Читать книгу Der Zeiten Tanz - Natascha Skierka - Страница 9

Kapitel 4

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Hin und hergerissen seufzte er leise, während seine Hände über Melissas Körper schwebten. Marlena hatte ihm am Telefon von Melissas Schwangerschaft erzählt und auch das sie nicht wollte, das Arthur etwas davon erfuhr. Warum, wieso und weshalb dem so war, wollte oder konnte sie nicht sagen, aber da er sich nicht in Dinge einmischen wollte, die ihn nichts angingen, würde er seinem besten Freund seine bevorstehende Vaterschaft verschweigen und darauf hoffen, dass Melissa, die er erst wenige Male bei ihren Besuchen hier gesehen hatte, ihn bald davon erzählte.

Auch wenn die ganze Welt von Geheimnissen durchwoben schien und er, wenn er sein Medizinstudium beendet hätte, die Schweigepflicht hätte einhalten müssen, war er im Grunde genommen nicht wirklich ein Mensch der Geheimnisse für gut erachtete. Auch wenn er das eine oder andere hüten musste, fuhr es ihm durch den Kopf, während sein Blick Marlena die wartend neben ihren Bruder stand, streifte. Noch heute war er Harold Grimaldo dafür dankbar das er ihn praktisch dazu gebracht hatte, mitten im Studium sein Fach zu wechseln, weil er es verstanden hatte, seinen Studenten nahezulegen, dass Geschichte, aus mehr bestand als nur aus Zahlen und Fakten.

Schon bald hatte er sich angespornt von seiner eigenen Neugier auf die Suche nach sich selbst begeben und seine eigenen Grenzen gesprengt, als er seine eigenen Fähigkeiten entdeckt und sie dank des Professors perfektioniert hatte. Erst durch diese mannigfaltigen Lektionen hatte er gelernt, dass nicht nur der Körper es war, der geheilt werden musste, sondern gleichzeitig auch der Geist und die Seele. Am liebsten hätte er seinen ehemaligen Medizindozenten ins Gesicht geschleudert, das ihre Lehren, noch einmal zur Ausrottung der Menschheit beitrugen, wenn sie diesen Weg weiter beschritten. Aber Harold hatte ihn erfolgreich von solch einem kopflosen Verhalten abgebracht und ihm stattdessen von seinem Geheimnis und dem seiner Familie erzählt, kurz bevor er ihn ebendieser vorgestellt hatte und er ihn darum gebeten hatte, auf Marlena zu achten.

Erneut streifte sein Blick Arthur, der immer noch auf eine Antwort wartete. Die Versuchung beiseite drängend, ihm doch noch die frohe Botschaft mitzuteilen, räusperte er sich schließlich. „Ich konnte nichts ungewöhnliches feststellen“, teilte er ihm wahrheitsgemäß mit. Für eine übersinnliche Schwangere, fügte er gedanklich hinzu. „Ihre Fähigkeiten sind mehr als überdurchschnittlich“, gab Arthur zu bedenken und Guillaume wischte diese beiseite. „Ihre Fähigkeiten sind nicht das Problem,“ beruhigte er Arthur und warf ihm einen fast schon entschuldigenden Blick zu, „sondern vielmehr ihr eigener Widerstreit mit der gesamten Situation, die ihr die Energie raubt.“ Arthur blickte besorgt auf die schlafende Isa, während niemand von ihnen laut erwähnte, dass dies eine hochexplosive Mischung ergeben konnte. Alle ihre Fähigkeiten waren so eng mit ihren Emotionen verbunden, dass sie über Erfolg und Niederlage bestimmen konnten. Je positiver, desto leichter hatten sie sie unter Kontrolle. Überwog hingegen das negative, passierte im günstigsten Fall überhaupt nichts, im schlimmsten jedoch konnte es durchaus passieren, das sie sich selbst vernichten konnten. Guillaume blickte zu Marlena, deren Blick immer noch warnend auf ihn ruhte, und dann zur Türe.

Ohne Arthur und Melissa weiter zu stören, verließen die beiden leise das Zimmer und gingen hinunter in die Küche. Dort presste er sie gegen die Wand, hinter der sich der Geheimgang befand, und umschloss ihre Handgelenke mit festem Griff, während er sie mit seinem Blick durchbohrte. Sein Blut raste durch seinen Körper und er war sich ihrer Nähe allzu deutlich bewusst, als er sich ihrem Gesicht näherte und sein Mund kurz vor ihren Ohr innehielt. „Verlange nie wieder von mir meinen Freund zu belügen“, warnte er sie und ließ sie ebenso abrupt los, wie er sie zuvor an die Wand gepresst hatte. Perplex blickte sie ihn an und musterte ihn. „Es ist weder deine noch meine Aufgabe ihn davon zu unterrichten und das weißt du“, erinnerte sie ihn. „Wenn Melissa sich bereit fühlt, wird sie es ihm schon sagen.“ Skeptisch blickte er sie an, während er sich eine Tasse Kaffee einschenkte, Zucker und Milch hinzufügend, bevor er umrührte und einen Schluck trank. Er war noch viel zu aufgewühlt von der plötzlichen Berührung, als das er es schaffte, einen klaren Gedanken zu fassen. „Da bin ich mir nicht so sicher“, meinte er und ging zum Fenster hinüber, um ihr nicht in die Augen blicken zu müssen. Sie näherte sich von hinten und legte ihren Kopf auf seine Schultern, als hätte er sie nie gegen die Wand gepresst. Die Dunkelheit sorgte dafür, dass das Fenster sich in einen Spiegel verwandelte und das Bild, das sie beide abgaben, jagte heiß-kalte Schauer über seinen Rücken. Sie sah ihn an und er hatte das plötzliche Gefühl, das sie Bescheid wusste und es nur ein Wort von ihm bedurfte, das alles zwischen ihnen veränderte. Der Moment verging und er schwieg, während sie nach unten blickte und tief seufzend ihre Augen schloss. Sie wirkte enttäuscht, doch er konnte einfach nicht über seinen Schatten springen. Beinahe war ihm so, als würde Harolds Seele sie beide beobachten und das machte ihn irgendwie nervös. Nein, korrigierte er sich, nicht nervös, sondern vielmehr verhinderte es erfolgreich, das er weiter ging als er beabsichtigte, weil er seinen ehemaligen Mentor versprochen hatte, auf seine kleine Rebellin zu achten. Harold hatte ihn dabei wissend angesehen und irgendwie hatte er das Gefühl, das es ihm nicht wirklich recht war, das er seine Tochter liebte. Sein viel zu früher Tod hatte ein Gespräch zwischen ihnen darüber verhindert und er musste unwillkürlich an die junge Frau denken, die dort oben im Bett lag, einen Zusammenbruch erlitten hatte, schwanger war und sich mitten in einem heftigen Widerstreit mit ihren eigenen Gefühlen befand. Irgendwie konnte er nachvollziehen, wie Melissa sich fühlen musste, aber er konnte nicht aus seiner Haut. Jedenfalls nicht wenn es um Marlena Grimaldo ging. Ohne es zu bemerken, hob er seine Hand und berührte sanft ihr Gesicht, während diese sich enger an ihn schmiegte. Er reagierte auf sie. Scharf Luft holend senkten sich seine Augen und seine Wimpern berührten graziös seine Haut, während er sich mit aller Macht gegen den Sturm seiner Gefühle wehrte. „Warum tust du das?“ „Was?!“ Seine Augen flogen wieder auf und er blickte sie über die Scheibe hinweg an. Er räusperte sich und wagte es nicht sich zu bewegen. „Warum tue ich was?“ „Warum wehrst du dich gegen mich“, wollte sie wissen. Abrupt ließ sie ihn los und drehte sich zu ihm um, während sie sich gegen das Fensterbrett lehnte und mit den Händen an der Heizung festhielt. Beinahe als wollte sie sich selbst davon abhalten, ihn wieder zu berühren. Er sah sie an und blickte wieder zum Fenster hinaus. Ihr intensiver Blick trieb ihm Schweiß auf die Stirn und raubte ihm den Atem. Was sollte er ihr sagen, ohne sie zu verletzen. „Es ist besser, wenn wir diese Unterhaltung nicht führen“, meinte er schließlich und wandte sich von ihr ab, um auf den Tisch zuzugehen. „Nein,“ ihre Hand schnellte hervor und hielt ihn am Arm fest. „Jetzt ist genau der richtige Zeitpunkt“, sagte sie. „Also sag mir endlich, warum du dich gegen mich wehrst.“ „Nein“, erwiderte er und schüttelte so vehement mit dem Kopf, dass ein leichter Schwindel ihn befiel und er schwankend zurückwich, während er sich aus ihrer Umklammerung befreite. „Guillaume“, flüsterte sie, „bitte.“ Er beging den Fehler sie anzusehen und die Art wie sie ihn ansah setzte für den Bruchteil einer Sekunde seinen Herzschlag aus. Noch nie hatte er so viel verletzliche Sehnsucht in ihren Augen gesehen und beinahe wäre er wirklich auf sie zugegangen und hätte sie in seine Arme geschlossen, um ihr zu versichern, dass er sie über alles liebte. Aber noch, bevor er seinen Impuls folgen konnte, erschien Arthur in der Türe und setzte sich ohne großartig auf die beiden zu achten an den Tisch. „Glaub ja nicht das die Sache damit erledigt ist“, wisperte sie kaum hörbar und warf ihren Bruder einen beinahe schon mörderischen Blick zu. Dieser schien davon aber nichts zu bemerken und sah sie beide an, während er die vor ihm stehende Tasse in die Hände nahm und beinahe wieder fallen gelassen hätte. „Vorsicht“, murmelte Marlena, „du weißt, dass das Mamas Tasse ist und ich möchte nicht, dass sie heute schon wieder magisch geflickt wird.“ Arthur holte scharf Luft und warf seiner Schwester einen ebenso mörderischen Blick zu, wie sie ihm noch vor wenigen Augenblicken. „Ja, dass habe ich gemerkt“, erwiderte er und beäugte die Tasse vorsichtig. „Und du hast es nicht für nötig gehalten, mir oder Guillaume davon zu erzählen?!“ „Nun ja“, murmelte letzterer und Arthur schloss ein wenig schicksalsergeben die Augen. „Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen müsste.“„Nein, nein“, versicherte Marlena ihm schnell und ergriff die Hände ihres Bruders, während sie sich zu ihm setzte und es vermied Guillaume, der im Begriff war den Mund zu öffnen, anzusehen. Stattdessen trat er an den Tisch und hielt seine Hand über die Tasse. Ungehindert strömten die Energien knisternd seinen Arm hinauf und schienen sich in seine Synapsen einnisten zu wollen. Kein Wunder, fuhr es ihm durch den Kopf, das Arthur die Tasse beinahe hätte fallen lassen. Isas Energie war unglaublich stark und ihre Seele ein großartiger Verbund aus Regenbogenfarben, die sich wie ein Licht, das viel zu lange in der Dunkelheit verborgen lag, wie ein Samen keimte, wuchs und voller Pracht erblühte. Beinahe wie die Wandlung von der Raupe zum Schmetterling, dachte er und nahm seine Hand wieder fort. Marlena hatte ihm ebenfalls von der kryptischen Botschaft, die sie zusammen mit Arthur erhalten hatte, berichtet und er fragte sich, inwiefern Isas Zusammenbruch wohl damit zusammenhing. Er wollte dies gerade so äußern, als er leise Melodien vernahm, die seinen Geist gefangen nahmen. Melodien so wunderschön und hypnotisch die davon sangen, dass sie alle ein Teil des Meeres waren, auch wenn sie doch eigentlich ein einzelner Tropfen waren. Untrennbar miteinander verbunden, aber doch eigenständig und einzigartig in ihrer Erscheinung. Wie ein Regentropfen der zum Meer zurückkehrt und der Funken, der zur Flamme wird. Ein Traum, der einen anderen Traum nach sich zog und die Realität beeinflusste. Er spürte, wie etwas nach ihm griff. Etwas das älter war, als die Menschheit selbst, während diese bloß eine noch ziemlich junge Episode in der Geschichte des Universums darstellte. Er wusste, nicht woher, aber er spürte, dass es wichtig war, das sie sich auf eine Reise begeben mussten, damit die Welt wirklich erwachte und aus ihrem tiefen spirituellen Schlummer heraus gerissen wurde.

„Eine Reise,“ wiederholte Marlena und sah ihn skeptisch an, nachdem er ihnen erzählt hatte, was er gesehen hatte. „Ich glaube nicht, dass was oder wer auch immer Isa diese Botschaft übermittelt hat, eine tatsächlich physische Reise gemeint hat.“ „Und wenn doch,“ unterstützte Arthur ihn und fuhr fort: „du weißt ebenso wie ich, dass Visionen und Botschaften, nicht immer das bedeuten, was sie uns direkt zeigen.“ Marlena verdrehte stöhnend ihre Augen. „Dann sollten wir das wohl herausfinden.“ Sie blickte ihn an, als müsste er direkt die Lösung des Rätsels parat haben und sprichwörtlich, aus dem Hut zaubern. Marlena hatte es immer schon geliebt, ihn aus der Reserve zu locken und dann und wann auf eine komplett falsche Fährte zu führen. Aber dafür war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort. Er warf ihr einen dementsprechenden Blick zu und sie hob spitzbübisch eine Augenbraue. „Dann werde ich mal sehen, was meine Quellen so alles preisgeben,“ meinte er und seine Worte hallten in ihm nach. Plötzlich hatte er es sehr eilig, aus diesem Haus zu kommen.

Marlenas Nähe wurde ihm plötzlich zu viel und er konnte keinen weiteren klaren Gedanken mehr fassen. Er brach so schnell auf, dass Arthur ihn perplex ansah und Marlena besorgt mit der Stirn runzelte, während er beinahe schon aus der Küche stürmte, seine Jacke überwarf und einen letzten Gruß rufend, das Haus verließ. Als er endlich im Auto saß und wie ein Verfolgter davonfuhr, rasten seine Gedanken ziellos umher, während die Sterne in der klaren kühlen Nachtluft funkelten und ihn zu beobachten schienen. Er schüttelte sich und schloss das Fenster, das er vergessen hatte zu schließen, als er sich beeilt, hatte in das Haus zu kommen, aus dem er eben erst geflohen war. Zwar wohnte er nicht weit von Marlena, aber die fünfzehn Minuten Fahrt kamen ihm wie eine halbe Ewigkeit vor und es kam ihm beinahe ein wenig so vor, als wollten die Sterne ihn auslachen, weil ihm etwas Wichtiges entgangen zu sein schien. „Nur was“, murmelte er und schlug ungehalten mit der flachen Hand auf das Lenkrad und löste dabei ungewollt die Hupe aus. „Was!“, schrie er und zuckte gleichzeitig zusammen. „Was sehe ich nicht?“ Sein Blick wanderte zu den Sternen, während der große Wagen, der sich im Sternbild des großen Bären befand, am Nachthimmel über ihm befand. Die Sterne hatten schon immer eine unglaubliche Faszination auf ihn ausgeübt, und da er schon immer gespürt hatte, dass sie poetisch gesprochen von dem Staub der Sterne erschaffen worden waren, fühlte er sich wie ein Magnet von ihnen angezogen. So wie der Mond von der Erde, während beide gemeinsam um die Sonne kreisten, die vor so vielen Milliarden Jahren aus einer Materiewolke entstanden war, die hauptsächlich, aus dem beim Urknall, entstandenen Gase, Wasserstoff und Helium bestand, sowie deren schwerere Elemente wie Wasser, Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und auch anderen Kohlestoffverbindungen, Ammoniak und Siliziumverbindungen. Diese Wolke hatte sich kurzum zusammengezogen und war unter dem gewaltigen Druck explodiert und war fast gänzlich in das Zentrum der Milchstraße gestürzt. Ein Protostern hatte sich gebildet der weiter kollabierte. In seinem Inneren war der der Druck und die Temperatur so weit angestiegen, das ein Kernfusionsprozess gezündet wurde, der Wasserstoffkerne und Heliumkerne miteinander verschmolzen hatte. Die dadurch freigesetzte Energie erzeugte einen Strahlungsdruck, der der Gravitation entgegen wirkte und weitere Kontraktionen aufhielt, wodurch ein stabiler Stern entstanden war. Die Sonne, ohne die es ein Leben auf der Erde, erst gar nicht gegeben hätte, geschweige denn all die anderen Planeten die, von ihr angezogen, um sie kreisten. Merkur, Venus, Erde und Mars als ihre inneren Planeten, die in der heißen Sonnennähe entstanden waren, sowie den äußeren Planeten der kälteren Sonnenferne, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun sowie dem Zwergplanten Pluto. Alles andere, was die Planeten nicht von der Materie einsammelten, verband sich zu kleineren Objekten, den Kometen und den Asteroiden oder auch Planetoiden genannt. Und all das, dachte er, hatte sich auf die Fantasie des Menschen ausgewirkt und sie angeregt, während überall auf der Welt Mythen entstanden, die sich einander ähnelten, obwohl die Reisebedingungen, der Menschen damals nicht gerade die besten und angenehmsten gewesen waren. Mythen die zu Legenden wurden und das alltägliche Leben beeinflussten und auf eine Weise lenkten, die der moderne Mensch kaum noch wirklich nachvollziehen konnte. Er holte tief seufzend Luft, während er versuchte, nicht einer Zeit nachzutrauern, die er weder gesehen, noch selbst erlebt hatte. Was brachte es ihm schon, dachte er, wenn er der Frau, die er liebte, fern bleiben musste, obwohl diese nichts dagegen zu haben schien sich mit ihm einzulassen. Was nur, fragte er sich, was nur war es, außer diesem Versprechen, das ihn davon abhielt, sich auf sie einzulassen? Irgendetwas musste es doch sein, dachte er, während seine Augen zwischen Straße und Sterne hin und her wanderten. Vielleicht sah er aber auch einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht, während er an Dingen festhielt, die offensichtlich nicht gut für ihn waren und ihn davon abhielten, das zu tun, was er wirklich wollte. Aber was war es eigentlich das er wollte. Seine Gedanken hörten auf zu kreisen und Marlenas Antlitz erschien vor seinem geistigen Auge. Er wischte sie wieder fort, während sein Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Noch konnte er nicht über seinen Schatten springen, sagte er sich, obwohl er das nicht verschwinden wollende Gefühl hatte, das ihm die Zeit immer mehr zwischen den Fingern zerrann, wie Sand. „Hör auf an sie zu denken“, befahl er sich, „es gibt im Moment Wichtigeres.“ Aber war das wirklich so? War die Lösung dieses scheinbaren Rätsels wirklich wichtiger als die Liebe? Hatte sein Freund das nicht auch erfahren, obwohl Melissa so überaus zwiegespalten erschien. Hatte sie sich nicht dennoch auf Arthur eingelassen, obwohl Isa durchaus bewusst gewesen sein musste, dass sie einen sehr essenziellen Teil von sich aufgab, wenn sie es tat. Er hatte ihre Zweifel gespürt. Zweifel die immer noch unter der Oberfläche brodelten, weil sie nicht wirklich glauben konnte, dass sie zueinander gehörten, obwohl ihre innere Stimme ihr etwas anderes sagte, während ihr Verstand die mittlerweile neue Situation bereits erfasst hatte und ihr sagte, dass es nun wirklich keinen Grund mehr gab, nicht bei dem Menschen zu bleiben, den sie über alle Maßen liebte und dessen Kind sie erwartete. Aber noch waren ihre Gefühle und ihr Verstand nicht im Einklang, dachte er, während er sich stirnrunzelnd fragte, wie er das alles wissen konnte, wenn er sie doch nur kurz untersucht hatte und die Tasse kaum berührt, durch die er ihre Energie gespürt hatte. Sämtliches Blut wich ihm mit einem Mal aus dem Gesicht, während ihm plötzlich klar wurde, das er wohl mehr oder weniger unfreiwillig einige ihrer Gedanken mit aufgenommen haben musste. Beinahe so als hätte sie ihn für einen kurzen Moment, telepathisch berührt und die Tasse nichts anderes, als ein bloßer Mittler ihrer Gedanken gewesen war, dachte er, während seine Augen wieder zu den Sternen wanderten, zu Orion und dem Sternbild des Stiers, dessen Auge der rote Stern Aldebaran bildete, während seine Schulter aus dem sagenumwobenen Gestirn der Plejaden bestand.

Abrupt trat er auf die Bremse und legte schwer atmend den Kopf auf das Lenkrad. Natürlich, dachte er, während er krampfhaft versuchte zu schlucken. Wenn es hier wirklich um eine Reise ging, dann durften sie die Plejaden, die sieben Schwestern nicht außer Acht lassen. Das heißt, fuhr es ihm durch den Kopf, ihre irdischen Äquivalente. Seine Augen schimmerten verdächtig, während er den Kopf hob und lange auf das Siebengestirn blickte, an all die Mythen und Legenden denkend, die sich um sie rankten und die sich ihren Platz in den großen Weltreligionen gesichert hatten, ohne sich einen Deut darum zu kümmern, für welchen Gott auch immer sie ihre Namen und ihre Bedeutung hergaben. Aber das war im Grunde genommen auch egal, dachte er, denn es war einzig und allein wichtig, das sie ihr Ziel nicht vergessen zu werden, mehr als bloß erreicht hatten. Egal wo man auch immer hinblickte, fuhr es ihm durch den Kopf, sie hatten sich überall mehr oder weniger niedergelassen.

Ihre modernste Niederlassung befand sich in einer japanischen Automarke, die er, Zufall oder nicht, selbst fuhr. Ein Lächeln glitt über sein Gesicht, während er vorsichtig wieder das Gaspedal betätigte und die letzten Kilometer seiner Heimfahrt fortsetzte. Zu Hause würde er seiner Eingebung folgen und herausfinden, welche Plätze auf der Welt eine direkte oder indirekte Verbindung zum Siebengestirn pflegte, damit er sie entweder ausschließen konnte oder vielleicht doch den richtigen Weg beschritt. Er fuhr in die Auffahrt seines Hauses und brachte das Auto mit einem leichten Ruck zum Stehen. Kies spritzte hoch und verteilte sich neu. Er kämpfte mit seinem Gurt und sprang beinahe schon aus dem Auto, während er es per Knopfdruck verschloss und auf die Haustüre zusteuerte. Mit bebenden Händen öffnete er sie und strebte, ohne Licht zu machen durch den Flur, während die Tür krachend ins Schloss fiel und er das Licht zu seinem Arbeitszimmer, das eher einer hoffnungslos überfüllten Bibliothek glich, anknipste. Hier, so hoffte er, würde er das, wonach er suchte, finden. Ansonsten, so dachte er, während sein Blick zu seinem brandneuen Laptop hinüber glitt, der auf den schweren aus Kirschholz gezimmerten Schreibtisch stand und ein wenig fehl am Platze wirkte, gab es immer noch die moderne Art der Suche. Per Mausklick mit allen verbunden, das nicht niet- und nagelfest war. Er streifte die Jacke ab und ließ sie dort, wo er war, fallen, während Guillaume sich endlich an die Arbeit, beziehungsweise sich auf die Jagd machte. Einer Schnitzeljagd, fügte er gedanklich hinzu und strebte auf die Bücherwand zu, zog Bücher heraus blätterte in ihnen, machte sich Notizen und surfte im Internet. Nach und nach erschlossen sich ihm Mythen und Legenden, während die Nacht um ihn herum friedlich ihrer Daseinsberechtigung nachging, den Schlaf der Menschen unter dem Schutz der Sterne bewachend.

Der Zeiten Tanz

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