Читать книгу Lusakata - N.D. Bennett - Страница 10
Ein wahres Meisterwerk
ОглавлениеLange hatte er mit all seinem Können daran gearbeitet, und nun hatte er es endlich geschafft.
Federleicht lag der aus Balsaholz gefertigte Flieger in seiner Hand. Er war schon fast ein kleines Meisterwerk und das mit Abstand Großartigste, was Alexander bisher erschaffen hatte. Jetzt musste er nur noch den Himmel erobern.
Alexander war gespannt und voller Zuversicht, wie er es sonst nur selten war.
Wer ihn näher kannte, wusste ihn sehr zu schätzen. Denn er war ein guter und fleißiger Schüler und immer zur Stelle, wenn er gebraucht wurde.
Doch die meisten machten sich nicht die Mühe, das herauszufinden, und so galt er gemeinhin als still und eigenbrötlerisch.
Aufgrund seiner fehlenden Größe, Alexander war der Kleinste in seiner Klasse, konnte es auch schon mal passieren, dass er von den anderen übersehen wurde. Nicht aber von der Kjerobande. Die Jungen fanden, dass Alexander ein ausgeprägter Schwächling war, und so ließen sie es sich nicht nehmen, ihm regelmäßig nach der Schule aufzulauern, um ihre Gemeinheiten an ihm auszulassen.
Darin waren sie wirklich gut, doch all das kümmerte Alexander in diesem Augenblick herzlich wenig. Wie ein Flugpionier der ersten Stunde fieberte er dem Jungfernflug seiner Konstruktion entgegen.
Eilig verließ er die Wohnung. Nach einem kurzen Fußweg erreichte Alexander den Rand des Waldes.
Einige Tage zuvor hatte er darin eine Lichtung entdeckt, die ihm wie geschaffen für sein Vorhaben erschien. Dort angekommen, zögerte er keine Sekunde. Er hob seinen Flieger in die Luft und rannte los.
Der Wind pfiff ihm um die Ohren und begann, heftig an der zarten Holzkonstruktion in seiner Hand zu zerren. Mit einem ordentlichen Schubs entließ er seinen Flieger in die Freiheit. Steil schoss dieser in den Himmel hinauf. Alexander stoppte.
Voller Freude über den meisterlichen Start sah er dem Gleiter hinterher. Der Wind nahm ihn mit sich, höher und höher. Es schien, als würde er tänzelnd auf unsichtbaren Wellen fortgetragen, bis er einige Augenblicke später wieder sanft im Gras landete.
Außer sich vor Glück rannte Alexander zu ihm. Das Flugzeug hatte seine Feuertaufe unbeschadet überstanden. Plötzlich hörte er ein lautes Knacken von Zweigen. Es schien aus einem Gebüsch ganz in seiner Nähe zu kommen. Sofort ging Alexander in Deckung, doch alles blieb ruhig. Dann vernahm er Stimmen. Ein lauter werdendes Johlen und Lachen drang zu ihm herüber. Instinktiv duckte sich Alexander noch tiefer, denn er wusste sofort, mit wem er es zu tun hatte.
Grölend schlenderte die Kjerobande über die Wiese. Doch ihre Ausgelassenheit fand ein jähes Ende, als ein lautes »Heda, holla!« ertönte.
Wieder knackte es im Gebüsch, dann raschelte es verdächtig, und ein kleiner, dunkelhaariger Junge kam zum Vorschein, der unbeholfen auf die Wiese stolperte.
»Heda hab ich gesagt, seid ihr schwerhörig, oder habt ihr Fell in den Ohren?«, schimpfte der Junge. Diese Worte zeigten Wirkung. Alle Jungen der Kjerobande drehten sich zugleich um.
»Hat hier etwa jemand mit uns gesprochen, Freunde? Ich sehe niemanden, ihr etwa?«, fragte Karl hämisch und schaute demonstrativ über den Jungen hinweg. Die anderen schüttelten begeistert die Köpfe.
»Seid ihr denn von allen guten Wichteln verlassen?«, rief der fremde Junge wütend und hüpfte empört auf und ab. Karl senkte seinen Blick. Dann schaute er dem Kleinen direkt in die Augen und zischte: »Was willst du?«
Der fremde Junge versuchte, sich ein wenig größer zu machen, räusperte sich und sprach: »Ich brauche Hilfe. Seid ihr mutig und schlau und in der Lage, kurzfristig mitzukommen? Es ist etwas kompliziert, wisst ihr...«
Während der Junge immer aufgeregter erzählte, begann die Bande unbemerkt einen Kreis um den kleinen Kerl zu ziehen. Alexander hielt den Atem an. Aus eigener Erfahrung wusste er genau, was dem Jungen nun blühte. Angespannt verharrte er am Boden. Dann traf er eine Entscheidung.
Mit einem Satz sprang er aus seiner Deckung hervor und rannte mit lautem Gebrüll auf die Bande zu. Blitzschnell durchbrach er ihren Kreis, packte den fremden Jungen und schrie: »Los doch, lauf!« Nur kurz nahm er die verdutzten Gesichter der anderen wahr, sie schienen nicht glauben zu können, was gerade geschah. So schnell er konnte, lief Alexander, den Jungen hinter sich herziehend, davon.
Doch es dauerte nicht lange, da hörte er ein lauter werdendes Keuchen und Pusten hinter sich. Es wurde immer heftiger, bis es schließlich Alexander zwang, sein Tempo zu verringern.
»Na endlich nimmt der Langstreckenkönig auch mal etwas Rücksicht auf die Kurzbeinigen! Unerhört ist es, so durch den Wald zu flitzen!«, beschwerte sich sein Begleiter motzig. Alexander blieb abrupt stehen. Der Junge hinter ihm reagierte zu spät, prallte mit voller Wucht gegen seinen Rücken und landete unsanft auf dem Boden.
»Ich habe gerade einen Haufen blauer Flecken riskiert, und das ist der Dank dafür?«, schimpfte Alexander wütend.
»Wie bitte?«, entgegnete ihm der fremde Junge verständnislos. »Auf die fünf von eben lasse ich nichts kommen! Ich hatte sie schon fast so weit, aber dann musstest ja du auftauchen! Zugegeben, sie wirkten auf mich zwar etwas schwer von Begriff, ansonsten gibt es aber keinen Grund, schlecht über sie zu sprechen.«
»Windelweich hätten sie dich geprügelt! Glaube es mir, das hätten sie!«, erwiderte Alexander und schüttelte verärgert den Kopf.
Der fremde Junge zog die Mundwinkel hoch und zuckte mit seinen Schultern. Dann musterte er Alexander neugierig. »Was starrst du mich so an?«, fragte dieser ihn misstrauisch. Sein Begleiter runzelte nachdenklich die Stirn und antwortete: »Ich war auf der Suche nach Hilfe, denn die benötige ich wirklich dringend! Wenn es aber so ist, wie du sagst, dann scheinst du auch ein recht schlaues Kerlchen zu sein. Schnell bist du obendrein, das kann nie schaden. Ein bisschen kleiner als gewünscht vielleicht, aber was macht das schon? Ich heiße übrigens Mattis.« Fröhlich streckte ihm der Junge die Hand entgegen.
»Mein Name ist Alexander«, antwortete der widerwillig. »Und was die Größe angeht, bin ich ja wohl mindestens einen Kopf größer als du!«, fügte er mit Nachdruck hinzu.
Ein Rufen in der Ferne ließ ihn augenblicklich wieder wachsam werden. Er schaute zu allen Seiten und zog Mattis näher an sich heran.
»Wir können hier nicht länger bleiben, hier ist es nicht sicher genug. Wenn sie uns finden, ist es aus und vorbei! Also komm, wir müssen weiter«, forderte Alexander ihn auf.
Notgedrungen setzte sich Mattis in Bewegung. Nach einigen Metern blieb er jedoch wieder stehen und fragte maulend: »Was glaubst du, wie lange dauert es noch? Ich habe Hunger und werde bereits daheim erwartet.«
»Unglaublich, worüber du dir Gedanken machst! Als hätten wir keine größeren Probleme«, entgegnete Alexander verständnislos. Er hatte gerade zu Ende gesprochen, da ertönte auch schon Karls hämisches Lachen. Siegesgewiss hatte er sich hinter den beiden Jungen aufgebaut.
»Nun werden wir wohl improvisieren müssen«, flüsterte Mattis hinter vorgehaltener Hand. »Taktik und Verwirrung sind die besten Mittel!«
»Und, was schlägst du vor?« drängte Alexander.
»Hier ist mein Plan, der einzige und beste für den Augenblick - wir laufen!«, rief Mattis und ehe sich Alexander versah, war Mattis auch schon losgesaust. Er schlug einige kurze Haken und verschwand im dichten Gebüsch.
»Was für ein genialer Plan!«, brummelte Alexander, der Karl nun ganz allein gegenüberstand. Schäbig grinsend rieb sich dieser die Hände und schlenderte selbstgefällig auf Alexander zu.
»Und? Was machst du nun, du Wurm? Da hat dein neuer Freund wohl die Kurve gekratzt! Macht aber nichts, jetzt bin ich ja da. Wir werden uns sicher auch gut verstehen!«, spottete Karl.
Alexander schluckte schwer. Eines war sicher, die Chance, ihm eine gehörige Abreibung zu verpassen, würde Karl sich nicht entgehen lassen.
»Das wird verdammt übel enden«, dachte Alexander, während Karl immer näher kam. Hastig wich er zurück und stolperte dabei über einen dicken Ast, der hinter ihm auf dem Boden lag. Er taumelte, schaffte es aber noch, sich auf den Beinen zu halten.
»Na? Nimmst du mir schon die Arbeit ab?«, kommentierte Karl Alexanders Missgeschick abfällig und schritt nun mit Tempo auf ihn zu. Alexander machte einen Satz zurück, wurde dabei aber von einem jungen Bäumchen gestoppt, das kaum höher als er selbst gewachsen war. Karl nutzte die Gelegenheit und packte ihn am Kragen.
»Habe ich dich endlich, du Kröte!«, schrie er lachend und drückte seinen Widersacher mit aller Kraft in das Bäumchen hinein. Alexander hoffte, dass es ihn halten würde, während es sich immer weiter nach hinten bog. Wild schnaubend hing Karl über ihm.
»Bring es endlich zu Ende«, dachte Alexander, als Karl sich plötzlich merkwürdig verhielt. Er spitzte seinen Mund und kniff die Augen fest zusammen. Dann rümpfte er seine Nase, bis beide Nasenflügel schließlich zu flattern begannen.
»Herrje, er wird mich doch wohl nicht küssen wollen!«, dachte Alexander, als er plötzlich realisierte, was sich da vor ihm anbahnte. Schnell rollte er sich zur Seite und plumpste zu Boden. Das Bäumchen, das ihn bis dahin gehalten hatte, schnellte mit aller Wucht vor und klatschte genau in der Sekunde in Karls Gesicht, als sich daraus ein ohrenbetäubender Nieser löste.
»Autsch, das hat weh getan!«, dachte Alexander, während Karl angeschlagen umhertaumelte.
Doch dann erkannte Alexander seine Chance. Blitzschnell sprang er auf seine Beine und rannte davon. Schon bald verlangsamte er aber wieder sein Tempo. War Karl noch hinter ihm? Wo war Mattis? Hatten sie ihn etwa erwischt? Aufmerksam horchte Alexander in die Umgebung hinein. Und tatsächlich hörte er etwas. Es waren die Rufe der Kjerobande. Weit waren sie nicht entfernt.
Hektisch schaute Alexander sich um. Wohin nur? Sollte er auf einen Baum klettern oder weiterlaufen?
Da entdeckte er am knorrigen Wurzelwerk eines mächtigen Baumes einen aufgeworfenen Erdhaufen.
Schnell lief er zu ihm und stellte fest, dass hier jemand ein tiefes Loch in die Erde gebuddelt hatte. Alexander ging in die Hocke und blickte in die Öffnung. Viel konnte er aber nicht erkennen. Schon nach wenigen Metern verschwand alles in nachtschwarzer Dunkelheit. Alexander neigte sich etwas vor.
»Komm zu mir..., komm«, drang es aus der Tiefe lockend an sein Ohr. Alexander schreckte zurück. Ihm stockte der Atem. Er wusste nicht was, aber irgendetwas war dort unten. Erneut wagte sich Alexander ein Stück vor.
»Mattis, bist du das?«, fragte er in die Schwärze, doch er erhielt keine Antwort. Dann legte er sich auf den Bauch und glitt vorsichtig ein Stück in das Loch hinein. So sehr er sich jedoch bemühte, erkennen ließ sich nichts. Allmählich lief Alexander die Zeit davon. Schon bald würden Karl und die anderen Jungen ihn eingeholt haben. Flink drehte er sich herum und schob sich mutig in den dunklen Gang. Auf seine Ellenbogen gestützt, stemmte er sich Stück für Stück tiefer in das feuchtkalte Loch hinab.
Der Gang wurde eng und enger. Beklemmung kam in ihm auf. Er fühlte sich ausgeliefert wie ein gejagtes Tier, das seinem unausweichlichen Ende entgegensah. Regungslos verharrte er einen Augenblick und horchte hinaus. Draußen war es still.
»Vielleicht sind sie weg?«, hoffte Alexander, doch dann hörte er sie wieder, sie waren jetzt ganz nah.
»Na, wo bist du denn, du mutiger Held? Retter der Schwachköpfe und Dummschwätzer«, hörte er Karls hämische Worte. »Wartet, Freunde, ich rieche etwas! Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, es ist der Geruch von Angst - ja, tatsächlich, es ist Angst, die ich rieche - und zwar genau hier!«
Bewegungslos lag Alexander im sandigen Boden des dunklen Ganges und hoffte, dass noch ein Wunder geschah. Plötzlich gab es eine Erschütterung. Erde rieselte auf seinen Kopf herab. Alexander wagte es nicht, sich zu bewegen.
»Sind die da oben von allen guten Geistern verlassen? Wenn hier alles einstürzt, ist es aus mit mir!« Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, da gab es eine weitere Erschütterung. Erdklumpen lösten sich aus den Wänden heraus und prasselten auf ihn nieder.
»Na, was glaubt ihr, Freunde, ist unser Held wohl da unten? Komm schon, du Feigling! Komm hervor und kämpfe wie ein Mann!«, versuchte Karl, Alexander zu provozieren.
»Hört endlich auf, da oben so herumzuspringen!«, schrie Alexander aufgebracht. Doch die Jungen schien das nicht zu kümmern. Sie trampelten und stampften weiter mit ihren Füßen, bis sich schließlich die Erde über Alexanders Kopf zu senken begann.
»Na, wie findest du das? Komm raus aus deinem Bau, Kaninchen, komm schon, komm. Wir kriegen dich ja doch!«, brüllte Karl.
Plötzlich packte etwas Alexanders Beine. Es zog sich fest um seine Knöchel und zerrte daran. Panik überkam ihn. Alexander versuchte, sich zu wehren, doch die Enge des Ganges machte es ihm unmöglich. Auf einmal gab es einen Ruck, und mit aller Kraft riss es ihn hinab. Dann wurde es schwarz.