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The City of London Zur selben Zeit

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Celeste und Dorothea waren mit der Kutsche nach Norden gefahren, die Park Lane entlang und waren dann in die Oxford Street eingebogen. Sie kamen am Princess Theatre vorbei, in dem das Stück Drink gespielt wurde. Die Hauptrolle spielte ein gewisser Charles Warner, der ernst von einem der Plakate neben dem Eingang herabschaute. Ansonsten reihten sich Geschäfte an Geschäfte. Der feine Regen fiel auf die zahlreichen Markisen, die fast bis an die Straße reichten. Der Union Jack hing nass von zahlreichen Fahnenstangen herab.

Celeste fühlte sich wie eine Forscherin, die staunend eine ihr fremde Welt erkundete und alle Eindrücke aufsog wie ein Schwamm. Obwohl die Stadt ihr einerseits vertraut erschien, so war sie ihr andererseits auch fremd. Alleine schon die Tatsache, dass die Kutschen in London auf der falschen Straßenseite fuhren, irritierte sie. Die schiere Zahl der Gefährte ähnelte allerdings der in New York oder Chicago. Dazu waren die Gehwege voller geschäftig umher eilender Menschen. Dienstboten und Arbeiter, dazwischen Straßenkehrer und Mistsammler. Reiche Gentlemen in schwarzen Mänteln und sauber geputzten Schuhen, die durch die Nässe langsam stumpf wurden, blieben an den Schaufenstern von John Lewis, Swears & Wells und dem Schuhmacher Manfield & Sons stehen.

In den Schaufenstern von Wallis & Co. sah Celeste edle Kleider für die Abendgala, die Oper oder das Theater, dazu Hüte in allen Formen und Farben, geschmückt mit Federn von Krähen, Pfauen und Papageien.

Bei John Collier standen Schaufensterpuppen aus Mahagoni. Sie trugen Smokings und gestärkte Hemden mit Salisbury- oder Mornington-Kragen. Natürlich alles passgenau und von Hand gefertigt, wie es ein Schild im Fenster verkündete.

Celeste verdrehte sich den Hals, alles war so vertraut und gleichzeitig so ganz anders als zu Hause. Werber, die große Plakate umhertrugen, liefen über die Straße und machten mit einer Glocke auf sich aufmerksam.

„Kaufen Sie Romleys Mundwasser! Mundwasser von Romley! Kaufen Sie … nur hier die Seife mit Rosenduft!“, plärrte ein anderer dazwischen, „Rosenduft Seife! Für Ihre Lieben, für sich selbst! Tun Sie sich etwas Gutes und kaufen Sie … Rosenseife!“ Die Stimme verlor sich im allgemeinen Lärm der Straße, als die Kutsche weiterfuhr.

Pferdeomnibusse rumpelten schwerfällig vorbei. Celeste kannte sie aus Chicago und hasste sie. Sie waren immer hoffnungslos überfüllt, ständig trat einem jemand auf die Füße und sie schaukelten so entsetzlich, dass sie einmal fast seekrank geworden wäre.

Bei einem der Blumenmädchen am Picadilly Square kaufte Celeste einen kleinen Strauß Primeln für ein paar Pence. Zumindest hoffte sie, dass sich das Mädchen nur ein paar Pence genommen hatte. Celeste verwirrte das fremde Geld, die englischen Münzen ähnelten sich zu sehr.

Den Strauß schenkte sie Dorothea.

Inzwischen war es Mittag geworden. Der Regen hatte sich so schnell verzogen, wie er gekommen war, die Sonne brach durch die Wolken und Dorothea führte Celeste in ein kleines Café in eine der Seitenstraßen, nicht weit von Picadilly entfernt. Sie saßen unter einer großen Markise und hatten Glück, noch einen freien Tisch bekommen zu haben. Ein paar Straßenmusikanten, die in der Nähe unter einer Laterne standen, spielten die Serenade von Franz Schubert.

Dorothea bestellte heiße Crumpets und Ingwertee für sie beide.

Ingwertee. Celeste mochte den scharfen Nachgeschmack nicht, trotzdem nippte sie tapfer an der Tasse, was ihr sofort leidtat. Die Schärfe des Ingwers brannte in der Kehle. Sie verzog das Gesicht. Dorothea kicherte leise. „Schmeckt er Ihnen nicht?“, fragte sie unschuldig.

„Ich glaube, wenn es nur noch Ingwertee zu trinken gäbe, würde ich verdursten.“

Nun kicherte Dorothea so laut, dass sich ein paar der anderen Gäste nach ihnen umdrehten.

Sie errötete, senkte den Kopf zwischen die Schultern und wurde still. Nach einer Weile sagte sie: „Sie wissen so viel über mich. Aber ich weiß gar nichts über Sie.“

Celeste stocherte in ihrem Crumpet und antwortete ohne aufzusehen. „Da gibt es nichts zu erzählen.“

„Sind Sie verheiratet?“

Nun sah Celeste auf. „Nein.“

„Warum denn nicht?“

Celeste zupfte ein welkes Blatt von dem Primelstrauß, der zwischen ihnen auf dem Tisch lag. Sie konnte Dorothea nicht sagen, dass sie sich deswegen mit ihrer Familie überworfen hatte und dafür sogar verstoßen wurde. „Das ist ein heikles Thema.“

Dorothea ließ nicht locker. „Warum ist das heikel?“

„Iss deinen Crumpet.“

Ein Zeitungsjunge kam vorbei. Er trug einen Stapel Zeitungen auf dem Arm und hielt eine hoch in die Luft gestreckt.

„Lesen Sie alles über die Tote in der Themse! Alles in der Illustrated Police News! Die Themsebestie tötet wieder! Lesen Sie alles im Innenteil! Themsebestie mordet wieder! Lesen sie den Augenzeugenbericht! Police News!“

Der Junge blieb stehen und hielt Ausschau nach Kundschaft. Ein beleibter Mann am Nachbartisch winkte ihn heran und kaufte eine Zeitung.

Dann war der Junge auch gleich weiter und versuchte sein Glück woanders.

Der Kellner kam. „Sind die Damen zufrieden? Darf ich noch etwas bringen?“ Er trug ein sauber gefaltetes Serviertuch über dem angewinkelten Arm.

„Haben Sie Kaffee?“, fragte Celeste und schob den Ingwertee demonstrativ von sich.

Der Kellner bemerkte es, lächelte aber gleichbleibend höflich. „Selbstverständlich, Madam.“

„Dorothea?“ Das Mädchen hörte nicht. Celeste beugte sich vor und berührte Dorothea am Arm. „Hörst du? Möchtest du auch eine Tasse Kaffee?“

Aber Dorothea starrte mit weiten Augen auf die Titelseite der Illustrated Police News, die der Mann am Nebentisch aufgeschlagen hatte.

Die Überschrift lautete „Themsebestie mordet wieder“. Darunter waren die gezeichneten Porträts zweier Frauen zu sehen. Die eine war jung, die andere älter und offensichtlich Asiatin.

„Estelle“, keuchte Dorothea, sprang auf und riss dem verdutzten Gast die Zeitung aus der Hand. Ihr Blick flog über das Papier. Ihr ganzer Körper wurde dabei von einem Zittern erfasst, das immer stärker wurde. Schließlich schrie Dorothea grell auf. Ihre Hände zerknüllten das Papier und sie stürzte weinend zu Boden. „Estelle. Nein, nein, nein.“

Celeste war sofort bei ihr, umfasste ihre Schultern und lehnte sie gegen sich. „Shht, shht, alles gut. Es ist alles gut.“

Der Kellner stand fassungslos da. Andere Gäste verrenkten sich den Hals, nur der Mann mit der Zigarre starrte sie wütend an und polterte los. „Ist die hysterisch geworden, oder was?“

Celeste fuhr ihn an. „Seien Sie still! Ein Glas Wasser!“ Keiner rührte sich. Sie starrte den Kellner an. „Ein Glas Wasser, haben Sie mich nicht gehört?“

Dorothea schluchzte und weinte und bekam kaum Luft, ihr Gesicht war rot geworden.

„Gibt es hier ein Problem?“ Ein Bobby war durch den Lärm aufmerksam geworden.

„Sie schickt der Himmel, guter Mann“, sagte Celeste, die Dorothea fest an sich drückte und ihr dabei sanft über den Kopf strich. „Würden Sie uns bitte eine Kutsche besorgen?“

Der Bobby nickte. „Sie sollten sie zu einem Arzt bringen.“

„Das wird nicht nötig sein. Ihr ist nur … schwindelig geworden.“

„Schwindelig?“ Der Mann mit der Zigarre schnaufte spöttisch. Celeste starrte ihn wütend an. Ihre zusammengekniffenen Augen verrieten, dass sie sich nur zu gern mit ihm angelegt hätte.

Der Mann zog es vor, nichts mehr zu sagen und sich hinter den Resten seiner Zeitung zu verstecken.

Der Kellner brachte das Glas Wasser, aber Dorothea wollte nichts trinken. Sie schlug ihm das Glas aus der Hand, das auf dem Pflaster zersplitterte.

„Bitte“, sagte Celeste flehend an den Polizisten gewandt und drückte gleichzeitig dem Kellner achtlos ein paar Münzen in die Hand.

„Na schön, wie Sie meinen. Aber ich denke, sie bräuchte wirklich einen Arzt.“ Ohne auf ihre Antwort zu warten, trat er an die Straße und winkte die erste freie Hansom-Kutsche heran.

Dann half er Dorothea beim Einsteigen.

„Danke“, sagte Celeste, setzte sich und schloss die Tür.

„Jederzeit zu Diensten, Ma'am“, sagte der Bobby und salutierte flüchtig. „Passen Sie gut auf sie auf.“

„Das werde ich.“

Die Kutsche rollte an und reihte sich in den Verkehr ein. „Wohin, Lady?“, fragte der Kutscher.

„Park Lane und beeilen Sie sich.“

Celeste lehnte Dorothea an ihre Schulter und nahm sie tröstend in die Arme. Das Mädchen schluchzte und wimmerte leise, hatte sich sonst aber beruhigt. Jetzt weiß sie es also, dachte Celeste bitter. Auf diese Weise hätte sie es nicht erfahren dürfen.

Sie beschloss, das Mädchen nach Hause zu bringen. Celeste sah sich genötigt, etwas zu unternehmen. Der Mörder von Estelle Wiggins hatte ein weiteres Mal zugeschlagen. Sie warf einen verstohlenen Blick auf das Stück Zeitung, das sie eingesteckt hatte. Da stand ein Name. Madame Yin. Sie würde herausfinden, wer das war.


Das Geheimnis der Madame Yin

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