Читать книгу Reisen ins Ungewisse - Nadja Solenka - Страница 5
2. Kapitel – Bis Biarritz
ОглавлениеTymon als Fahrer brauchte noch einige Zeit bis Biarritz. Sie erinnerten einander daran, wie sie sich damals für einen getrennten Urlaub entschieden hatten. Emeline meinte: „Ja ich fuhr damals mit meiner Uschi in Urlaub, wir wollten beide einfach nur weg.“ „Ach, ja, was war damals noch der Grund?“ „Uschi hatte ihre große Liebe verloren, die vier Jahre gewährt hatte, und mein Vater war mal wieder zu streng und neidete mir mal wieder, wie so oft, meine Jugend.“ „Na, ja das war eine junge Zeit“, antwortete Tymon.
Emeline versank wieder tief in ihre Seele hinein. Uschi war damals ihre beste Freundin gewesen, eine Frau, die als einzige von ihrem Glauben und die Art sich dem Himmel gegenüber zu stellen wusste. Uschi wusste über die damalige Zeit, dass Emeline seltsamerweise wenig in ihrem Gottesglauben benommen wurde, und zumeist den Willen hatte, sich ganz alleine durchzubeißen. Merkwürdig, ihre Freundin bemerkte auch, dass sie wenig Hilfe von den Engeln bekam und auch, dass sie wenig von den Sternen zurück bekam, die Uschi oft mit Andacht bestaunte.
Emeline selbst hatte oft den Eindruck, dass nur noch eine Ebene drakonischer strafen konnte als ihr eigener Vater und das war das Himmelsgestirn selber. Vielleicht war ihr Fehler, dass sie aus Liebe zur hohen Welt die Erde bloß stehen ließ, sie aber nie wirklich lieben konnte. Das waren ihre philosophischen Gedanken zur damaligen Zeit. Heute glaubte Emeline, dass sie nur einen Fehler hatte, die Mutter nur für ihre Kinder zu sein, nicht für ihren Gott, nie so komplett zu ihren Nachbarn hin und nie allein für irgendein Schulsystem. Vielleicht, weil man ihr half, sich und ihren mütterlichen Instinkt zu verstehen. Das geschah durch Leute, die bestimmt empfanden, dass Emeline keine inspirative Liebe vorgeben wollte zu gesellschaftsträchtigen Handlungen. Dafür war ihre Liebe zu Gott zu religiös und zu sehr durch Institutionen geprägt.
Vielleicht liebte sie ihre Kinder mehr, als ihr lieb war. Ihre Freundin Uschi dachte oft über sie, dass sie halt nie wusste, wie alles selber für sie zu laufen hatte. Altruismus war vielleicht das falsche Wort dazu. Und doch warf Tymon, als sie ihm ihre Überlegungen unterbreitete, ein: „Doch Selbstlosigkeit ist ein wichtiges Wort im Zusammenhang mit deinem Leben, komm, du hast dich doch oft für alle möglichen Gegebenheiten zurückgenommen.“ „Ja, vielleicht, doch bestimmt ist es eher akzeptierende Liebe, ja vielleicht ist es eher Liebe.“ Emeline wusste, dass ihre Tochter Jolanta es heute Widerstand nennt, Widerstand gegen lebenslänglich erfahrene, triebhafte Liebe zu Gott von anderen Menschen im Leben ihrer Mutter. Das waren Manieren, die Jolanta schon im Haus am See empfand und durch neue Leute in ihrem neuen Heim fortgeführt wurden. Menschen, die ihre Mutter als Ruhepol benahmen, sich zum tratschen, trinken und feiern einfanden, um in ihrem „eigentlichen“ Leben bei Gott landen zu können. Diese Worte dazuzufinden, fand Emeline niemals falsch, bei denen zuckte sie eher zusammen, aufgrund eines genauen Verständnis darüber, was wirklich liebevolles Verhalten ist. Doch dann befand sie, in Bezug auf Jolantas Welt, sie war ja eine bekannte Schauspielerin, die momentan einen Film in Hollywood abdrehte, dass es wichtig wäre, andere dazulassen, wo man selber nicht mehr war. Ansonsten würde man unter den Fehlern und Schwächen anderer nur leiden und außerdem durfte man an anderen nicht hassen, was in einem selbst noch aufzuspüren wäre. Auch Tymon fand das wichtig, sagte aber dazu: „In der Jugend kann man so vieles noch ausprobieren mit try and error, nachher, ab einem gewissen Alter muss man ja wesentlich schlauer sein. Man darf sich dann nicht mehr die Butter vom Brot nehmen lassen.“
Emeline antwortete: „In Jolantas Beruf muss man oft genug die Ellenbogen ins Spiel bringen, ansonsten kommt man nicht weit, auch wenn es es eher eine oberflächliche Welt ist.“ „Na ja, aber auch eine sehr spannende.“
Sie nickte zustimmend, dann ging sie wieder ihren Gedanken nach. Im Hinblick auf ihre eigenen Jahre hatte es Emeline fast selber überrascht, dass sie nicht auch einer künstlerischen Ambition nachgefolgt war, aber sie brauchte einfach einen Erd-behafteten Beruf, um nicht in einem Wolkenkuckkucksheim zu wohnen. Das befand damals schon ihr Grandpere aus Lyon und irgendwie gefiel Emeline die Idee so sehr, dass sie sich den Beruf Hebamme aussuchte.
Für einen künstlerischen Beruf konnte sie sich eh nie so akurat mit sich selber beschäftigen, wollte und konnte andere oft so stehen lassen, wie sie selber auch war. Jola würde das heute mit Sicherheit Helfersyndrom nennen, dass Emeline anderen helfen wollte, auch vor Gott zu bestehen.
Arianne nannte so etwas eher selbstlose Liebe, und hatte ihrer Tochter mal gestanden, dass die meisten Frauen in Bezug auf ihr Leben andere Gründe hätten, als Menschen von sich aus helfen zu wollen. Ihre eigene Mutter, Emelines verstorbene Großmutter mit Namen Valentine hätte gemeint, es gäbe für die meisten Frauen nur folgende Kategorien, die z.B. hießen: Bruder, Vater, Onkel, Großvater, also Mann. „Und bei dir?“, hatte die junge Emeline prüfend gefragt. „Bei mir heißt das heute wie damals Identität“, das sagte Valentine so. Ihre Enkelin fand das nicht falsch, auch wusste sie, dass ihr Vater ihr einmal ein wichtiges Wort hinterlassen hatte, es hieß: „Selbstverständnis.“
Es war einmal ein Spiel in der Pubertät gewesen, solche Wörter zu sammeln. Emeline sollte von ihren Eltern her irgendwann ein eigenes Wort für sich finden. Sie fand es recht spät, da war sie neunzehn Jahre alt, sie nannte es still und leise, als Tymon gespannt danach fragte, denn er dachte, es würde zu ihr gehören wie ein gestohlenes Perlmuttarmband. Also sie benannte das Wort, das sie prägnant fand für ihr eigenes Leben, es hieß: „Überlebenskunst.“ Ihr Mann war überrascht, schmunzelte etwas und sagte, „es passt zu dir, du hast dich halt oft, ohne großartig um Hilfe zu bitten durchgeschlagen.“ Emeline schluckte unmerklich und freute sich, denn sie hatte nie einen Umstand daraus gemacht, für ihre Familie fast alleine da gewesen zu sein und ihren Beruf aufgegeben zu haben. Als sie das vor Tymon verlautbarte, sagte er: „Freue dich doch, dass du das so gut hinbekommen hast.“ Er drehte das Radio lauter und sinnigerweise spielte das Lied: „Bridge over troubled water.“ Beide sangen, wie in der Jugend laut mit und lächelten sich zu, wie um sich zu sagen, sie wären ein unschlagbares Team. Sie schwiegen dann lange Zeit.
Am Himmel bildete sich später ein Regenbogen. Sie dachte, es wäre ein Zeichen des Zuspruches für ihr Leben. Tymon hingegen nahm es als schmeicheln für seine Gottesliebe.
Langsam fuhr er in Biarritz ein und parkte vor dem Hotel, in dem sie das Prozedere an der Rezeption vornahmen. Nachdem sie sich gemütlich eingerichtet hatten, machten sie sich auf den Weg ins Nachtleben.