Читать книгу Lusakata - N.D. Bennett - Страница 15
Unheilvolle Botschaft
Оглавление»Schau, Alexander, da oben!«, rief Mattis und hüpfte vor Freude wie ein Gummiball auf und ab.
Sie waren wieder unterwegs. Gerade folgten sie einem schmalen Pfad, der sich zwischen Wiesen und Feldern hindurchschlängelte.
Mattis deutete mit dem Zeigefinger auf eine alte Mauer, hinter der man das Dach eines windschiefen Gebäudes erkennen konnte. Beides befand sich in einiger Entfernung auf einem Hügel. Die beiden Jungen stiegen die Anhöhe hinauf, bis sie an eine halbhohe Natursteinmauer gelangten, in die ein hölzernes Tor eingelassen war.
»Hereinspaziert!«, rief Mattis übermütig, während er das Tor aufstieß. Sie betraten eine grüne Wiese, auf der große, knorrige Obstbäume standen. Zwischen den Bäumen befanden sich Bänke, die hier kreisförmig angeordnet waren.
Mattis sprang auf eine von ihnen und verbeugte sich: »Einen guten Tag, liebe Freunde! Heute habe ich hohen Besuch mitgebracht! Darf ich vorstellen, dies ist Alexander, ein Bewohner Caleidas, Applaus bitte!«
Alexander lachte. Dann aber fiel ihm ein, dass niemand erfahren durfte, wer er war und woher er kam. Hastig blickte er sich um. »Pssst, Mattis, nicht so laut!« Doch dieser sprang weiter johlend von Bank zu Bank.
Nun reagierte Alexander ungehalten: »He, Mattis, hörst du nicht! Sei bitte etwas leiser!« Mattis beendete seine Akrobatik und sprang von der Bank herab. »Aber hier ist doch niemand, Alexander. Am Nachmittag ist die Educa geschlossen. Gelernt wird hier nur vormittags!«
»Trotzdem«, brummelte Alexander, der nun begriff, dass sie sich auf einer Art Schulgelände befanden. Doch so recht wollte ihn hier nichts an Schule erinnern, nicht einmal das kleine, gemütlich wirkende Gebäude, das etwas abseits der Obstbäume stand.
»Was ist mit dir, Alexander, bist du festgewachsen? Hat dich ein Zauber getroffen, oder kommst du jetzt?«, rief Mattis wild umherspringend, als er mit einem Mal verschwand. Alexander traute seinen Augen nicht. Wo war Mattis hin? Ohne lange zu überlegen, rannte Alexander zu der Stelle, an der Mattis gerade eben noch gestanden hatte.
»Aaah, verflixt!«, Alexander musste scharf bremsen und kam gerade noch rechtzeitig an einer steilen Abbruchkante zum Stehen.
Einige Meter weiter unten lag Mattis, quickfidel und lachend im weichen Sand.
»Juhu, was für ein Spaß!«, rief er vergnügt.
»Bist du denn verrückt geworden? Du hast mir einen Mordsschrecken eingejagt!«
»Was habe ich?«, fragte Mattis entgeistert.
»Ach, vergiss es! Mache so etwas einfach nie wieder, hast du verstanden?« Mürrisch kletterte Alexander zu Mattis hinunter.
Dieser hatte sich schon wieder aufgerappelt und war damit beschäftigt, ein paar Steine in den Fluss zu werfen, der in einem sanften Bogen um den Schulhügel floss.
»Sie müssen flach geworfen werden, und wenn sie auf das Wasser treffen, dann fliegen sie!«, sprach Mattis und fügte ehrfürchtig hinzu: »Das ist Magie, Alexander, echte Magie!«
Alexander hob ungläubig seine linke Augenbraue.
»Das, lieber Mattis, ist wohl ein großer Schwindel! Magie? Dass ich nicht lache!«
Alexander nahm ebenfalls einen Stein und ließ ihn über das Wasser hüpfen. Mattis staunte nicht schlecht.
»Unglaublich, Alexander, sieh nur, wozu du imstande bist. Ach und Schwindel, ja Schwindel, das ist eine verdammt lustige Sache!«, merkte er kichernd an.
»Wenn mich Lalle in einem Holzfass den Hügel herunterrollt, dann dreht sich bei mir alles nur noch so im Kreis herum!«
»Aber nein, das meine ich doch nicht. Schwindeln, ich meine schwindeln oder besser noch - lügen!«, erklärte Alexander.
»Aber was ist denn nun so fürchterlich am Liegen? Im Liegen habe ich immer die allerbesten Einfälle, das kannst du mir glauben, Alexander!«, bekräftigte Mattis.
»Lügen, nicht liegen, Mattis«, korrigierte Alexander ihn.
»Was ist denn das überhaupt für eine merkwürdige Sprache, die du sprichst?« Geduldig erläuterte Alexander Mattis die genauere Bedeutung seiner Worte.
»Du meinst also, wenn ich mir etwas ausdenke und es anderen erzähle, dann ist das lügen?« »Richtig! Und wenn es nicht ganz so schlimm ist, dann schwindelst du!«, fügte Alexander hinzu. »Aber wo gibt es denn so etwas?«, fragte Mattis verwundert. »Na, bei uns eben, da, wo ich herkomme!«, erklärte Alexander.
Trotzig verschränkte Mattis seine Arme vor der Brust. »Das erscheint mir ohne Sinn und ist auch überhaupt nicht nett! Sonderbare Angewohnheiten haben die Leute in Caleida, wirklich sonderbare!«
Ein Stückchen weiter flussabwärts bemerkte Alexander ein Boot. Es war an einem Steg angebunden und lag schaukelnd im Wasser. »Das Boot dort drüben, wem gehört es?«, wollte er wissen.
»Das da? Es gehört der Educa und wird benötigt, um über den Fluss zu kommen«, antwortete Mattis bedeutungsvoll. »Ach was! Na ist denn das die Möglichkeit!«, merkte Alexander ironisch an.
»Ja, natürlich! Nicht mehr und nicht weniger! Sag bloß, das hast du nicht gewusst«, entgegnete ihm Mattis verwundert.
»Und was befindet sich nun dort drüben, auf der anderen Seite?«, erkundigte sich Alexander stirnrunzelnd. »Dort befinden sich die Horturien, Gärten voll von Blumen, Pflanzen und Kräutern. Sie sind ein Teil der Educa und ein Ort, an dem man eine ganze Menge nützlicher Dinge lernen kann«, antwortete ihm Mattis.
Dann hatte er auch schon die nächste Idee: »Komm mit! Ich zeige dir die Konduktorstube und den Lernraum!«
Ehe sich Alexander versah, kletterte Mattis flink wie ein Äffchen den Hang zum Schulgebäude hinauf. Alexander folgte ihm. »So ein kleines Gebäude für alle Kinder? Das soll reichen?«, wunderte er sich.
»Gelernt wird ja nicht nur an diesem Ort!«, antwortete Mattis. »Wir werden auch in die Schreinerstuben, Schmieden oder Gemüseläden der Stadt gerufen, in denen wir sozusagen an Ort und Stelle lernen, wie die Dinge funktionieren.«
Neugierig fragte Alexander: »Aber wo übt ihr denn das Lesen, Schreiben und Rechnen, wenn nicht hier in der Schule?«
»Ach das«, antwortete Mattis mit einer wegwerfenden Handbewegung, »Rechnen lernst du beim Rübengärtner Hanso, der dich lange Reihen von Stecklingen zählen lässt. Oder bei Meister Kesch, der nie genau im Voraus sagen kann, wie viele Kristallsteine einer Farbe er benötigt, wenn er ein neues Steinbild legt. Schreiben lernst du bei den Fahnenträgern, wenn du die Abfolge ihrer Kunststücke zu Papier bringen musst, damit sie sich über die Jahre hinweg nicht wiederholen. Tja, und Lesen lernst du, wenn du dir die Zaubersprüche von Onkel Jogasch nicht richtig merkst und sie heimlich in seinen Büchern nachlesen musst.«
Er kicherte und fuhr fort: »Darüber hinaus lernen wir auch die wirklich kniffligen Dinge, wie geduldig zu sein, genau zuzuhören und gut zu beobachten. Du siehst, wir lernen wirklich alles, was wichtig ist.«
Alexander nickte.
»Verbukst noch eins!«, rief Mattis und haute sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Beinahe hätte ich was vergessen! Warte hier einen Augenblick, ich bin gleich zurück!«, und schon sauste er los, dass seine Haare nur so flogen.
Alexander wartete. Minute um Minute verstrich, aber Mattis tauchte nicht wieder auf. Alexander wollte nicht länger untätig sein und ging zur hölzernen Eingangstür der Educa.
Sie knarrte verräterisch, als er sie öffnete. Zögernd trat er ein und sah sich um. Er stand auf einer düsteren Diele, an deren Wände eine Vielzahl Haken und Regalbretter montiert waren. An einigen der Haken baumelten Kleidungsstücke, und die Regale waren voll mit allem möglichen Krimskrams. Alexander schaute sich weiter um.
Am Ende der Diele war eine Tür. Ein Schild mit Aufschrift war daran angebracht. Alexander trat näher.
»Konduktorstube« stand in verschnörkelten Buchstaben darauf geschrieben.
»Hört sich sehr wichtig an«, dachte Alexander und zögerte. Sollte er einfach hineingehen? Was, wenn jemand darin ist? Wie sollte er sich dann erklären? Alexander klopfte an die Tür. Er lauschte, doch drinnen blieb es still. Er legte seine Hand an den gusseisernen Knauf. Erst jetzt bemerkte Alexander, dass die Tür gar nicht verschlossen, sondern nur angelehnt war.
Zaghaft drückte er dagegen. Die Tür hatte sich schon einen schmalen Spalt geöffnet, als sie ihm plötzlich und mit voller Wucht aus der Hand gerissen wurde! Mit einem lauten Scheppern krachte sie innen gegen die Wand. Alexander erschrak und machte einen Satz zurück. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Wie erstarrt blickte er in den Raum hinein. Ein Fenster im hinteren Bereich stand sperrangelweit offen. Seine Vorhänge bauschten sich im Wind wie tanzende Fabelwesen.
»Verflixte Zugluft!«, beschwerte sich Alexander. »Niemand da«, vergewisserte er sich kurz und beruhigte sich langsam wieder. Neugierig blickte er sich um.
In der Konduktorstube sah es aus wie in einer Rumpelkammer. Die Regale hier wirkten ebenso unordentlich wie die auf der Diele. Sie waren randvoll zugestopft mit Büchern, Schreibwerkzeugen, Papieren und merkwürdigen Tonfiguren. In einer Ecke standen alte Kisten herum und an den Wänden hingen Zeichnungen, die von Kindern stammten. Ein flauschiger Wollteppich lag in der Mitte des Raumes, auf dem ein wuchtiger, alter Schreibtisch platziert war. Auf dessen Arbeitsfläche stapelten sich Dutzende dünner Heftchen.
Neugierig nahm Alexander eines vom Stapel und begann zu lesen. Er staunte nicht schlecht über die in Schönschrift verfassten Worte: »Wie ich aus getrockneten Baumblättern verschiedenste Teesorten herstelle.« Es folgte eine ausführliche Erklärung, die durch kleine Zeichnungen ergänzt worden war.
In einem anderen Heft las Alexander von einer neu erdachten Schreibtechnik, die es möglich machte, Wörter auszulassen, ohne den Inhalt des Textes zu verändern.
»Das könnte von Mattis stammen! Nur nicht zu sehr anstrengen, und wenn es lediglich die Hand ist, die beim Schreiben bewegt werden muss!«, dachte er amüsiert. Plötzlich flatterte draußen etwas am Fenster vorbei. Alexander erschrak und sah hinaus. Er bemerkte einen schwarz gefiederten Vogel, der sich in einem der knorrigen Obstbäume vor der Konduktorstube niedergelassen hatte.
Alexander atmete erleichtert auf und wandte sich wieder dem Schreibtisch zu. Er entdeckte einen goldenen Füllfederhalter, der eine Inschrift trug. Staunend nahm er ihn in die Hand und begutachtete das wertvolle Stück interessiert.
»Schön ist er - wirklich etwas ganz Besonderes!«, murmelte Alexander und legte ihn vorsichtig wieder dorthin zurück, wo er ihn gefunden hatte.
Dann fiel ihm Mattis ein. »Wo bleibt er nur?« Alexander beschloss, ihn zu suchen. Er verließ den Raum und ging zum Nachbarzimmer. Es schien der einzige weitere Raum im Gebäude zu sein. Diesmal klopfte er jedoch nicht an die Tür, sondern öffnete sie gleich.
»Aha, hier haben wir also den Unterrichtsraum«, dachte Alexander, als er die Sitzbänke und das Schreibpult sah. Wehmut überkam Alexander, denn alles hier erinnerte ihn an sein eigenes Klassenzimmer.
Er seufzte. Schwermütig blickte er umher. An der Wand hinter dem Lehrerpult hing eine Tafel, auf der in verschnörkelten Buchstaben etwas geschrieben stand. Alexander trat einen Schritt näher. Als er die Zeilen las, lief es ihm eiskalt den Rücken hinunter.
»Du bist hier nicht willkommen! Verschwinde und kehr heim! Noch ist es nicht zu spät!«
Alexander erstarrte. Diese Nachricht galt ihm, soviel war sicher. Aber wie konnte irgendjemand von seinem Besuch in der Educa wissen?
Alexander hatte genug. Er wollte nur noch raus. Fluchtartig verließ er den Raum und stolperte den Flur entlang, hinaus ins Freie. Unaufhörlich hämmerten die Worte in seinem Kopf:
»Du bist hier nicht willkommen, kehr heim, kehr heim!«