Читать книгу Reisen ins Ungewisse - Nadja Solenka - Страница 7

4. Kapitel – Liebesspiele

Оглавление

„Tymon, Tymon wach auf, wir können nur noch eine Stunde Frühstück haben.“ Er murmelte in seinen grau-melierten Drei-Tage-Bart, dass er noch Schlaf bräuchte, er hätte bis in den frühen Morgen in der Bar gesessen und mit der Theken-Bedienung schwadroniert, weil er einfach keinen Schlaf finden konnte. „Na, ja, da werde ich gleich alleine runter gehen müssen.“ „Das lässt du schön bleiben“, mit einem festen Armgriff zog Tymon sie an die Schulter und begann dann ihre Rundungen zu kosen. Er murmelte, „du was hältst du noch von einem Sohn?“ Emeline, die sich weder wehren wollte noch konnte, antwortete: „Findest du die Idee nicht ein wenig spät, wir sind schließlich nicht mehr die Jüngsten.“ „Na ja, mit Anfang Vierzig gehört man noch längst nicht zum alten Eisen.“ Geschickt verführte Tymon seine Frau immer mehr und sie hatte dann auch die Idee, auf ein Verhütungsmittel zu verzichten, auch wenn ihr dabei mulmig wurde. Schweiß gebadet lagen sie später beieinander und nach einer gemeinsamen Dusche gingen sie hinunter in den Frühstücksraum, und bekamen noch in der letzten Minute etwas zu essen. Später checkten sie aus, die Koffer waren wieder bis oben bepackt, Emeline hatte so eine Unart den ganzen Kleiderschrank mitzunehmen, wie Tymon fand, aber er wollte nicht streiten. Zum Schluss winkte er dem Barkeeper zu. Das war typisch für ihn, dachte sie, Tymon holte sich sein Leben, wenn es ihm nicht gerade begegnete.

Als die Eheleute wieder im Auto saßen, besprachen die beiden, dass ein weiteres Kind nicht unbedingt eine Beschneidung ihres Lebens mit sich bringen müsste.

Tymon überlegte im späteren für sich anderes, er hatte keine Untreue ihm gegenüber, was den alten Urlaub in Biarritz betraf, gefühlt. Doch Emeline war sowieso eine Unschuld vom Lande und Gott sei Dank war Uschi und seiner Liebe damals nichts nennenswertes passiert. So glaubte Tymon, dass seine heutige Frau ihm nicht wirklich untreu gewesen war. Dazu wirkte sie damals zu sehr auf ihr eigenes Leben erpicht. Er kannte ja ihr Lieblingsbuch, „Gedichte“, von Erich Fried, ein Buch, das ihren Intellekt sehr stark ansprach. Es war in Tymons Augen ein wirklich guter Lesestoff, ihre Bevorzugung dazu spiegelte ihre Liebe zu sich selber und ihrem Leben gegenüber wieder. Er strich über ihr naturblondes Haar und schmunzelte, als sich ihre blau-grauen Augen verdunkelten. Ein wenig musste er lächeln, dass seine Töchter das dunkle, schwarzbraune Haar und seine braunen Augen geerbt hatten. Beide hatten ihn von früh an so ernsthaft angeschaut, von Arianne musste er sich des öfteren anhören: „Beide Töchter, ganz der Vater.“ Tymon hatte immer eine Antwort dazu parat, meistens lautete sie so in etwa: „Ihre Mutter können die zwei nicht verleugnen.“

Emeline, die ihn schweigen ließ, wenn sie fühlte, dass für ihn was stimmte, war doch überrascht, dass er nicht weitere Worte verschwendete. Sie fragte sich innerlich nicht mehr, ob die junge Zeit, zwei Jahre, bevor sie Jolanta bekam, da war sie ja achtzehn gewesen, als sie mit Uschi in Biarritz war, ihm ein Dorn im Auge wäre.

Nun hatten sie noch vor, nach San Sebastian zu reisen. Eine Stadt, die in der spanischen, Autonomen Gemeinschaft Baskenland im Bogen des Golfs von Biskaya lag. Dort war Emeline einmal mit einer Klassenkameradin und ihren Eltern gewesen, als sie zwölf Jahre alt war. Ihre damalige beste Freundin für die Schule hieß Liane, sie sah jene als kinderlose Lehrerin heute noch fünf- bis sechsmal im Jahr zu den verschiedensten Anlässen und konnte stets auf sie bauen, wenn es um etwas ging. Lianes Eltern schienen damals fürsorglich auf die beiden jungen Mädchen aufzupassen und Emeline fühlte sich geborgen und belassen zugleich. Liane erklärte ihr jedoch bei einem Spaziergang am weitläufigen Strand an der Bucht La Concha, dass ihre Eltern nur so tun würden, als würden sie ständig aufpassen. Sie wären sogar egoistisch geprägt. Mit in Stirn gelegten Falten betrachtete Liane die Felsmassive des Monte Igueldo und des Monte Urgull, die die Bucht begrenzten. Emeline überlegte eine Weile und hatte zu der Zeit eine altkluge Antwort parat: „Vor dem Erziehungserfolg käme immerhin ein Eingehen auf die Pflichterfüllung.“ Liane hatte sie damals böse angeblickt, sie hatte gemeint: „Auch du, Brutus.“ Mit einem Mal hörten sie Pfiffe und sie anmachende Sprüche auf englisch hinter sich, drei Männer mittleren Alters traten ihnen beinahe handgreiflich so nahe, dass Emeline ihre Freundin bei der Hand nahm. Sie lief mit ihr so schnell, wie ihre Füße sie trugen durch den Sand hin zu den Strand-Matten der Eltern, die einige Hundert Meter weit entfernt in der Sonne saßen. Heilfroh waren jene, dass nichts passiert war.

Lianes Eltern hatten Emeline damals prophezeit, dass sie mit ihrer genauen Kenntnis der Welt, nochmal dort hin müsste, um sich als Mensch und Mädchen zu erfahren.

Später, als sie wieder zur Schule mussten, wollte ihr Emeline fast recht geben, dass Lianes Eltern wohl irgendwie eine falsche Art hatten. Ihre Stimmung war nach dem Urlaub eher drückend und fast schienen sich Depressionen in ihr breit zu machen. Gab es das, eine unterschwellig falsche Erziehungsart? Aber sie wollte das nicht laut sagen.

Damals sinnierte Emeline noch darüber, als sie so ihr Pausenbrot mit Liane auf dem Schulhof aß. Da dachte sie, dass deren Eltern ja fast ständig ansprechbar und gegenwärtig wirkten, während Arianne und David zumeist umtriebig waren und viel bei Freunden, oder Nachbarn saßen. David war ein angesehener Konditor. Ihre Mutter ging noch als Näherin arbeiten. Oftmals fühlte sich Emeline allein gelassen und doch angenommen zugleich. Sie beließ ihre Eltern damit, in späteren Jahren war sie richtiggehend stolz auf sie. Beide Elternteile wussten das meiste vorher und sagten ihr oft ein Leben voraus, an dem sie sich mal die Hörner abstoßen müsste. Man riet ihr Mal auf einem wein- getränkten Geburtstagsfest ihrer Mutter den Kopf oben zu behalten. Durch ihre Tochter Jolanta empfand Emeline, dass sie das schon noch brauchte, ihre Älteste war ein schwieriges Kind. Ein Kind, das sich wie Jola frühzeitig auf den Weg in ihr eigenes Leben machte. Die Nachbarskinder aus dem Haus am See lagen da schon noch nahe. In der Zwischenzeit lernte Emeline eine rechtschaffene Hausfrau zu werden, aber oft ärgerte sie sich, dass sie nach ihren Kindern suchen musste. Aber Gott sei Dank wurden aus ihren Mädchen keine Greisen-Kinder, das passierte oft, wenn man Kinder an sich binden würde, dachte sie einmal bei der Bügelwäsche, die ihr wie so oft den letzten Nerv raubte. Aber Emeline dachte, die Mädchen wären doch ganz gut aufgehoben gewesen bei den anderen Mietern. Die zwei Parteien aus Paterre hatten jeweils ein Geschwister-Pärchen. Und der fast alleinerziehende Hausmann in der Etage darüber, direkt neben ihrer Wohnung gelegen, hatte „nur“ eine Tochter zu bewältigen. In der Zwischenzeit ging seine Angetraute arbeiten als Betriebswirtin. Das Studenten- Pärchen in einer kleineren Wohnung blieb kinderlos.

Bis Tymon soweit war, in ein eigens Heim zu ziehen, verging eine schwere Zeit für Emeline. Da waren Jolanta und Jola sieben und sechs Jahre alt.

Sie zuckte zusammen, als ihr Mann sie fragte, worüber sie so lange Zeit geschwiegen hätte. Sie meinte nur: „Über nichts besonderes.“

Die Sonne lugte aus weißen Wolken hervor. Es schien ein schöner, heißer Tag zu werden.


Reisen ins Ungewisse

Подняться наверх