ihr Foto gesehen habe.“

War das sein Ernst oder nahm er sie auf den Arm? Leider hielt das Bauchgrummeln noch immer an.

„Entschuldigung“, murmelte sie und räusperte sich, um es zu übertönen.

„Für was? Für das süße Grummeln?“

„Sie … Sie haben es also die ganze Zeit gehört? Toll!“

„Ja und? Das ist die Aufregung. Das kenne ich zu gut“, erwiderte er.

„Oh. Na ja, ich bin ziemlich nervös“, gab Anna zu. Es tat gut, offen zu sein, stellte sie fest.

„Da haben wir ja noch eine Gemeinsamkeit. Sorry wegen eben. Das war nicht gerade nett von mir. Sie sehen auch mit Brille …“

„Ich weiß, dass die nicht gerade hip ist.“

Sie lachten beide wie Teenager. „Na ja, ich würde sagen, sie ist einfach zu plump für Ihr zartes Gesicht.“

Zartes Gesicht? Das wurde ja immer besser. Anna konnte durchatmen und fühlte sich mit einem Mal leichter. Hatte Christian wirklich recht gehabt?

„Wenn Sie strahlen, sehen Sie noch einmal so hübsch aus. Man muss nur genau hinsehen.“

Oh! Okay. Genau hinsehen also. Ja klar, das wusste sie doch. Nur, es freiheraus gesagt zu bekommen, war immer noch einmal etwas anderes.

„Wollen wir nicht persönlicher werden in der Anrede? Ich bin Benedict Stark. Nenn mich Ben.“

„Okay. Ich bin Anna.“

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, um auf das Du einzuschlagen, verfehlte sie aber. Schnell setzte sie sich die Brille auf.

„Hallo Anna. Freut mich.“ Nun, bei klarer Sicht, klappte es auch mit dem Handschlag.

„Mich auch!“

„Deine kleinen Rundungen finde ich ganz süß. Ich bin Halbitaliener, besitze eine Pizzeria. Wie sähe da denn eine Freundin aus, die wie ein Spargel daherkommt? Das wäre keine gute Werbung. Außerdem haben Frauen mit üppigeren Kurven mehr Temperament, das sie aber nur herauslassen sollten, wenn man mit ihnen allein ist.“

Langsam und nachdenklich nickte Anna. Einerseits gefiel ihr, was er sagte, andererseits … Der Gedanke verpuffte, da Ruby zu ihnen stieß, Ben begrüßte und Richtung Villa zeigte.

„Drinnen stehen Häppchen und Sekt bereit. Sie können sich schon einmal ein Zimmer im Obergeschoss aussuchen.“

„Ja, klar. Mache ich doch glatt“, entgegnete Ben, zwinkerte Anna zu und holte seine Sachen aus dem Auto, während zwei weitere Wagen vorfuhren.

Ein Erbe zum Verlieben

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