Читать книгу Der Zeiten Tanz - Natascha Skierka - Страница 8

Kapitel 3

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Die weiche Decke schmiegte sich um ihren Körper, und während immer noch die letzten Bilder ihres Traumes an der Oberfläche ihres Bewusstseins blubberten, grub sie sich tiefer in die Wärme der Decke ein und seufzte wohlig. Vergessen war die Szene, wo Arthur, sowohl Lampe als auch Vase wie von Zauberhand, vor ihren Augen wieder zusammengefügt hatte. Stattdessen versuchte sie den Traum, den sie gerade hatte, mit aller Macht festzuhalten und ihn nicht wieder loszulassen. Sie war in Marlenas Haus gewesen und hatte Arthur in einem verborgenen Keller gefunden, bevor sie zusammen mit ihm an einen wundervollen Ort teleportiert wurde, an dem weise Schlangen ihr unendliches Wissen mit ihr geteilt hatten. Sie wusste nicht, warum aber sie fühlte sich wie eine Novizin, die darauf wartete, zur Priesterin geweiht zu werden. Aber je weiter sie wieder zurück an die Oberfläche ihres Bewusstseins zurückkehrte und die Wirklichkeit den Traum immer mehr und mehr verdrängte, desto mehr ergriff ein Gefühl der Traurigkeit sie und sie hielt demonstrativ ihre Augen geschlossen. Sie wollte diese Wirklichkeit nicht, stattdessen wäre sie viel lieber an den Ort in ihren Traum zurückgekehrt. Auf seltsame Art und Weise hatte sie sich dort nicht nur sicher und geborgen sondern vor allen Dingen frei und zufrieden gefühlt. Tränen schlüpften unter ihren geschlossenen Lidern hervor und sie wischte sie unwirsch weg, während sie sie immer noch fest geschlossen hielt. Sie wollte, sie konnte, sie nicht öffnen. Selbst als das Geräusch einer sich öffnenden Türe die Stille unterbrach und sie erschreckte, öffnete sie sie nicht. Schritte näherten sich ihrem Bett, welches dem Druck eines Körpers nachgab, der sich neben sie setzte. Auch ohne die Augen zu öffnen, wusste sie, wer es war und sie wollte Arthurs Gesicht nicht sehen. Melissa gab sich verdammt viel Mühe sich nicht selbst zu verraten, indem sie sich von ihm entfernte. Aber die Mühe hätte sie sich auch sparen können, dachte sie, während Arthur sanft über ihr Haar strich und ihr verräterischer Körper sich ihm entgegen drängen wollte. Sie spürte seinen Atem auf ihrer Stirn und die Bewegung seines Körpers, die er machen musste, damit er sich zu ihr hinunter beugen konnte, um ihr einen Kuss auf die Stirn zu hauchen. Dieselbe Art von Kuss, den er ihr im Traum gegeben hatte, dachte sie und trotz aller Bemühungen, runzelte sie unbewusst mit der Stirn. Sein Gesicht wanderte weiter und sein Atem folgte ihm auf ihrer Haut. An ihrem Ohr verharrte sein Mund, und nachdem er auch noch ihr Ohrläppchen geküsst hatte, drang seine flüsternde Stimme amüsiert an ihre Ohren. „Ich weiß, dass du wach bist, Isa.“ Ohne Vorwarnung flogen ihre Augen auf und sie drehte ihr Gesicht zu ihm herum, damit sie ihm in die Augen blicken konnte. Noch während sie sich fragte, ob das alles doch kein Traum gewesen war, schüttelte er bereits den Kopf und lächelte sie an. „Nein“, erwiderte er, als hätte sie ihre Bedenken laut geäußert, „es war kein Traum.“ Lächelnd strich er ihr eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. „Weder die Kommandobrücke noch das was wir beide erlebt haben. Isa, was hast du gesehen und warum ist die Zeit gekommen, um die Zeit zu verwandeln und die Träume wieder zu vereinen?“ Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken, während sie sich aufsetzte, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. „Wer bist du wirklich“, wollte sie leise wissen und hielt den Atem an. „Arthur Grimaldo“, erwiderte er erneut. „Der Mann der dich mehr, als alles andere auf dieser Welt, liebt.“ Seine Augen fixierten sie und sie schüttelte traurig mit dem Kopf. Scheinbar war sie immer noch im Traum gefangen, dachte sie, während er lächelnd ihre Wange berührte und sie dem Drang widerstand, sich in seine Hand zu schmiegen. Dieselben Worte geisterten durch ihre Gedanken, doch laut sprach sie sie nicht aus. Sie konnte es nicht. Irgendetwas hielt sie davon ab, es zu tun und der Moment verstrich ungenutzt. Tränen brannten hinter ihren Augen und als sie sie wieder öffnete, hätte sie sie am liebsten sofort wieder geschlossen. Der Drang in seine Arme zu sinken und ihn zu lieben, ergriff sie mit solch ungezügelter Macht, dass sie diese nur schwer wieder unter Kontrolle bringen konnte. Aber sie schaffte es und ihr Verstand kämpfte sich an vorderste Front und klärte ihren Blick wieder.

„Wenn das kein Traum war“, meinte sie und die Kälte in ihrer Stimme ließ sie beide zusammenzucken. „Dann solltest du mir endlich reinen Wein einschenken und das, was du mir bisher verschwiegen hast, erzählen.“ „Ich denke nicht, dass das nötig ist, da ...“, meinte er doch der bestimmte Ausdruck in ihren Augen, brachte ihn zum Schweigen. „Ich will es wissen“, teilte sie ihm mit und das Lächeln in seinen Augen, drohte ihre Seele auseinanderzureißen. Er holte tief Luft und lehnte sich wieder ein wenig zurück. „Willst du das wirklich?“, wollte er wissen und sie nickte bestimmt. „Ja“, flüsterte sie, „das will ich.“ Seltsamerweise kam sie sich vor wie bei einer Trauung, die keine war und als seine noch freie Hand eine der ihren ergriff, verstärkte sich dieses Gefühl von Sekunde zu Sekunde. „Schließe deine Augen“, flüsterte er und sie sah ihn fragend an. „Warum?“ „Damit ich dir zeigen kann, wer ich wirklich bin“, erwiderte er und schloss demonstrativ seine Augen. Jetzt oder nie, dachte sie, ebenfalls die Augen schließend.

Eine lange Weile geschah nichts, außer das sie tiefe Schwärze sah, an dessen Rändern sich eine tiefrote beinahe schon blutende Farbe befand, die mehr und mehr eine seltsame Ähnlichkeit mit einem Regenbogen aufwies. Abrupt lichtete sich das Dunkel und sie wurde hinabgerissen, zurück in der Zeit, bis sie zwei Menschen sah, die sie bisher nur von Bildern kannte, weil seine Eltern bereits gestorben waren, als sie ihn kennenlernte. Beide hatten einen Herzinfarkt erlitten und bei beiden hatte er vergeblich versucht, sie wieder ins Leben zurückzuholen. Arthur hatte ihr erzählt, dass beide Lehrer gewesen waren und sich in dieser Funktion kennen und lieben gelernt hatten. Beinahe so wie sie, dachte sie plötzlich, auch wenn die Berufe andere waren, während sie fasziniert beobachtete wie die beiden gerade dabei waren den Mann zu zeugen, der ihr viele Jahre später erst über den Weg laufen sollte, um ihre Welt in den Grundfesten zu erschüttern. Eine Art Zeitraffer ermächtigte sich der Bilder und die ekstatischen Schreie seiner Eltern verhallten in der Zeit, während andere Schreie sie ablösten. Schreie von Mutter und Sohn, während er zur Welt kam und von der Hebamme auf den wartenden Bauch der Mutter gelegt wurde, während zeitgleich in der amerikanischen Stadt Memphis in Tennessee, die Verlobte des King of Rock'n'Roll, diesen tot im Badezimmer vorfand.

Sie versuchte den Kopf zu schütteln, aber ihr Körper war von ihrem eigenen Unterbewusstsein viel zu sehr gelähmt, als das sie dieses vermochte. Denn auch wenn an diesem 16. August 1977, das Leben des King of Rock'n'Roll wirklich endete, so war es jedoch nicht der Tag, an dem seines begann. Dennoch flackerte vor ihren Augen eine Geburtsurkunde auf, mit ebendiesem Datum, das immer größer und größer wurde, als wollte es sie beinahe verschlingen. Stattdessen aber verschlang es das Datum des 3. Mai 1973, von dem sie bis jetzt immer angenommen hatte, das es sein Geburtstag war. Millionen Fragen überrollten ihren Verstand und die Frage, warum er sich älter gemacht hatte, kam ihr ebenso in den Sinn, wie die ob sie jemals darauf eine Antwort erhalten würde.

Wieder setzte der Zeitraffer ein und Bilder eines ganz normalen Lebens zogen an ihr vorbei, im Wechsel mit denen die ihn bei seinen Studien der Mysterien und der wahren Geschichte der Menschheit zeigten. Er nahm an Ritualen teil und besuchte die Kirche, wie um den Schein zu wahren, während er seine Studien stets vorantrieb. Sie erlebte den Moment ihrer ersten Begegnung aus seiner Sicht und das Gefühl eines leisen Triumphs ergriff sie, als sie erkannte, dass sie ihn direkt mit Haut und Haaren in ihren Bann gezogen hatte. Die Bilder liefen weiter und er ließ sie sadistischerweise ebenfalls daran teilhaben, wie er sich gefühlt hatte, als sie ihn perfiderweise hingehalten hatte, sich monatelang nicht mehr gemeldet hatte, obwohl er ihr seine Gefühle in einem wunderschönen Liebesbrief auf dem Silberteller präsentiert hatte. Sie wusste, warum sie das getan hatte und spürte das auch er es ahnte. Aber sie war noch nicht bereit dies auch vor ihm zuzugeben. So ließ er die Bilder weiter laufen, bis zu dem Tag, als endlich sein Telefon klingelte und sie ihn um ein Treffen bat, an dessen Ende sie sich beide zum ersten Mal liebten, anstatt dass sie ihm wie eigentlich beabsichtigt, endgültig den Laufpass gab, um ihn endlich aus ihrem Verstand und ihren Herzen zu bekommen. Etwas das, seit sie ihn kannte, niemals auch nur ansatzweise funktionierte. Die Bilder stoppten und Schwärze tauchte sie wieder ins Dunkel. Mit feuchten Augen blickte sie ihn schließlich wieder an und ihre Hand hielt seine, mit so festem Griff umfangen, dass es ihr beinahe selbst schier den Atem raubte. Aber anstatt ihn zu lockern, hielt sie ihn fest, als befürchtete sie, dass er einfach so verschwinden würde, wenn sie das tat. „Dann haben die Sterne also doch kein Recht“, murmelte sie in Erinnerung an das Horoskop, das sie zu Beginn ihrer Beziehung in Auftrag gegeben hatte, weil sie so unendlich neugierig gewesen war, was wohl ein Liebeshoroskop über sie beide zum Vorschein bringen würde. „Womit haben sie kein Recht?“, wollte er wissen. „Dass du mein Seelengefährte bist. Aber ich will auch nicht das du es bist,“ fügte sie hinzu und hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen, als sie den verletzten Ausdruck in seinen Augen bemerkte. Abrupt ließ sie ihn los und kämpfte sich ihren Weg aus dem Bett. Sie ging zur Türe, öffnete sie und erst jetzt bemerkte sie, dass sie nicht zuhause waren und ihr Traum wirklich kein Traum gewesen war. Ihr stockte der Atem, und als sie sich langsam wieder zu ihm umdrehte, war sämtliches Blut aus ihrem Gesicht gewichen und sie hatte Schwierigkeiten zu schlucken. „Wo in aller Welt hast du mich hingebracht?“, wollte sie wissen, obwohl sie es bereits wusste. „Du bist im Haus meiner Schwester in der Bretagne“, erwiderte er. Fassungslos lehnte sie sich Halt suchend an den Türrahmen, während tausend Gedanken und keiner durch ihren Kopf rauschten, wie eine ratternde Dampflok. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie er sich ihr näherte und noch bevor er Gelegenheit dazu hatte, sie auch nur am Arm zu berühren, nahm sie ihre Beine in die Hand und floh praktisch vor ihm. Sie hörte ihn rufen, aber sie reagierte nicht auf ihn, sondern stürmte die Treppe hinunter, von der sie hoffte, dass sie sie auch wirklich von ihm weg brachte. Am Treppenabsatz stieß sie mit Marlena, die den polternden Lärm den sie verursachte hörte, zusammen. Erschrocken hielt sie sich eine Hand auf die Brust, als wollte sie so verhindern, dass ihr galoppierendes Herz heraussprang. Natürlich war das unmöglich, aber dennoch, sicher war sicher und sie wollte kein weiteres Risiko eingehen. Warum nur schien alles auf einmal aus dem Ruder zu laufen? „Geht es dir nicht gut“, erkundigte Marlena sich und legte ihr beruhigend eine Hand auf den Arm. „Ob es mir nicht gut geht,“ wiederholte sie und schüttelte die Hand seiner Schwester ab, während sie die Haustüre entdeckte, und versuchte den Abstand abzuschätzen. „Ja“, erwiderte sie schließlich offen und sah ihrer Beinahe-Schwägerin ins Gesicht. „Mir geht es nicht gut.“ Ohne weiter auf sie zu achten, marschierte sie zur Türe und ging hinaus. „Warte!“, rief Marlena ihr hinterher und sie hörte ihre eilenden Schritte. Wütend drehte sie sich um und hob abwehrend ihre Hände. „Lasst mich in Ruhe!“, schrie sie und Marlena stoppte abrupt, als hätte sie sie mit einer Kugel getroffen. In der Tür erschien Arthur und sie sah ihn wütend und enttäuscht an. „Lasst mich in Ruhe,“ forderte sie ein wenig leiser und vorsichtig entfernte sie sich Schritt um Schritt rückwärts laufend von den Geschwistern. „Hör dir wenigstens an, was wir zu sagen haben“, bat Marlena sie und Melissa schüttelte vehement den Kopf. „Warum sollte ich“, meinte sie, „reicht es denn nicht, dass mich der Mann der mich angeblich liebt, so dermaßen hinters Licht geführt hat, während ich meine Zeit mit ihm verschwendet habe.“ Bitterkeit sprach aus ihren Worten, und als sie sah, wie Arthur zusammenzuckte, ergriff Übelkeit ihren gesamten Körper und jagte schmerzhafte Wellen durch ihn, als würde sie seine Betroffenheit am eigenen Leib spüren. Nicht dass sie nicht schon vorher empathisch veranlagt gewesen wäre, fuhr es ihr durch den Kopf, aber sie wollte seine Empfindungen nicht spüren. Schon gar nicht weil sie sie ihm nicht wirklich abnahm und sie kühler Berechnung zuschrieb. „Geh ins Haus, Arthur.“ Marlena fixierte sie und eiskalte Schauer liefen ihr über den Rücken, während Arthur unschlüssig von ihr zu seiner Schwester und wieder zurückblickte. „Geh,“ wiederholte Marlena, „ich denke es ist an der Zeit, dass Isa und ich ein Gespräch unter Frauen führen.“ Erneut blickte Arthur von einer zur anderen, bevor er wortlos wieder ins Haus ging und sie alleine ließ. Ein wenig überrascht hielt sie inne und Marlena blieb keine zwei Schritte von ihr entfernt stehen. Sie sagte kein Wort und die Stille, die sie umfing, wurde unerträglich. Bis ihr bewusst wurde, dass es eigentlich gar nicht so still war, sondern ziemlich lebendig. Der Wind wehte, die Vögel zwitscherten und tirilierten und irgendwo bellte ein Hund. Die Spannung wurde immer unerträglicher und sie fragte sich mittlerweile, was sie ihr sagen wollte, dass ihr Bruder partout nicht mitbekommen sollte. Ohne Vorwarnung legte Marlena eine Hand auf ihren Bauch. „Wer verschweigt hier wem etwas?“, fragte sie dabei und Melissa sah sie ungläubig an. Sie hatte bereits auf den Lippen zu sagen, es sei nicht von Arthur, aber etwas hielt sie davon ab und stattdessen schloss sie die Augen und holte tief Luft. Sie verdammte ihre ewige Unentschlossenheit, die sie andauernd zu lähmen schien, während das Leben immer wieder an ihr vorbeizog. „Wirst du es ihm sagen?“, wollte sie wissen. Ihre Augen öffneten sich wieder und sie blickte sie direkt an. „Nein,“ erwiderte Marlena und sie sah sie erstaunt blinzelnd an. „Das ist deine Aufgabe“, fuhr sie fort. „Außerdem geht es hier nicht darum, das du Arthur sein Kind vorenthalten willst.“ „Sondern?“ „Sondern darum, dass er dich so liebt, wie du bist, auch wenn du das nicht wahrhaben willst und glaubst ihr beiden habt eure Leben aneinander vorbei gelebt, weil ihr euer wahres Gesicht unter einer Maske verborgen hattet.“ „Aber“, begann sie und Marlena warf ihr einen solch bestimmten Blick zu, dass sie den Mund wieder schloss und den Rest des Satzes herunterschluckte. „Glaubst du wirklich, dass es Zufall ist, dass er in dein Leben getreten ist“, wollte Marlena wissen und Melissa wich ihrem Blick aus. Nein, dachte sie, das glaubte sie nicht, aber das hieß noch lange nicht, das sie ihr Schicksal nicht in die eigenen Hände nehmen konnte. „Gut“, fuhr Marlena fort, „ihr habt einander beide das eine oder andere verschwiegen. Aber nun wisst ihr beide, woran ihr seid, und könnt euch auf ein neues Abenteuer in eurer Beziehung einlassen.“ Marlena blickte sie so durchdringend an, dass sie beinahe schon glaubte, Arthurs Schwester wollte in ihre Seele dringen. „Wirf eure Liebe nicht einfach so fort“, flüsterte sie und senkte den Blick, bevor sie sie mit Tränen in den Augen ansah, „nicht jeder hat das große Glück mit seinen Seelengefährten auch wirklich zusammen zu sein.“ Unwillkürlich schüttelte Marlena sich, während sich alle Härchen an Melissas Körper aufrichteten. Wortlos umarmte sie Marlena, während Tränen über ihr Gesicht liefen und ihr Haar im Wind flatternd versuchte es zu verhüllen. Ihr Blick glitt zum Haus hinüber, das sie erst jetzt wirklich zu registrieren schien. Die gelben Wände hoben sich von den ockerfarbenen Giebeln ab und ein buntes Windspiel bewegte sich sanft im Wind und ließ sein gespenstisch sanftes Spiel erklingen. Eine Bank stand vor dem Haus, gusseisern und verschnörkelt, wie aus einer anderen Zeit stammend, die dann doch nicht allzu lange her sein konnte. Blumenkübel flankierten den Eingangsbereich und der Geruch von Lavendel stieg ihr in die Nase, auch wenn die Zeit der Blüte noch lange nicht gekommen war. Vorsichtig und langsam blickte sie sich um, während sie feststellte, dass sie sich quasi inmitten eines Lavendelfeldes befanden. „Das Universum irrt sich niemals,“ holte Marlena sie aus ihrer Erkundung zurück und löste sich aus ihrer Umarmung. „Irren ist einzig und allein menschlicher Natur.“ „Ich weiß“, flüsterte sie und legte eine Hand auf ihren Bauch. „Aber ich weiß nicht, ob ich Arthur überhaupt noch vertrauen kann.“ Marlena nickte und lächelte sie traurig an. „Nichts was uns widerfährt, geschieht grundlos, und auch wenn du das jetzt vielleicht glauben willst, was dein gutes Recht ist“, fügte sie hinzu, als Melissa sie unterbrechen wollte, „möchte ich dich trotzdem darum bitten zu bleiben, um mit uns gemeinsam die Botschaft die du bekommen hast zu entschlüsseln.“ Unschlüssig biss Melissa sich auf die Lippen, während sich das Für und Wider in ihr um den ersten Platz stritten. Sie wusste, sie sollte eigentlich nicht weiter bleiben und sich noch tiefer in das Meer hinabziehen lassen, das momentan über ihren Kopf zusammenzubrechen drohte. Aber aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grund holte sie tief Luft und nickte schließlich. „Ich bleibe“, erklärte sie, „aber sobald wir die Botschaft entschlüsselt haben, werde ich gehen.“ Marlena nickte und Melissa konnte, die Erleichterung der anderen Frau, beinahe schon körperlich spüren, bevor diese sie an der Hand nahm und beinahe schon wieder ins Haus zerrte. „Komm“, meinte sie, „lass uns erst einmal einen schönen heißen Kaffee oder eine heiße Schokolade trinken.“

Kurze Zeit später aß sie Rosinenkuchen und trank Kaffee dazu, während Marlenas Stimme ihr einiges über das übersinnlich normale Doppelleben der Familie erzählte. Sie hörte nur mit halbem Ohr zu, horchte aber auf als Marlena ihr von einer Reise erzählte, die sie mit Timon und Arthur unternommen hatte, als sie bereits mit diesem zusammen war. Die Geschwister hatten, ein Wochenende in Rom verbracht und sich die Vatikanische Bibliothek, mithilfe ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten, ein wenig genauer angesehen, wobei man sie beinahe erwischt hätte, wenn Arthur nicht die glorreiche Idee gehabt hätte, sich dank ihrer Fähigkeiten als Engel auszugeben. „Du hättest das Gesicht des jungen Mannes sehen müssen,“ lachte Marlena und schnalzte mitleidig mit der Zunge, „der arme hat uns tatsächlich geglaubt.“ Seufzend schloss Melissa die Augen und versuchte sich daran zu erinnern, was Arthur für eine Ausrede benutzt hatte, weswegen er sie an diesem Wochenende nicht sehen konnte. Sie wusste es nicht mehr, jedenfalls momentan nicht, dachte sie, nur das es das Wochenende gewesen war, vor dem sie beide zusammengezogen waren und das es ihr ehrlich gesagt nur recht kam, das er keine Zeit hatte. So hatte sie in aller Ruhe ihre Sachen sortieren und packen können.

Die Stille wurde hörbar und fragend blickte sie Marlena an, die sie ein wenig verschmitzt anlächelte. „Entschuldige“, murmelte Melissa, „ich habe dir nicht zugehört.“ „Das habe ich gemerkt,“ lachte Marlena ihre Entschuldigung beiseite wischend, „aber wenn du dich für Arthur entscheidest, wirst du all die Geschichten irgendwann auswendig können.“ „Falls,“ korrigierte Melissa sie und Marlena nickte ein wenig ernster. „Falls,“ stimmte sie ihr zu, doch die Betonung des Wortes wandelte es in ein „Bestimmt!“ um. „Was hältst du eigentlich von diesem ganzen Hype um den Maya-Kalender,“ wechselte Marlena das Thema. „Wird die Welt wirklich untergehen oder die gefiederte Schlange zurückkehren?“

Bilder übermannten sie und keuchend sprang sie auf, während die Tasse die sie gerade in die Hand genommen hatte, herunterfiel und in scheinbar Abermillionen Stücke zerbrach. Der Kaffee hinterließ einen kunstvoll anmutenden Fleck, der vor ihren Augen verschwamm und sich in ihr eigenes Ebenbild verwandelte, welches von Abertausend weißen Schlangen umgarnt wurde, bevor sie sie wie eine Mumie umwickelten. Eine Hand auf den Bauch die andere auf den Mund gepresst, schüttelte sie mit dem Kopf und schloss die Augen. Wahrscheinlich träumte sie immer noch, dachte sie, während sie tief Luft holte und sie langsam wieder ausatmete. Tief ein und wieder aus, dachte sie, wieder und wieder. Ein und wieder aus. Aus und wieder ein. Langsam beruhigte sich ihr rasender Puls und das Rauschen in ihren Ohren ließ wieder nach.

„Was zum Teufel geht hier vor sich“, murmelte sie und hörte schwach eine Stimme, die sie nicht kannte, ihr aber dennoch vertraut erschien. „Ich glaube nicht, dass Luzifer dir als einstiger Träger des Lichts diese Frage beantworten kann.“

Melissas Blick war immer noch auf die Tasse gerichtet und ohne großartig darüber nachzudenken, hob sie die Hände, ließ die Bruchstücke umeinander wirbeln und kreisen, bevor sie sich wie im Tanz wieder an den Bruchstellen vereinten.

Das Porzellan verschmolz wieder miteinander und die Bruchstellen vernarbten und verblassten, als wäre nie etwas geschehen.

„Wahnsinn!“, flüsterte sie laut, während der Druck in ihren Kopf auf einmal wieder unerträglich wurde. Keuchend rang sie nach Atem. „Luft,“ keuchte sie und wandte sich bereits um, „ich brauche Luft!“ Blind vor Tränen eilte sie in den Flur, stieß dort mit Arthur zusammen und übergab sich ohne Vorwarnung auf seine Füße. Hinter sich hörte sie Marlena und noch während Arthur ihr dabei half sich wieder aufzurichten, ermächtigte gnädige Schwärze sich ihrer und nahm sie mit sich hinab in die selige Tiefe des kurzweiligen Vergessens, wo sie an nichts mehr zu denken und nichts mehr zu fühlen brauchte. Erst einmal, fuhr es ihr wie ein weit entfernter Hall durch den Kopf, während die Ohnmacht sie vollends erfasste und sie von ihren Problemen wegdriftete.

Der Zeiten Tanz

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