Читать книгу Ein Erbe zum Verlieben - Nadine Stenglein - Страница 5

Chaotische Verhältnisse

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Der Morgen hatte bereits heimtückisch begonnen. Nicht nur, dass Anna Nash mit dem sprichwörtlich linken Fuß aus dem Bett gestiegen war, stolperte sie mit selbigem auf dem Weg ins Bad auch noch über eines von Roberts selbst gebastelten Buddelschiffen und verknackste sich dabei den Knöchel. Robert war Annas Ex-Mann, mit dem sie sieben Jahre verheiratet gewesen war, bis er sie wegen einer Jüngeren verlassen und die Scheidung eingereicht hatte. Er habe es vor allem psychisch nicht mehr mit ihr ausgehalten, sie habe ihn völlig im Stich gelassen – so seine Aussage vor Gericht. Es ärgerte Anna, dass sie ihm in puncto Scheidung nicht zuvorgekommen und früher aufgewacht war. Aber sie hatte den Mistkerl geliebt und glauben wollen, dass sich alles schon noch irgendwann und irgendwie zum Guten wenden würde. Nun war das Licht der Hoffnung erloschen, genau wie der letzte Funke ihrer Liebe für ihn. Das redete sie sich zumindest jeden Tag ein. Laut ihrer Mutter hatte sogar der schlechteste Mensch etwas Gutes in sich. Und dass Robert schlecht war, das glaubten weder ihre Mutter noch ihr Vater. Robert hatte immer gewusst, wie man den Saubermann nach außen kehrte.

Wie dem auch sei, diese Flaschen, in denen die Schiffchen vor Anker lagen, mussten endlich aus ihrem Haus verschwinden, das sich in der englischen Grafschaft Oxfordshire in der kleinen Stadt Wantage befand. An die fünfzig lagen neben einigen anderen von Roberts Sachen verstreut im Haus herum, weil er noch immer keinen Platz dafür gefunden hatte. Jedes einzelne Exemplar erinnerte sie an einsame Zeiten. Robert musste seine Ehe schon lange sattgehabt haben, wenn sie daran dachte, wie viele Stunden seiner sowieso knapp bemessenen Freizeit er im Keller ihres damaligen Hauses im nur wenige Meilen entfernten Wallingford verbracht hatte. Jetzt bewohnte er dort eine winzige Mietwohnung.

Anna band sich das lange kastanienbraune Haar zu einem Knoten am Hinterkopf zusammen, zog eine braune Jeans und eine grüne Bluse über, rief Robert an und hinterließ ihm im ruhigen Ton die Nachricht auf seiner Mobilbox, er möge seine Buddelschiffe abends abholen. Am Ende der Aufzeichnung streikte auch noch der Handyakku. Ihre Pechsträhne verfolgte sie wie ein roter Faden, der sich um sie gewickelt hatte, und er schien nicht abreißen zu wollen.

Durchnässt bis auf die Knochen erreichte sie die Schule eine Minute vor acht. Ihr kleiner roter Käfer hatte den Geist aufgegeben und sie musste einen Sprint durch die verregnete Stadt einlegen.

„Wie konntest du nur vergessen zu tanken, du Schussel?“, schimpfte sie sich selbst. Roberts Hohn wäre ihr sicher gewesen, das wusste sie. Denn das war typisch seine Anna! Hektisch strich sie sich die Strähnen, die sich aus dem Haarknoten lösten, aus der Stirn und warf einen Blick in den Klassenraum. Einige Schüler beobachteten sie schmunzelnd, manche steckten tuschelnd die Köpfe zusammen. Dabei fiel ihr auf, dass Jenny fehlte. Gerade in ihren Stunden kam sie ständig zu spät, meist weil sie mit Freundinnen rauchte oder mit einem Jungen abhing. Anna wusste, sie war eindeutig zu lasch mit den jungen Leuten. Granny Rose würde sich in ihrem frischen Grab umdrehen. Ihr hatte sie versprochen, sich endlich mehr durchzusetzen. Nicht nur bei ihren Schülern, sondern allgemein, und insbesondere bei Männern, von denen sie die Nase gestrichen voll hatte. Sie liebte ihren Beruf als Kunst-, Geschichts- und Deutschlehrerin, wusste aber, dass sie über kurz oder lang auch da untergehen würde, wenn sie weiterhin das zurückhaltende graue Mäuschen war. Die meisten ihrer Kollegen waren von einem deutlich anderen Kaliber, worum Anna sie heimlich beneidete.

Sie rückte ihre Brille zurecht und atmete tief durch. Nicht verzagen, sagte sie sich, was allerdings leichter gesagt als getan war. Erst jetzt nach der Scheidung lichtete sich der Schleier vor ihren Augen, den ihr Robert über all die Jahre ihrer Ehe verpasst hatte. In dieser Ehe hatte sie irgendwann gar nicht mehr gewusst, wer sie wirklich war und was sie wollte. Dauernd war es nur um ihn gegangen, seine Wünsche, sein Leben. Dabei war sie früher völlig anders gewesen, hatte auf sich geachtet und ihre Ziele immer genau im Auge behalten. Ihre beste Freundin Ruby hatte recht. Sie musste irgendwie versuchen, die selbstbewusste, flippige Anna von damals wiederzufinden und aus ihrem Loch zu ziehen. Wie sie das anstellen sollte, war allerdings eine Frage, bei der sie noch völlig im Dunkeln tappte.

Der durchdringende Aufschrei von Nancy Lee Johnson riss sie aus ihrer Gedankenschleife, in der sie sich zu verheddern drohte. Ein Kaugummi klebte in ihren krausen blonden Locken.

„Das wirst du mir büßen, Spargel“, keifte sie mit zusammengekniffenen Augen in Richtung Tom, der unschuldig dreinblickte.

„Das macht man nicht, das ist gemein“, mischte sich Anna ein, bemüht, ihre Stimme kraftvoll wirken zu lassen.

Wie so oft überhörten ihre Schüler sie. „Und wo ist Jenny? Ist sie krank?“, fragte Anna und legte ihre hellbraune Ledertasche auf das Pult.

Allein der rothaarige, sommersprossige Freddie, den alle Pumuckl nannten, antwortete: „Die ist noch auf dem Campus. Sie flirtet mal wieder.“

„Petze“, rief eines der Mädchen und warf einen Stift in seine Richtung, der ihn am Kopf traf.

„Aua, spinnst du?“, protestierte Freddie und schnitt ihr eine Grimasse.

„Hört schon auf. Wir schreiben in der zweiten Stunde eine Deutscharbeit. Darauf solltet ihr euch konzentrieren“, bemerkte Anna. Schnell half sie Nancy, den Kaugummi zu entfernen, auch weil diese hysterisch zu kreischen begann. Ihre Haare waren ihr heilig. Danach ging Anna zu einem der großen Fenster, von wo aus man einen guten Blick aus dem u-förmigen Backsteingebäude auf den teils grünen, teils gepflasterten großflächigen Schulhof hatte. Zwischen zwei Bäumen entdeckte sie Jenny in ihrer knappen marineblauen Schuluniform, die mindestens eine Nummer zu klein war, was wohl kein Kaufirrtum gewesen war. Jenny war in männlicher Begleitung. Anna legte die Stirn in Falten. Sie sah ihn nur von hinten, aber von der Statur her hätte er ihr Ex sein können. Allerdings konnte sie sich nicht vorstellen, dass er hierherkommen würde. Sie klopfte gegen die Scheibe, doch die beiden rührten sich nicht. Anscheinend hatten sie es nicht gehört, also öffnete sie das Fenster, räusperte sich und rief: „Jenny, kommst du bitte in die Klasse?“

Die Schülerin reagierte sogar sofort, winkte lächelnd zu Anna herauf, gab aber keine Antwort. Kurz wandte sich der Mann um. Annas und sein Blick trafen sich. Er war es doch! Vor Schreck verschluckte sie sich und rang hustend nach Luft. Elisabeth, eine ihrer Schülerinnen, trat zu ihr.

„Ist das nicht Ihr Ex? Doch, doch … das ist er. Roooobert, nicht wahr?“, rief sie. Es war kein Geheimnis, dass Anna und er seit einer Weile geschieden waren. Die Neuigkeit hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Binnen weniger Sekunden war Anna umringt von neugierig dreinblickenden Jugendlichen, die sich gegen den Fensterrahmen drückten.

Sie sah, dass Robert Jenny einen Zettel zusteckte, etwas zu ihr sagte und anschließend verschwand. Die Schülerin blickte ihm nach und winkte, als er weg war, wieder nach oben. „Ich komme ja schon.“

Irritiert und mit tausend wirren Gedanken im Kopf wartete Anna auf sie, während sich die anderen wild durcheinanderredend auf ihre Plätze zurückzogen und ebenfalls zur Tür starrten. Anna beschloss, allein mit Jenny zu reden, also ging sie ihr entgegen. Die Schüler seufzten enttäuscht, einige folgten ihr bis zur Tür. Weiter trauten sie sich nicht. Der Direktor, Mr Greenhorn, lief stetig Streife. Er war ein Mann, den jeder fürchtete und respektierte. Seine Art war oft so rau wie das Meer bei Sturm. Zudem glaubte Anna, dass er sie nicht besonders leiden konnte. Er ignorierte sie meistens. Im Grunde sollte es ihr nichts ausmachen, war es doch von Vorteil, denn so hatte sie ihre Ruhe vor ihm. Daran, dass sie für manche unsichtbar war, hatte sie sich bereits gewöhnt.

Jenny band ihr langes blondes Haar mit einem Gummi im Nacken zusammen, während sie lächelnd in ihrer Schuluniform, bestehend aus einem marineblauen Jackett und fast knielangem Rock, weißem Hemd, schwarzer Krawatte und ebenso schwarzen Schuhen, den Flur entlangeilte, direkt auf Anna zu. Das Mädchen schien ihre Blicke bezüglich des Rocks zu bemerken und nuschelte: „Das Material ist der größte Schund. Er ist beim Waschen eingelaufen.“ Zwischen ihren Lippen steckte der Zettel, den Robert ihr gegeben hatte. „Mmh. Für Sie.“ Stirnrunzelnd nahm Anna ihr den Zettel ab. „Ich konnte ihm nicht widerstehen. Ein toller Mann, Ihr Ex. Kein Wunder, dass Sie auf den reingefallen sind. Robbie ist ja voll der Charmebolzen und sieht dazu noch aus wie Hugh Grant. Traumhaft“, bemerkte Jenny und lief an ihr vorbei.

Ihre Worte trafen Anna wie ein Fausthieb. Es ärgerte sie, dass ihr keine kecke Antwort einfiel und sie stattdessen wie hypnotisiert auf den Zettel starrte. Zeitgleich fragte sie sich, was das Ganze sollte. Warum hatte er ihr den Brief nicht selbst übergeben? Eilig faltete sie ihn auseinander. Vom Zimmer aus hörte sie das Kreischen der Schüler, das für sie plötzlich völlig nebensächlich war. Auf dem Zettel, einem karierten Blatt, das an den Seiten eingerissen war, hatte Robert in seiner üblichen kleinen Krakelschrift ein paar Wünsche vermerkt, die sie bis zum Abend erledigen sollte. Ein Ritual, das er auch früher hin und wieder angewandt hatte.

Na danke schön, dachte sie, während sie las:

Buddelschiffe in große Kiste packen und in deiner Garage unterstellen. Kann sie noch nicht abholen, da, wie du ja weißt, meine Wohnung in Wallingford zu klein dafür ist. Ganz wichtig, wenn du nicht willst, dass ich wegen dir verhungere und noch mehr psychisch absacke: Ich brauche einen Unterhaltsvorschuss.

Den letzten Satz hatte er sogar doppelt unterstrichen. Der ehemals große Makler kam zu ihr, um zu betteln. Niemals hätte sie gedacht, dass sich das Blatt einmal so wenden würde. Klar wollte er ihr seine Wünsche nicht selbst mitteilen. Es musste ihm so schon genug Überwindung abverlangt haben. Typisch Robert! Sein Stolz und falscher Ehrgeiz waren ihm immer noch heilig, selbst ihr gegenüber. Und sie waren es auch, die ihnen beiden am Ende den Ruin bringen würden, davon war sie überzeugt.

Vielleicht hätte er damals doch hin und wieder auf sie hören sollen, als er sich als Immobilienmakler selbstständig gemacht hatte. Sie erinnerte sich, dass ihm ihre Ratschläge in Sachen Geschäftsführung immer zu banal, oberflächlich und zu zaghaft gewesen waren. Dass sie für die Firma mitbürgte, war das Einzige, was er wollte. Letztendlich ließ sie sich dazu überreden. Sie hatten im selben Boot gesessen, bis es gekentert war.

Nun musste sie nicht nur ihren Kopf über Wasser halten, sondern auch seinen. Das Gericht hatte sie dazu verdonnert, mit ihm den Rettungsring zu teilen, da sie noch Grundbesitz hatte und einen mehr oder weniger sicheren Job. Das Geld reichte gerade so, zudem musste sie das geliebte Haus ihrer Eltern in Wantage unterhalten. Hier und da konnte sie es bereits neu renovieren und modernisieren. Den Garten hatte sie schon fast fertig hergerichtet und war stolz auf ihren grünen Daumen, den Robert ihr immer abgesprochen hatte. Die Rosen und Lilien gediehen wundervoll. Selbst die Maulwurfshügel hatte sie, ohne zum Mörder zu werden, endlich unter Kontrolle bekommen.

Ihre Eltern waren vor zwei Jahren nach Mallorca ausgewandert, um dort ihren Lebensabend zu verbringen. Da sie ab und an wieder in die Heimat zurückkehrten, passte es ihnen gut, dass Anna auf ihr Schmuckstück aufpasste. Ihre Probleme hingegen interessierten Annas Eltern merklich wenig, zudem gaben sie vor allem ihr die Schuld für die gescheiterte Ehe. Ihrer Meinung nach hatte Anna sich zu sehr gehen lassen, ihren Mann zu wenig unterstützt. Robert war für sie nach wie vor der Saubermann, den er ihnen immer vorgespielt hatte. In ihren Augen hätte Anna viel mehr um ihn kämpfen müssen.

Nachdenklich steckte sie den Zettel ein und ging in das Klassenzimmer zurück.

Jenny schwärmte soeben von Robbie. Bei seinem Frauenverschleiß hätte es Anna nicht gewundert, wenn er wirklich mit der Schülerin geflirtet hätte. Seine neue Freundin Evie Soundso war schließlich nur ein paar Jahre älter als Jenny.

Mechanisch zog sie den Unterricht durch, den sie sonst so bunt wie möglich zu gestalten versuchte, und war froh, als der Schultag vorüber war. Ihre beste Freundin Ruby wartete auf dem Schulhof auf sie. Ihr Atelier war nicht weit von der Schule entfernt. Ruby McAllister war Malerin für moderne Kunst und Erotik.

Nachdem sie Roberts Zettel gelesen hatte, zerriss sie ihn und warf ihn in den nächsten Mülleimer.

„Nein, warte mal!“, rief Anna.

Ruby hielt sie davon ab, die Teile wieder aus dem Abfall zu fischen, indem sie sich ihr in den Weg stellte. „Der bleibt, wo er ist. Nichts wirst du machen.“

„Dann nervt er wieder ewig. Lieber mache ich es und habe dann meine Ruhe.“

„Bis zum nächsten Zettel. Er wird immer so weitermachen. Der war selbst zu feige, dir seine Liste persönlich zu geben. Lass ihn schmoren. Oder willst du weiterhin das naive graue Piepsmäuschen sein, das ihm alles hinterherräumt und ihm sogar den Hintern abwischen würde, wenn er es wollte? Früher hat er dir auch Listen gemacht, meist mündlich. Ansonsten warst du Luft für ihn. Alles, was in deiner Macht stand, hast du ihm erfüllt. Und was hat es gebracht? Du hast immer weniger auf dich geachtet und die Anna, die du einst warst, tief begraben. Hey, du bist jetzt 32. Wie ich. Wir stehen in der Blüte unseres Lebens. Vergeude es keine weitere Sekunde mit Gedanken an Robert Voss.“

Sie zog die gezupften Brauen nach oben und spitzte die Lippen.

„Stimmt“, sagte Anna leise.

„Also! Wann ist eigentlich die Testamentseröffnung von Rose?“

Anna zuckte mit den Achseln und senkte traurig den Blick. Ruby hängte sich bei ihr ein, zog einen Schokoriegel aus ihrem roten Ledertäschchen und biss herzhaft hinein. „Willst du auch einen? Der ist tierisch lecker.“

„Damit ich noch dicker werde? Nein, danke.“

Ruby seufzte. Sie hatte gut reden, wenn Anna sie so betrachtete. Die wichtigsten Punkte auf ihrem Steckbrief, um sie zu beschreiben, lauteten: schlank, groß, braun gebrannt, grüne Katzenaugen, langes rotes Haar, der Vollständigkeit halber mit Extensions, von denen Anna nicht viel hielt, modern, sportlich, künstlerisch begabt, liebevoll verrückt, selbstbewusst und gern hell und bunt gekleidet. Sie wusste, wie man sich präsentierte, damit es eine Wow-Wirkung hinterließ. Nicht zu hot und billig, aber hip. Früher, vor Robert, hatte Anna das auch gekonnt. Nun besaß sie nur noch zwei linke Hände, die alles falsch machten, sobald sie versuchte, sich aufzuhübschen. Es war wie verhext. Am Ende sah es irgendwie immer seltsam aus, außerdem stand ihr auch der Sinn schon lange nicht mehr danach. Wofür auch? Als Kind hatten ihre Mutter Sophie oder Grandma Rose sie gern in den Schlaf gewiegt, zu Roberts Zeiten waren es Chips, Rotwein oder Heulkrämpfe gewesen und nun zwei Schlaftabletten.

„Du bist nur ein wenig pummlig. Nicht schlimm. Die Betonung liegt auf ein wenig! Außerdem – Schokolade ist gut für die Nerven. Deine sind, entschuldige, so angeknackst, dass sie die paar Kalorien in Nullkommanichts verbrennen. Die haben gar keine Chance, woanders hinzuwandern.“

Anna stupste Ruby an. „Schön wäre es. Und danke übrigens“, bemerkte sie ein wenig keck.

„He, das war gut. Gefällt mir. Hau es raus, Baby. Nun bist du ihn los, jetzt versuch auch endlich, diese Anna loszuwerden, die er dir übergestülpt hat, und such dir einen neuen sexy Typ.“

Anna verdrehte die Augen, auch wenn sie wusste, dass Ruby im Grunde absolut recht hatte.

Diese klopfte ihr auf die Schulter und zeigte ihre strahlend weißen Zähne.

„Rose wäre stolz auf dich. Schritt-für-Schritt-Therapie. Das kriegen wir schon hin.“

„Ich wünschte, Grandma wäre noch hier.“

„Ja! Ich glaube, sie hätte Robert irgendwann den Hals umgedreht“, warf Ruby ein.

Auch wenn die Vorstellung mehr als grotesk war, musste Anna lachen. In Wahrheit aber wünschte sie Robert nicht wirklich etwas Schlechtes, auch wenn er sie am Ende wie einen abgenagten Knochen weggeworfen hatte. Die Worte ihrer Mutter waren fest in ihr verankert. Sie wollte nur Ruhe vor ihm, am besten vor allen männlichen Wesen. Mit denen hatte sie noch nie Glück gehabt. Ihre Gedanken wanderten wieder zu Rose. Sie war die beste Grandma der Welt gewesen, immer für sie da, aber auch sehr direkt in ihrer Meinungsäußerung. Robert hatte sie wie die Pest gehasst und umgekehrt war es nicht anders gewesen.

Ruby überredete Anna dazu, noch ein Glas Wein zusammen zu trinken.

„Hast du vielleicht auch Hunger? Ich koche etwas“, fragte Anna ihre Freundin und putzte die Gläser ihrer Brille, die beschlugen, als sie ins Tiefkühlfach blickte.

„Mit kochen meinst du Tiefkühlpizza, oder?“

Anna presste die Lippen aufeinander. „Ja! Für mich gibt es natürlich nur Salat. Sorry, dass ich dir nicht mehr bieten kann. Ich könnte es aber versuchen. Also …“

„Stopp, stopp. Ich nehme dein Angebot sehr gerne an, Süße. Lass dich nicht ärgern von mir.“

Anna seufzte. Laut Robert war Tiefkühlpizza aufbacken das Einzige, was sie richtig konnte, wenn es um die Essenszubereitung ging. Alles andere war meist ungenießbar für ihn gewesen und reine Zeitverschwendung. Allerdings vermutete sie, dass er das manchmal auch nur als Ausrede benutzte, um sich in ein Restaurant zu verdrücken, das in Wirklichkeit, wie sie im Nachhinein herausfand, Natalie, Anastasia, Lilian oder Betty hieß. Wenn sie zusammen ausgingen, was selten vorgekommen war, hatte er ständig etwas an ihrem Gang, ihrer Kleidung oder ihrem Essensstil zu bemängeln gehabt. Je länger sie zusammen waren, desto mehr liefen alle Bemühungen ihn zufriedenzustellen ins Leere. Zunehmend wurde ihr egal, was sie anzog. Hauptsache, es war bequem. Und irgendwann war es völlig zur Gewohnheit geworden. Robert sah sie ja sowieso kaum noch an. Wie sie es hasste, dieses Selbstmitleid. Schluss jetzt!, sagte sie sich und schob es beiseite. Schließlich brachte es sie kein Stück weiter – im Gegenteil.

Ein Erbe zum Verlieben

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