Читать книгу Ein Erbe zum Verlieben - Nadine Stenglein - Страница 9

Cyberspace

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Robert ging nicht einmal an sein Handy. Feigling! Geschweige denn bedankte er sich dafür, dass Anna ihm aus der Patsche geholfen hatte.

„Hast du tatsächlich ein Danke von diesem … diesem – oh mir fehlt das passende Wort – erwartet? Mein Gott, der Typ hätte dir etwas antun können.“ Ruby rührte immer heftiger mit dem Löffel in ihrem Kaffee, das Gesicht puterrot vor Entrüstung, seit Anna ihr erzählt hatte, was passiert war. Ihre Stimme hallte durch das Atelier. Das Bild, welches Christian von Anna gemalt hatte, war ein Highlight der Ausstellung gewesen und hatte bereits einen Käufer gefunden. Ruby drückte ihr plötzlich eintausend Pfund in die Hände.

„Wofür ist denn das? Ich will mir nichts von dir leihen und auch nichts geschenkt, Ruby.“

Anna reichte ihr das Geld zurück, doch Ruby nahm es nicht an.

„Es ist nur eine Provision vom Gewinn, sozusagen. Behalte es. Darauf bestehe ich! Und Christian auch.“

Anna staunte. „Okay. Wenn das so ist. Wow, danke.“

„Das sollte dir ein Ansporn sein, wieder die Anna Nash zu werden, die ich kannte. Du wirst sehen, die Jungs werden dich dabei unterstützen. Ich bin echt mehr als glücklich, dass du das Ganze nun durchziehen willst.“

Ruby umarmte sie so fest, dass Anna glaubte, sie würde ersticken.

„Na ja, mir rücken die Gläubiger immer mehr auf die Pelle. Habe ich eine Wahl?“, keuchte sie.

Ruby ließ sie los.

„Es geht um viel mehr, Anna“, sagte sie, noch immer lächelnd. „Und jetzt sehen wir mal, was du anziehen wirst. Was hältst du von einer Shoppingtour? Besonders nach diesem Erlebnis brauchst du Ablenkung.“

„Ich glaube, das verschieben wir. Ich bin viel zu aufgeregt.“

Am liebsten hätte sie sich zwei Valium eingeworfen und sich wieder ins Bett verzogen. Aber Ruby ließ nicht locker, bis sie Anna so weit hatte. Die Geschmäcker der beiden waren allerdings so verschieden, dass sie bereits im ersten Laden heftig zu diskutieren begannen. Ruby fand das, was Anna aussuchte, zu mäuschenhaft, Anna hingegen Rubys Wahl schlicht und einfach zu grell und gewagt.

„Diese knallgelbe knielange Jacke ist doch todschick. Dein Kostüm dagegen … sieh es dir einmal genauer an. Willst du es zu einem Vorstellungsgespräch in der Bank tragen? Weg damit! Das ist dein altes Ich.“ Ruby nahm Anna das graue Kostüm aus den Händen und zeigte auf eine schwarze Jeans mit Strassbesatz, ein blau-rotes Tuch und eine rosa Bluse mit schwarzen Herzen. Dazu empfahl sie High Heels mit mindestens zehn Zentimeter hohen Absätzen.

„In den Dingern kann ich nicht laufen. Ich bleibe lieber bei meinen Turnschuhen.“

„Nur probieren, Anna. Glaub mir, das ist cool.“

„Ich bin aber nicht mehr cool. Ach, weißt du was, vielleicht ist das Ganze doch keine gute Idee.“

Ruby atmete aus und schob Anna Richtung Umkleide. Die Verkäuferin folgte ihnen mit zwei Teilen, die Ruby und sie ausgesucht hatten. Zu Annas Ärger schaffte ihre Freundin es, diese Wildfremde auf ihre Seite zu ziehen, was sie ihr auch leise sagte.

„Ich brauchte die Verkäuferin gar nicht auf meine Seite ziehen, Anna. Jeder sieht, dass du dir mehr zutrauen kannst.“

Zwei gegen einen. Anna gab sich geschlagen. Sie ging in die Umkleide und ließ sich Bluse und Hose geben. Unmittelbar nach dem Schließen löste sich der Knopf der Hose und sprang gegen den Vorhang der Umkleide.

Anna atmete aus. „Das passt nicht, Ruby.“

„Ich glaube das jetzt nicht“, hörte sie ihre Freundin murmeln.

Anna zog den Vorhang ein Stück zur Seite. „Was ist denn?“

Ruby drängte sich zu ihr in die Umkleide und zog den Vorhang wieder zu.

„Pst. Da draußen sind Robert und seine Tussi.“

„Was? Wo sind sie?“

„Na, im Laden. Sie sind gerade gekommen.“

„Ganz klasse“, erwiderte Anna und zupfte an ihrem hautfarbenen BH.

Ruby warf einen kurzen Blick darauf.

„Definitiv brauchen wir auch noch Unterwäsche“, murmelte sie. Anna verdrehte die Augen.

Im selben Moment hörten sie Roberts Stimme und drückten sich dicht nebeneinander an die gegenüberliegende Wand. Seiner Angebeteten konnte er aus Geldmangel ja wohl schlecht etwas kaufen. Anna war gespannt, wie er sich aus der Affäre ziehen würde, falls, und davon ging sie aus, Evie dennoch etwas haben wollte. Nun, Robert war nicht auf den Mund gefallen. Ihm würde schon eine Ausrede einfallen.

„Ich habe es dir doch versprochen, Schatz. Such dir aus, was immer du willst“, hörte Anna ihn säuseln.

Ruby und sie tauschten verwunderte Blicke. Anna wurde heiß und ihr Bauch begann vor Aufregung, laut zu grummeln. Sofort presste sie eine Hand darauf.

„Wollen Sie vielleicht diese hier einmal probieren? Die ist zwei Nummern größer“, bemerkte die Verkäuferin, zog den Vorhang halb auf und reichte eine knallrote Jeans herein. Ruby riss sie ihr wortwörtlich aus den Händen und schloss den Vorhang wieder.

„Meinst du, er hat uns gesehen?“, fragte Anna.

Ihre Freundin schüttelte den Kopf.

„Wie viel darf es denn kosten, Robbie?“

Robbie? Sie nannte ihn Robbie? Er flippte jedes Mal aus, wenn Anna ihn so nannte. Kosenamen waren ein rotes Tuch für Robert. Er fand sie zu niedlich und peinlich obendrein.

„Dreihundert mindestens, Schatzbär.“

„Dreihundert?“, stießen Ruby und sie gleichzeitig aus.

„Schatzbär?“, fügte Anna hinzu.

Vor Empörung vergaß sie, dass sie nur Unterwäsche trug und schoss aus dem Versteck hervor wie eine Furie. Was bildete Robbie-Schatzbär sich ein? Das war zu viel für sie. Allerdings stoppte sie abrupt, als sie sah, dass er den gelben Umschlag aus seinem Jackett zog, den sie vor einigen Stunden diesem Gangster in die Hände gedrückt hatte. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Es war ein abgekartetes Spiel gewesen, um doch noch an den Vorschuss zu kommen.

Als Robert sie erkannte, steckte er den Umschlag schnell wieder ein und schluckte. „Anna! Hallo! Was für … ein Zufall“, stotterte er, räusperte sich, straffte die Schultern und fuhr mit festerer Stimme fort: „Meine Güte, zieh dir doch bitte etwas über. So kannst du unmöglich herumlaufen.“

„Warum … warum tust du das?“, erwiderte Anna, während ihr das Herz bis zum Hals schlug und ihr fast den Atem nahm. Schwindel überkam sie.

„Was meinst du denn, Anna?“

„Du hast mich verarscht und ausgenutzt“, brachte sie heraus.

„Ich? Dich? Das würde ich nie tun“, entgegnete er, und Evie neben ihm nickte. Sie betrachtete Anna mit ihren großen Augen von oben bis unten. Ruby trat zu Anna und legte ihr eine Jacke um die Schultern.

„Es war wohl eher immer umgekehrt“, flüsterte Evie.

Anna versuchte, Luft zu holen. „Du hast diesen grauen Momo-Typen zu mir geschickt, um das Geld für dich zu holen. Du weißt genau, dass ich mich seit meiner Kindheit vor den grauen Herren fürchte. So ist es doch. Er hat mich sogar mit einer Waffe bedroht. Ich sollte zur Polizei gehen und …“

„Ja, mach das, wenn du meinst. Aber wie willst du das beweisen? Ich weiß ehrlich nicht, von welchem Typen du sprichst. Aus Momo? Der Geschichte? Was hast du eingenommen?“

„Zeig mir bitte das Kuvert. Das gelbe in deinem Jackett.“

Robert schüttelte den Kopf. Evie hängte sich bei ihm ein.

„Komm, Schatzbär, wir gehen. Sie ist nicht nur unförmig, sie ist auch wirklich seltsam“, bemerkte sie.

Anna wollte etwas erwidern, doch die Worte stauten sich unter dem Kloß in ihrer Kehle.

„Du armer Wicht“, rief Ruby Robert hinterher, der zusammen mit seiner Allerliebsten das Weite suchte. „Verdammt, Anna. Dem hättest du viel mehr einheizen müssen!“

Anna nickte. Ruby hatte verdammt recht. So einfach sollte er ihr dieses Mal nicht davonkommen. Das Adrenalin, das plötzlich durch ihre Adern schoss, fühlte sich an wie ein Turboantrieb. In diesen Momenten war ihr alles egal – scheißegal. Mit großen Schritten stürzte sie barfuß Richtung Ausgang und verlor dabei die Jacke, die Ruby ihr umgehängt hatte. Keinen Cent sollte Schatzbär behalten!

„Zieh dir doch erst was an“, rief Ruby ihr nach, aber es war zu spät: Anna stand bereits mitten auf der Einkaufsstraße von Wallingford und fühlte sich wie im Vollrausch. Robert warf einen Blick über die Schulter, nahm Evie an die Hand und beschleunigte seinen Schritt.

„Meine Schuhe, Robbie. Nicht so schnell“, protestierte Evie und knickte wenige Schritte weiter prompt darin um. Ihr heller Aufschrei erzeugte für einen Moment mehr Aufmerksamkeit bei den vorübereilenden Leuten als Anna.

„Du fette Kuh. Alles wegen dir. Meine neuen italienischen Schuhe sind ruiniert!“, schrie Evie, rieb sich den Knöchel und brach gleich darauf in Tränen aus. Etwas, das Robert völlig aus der Fassung brachte.

„Schämst du dich gar nicht, hier so aufzutreten, Ananas? Sieh dich mal an“, brüllte er in Annas Richtung. Einige Passanten starrten sie entsetzt an, andere lachten, manche schossen sogar Fotos mit ihren Handys. Plötzlich war Ruby hinter ihr und warf ihr abermals die Jacke über, um sie gleich darauf Richtung Laden zu zerren. Dort stürzte Anna sich regelrecht in Rubys Arme und begann zu schluchzen. Sie fühlte sich nicht mehr nur fast nackt, sondern auch benutzt, ausgelacht und gedemütigt. Mal wieder hatte Robert Voss es geschafft, auf ihrer Seele herumzutrampeln. Der Mann, der ihr früher alles bedeutete, mit dem sie hatte alt werden wollen.

„Denk an die Blind Dates und verbuch den Typ unter Müll“, versuchte Ruby sie aufzumuntern. Nachdem sich Anna ein wenig beruhigt hatte, sah sie Ruby ins Gesicht.

„Okay, ich versuche es. Wann geht es los?“

„Morgen Abend wirst du einen nach dem anderen kennenlernen. Dr. Eugene und ich halten uns im Hintergrund.“

Anna nickte. „Wenn Dr. Eugene keiner von den zehn angeblichen Traummännern ist, ist es okay. Obwohl er nett ist.“

Ruby lachte und stupste ihre Freundin an. „So gefällst du mir schon besser. Aber bitte … renn nie wieder so auf die Straße.“

Anna nickte.

„Mir ist die Sicherung durchgebrannt.“

„Was kein Wunder ist.“

Ihre Schläfen pochten immer noch vor Aufregung und Wut. Robert Voss! Am liebsten hätte sie diesen Namen aus ihrem Gedächtnis radiert.

***

Schon auf dem Weg in die Schule rebellierte Annas Bauch. Eine böse Vorahnung? Wohl eher die Nervosität vor den Dates am Abend. Ihre Gedanken daran lösten sich schnell in Luft auf, als sie den Schulhof überquerte. Einige Schüler reckten ihre Köpfe nach ihr, was ihr seltsam vorkam. Dass manche innehielten, als sie an ihnen vorüberging, ließ sie beinahe zusammenzucken. Noch nie hatte sie so viel Aufmerksamkeit erregt – den Tag zuvor ausgeklammert. Manche Schüler begannen jetzt sogar, zu kichern und zu tuscheln, andere starrten Anna mit großen Augen an, wieder andere schüttelten die Köpfe. So wie Direktor Greenhorn, der ihr strammen Marsches entgegeneilte und sie mit ernsten Blicken musterte. Er nahm sie wahr. Ein mehr als ungutes Zeichen. Da war etwas im Busch. Anna sah an sich hinunter und betastete schnell ihren Po und soweit es ging auch ihren Rücken.

„Ist etwas?“, fragte sie ihn, da Greenhorn dicht vor ihr stehen blieb. Er ergriff ihren rechten Oberarm.

„Gehen wir ein paar Schritte“, sagte er. Seine Wangen glühten, er war merklich aufgebracht.

„Was ist denn los?“, fragte Anna, als er sie wieder losgelassen hatte und sie wie ein Hündchen neben ihm herlief.

Dabei bemerkte sie, dass Greenhorn Schweißperlen über die breite Stirn liefen und auf seiner kleinen kartoffelförmigen Nase hängen blieben, die ihrem Gesicht gefährlich nahe kam. Mit zittrigen Fingern zückte er sein Handy und hielt es ihr wie eine Waffe entgegen.

„Meine Tochter hat das heute Morgen im Internet entdeckt. Das hat ein Schüler gemacht. Gut, dass es weitgehend unscharf ist. Aber dennoch sind Sie ganz gut zu erkennen. In das Filmchen wurde ja leider auch Ihr Name eingefügt und wie nebenbei auch noch, wo Sie arbeiten. Hier! Ist das nicht …“ Er musste sich merklich zügeln, um nicht restlos auszuflippen. Wie hypnotisiert warf Anna einen Blick aufs Display. Ein Video lief dort ab. Bevor sie überhaupt etwas erkennen konnte, tippte ihr Chef wie wild auf das Display und flüsterte hektisch: „Miss Anna Nash, das ist eine Schande. Die ganze Schule lacht über Sie. Und nicht nur die Schule. Herrgott noch mal. Halbnackt durch die Stadt und dazu noch … na ja, lassen wir das.“

Anna wurde heiß, dann kalt, dann wieder heiß. Sie rückte ihre Brille zurecht und hob das Handy an. Nein, lieber Gott, lass das nicht wahr sein, durchfuhr es sie. Doch es war wahr. Jemand hatte sie gefilmt, als sie Robbie-Schatzbär und seiner Neuen hinterhergeeilt war. Ihre Augen weiteten sich, langsam ließ sie die Blicke über den Hof schweifen und schluckte mehrfach. Mittlerweile starrten fast alle Schüler sie an.

„Was haben Sie sich dabei gedacht?“, fragte Greenhorn und musterte sie kopfschüttelnd.

„Er … also Robbie-Schatzbär, quatsch Robert, hat mich bestohlen … sozusagen.“

„Was soll das heißen? Dass er Ihre Klamotten geklaut hat und Sie deshalb fast nackt waren?“

Anna erklärte es ihm, doch irgendwie hörte er ihr nicht richtig zu.

„Das Telefon im Sekretariat klingelt pausenlos, darunter sind viele Verrückte, die wissen wollen, ob alle Lehrer an unserer Schule so lässig trendy sind. Ich drücke das noch vornehm aus. Das ist … mehr als peinlich. Wir sind ein ordentliches Haus.“

Seine Worte trafen sie so hart, dass die Umgebung sich zu drehen begann.

„Gehen Sie für heute nach Hause. Und dann geben Sie alsbald eine Erklärung ab, rücken Sie sich wieder ins rechte Licht. Oder ich muss Sie entlassen, Miss Nash“, fuhr er sie an und ließ sie dann stehen.

Das konnte doch alles nur ein Albtraum sein. Anna senkte den Blick und rannte zu ihrem Käfer, der auf dem Schulgelände parkte. In diesem Moment hielt ihr Kollege George Lancaster in seinem weißen Porsche neben ihr. Auch das noch, dachte sie. Georgie stieg aus und erinnerte an ein Model, von Kopf bis Fuß gestylt und sexy. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass er ein Grübchen in der rechten Wange hatte, wenn er ihr dieses hochnäsige Lächeln zuwarf. Rasch blickte sie in die andere Richtung. Seine Augenfarbe zu bestimmen, war ihr bisher nicht gelungen. Sie schwankte zwischen Blaugrün und Braungrün, manchmal auch nur Blau. Vielleicht war er in Wirklichkeit ein Alien? Und wenn schon. Hauptsache, er ließ sie in Ruhe und entführte sie nicht in irgendeine seltsame Galaxie. Obwohl das im Moment gar keine so schlechte Alternative wäre, dachte sie.

„Gehen Sie schon wieder, Miss Ananas?“

Sie gab ihm keine Antwort und stieg ein, da entdeckte sie an der Windschutzscheibe ihres Autos einen Zettel, der eine Oma in Unterwäsche zeigte. Lancaster schnappte ihn sich und reichte ihn ihr. Mit großen Augen starrte sie ihn an, obwohl sie nicht wollte. Und er starrte zurück. Plötzlich spürte sie, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten. Nein, nein jetzt bloß nicht vor diesem Snob, dachte Anna, zerriss den Zettel, warf ihn hinaus, schloss die Tür und schaffte es irgendwie, den Motor zu starten und loszufahren.

***

„Schöner Mist. Hast du den Betreiber der Plattform informiert?“

„Die haben das Video runtergenommen. Zum Glück ist es nirgends sonst aufgetaucht. Ich habe alles durchstöbert, was mir eingefallen ist“, sagte Anna und zog sich die Decke über den Kopf.

„Nichts da“, erwiderte Ruby, setzte sich auf die Bettkante und grub ihre Freundin wieder aus. Annas Gesicht brannte von den vielen Tränen. Der Spontanurlaub, den Greenhorn ihr bewilligt hatte, war nun dringend nötig. Letztendlich kam es ihr vor, als wäre er sogar sehr froh darüber. Zu einer Stellungnahme war Anna zu feige. Die Scham war zu groß. Sie brauchte noch Zeit dafür. Allerdings hatte sie Greenhorn zugesagt, dass sie das nach dem Urlaub erledigen würde. Ein Gutes hatte dieser ganze Cyberschlamassel dann doch, denn ihre Klasse schien Mitgefühl zu haben und schickte ihr einen riesigen Blumenstrauß.

„Die Leute vergessen schnell. Du wirst sehen“, versuchte Ruby, sie aufzumuntern und tupfte ihr mit einem Tuch die Tränen vom Gesicht.

„Robert wird sich ins Fäustchen gelacht haben, wenn er den Film gesehen hat. Genau wie dieser George William Lancaster. Und wenn ich erst an diese Evie denke. Oh Gott, und ich habe total vergessen, dass es morgen Abend schon losgehen soll.“

Ihr Herz begann zu rasen. „Was ist, wenn meine bevorstehenden Dates auch von der Sache gehört haben?“ Sie winkte ab. „Nein, nein. Ich … ich kann das nicht. Nicht jetzt.“

Schnell griff sie nach der Bettdecke und zog daran, doch Ruby hielt sie fest, weshalb sich Anna auf die Knie setzte, um sie ihr zu entreißen.

„Komm schon, Ruby, gib her. Ich brauche meine Höhle jetzt. Ich muss nachdenken.“

„Du sollst nicht mehr nachdenken, sondern machen! Los, aufstehen. Wir gehen noch einmal shoppen. Und zwar in London!“

„Höhle!“, erwiderte Anna jammernd und zog noch fester. Ruby aber weigerte sich. Resigniert ließ Anna schließlich los, was zur Folge hatte, dass ihre zwar nervige, aber allerbeste Freundin einen unfreiwilligen Salto rückwärts hinlegte und mit dem Kopf gegen die Kommode knallte. Für einen Moment erstarrte Anna. Panisch stieg sie aus den Federn und robbte zu Ruby, die reglos dalag.

„Mein Gott. Tut mir leid, tut mir leid. Ruby? Du bist doch nicht etwa …?“

Leicht tätschelte sie Rubys Wange. Nichts passierte.

„Ruby!? Gott. Krankenwagen. Beides. Schnell!“ Sie wollte aufstehen, woraufhin Ruby die Augen aufschlug und ihr lächelnd zublinzelte. „So schnell wirst du mich nicht los“, sagte sie.

Anna wich zurück und atmete aus. „Verdammt, du hast mir einen riesigen Schrecken eingejagt.“

Langsam setzte Ruby sich auf und rieb sich den Hinterkopf.

„Sorry! Für einen Moment war ich wirklich weg.“

Anna half ihr vorsichtig auf die Beine.

„Alles okay?“

„Mein Schädel brummt nur ein wenig.“

„Wir sollten ins Krankenhaus fahren. Vielleicht hast du eine Gehirnerschütterung. Damit ist nicht zu spaßen.“

Ruby winkte ab. „Quatsch. Mein Kopf ist hart wie Marmor. He, ich habe etwas gut bei dir für die Aktion. Also gehen wir jetzt auf der Stelle shoppen.“

Anna verdrehte die Augen und nickte. Was blieb ihr auch schon anderes übrig? Allerdings beschloss sie, das Haus in den nächsten Tagen nur mit schwarzer Kurzhaarperücke und Sonnenbrille zu verlassen. Sicher war sicher.

Ein Erbe zum Verlieben

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