Читать книгу Ein Erbe zum Verlieben - Nadine Stenglein - Страница 8

Die Entscheidung

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Wieder zu Hause, brachte Anna das eigene Spiegelbild allerdings wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Und nicht nur dieses. Auch Robert! Der folgte Rubys Einladung am nächsten Abend tatsächlich. Anna versteckte sich in dem Raum, in dem sie auf Leinwand verewigt worden war, und lugte durch den Türspalt. Auch Christian war anwesend und wie sie und Ruby gespannt auf Roberts Gesicht. Robert war gekleidet wie so oft – cremefarbener Anzug, die zwei obersten Knöpfe des roten Hemdes leger geöffnet, dazu braune Lederschuhe. Lächelnd plauderte er mit den anderen Gästen. Besonders für die Damen nahm er sich Zeit. Anna fiel jedoch auf, dass er dünner und bleicher geworden war. Was Ruby in Wirklichkeit von ihm hielt, schien ihm egal zu sein. Wenigstens kam er ohne Begleitung und ohne weitere Zettel. Dafür hatte er Anna gestern eine SMS geschickt, wenngleich er wusste, dass sie das Handy nur selten nutzte. Nun, wo sie ihn sah, kribbelte es ihr in den Fingern, ihm doch zu antworten und den Vorschuss zu gewähren. Vielleicht war seine neue Liebschaft bereits in die Brüche gegangen und er sah deshalb so bleich aus. Sie biss sich auf die Unterlippe, als er näherkam, ohne sie zu bemerken. Anna zog die Tür ein bisschen weiter auf, als Robert noch einen Meter von ihr entfernt stand. Sie konnte den herben Duft seines Parfums wahrnehmen.

Nein, verdammt, nicht wieder weich werden, ermahnte sie sich und war dankbar, als er weiterging und die Gemälde an den mit warmem Licht bestrahlten Wänden betrachtete. Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie er sich ihrem näherte. Zwei Bilder davor stoppte er und starrte auf eine Leinwand, auf der eine barbusige Schönheit ihren in Rot- und Goldtönen gemalten Körper lasziv räkelte. Langsam fuhr er sich mit der Zunge über die Oberlippe und nippte anschließend genüsslich an seinem Champagner. Anna seufzte, halb wehmütig, halb wütend. Sie erinnerte sich, dass er sie vor ihrer Hochzeit und danach in ihren Flitterwochen auf den Fidschi-Inseln auch so angesehen hatte, als alles noch neu gewesen war, voller Leidenschaft und Fantasie. Da war sie noch frisch und unverbraucht für ihn gewesen.

Sie hatten sich in einer Bar in London kennengelernt. Anna dachte daran, wie er sie mit seinen Blicken und Worten gestreichelt und es merklich genossen hatte, dass sie nicht gleich auf ihn angesprungen war. Natürlich wollte er das verheimlichen, aber sie hatte ihn durchschaut und das Spiel weitergetrieben, so lange sie konnte. Es hatte ihn schier wahnsinnig gemacht. Zwei Monate vergingen, bis sie ihm dann ihre bedingungslose Liebe gestand. Danach ging alles unwirklich schnell und sie heirateten nur drei Wochen später. Sein Antrag im London Eye war wortwörtlich himmlisch gewesen. „Du hast mich ganz schön hingehalten. Aber nun will ich dich fest an mich binden, damit du mir nicht mehr entkommst. Ich fühle mich endlich angekommen.“

Anna schüttelte den Kopf über sich selbst. Ja, Robert liebte das Jagen und Erlegen. Am Ende war sie ihm in die Falle gegangen. Sie hatte es romantisch sehen wollen, in der Hoffnung, er würde genau wie sie fühlen, wäre tatsächlich angekommen und brauchte keine Spielchen mehr. Nach der Hochzeit war er sich immer sicherer geworden und sein Interesse begann zu schwinden.

Ruby löste sich von einer Traube junger Gäste und stellte sich demonstrativ vor Christians Gemälde. Robert zögerte sichtlich, zu ihr zu gehen, überwand sich dann jedoch. Ruby lächelte verkrampft und er tat es ihr gleich. Oberflächliche Freundlichkeiten wurden ausgetauscht. Anna sah, dass sein Blick urplötzlich an Christians Gemälde hängen blieb und seine Stirn sich in tiefe Falten legte, als Ruby etwas sagte. Ihre Worte gingen in den Stimmen der übrigen Anwesenden unter, sodass Anna nichts verstehen konnte. Plötzlich begann Robert zu schmunzeln und letztendlich herzhaft zu lachen, während Ruby genervt den Mund verzog und kurz in Annas Richtung blickte, ohne dass er es bemerkte. Er trank sein Glas aus und schüttelte den Kopf. Dann sagte er noch etwas und ging. Für einen Moment glaubte Anna, ihr Herzschlag würde aussetzen. Kein Zweifel, er lachte über sie – wieder einmal. Ihr wurde heiß und kalt zugleich, als stünde sie mitten in einer Gewitterfront. Ruby kam in ihren bunten High Heels zu ihr und schloss die Tür hinter sich.

„Dieser Mistkerl“, schimpfte sie.

„Was hat er gesagt?“

Ruby winkte ab. „Dass der Maler wohl eine Brille bräuchte.“

Jetzt war auch Anna nach etwas zu trinken zumute. Sie fühlte sich so nackt wie auf dem Gemälde und ärgerte sich über sich selbst, weil der Stachel seiner Reaktion immer noch mitten ins Ziel traf – ihr Herz. Verdammt, es sollte ihr egal sein.

„Komm mit raus“, sagte Ruby und schob Anna Richtung Tür.

„Ganz sicher nicht. Ich habe ja gleich gewusst, dass das ein Reinfall wird. Ich werde ihm nun nicht auch noch unter die Augen treten. Außerdem … sieh mich an.“

Anna blickte an sich hinunter. Das grüne knöchellange Abendkleid, das sie weit hinten im Schrank gefunden hatte, klebte an ihr wie eine zweite Haut und setzte ihr Hüftgold, wie sie nun fand, perfekt in Szene. Niemals würde sie Robert damit unter die Augen treten. Ruby überlegte nicht lang, kramte nach einer Schere und stellte Anna vor den Spiegel.

„Dir gefällt es so also nicht. Richtig?“

„Absolut richtig!“

Ruby kniete sich neben ihre Freundin. „Gut. Dann vertrau meiner genialen Kreativität.“

„Was wird das?“

„Ein sexy Schnitt. Das Ding ist doch sowieso schon so alt, als stammte es aus einem anderen Leben.“

„Stopp! Meine Beine sind …“, protestierte Anna.

„… toll. Verdammt, Anna. Jetzt halt still.“

Anna gab auf, seufzte und ließ es einfach über sich ergehen. Ruby setzte die Schere zwei Zentimeter über ihren Knien an und begann, den Stoff abzutrennen. Mit gemischten Gefühlen beäugte Anna das Ganze.

„Ich werde ihm nicht gefallen und wieder nur als Witzfigur enden“, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Im Grunde ist Robert völlig nebensächlich. Aber es tut ihm gut, wenn er ein bisschen gereizt wird. Also tritt nun Plan B in Kraft. Der wird dir zudem vielleicht den Schubs für die richtige Entscheidung geben.“

„Ich will keinen Plan B. Macht es dir eigentlich Spaß, in Rätseln zu sprechen?“

Ruby gab keine Antwort, erhob sich und warf einen Blick in den Spiegel. Dann spitzte sie ihre Lippen und eilte in die Umkleide. Anna legte den Kopf schief und zuckte mit den Schultern. So sah das Kleid mit ihr oder sie mit dem Kleid wirklich besser aus und die Beine wirkten, wenn sie auch bleich waren, eigentlich sogar elegant. Sie war erstaunt und schöpfte Mut. Ruby kam mit einem fließenden weißen Stoff zurück, den sie Anna gekonnt über die Schultern legte, sodass er ihren Oberkörper bis zu den Hüften umspielte.

„Jetzt noch die Brille“, bemerkte sie wie nebenbei.

„Dann bin ich blind wie die Blindschleichen in meinem Garten.“

„Aber du wirst nicht blind sein und auch nicht kriechen. Du wirst aufrecht gehen und ihm in die Augen blicken, lächeln und Anna Nash sein. Die Anna Nash. Ruby hat an alles gedacht – tada, Kontaktlinsen.“

„Was? Nein. Ich hasse die Dinger. Die drücken elendig.“

Ruby verdrehte die Augen, ging zur Tür und schielte hinaus.

„Ich glaube es nicht. Langsam benimmst du dich wie eine Diva“, murmelte sie.

„Wirklich? Entschuldige.“

Ihre Freundin winkte sie zu sich. Anna rückte ihre Brille zurecht und sah über Rubys Schulter. Ein lasziv dreinblickender Hungerhaken schmiegte sich an Roberts Seite. Der Schuft hatte wirklich keinerlei Taktgefühl. Er bestellte seine neue Freundin also doch zur Vernissage. Mit ihren schwarzen zwanzig Zentimeter hohen High Heels reichte Evie ihm gerade mal bis zur Schulter. Sie tänzelte um ihn herum. Anna wettete, dass er die letzten Scheine zusammengekratzt hatte, um Evie dieses schwarze und mit Glitzersteinchen besetzte Nichts zu kaufen. Die blonden Haare hatte sie gekonnt hochgesteckt. Während sie die Hüften schwang, verfing sich das Licht der Scheinwerfer in der silbernen Kette, die sie um ihren Hals trug. Evie lächelte wie ein Model für Zahnpasta, als Robert sanft und merklich stolz einen Arm um ihre Schultern legte. Sicher gaukelte er ihr eine tolle Zukunft vor. Oder aber … sie liebte ihn wirklich. Anna schluckte. Ein säuerlicher Geschmack breitete sich in ihrer Kehle aus. Es war vergeblich. Sie war zu wütend, immer noch verletzt, verzweifelt – alles zugleich. Innerlich explodierte sie beinahe, als er auf ihr Bild deutete und Evie etwas zuflüsterte, woraufhin diese kichern musste.

Ruby zückte ihr Handy und wählte eine Nummer. „Wo bist du denn? Es ist schon eine halbe Stunde über der Zeit, mein Lieber. Ja, dann beeil dich. Pronto!“

Anna konnte den Blick nicht von Robert und Evie abwenden. Sie hörte, wie Ruby sich entfernte. Kurz darauf drückte sie ihr eine Champagnerflasche in die Hand.

„Wir sind gleich bei dir. Trink das!“

„Bei dir werde ich noch zur Alkoholikern“, erwiderte Anna.

Ruby schob sie zur Seite. Erst in diesem Augenblick hallte der Rest von Rubys Botschaft wie ein Echo in ihren Ohren nach. Moment! Wir? Was meinte Ruby denn damit schon wieder? Bevor Anna sie fragen konnte, war ihre Freundin auch schon in der Galerie verschwunden. Anna blickte auf die bereits geöffnete Flasche und zuckte mit den Schultern. Und wenn schon. Sie nahm zwei Schlucke, um den Rest der drückenden Gefühle zu betäuben, die da in ihr tobten. Eine Minute später kehrte Ruby zurück und packte sie am Oberarm.

„Komm, Süße. Partytime. Wir haben nicht viel Zeit. Sie brechen bereits auf.“

Anna verschluckte sich fast, kam aber gerade noch dazu, „Wer? Was?“ zu fragen, da stand sie schon mitten auf dem Präsentierteller, Robert und seiner Neuen direkt gegenüber. Nur noch das Häppchenbuffet trennte sie voneinander. Der Alkohol half Anna, ruhig zu bleiben.

Robert zog die rechte Braue nach oben. Das tat er zu gern kurz vor einem höhnischen Kommentar.

„Warum tust du mir das an, Ruby?“, murmelte sie, merkte dann jedoch, dass ihre Freundin sich praktisch in Luft aufgelöst hatte. Sie konnte nicht verstehen, dass sie sie allein auf dem Schlachtfeld zurückließ. Hektisch sah Anna sich um. Ruby war tatsächlich wie vom Erdboden verschluckt. Dann bemerkte Anna, dass Robert mit Evie tuschelte. Sie war sicher, dass die beiden über sie sprachen.

„Hallo Robert. Schönen Abend noch“, hörte sie sich sagen, machte kehrt und stellte erleichtert fest, dass ihre Füße sie Richtung Ausgang trugen. Allerdings wurde sie ein paar Meter davor gestoppt. Und das von einem dunkelhaarigen Typen, der zwei volle Gläser mit Rosésekt in Händen hielt, der sich bei dem Zusammenstoß über sein weißes Seidenhemd ergoss. Für einen Moment sah Anna Sternchen vor ihren Augen aufblitzen und hörte, wie ein Kichern durch den Raum ging. Oh nein. Sie hatte es wieder einmal geschafft, sich zu blamieren. Nun entdeckte sie auch Ruby, die mit geweiteten Augen und wie erstarrt am Ende des Raumes stand. Robert schüttelte schmunzelnd den Kopf, während ihm Evie etwas zusäuselte und genüsslich von ihrem Glas nippte.

„Entschuldigung“, murmelte Anna dem Fremden zu und sah sich hektisch nach Servietten um. Einer der Kellner schien Gedanken lesen zu können, denn er reichte ihr zwei. Anna gab sie weiter.

Der Fremde winkte ab. „Kein Problem. Das passiert mir andauernd, schöne Frau.“

Anna hielt inne und blickte ihn an. Sie wusste nicht, ob sie den Kommentar nun positiv oder negativ deuten sollte und schwieg.

„Schönes Bild. Oder?“, fragte er, zeigte auf Christians Gemälde und zwinkerte Anna zu, was ihre Unsicherheit nur noch steigerte.

„Ich … ich schaue mal, ob ich noch etwas zum Abtupfen finde“, stammelte sie. Doch er hielt sie sanft an den Schultern fest und schüttelte den Kopf. Seine Augen waren grün, und sie leuchteten wie ein See, in dem sich Mondlicht brach. Dazu fiel ihr nur ein Wort ein: Wow! Seine kantigen Gesichtszüge brachten sie noch weiter aus dem Konzept. Er war durchtrainiert, zwei Köpfe größer als sie, und wohl in ihrem Alter. Zusammengefasst: ein Mann für tausendundeine Nacht.

„Also wollen Sie keine Servietten mehr?“, flüsterte sie irritiert.

„Sie haben das Lächeln der Mona Lisa und ihre Sinnlichkeit. Wunderschön. Das sind doch Sie auf dem Bild. Oder?“, entgegnete er mit tiefer, aber sanfter Stimme.

„Ja …“

„Das ist doch ein Witz“, hörte sie Robert sagen, der ihrem Gespräch wohl gelauscht hatte. Ruby rückte ein Stück näher.

„Ich bin Daniel Dewayne. Freut mich, Sie kennenzulernen.“

„Sie … haben mich tatsächlich auf dem Bild erkannt?“, hörte sie sich fragen.

„Die Gesichtszüge, das Leuchten der Augen. Natürlich“, antwortete er und Anna musste zugeben, dass sie sich etwas besser fühlte. Wobei etwas untertrieben war.

„Wirklich?“ Sie schaffte es, wieder durchzuatmen.

„Warum so unsicher, schöne Frau?“

„Ts, der verarscht dich doch nur. Aber wenn du Anteile an dem Verkauf kriegst, dann lass mich etwas davon sehen. Das bist du mir schuldig, Ananas“, sagte Robert merklich angeheitert und hängte sich bei seinem Häschen ein, das nur kicherte. Einige Gäste blickten neugierig zu Anna, was sie wieder verlegen machte. Der Alkohol ließ Robert sagen, was er wirklich dachte, und es verfehlte seine Wirkung nicht, auch wenn Anna das nicht zeigen wollte. Dazu hatte er sie auch noch Ananas genannt, so wie er es früher oft getan hatte, seitdem er wusste, dass ihr Vor- und Mädchenname, zusammen ausgesprochen, so ähnlich klangen wie das deutsche Wort Ananas. Sie musste wieder daran denken, dass auch einige ihrer Schüler und drei Kollegen den Vergleich leider schon entdeckt hatten. Allen voran Mr George William Lancaster, der zwei Jahre älter war als sie. Die jüngeren Kolleginnen nannten ihn gerne Georgie. Er hatte nicht nur die Lehrer, sondern auch die Schüler im Sturm erobert, obwohl er erst knapp ein Jahr in Wallingford war. Zuvor hatte er in London an einer angesagten Schule Chemie und Naturwissenschaften unterrichtet. Das tat er auch hier. Ihr erschien er stets wie ein selbstverliebter Snob. Ein wirklich attraktiver, selbstverliebter Snob. Anfangs hatte sie noch gedacht, sie würden gute Kollegen werden. Sie erinnerte sich, wie er ihr in seiner ersten Woche eine Tür in einem der Schulkorridore aufgehalten hatte. Im Nachhinein betrachtet wahrscheinlich nur, weil Direktor Greenhorn in der Nähe gewesen war. Besonders zu Anfang sollte man schließlich ein gutes Bild abgeben. Einzig für das Gerücht, er hätte in London aufgehört, weil er die Hochnäsigkeit mancher Leute nicht mehr ertragen konnte, vergab Anna einen Pluspunkt. Wenngleich er merklich auch gern auf andere herabschaute. Falls er sie mal bemerkte, lächelte er nur seltsam höhnisch und grüßte sie extra laut mit: „Guten Tag, Miss Ananas.“

Anfangs hatte Anna noch über dieses Wortspiel gelacht.

Nun waren sie also wieder alle beisammen – diese miesen kleinen Nager namens Zweifel. Daniel streifte Robert mit einem Seitenblick voller Desinteresse, was Robert merklich irritierte. Er drehte sich um und ging. Am liebsten hätte Anna Daniel umarmt, hielt sich aber zurück. Ruby rannte zur Eingangstür und hielt sie Robert und seiner Freundin auf, ohne ihnen einen Blick zu schenken.

„Ja, dann … ich muss wieder los, fürchte ich“, hörte Anna Mr Dewayne sagen. Lächelnd streckte er ihr eine Hand entgegen. Seine Finger sahen nicht aus wie die eines körperlich schwer arbeitenden Mannes.

„Wir sehen uns ja vielleicht einmal wieder, Anna. Es würde mich jedenfalls freuen.“

„Danke. Gleichfalls“, brachte sie heraus.

Er wandte sich um und ging zu Ruby, wechselte ein paar Worte mit ihr und verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war. Anna blickte ihm nach und rief, während er aus der Tür ging: „Und nochmals sorry.“ Er hob eine Hand.

„Was für ein Mann, oder?“, schwärmte Ruby, als sie zu ihr kam.

Anna nickte, immer noch hin und weg, was Ruby kurz zum Lachen brachte.

„Was ist, warum lachst du?“, fragte Anna.

„Er hat es dir angetan, dieser Prinz ohne Pferd. Nicht wahr? Leider ist er fest vergeben.“

Anna holte Luft. „Dachte ich mir. Traummänner gehen weg wie warme Semmeln. Hast du Roberts Blick gesehen? Nur, davor habe ich mich wirklich ganz schön blamiert. Das war wieder ein Volltreffer für ihn und seine Evie.“

„Vergiss die beiden. Er hat sein Fett weggekriegt. Und ich bin sicher, in Wirklichkeit hat ihm das Bild gefallen. Na, und was sagst du? Wie wäre es, wenn du mehr solcher Männer wie diesen eben um dich hättest in nächster Zeit? Männer, die dich auf Händen tragen werden? Denen du zeigen kannst, was in dir steckt? Ohne Zwang. Sieh es als Spiel. Und wer weiß, vielleicht steht am Ende ein großes, fettes Happy. Sicher würde Robert dann nur noch vage in deiner Erinnerung existieren und bald endgültig daraus ausziehen. Du wirst wieder richtig Lust bekommen, dich hübsch zu machen, auszugehen und so weiter. Außerdem – wenn Robert die neue Anna sieht, in live meine ich, dann wird er sich sicher wünschen, er hätte dich nie verlassen. Aber das wird dir dann egal sein. Nur die Genugtuung wird Balsam für deine Seele sein. Ja!“ Ruby beendete ihre Rede mit einem lauten, träumerischen Seufzer.

Langsam zog Anna sich die Brille von der Nase und überlegte. Nun, einen gewissen Reiz hatte das Ganze, das musste sie zugeben.

***

In der Nacht, zwischen Träumen von Grandma Rose und Grandpa Louis, in denen die beiden ihr von einer rosaweißen buschigen Wolke aus zuwinkten, ließ sie sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. Sogar in besagten Träumen grübelte sie weiter: Grandma hatte Louis dazu gebracht, eine ihrer bunten Federboas zu tragen. Die zwei hielten Schilder mit der Aufschrift Anna Nash, nie wieder Ananas!!! in den Händen. Darunter prangte das altbekannte Daumen-Hoch-Zeichen. Ja, sie wollten, dass sie es tat. Zudem gingen Anna Roberts Blick und seine Worte nicht mehr aus dem Kopf.

Mit leichten Kopfschmerzen kroch sie am Morgen aus dem Bett und schirmte die durch ihre Schlafzimmerjalousie einfallenden Sonnenstrahlen mit einer Hand ab. Gähnend taumelte sie ins Bad, als es Sturm klingelte. Wer um alles in der Welt war das denn um diese Zeit? Sie blickte auf den Wecker. Kurz nach sieben. Als sie die Tür öffnete, sah sie direkt in das Gesicht eines graubärtigen Mannes um die Fünfzig, der sie finster musterte. Zu einem grauen Anzug trug er einen schwarzen Hut, unter dem ebenso schwarze Haarsträhnen sowie buschige Brauen hervorlugten. Er spitzte die dünnen, blassen Lippen, zwischen denen eine Zigarre steckte. Der Qualm wehte ihr ins Gesicht, sodass sie husten musste und mit einer Hand wedelte.

„Sind Sie Ananas?“

Am liebsten hätte sie die Tür zugeknallt. Träumte sie vielleicht noch?

„Anna Nash“, betonte sie. „Was wollen Sie und wer sind Sie überhaupt?“

„Wer ich bin, tut nichts zur Sache. Glauben Sie mir, Sie wollen mich lieber nicht näher kennenlernen.“

„Sie sind nicht zufällig aus einer Geschichte ausgebrochen? Momo meine ich.“

Sie liebte diese Geschichte um das kleine arme Mädchen, das es mit den grauen, stets Zigarre rauchenden Herren aufnimmt, die die Zeit der Menschen stehlen wollen. Anna hatte immer Ehrfurcht vor den grauen Herren gehabt, was jeder wusste, der sie näher kannte.

„Hä? Wie bitte? Haben Sie eine Schraube locker oder was?“ Sein Gesichtsausdruck blieb starr.

„Sie kommen nicht etwa von Ruby?“

„Ruby? Wer ist Ruby?“

Er blies ihr Rauch ins Gesicht, was sie abermals zum Husten brachte.

„Ihr Mann sagte mir, dass Sie mir Geld geben würden.“

„Robert ist mein Ex-Mann. Und ich wüsste nicht, wofür ich Ihnen Geld geben sollte“, stotterte sie.

„Robert Voss hat sich vor Monaten Geld von mir geliehen und nur einen Teil zurückgezahlt. Ich will jetzt den Rest oder ich muss andere Saiten aufziehen. Also, her damit.“

„Wie bitte? Wofür hat er sich denn Geld geliehen? Obwohl, ich kann es mir vorstellen.“ Sie tippte sich mit einem Finger an die Lippen.

„Was weiß ich. Ist mir auch egal. Machen Sie schon.“

Gerade, als sie diesem Mafioso die Tür vor der Nase zuknallen wollte, rief er: „Ich will meine Kohle oder Robert war einmal. Ich mache keine Witze.“

Anna hielt inne. Der Mann kam einen Schritt näher, nahm seine Zigarre aus dem Mundwinkel und zückte eine Waffe.

Verdattert wich Anna zurück. „Okay! Langsam, langsam. Über wie viel reden wir denn?“ Heiße und kalte Wellen überrollten ihren Körper.

„Tausend Pfund.“

„Tausend Pfund? Und die wollen Sie jetzt gleich?“

Mit einem Grinsen erwiderte er: „Sie könnten es auch abarbeiten, wenn … na ja.“ Er scannte sie von oben bis unten und schüttelte den Kopf.

Anna öffnete ungläubig den Mund über diese Dreistigkeit. Sie ahnte, dass sie diesem Kerl das Geld lieber geben sollte, wenn sie heil davonkommen wollte.

„Okay. Ich muss es holen“, stammelte sie. Noch immer stand er draußen. Rasch wollte sie die Tür zuknallen, danach würde sie die Polizei rufen. Doch der Fremde war schneller, stellte einen Fuß in die Tür und stieß sie auf. Seine Gesichtsmuskeln zuckten wie seine Hand, mit der er die Waffe hielt.

„Noch so ein Versuch und das war‘s. Also husch, husch, Mäuschen“, maulte er sie an, warf die Zigarre auf den Boden und zertrat sie. Dabei verengte er die Augen.

Das durfte doch alles nicht wahr sein. Wie konnte Robert ihr das nur antun? Damit schrumpfte ihr Notgroschen, den sie unter dem Bett in einer kleinen Holzkiste aufbewahrte, auf gerade mal hundertfünfzig Pfund. Trotz der Angst begann es in ihr zu brodeln wie in einem Vulkan. Mit zitternden Fingern holte sie das Geld, verstaute es in einem gelben Umschlag und gab es dem Eindringling, der dicht hinter ihr wartete.

„Danke, Mäuschen“, sagte er, steckte das Kuvert ein, zog kurz den Hut und verschwand endlich.

Anna atmete langsam aus, lehnte sich gegen den Türrahmen und begann schließlich zu weinen, auch wenn sie versuchte, es zu unterdrücken. Ihr wurde übel, sodass sie auf die Knie rutschte. Nur fünf Sekunden später setzte ein massiver Regenschauer ein. Anna blickte auf die Straße und fasste einen Entschluss: Sie würde diese Traummänner treffen! Das Spiel sollte beginnen, und zwar so schnell wie möglich.

Ein Erbe zum Verlieben

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