Читать книгу Der Zeiten Tanz - Natascha Skierka - Страница 4

Prolog

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Die Welt verändert sich und wir verändern uns mit der Welt. Zu hochtrabend? Wohl kaum. Schließlich befinden wir uns in einer Zeit, die glaubt, schon alles gesehen zu haben. In einer Zeit des Aufbruchs und der uns alle umgebenden Forschung. Das Meer, die Sterne und vor allen Dingen uns selbst sowie unsere eigene Vergangenheit, von der wir uns erhoffen, dass sie den Schlüssel für unsere Zukunft bereithält. Einer die größer und strahlender erscheint, als die trostlose und triste Gegenwart in der wir uns gerade befinden und die uns so mit ihrer Routine droht zu ersticken, dass wir mitunter keinen anderen Ausweg finden, als entweder zu resignieren und zu lebenden Toten zu werden oder gar zu einer tickenden Zeitbombe, die alles und jeden mit sich reißt, wenn sie plötzlich und ohne Vorwarnung den Zünder zieht und explodiert.

Doch sollte es nicht gerade eben diese Gegenwart sein, in der wir uns alle wohlfühlen und von der wir uns inspirieren lassen sollten, gerne in ihr zu verweilen? Manchmal vermochte sie es nicht zu sagen, denn all diese Routine machte sie verrückt und die Arbeit die ihre Hände und ihr Geist verrichteten ermüdeten sie stets so sehr, dass sie froh darüber war, wenn sie die Dinge die sie zuhause verrichten musste, gerade eben schaffte.

Stets hatte sie das Gefühl, das irgendetwas entsetzlich schief lief und dass das Leben das sie führte, nicht ihr eigenes war, sondern das einer vollkommen anderen Person, die sie noch nicht einmal wirklich kannte. Aber wer war sie wirklich? Wer in aller Welt war sie, woran glaubte sie und was brachte sie dazu jeden Morgen aufzustehen und die Dinge zu tun, die sie verpflichtet war zu tun. Wer war sie und warum änderte sie nichts von den Dingen, von denen sie glaubte, dass sie Gift für ihre Seele waren. Wenn sie überhaupt eine hatte, dachte sie sarkastisch und öffnete die Augen, um in den kleinen Spiegel auf ihren Altar zu blicken. Auf der purpurfarbenen Decke mit dem schwarzen Pentagramm in der Mitte lagen drei Kerzen. Weiß, rot und schwarz. Die Farben der Dreifachgöttin, die nicht nur die Mondphasen symbolisierte, sondern auch die Stationen der Weiblichkeit, Mädchen, Mutter und Greisin. Diese wurden flankiert von der Großen Göttin und dem Gehörnten Gott, die für das Weibliche und Männliche Prinzip standen, ebenso wie im Yin und Yang der asiatischen Mysterien. Vor diesen und den Kerzen hatte sie ein Schachbrett platziert, das für sie das Leben selbst symbolisierte, weil ihr das Leben selbst wie ein Spiel erschien, in dem sie selbst, eine mal mehr oder weniger bedeutende Figur darstellte, die für das Spiel ausschlaggebend war oder es vielleicht gar nicht erst beeinflusste. Auf diesem lagen in einem Kreis verteilt sechs Steine, der siebte lag in der Mitte und auch wenn sie es damals als sie sie gesammelt hatte, noch nicht einmal geahnt hatte, so waren sie heute für sie ein Symbol für das Sternbild, das die Menschen auf der ganzen Welt beeinflusst hatten und es immer noch taten. Die Plejaden. Ein wenig über dem Brett lag ihre Athame in einer ledernen Scheide, die sie nur sehr selten herausnahm und wenn überhaupt benutzte. Direkt daneben auf gleicher Höhe mit dem Dolch befand sich ein kleines Kästchen, verziert mit den Mondphasen und einem Pentagramm, das sich mit dem vollen Mond vermählte und in dem sie einige ausgewählte Edelsteine aufbewahrte, die sie ab und an herausnahm, um ihre Energie zu spüren. Zwar konnte sie nicht mehr genau sagen, um welche Steine es sich genau handelte, aber irgendwie war es ihr dennoch immer gelungen den richtigen Stein zur Hand zu haben, wenn sie ihn brauchte. Und eben davor befand sich ihr kleiner ovaler Spiegel, vor dem zwei Katzen angebracht waren. Die eine schaute direkt hinein, während die andere sich scheinbar demonstrativ abwendete. Ob sie nicht sehen wollte, was sich im Spiegel befand? Oder war es ihr einfach nur egal? Rätsel über Rätsel verbunden mit noch mehr Symbolen, die ihre Bedeutung im Laufe der Zeit verändert oder revidiert hatten, ganz so, wie die Sieger der Geschichte es gewollt hatten, während die Verlierer hilflos dabei zusehen mussten, wie ihre Widersacher, das was ihnen heilig war, nahmen und ohne den Hauch einer Scham schändeten. Feste wurden genommen, bis zur Unkenntlichkeit verbogen, umbenannt und einer neuen Religion untergejubelt, die so mehr oder weniger unfreiwillig zur größten Patchwork-Religion avancierte, die es jemals gab und geben würde. Das Christentum. Sie blinzelte und widerstand der Versuchung ihren Zorn über die Ungerechtigkeiten, die nicht nur ihren Vorfahren anheimgefallen war, zu zügeln. Ungerechtigkeiten, die bereits damit begonnen hatten, dass Maria Magdalena, eine heidnische Priesterin der Artemis, zwar ihren Göttern abgeschworen und sich dem einen Gott zugewandt hatte, aber niemals Jüdin geworden war, bevor sie Jesus geheiratet hatte und die eigentliche Begründerin der Kirche der Heiden war und nicht Petrus und nicht Paul, die ihre Rolle entweder aus Eifersucht oder gar politischen Kalkül, vielleicht auch beidem, herausgeschrieben und verändert hatten. Konstantin, die Römer, Chlodwig und jeder unter ihnen der nach Macht strebte, hatte mehr oder weniger seine Hände im Spiel, während das Christentum seinen nicht mehr aufzuhaltenden Siegeszug um die Welt, antrat und das Heidentum immer mehr und mehr verdrängte und in sich selbst assimilierte und beinahe bis zur Unkenntlichkeit zerstörte. Zwar war das moderne Christentum heutzutage zu einer harmlosen Posse verkommen und die wirkliche Gefahr lag in anderen Dingen verborgen. Aber es machte sie immer noch zornig, wütend und traurig, dass sie in einer angeblich so modernen und offenen Gesellschaft, mehr denn je darauf achten musste, was sie wie sagte, nur um niemanden auf die Zehen zu treten.

Dabei aber schien es umgekehrt nicht so zu sein und ein jeder schien eine Art Freifahrtschein zu haben, auf den Dingen die ihr wichtig waren herumzutrampeln, ohne das sie eine wirkliche Chance hatte auch nur einmal Luft zu holen, um sich zu erklären. Aber das wollte sie schon lange nicht mehr, dachte sie traurig und beobachtete im Spiegel, wie eine einzelne Träne sich filmreif aus ihrem Auge löste und über ihre Wange rollte. Manchmal kam es ihr wirklich so vor, als wenn alle Welt tun und lassen konnte, was sie wollte, aber sie hingegen durfte sich nicht aus dem Rahmen, den sie selbst mit geschaffen hatte, herauswagen und befreien.

Und manchmal, dachte sie, hatte sie einfach keine Kraft mehr diese Art von Doppelleben durchzuhalten, wobei sie nicht wirklich wusste, warum sie überhaupt eines führte und sich deswegen selbst alles erschwerte. War das Leben denn nicht so schon kompliziert genug? Sie schloss die Augen und sackte in sich zusammen, während sie stumm vor sich hin weinte und sich dafür verachtete, dass sie sich für etwas bedauerte, das eigentlich nicht zu bedauern war. Schließlich hatte sie diesen Weg mehr oder weniger selbst gewählt und nun musste sie wohl oder übel damit zurechtkommen, dass sie keinen mehr aus diesem Labyrinth aus Lügen heraus fand. Das, so glaubte sie, geschah ihr nur recht, ebenso wie die Tatsache das sie eine Beziehung zu einem Mann führte, der keinen blassen Schimmer davon hatte, dass sie für ihn auf etwas sehr Essenzielles verzichtete. Ihre Hand schlich sich auf ihren Bauch, als wollte sie das was sich darunter befand schützen. Noch hatte sie die Wahl, dachte sie. Noch konnte sie das Leben, das sich unter ihren Herzen befand, vor dieser verlogenen Welt da draußen schützen, indem sie es gar nicht erst dazu kommen ließ, dass es das Licht derselben erblickte. Ihr Blick hob sich und glitt vorbei an ihrem eigenen Bildnis einer verzweifelten Fratze und blieb an den Kerzen und dem Gott und der Göttin hängen. Sie hatte sich immer so sehr gewünscht, endlich Mutter zu werden und damit auf die nächste Ebene der Weiblichkeit erhoben zu werden. Aber nun, da die Erfüllung dieses Wunsches so nahe war und in so greifbare Nähe gerückt war, fühlte sie sich nicht in der Lage dazu, ihr Schicksal anzunehmen.

Aber hatte die Seele dieses Kindes sich ihr nicht in ihren Träumen und Visionen angekündigt, ebenso wie die der beiden die nach diesem noch folgen sollten? Sie wusste es nicht mehr zu sagen. Wusste nicht mehr, was zu den Gefilden des Traumes und der Wirklichkeit gehörte. Oder war es etwa diese, die der eigentliche Traum war. Wenn ja, dann musste der Traum, in dem sie sich befand, ebenso ein Albtraum sein wie die Realität selbst. Zitternd starrte sie auf die rote Kerze, die als Symbol für die Mutter stand und ihre Augen schlossen sich, während ihr Mund sich so fest zusammenpresste, dass sie beinahe schon glaubte, sie müsse sich vor lauter Weinen übergeben.

Sie fühlte sich so verlassen, obwohl sie doch alles zu haben schien, was sich ein Mensch nur wünschen konnte. Eine Arbeit, einen Mann, der sie liebte, ein Kind das darauf wartete geboren zu werden und unter ihrer schützenden Hand auf ein Leben vorbereitet zu werden, das niemals das sein würde, was es zu sein vorgab. Wollte sie wirklich das ihr Kind in solch eine Welt hinein geboren wurde? Wollte sie ihrer Tochter wirklich das antun, was ihr angetan wurde? Ein Leben erstickt in Selbstzweifel zu führen, mit der Masse zu verschmelzen und nicht wagen selbst zu denken, für seine Ansichten einzutreten nur, weil irgendwelche Menschen meinten, dass das woran man glaubte und dass was man dadurch war, falsch war.

Wer aber hatte eigentlich das Recht für sich gepachtet, dies zu tun. Wer glaubte wirklich besser zu sein, als ein anderer und diesen dadurch herabzusetzen. Niemand, dachte sie. Niemand war besser oder schlechter, und wenn sie das im 21. Jahrhundert nicht verstanden hatten, dann waren sie nicht so modern und offen, wie sie es gerne von sich selbst glaubten. Wer waren sie schon anderes als bloße Menschen, die immer noch der Willkür von Mutter Natur unterlagen. Einer Willkür, die keine zu sein brauchte, wenn sie sich auf das besinnen würden, was ihnen ihre innere Stimme sagte.

Sie hielt inne und ihre Hand verkrampfte sich im Stoff ihrer Bluse, während sie tief Luft holte, weil ihre eigene ihr mit deutlicher Macht sagte, dass sie sich nicht von ihrer eigenen Furcht übermannen lassen durfte. Denn hatte sie sich denn nicht gefreut, als sie das Ergebnis des Tests gesehen hatte. Waren denn nicht Schauer des Glücks über sie hinweg gerollt, wie die Wellen des Meeres und hatten sie fortgespült, während sie sich seit langen zum ersten Mal wieder glücklich und zufrieden gefühlt hatte.

Abrupt hielt sie inne und holte kurz entschlossen ihre Schmuckschatulle, kramte ein wenig darin und befreite eine kurze silberne Venezianerkette aus dieser, an der ein silberner Rabe baumelte, der eine wichtige Verbindung zu all den Dingen darstellte, die ihr wichtig waren und der perfekt ihr keltisches und nordisches Erbe verband.

Das kühle Silber erwärmte sich schnell, nachdem sie die Kette um ihren Hals gelegt hatte. Mit einer Hand umschloss sie den Anhänger, als wollte sie sich noch einmal vergewissern, dass er wirklich dort war und strich, beinahe schon liebkosend über den Raben, während sie sich wieder bückte, die Schatulle mit der anderen Hand verschloss und wieder an ihren gewohnten Platz stellte. Noch heute, nahm sie sich vor, würde das Versteckspiel ein Ende haben und seine Reaktion würde ihre Entscheidung beeinflussen, ob ihr Kind mit oder ohne ihn aufwachsen würde. Tief Luft holend schloss sie die Augen und ließ sie langsam wieder entweichen, bevor sie den kleinen Raum sorgfältig absperrte, nachdem sie das Licht gelöscht hatte.

Der Zeiten Tanz

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