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Wahrheit ohne Zuversicht

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Im Schein der Straßenlaternen liefen Mattis und Alexander durch die nächtlichen Gassen Lusakatas.

Jaspin war wieder daheim, und sie sputeten sich, um noch vor Einbruch der Nacht wieder bei Onkel Jogasch zu sein. Ihre Rückkehr wurde von Kokobals müdem Krächzen angekündigt. Jogasch öffnete ihnen die Tür. Schweigend schaute er von einem zum anderen, dann trat er einen Schritt zur Seite. »Kommt herein!« Mattis und Alexander folgten seiner Aufforderung.

Drinnen standen bereits zwei Becher mit heißem Tee auf dem Tisch. Die Jungen nahmen Platz. Mattis nahm seinen Becher und begann, schlürfend daraus zu trinken. Alexander beobachtete Jogasch, der unruhig im Zimmer auf und ab ging und an seiner Pfeife zog.

In kleinen Wölkchen stieß er den Qualm wieder zum Mund hinaus. Dann begann er zu erzählen: »Seltsame Dinge geschehen hier, lieber Alexander. Es ist, als läge ein Schatten über unserem Land. Das Unheil ist spürbar wie ein nahendes Gewitter, das bald hereinbricht. Eigentlich ist Lusakata kein Land voller Gefahren oder düsterer Geheimnisse. Wir führen hier ein beschauliches und friedliches Leben. Jeder ist auf seine ganz besondere Art wichtig. Alles gehört zusammen.«

Jogasch räusperte sich, war es doch nicht leicht für ihn, einem Fremden Lusakata mit nur wenigen Worten zu erklären.

Nachdenklich zog er wieder an seiner Pfeife, dann schritt er zum Fenster, öffnete es und langte nach einem Kräutertopf, der draußen auf der Fensterbank stand. Er stellte das Gewächs in die Mitte des Tisches und schaute Alexander erwartungsvoll an.

Nach kurzem Schweigen und ohne wirklich zu wissen, was der Alte von ihm wollte, bemerkte Alexander höflich: »Ein schöner Topf ist das.«

Jogasch schmunzelte. »Deine Meinung, mein lieber Junge. Aber so schön ist der Topf nun wirklich nicht. Vielmehr geht es mir um das Kraut darin. Auch wenn es im ersten Moment etwas unscheinbar wirkt, so gibt es doch einiges daran zu entdecken. Schau es dir doch mal genauer an. Die Blätter zum Beispiel, wirken sie nicht schön und vollkommen, jedes auf seine Weise? Eines etwas grüner, ein anderes etwas zarter, kannst du die feinen Unterschiede erkennen?«

Vorsichtig nahm Alexander zwei Blätter zwischen die Finger, betrachtete sie und nickte. Jogasch wirkte zufrieden.

»Jedes ist einzigartig, nicht wahr? Eine Pflanze besteht aber nicht nur aus Blättern. Einiges von ihr strebt der Sonne entgegen, anderes fühlt sich wohler in der dunklen Erde. Und doch machen sie nur zusammen einen Sinn. Keine Pflanze ohne Wurzeln, Blüten und Blätter. Sie alle sind wichtige Teile des Ganzen.«

»Also damit bin ich nicht einverstanden!«, fiel ihm Mattis ins Wort. »Ein langweiliges Kräutergewächs! Na, ich weiß nicht. Hättest du da nicht wenigstens etwas Interessantes wählen können? Einen Strauch mit saftigen Früchten oder ein emsiges Bienenvolk, das für leckeren Honig sorgt?«

Jogasch sah Mattis nachsichtig an. »Das ist ein berechtigter Einwand, mein Junge. Ich möchte aber noch zu einem ganz anderen Punkt kommen.«

Mit ernstem Ton fuhr er fort: »Etwas hat sich verändert in Lusakata, und es ist schwer zu sagen, wann es begann.«

Onkel Jogasch blieb vor Alexander stehen. Er beugte sich vor, so dass seine Nase fast Alexanders Gesicht berührte. Der Atem des Alten roch stark nach Tabak.

»Sie verschwinden! Zwölf sind es schon an der Zahl! Männer, Frauen und Kinder. Niemand weiß, was mit ihnen geschehen ist. Unheil liegt über unserem Land. Ich kann es spüren wie das Alter in meinen Knochen. Etwas schleicht umher, abwartend, lauernd und dann - vollkommen unerwartet - schlägt es zu!«

Krachend donnerte Jogasch seine Faust auf den Tisch. Die Jungen zuckten erschrocken zusammen.

»Je mehr es von uns mit sich nimmt, desto stärker werden Misstrauen, Furcht und Trübsinn«, sprach Jogasch und schwieg. Er hatte genug erzählt.

»Leute verschwinden? Einfach so?« Alexander wurde es mulmig zumute. »Vorhin trafen wir Jaspin. Seine Schwester Jesehma scheint ebenfalls verschwunden zu sein.«

Jogasch nickte gedankenversunken. Es wirkte, als wüsste er es schon.

»Auch der Pflüger Notos ist weg, genauso wie der Feuerschmied Boreas und Eura, die Besprecherin des Wassers und Bewahrerin des Morgentaus«, plapperte Mattis und rutschte dabei unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Und niemand ist bisher zurückgekehrt?«, hakte Alexander nach. »Nein, niemand!«, antwortete ihm Jogasch.

»Das ist ja furchtbar! Aber was habe ich damit zu tun?«, wollte Alexander wissen.

»Weißt du, wir haben hier ein Buch, ein goldenes Buch. Darin ist das gesamte Wissen Lusakatas niedergeschrieben. Wir nennen es LIBRA. Mein Onkel wacht über alle Bücher unseres Landes«, erklärte ihm Mattis. »Einmal hat er mir eine Geschichte von sich erzählt, die mir nicht mehr aus dem Kopf wollte. Er war noch sehr jung, als er seiner Bestimmung folgte, über die Bücher Lusakatas zu wachen. Eines Tages nahm er LIBRA und begann, in ihm zu lesen. Darin stand unter anderem geschrieben, wie man zu euch in die Caleida, die Länder außerhalb, kommt.«

An dieser Stelle unterbrach Jogasch Mattis und fuhr nun selbst in der Erzählung fort: »Ich war damals ein ehrgeiziger junger Mann und wollte alles wissen. Also sprach ich die Worte, und so öffnete ich die Grenzen zwischen unserer und eurer Welt. Doch ich rechnete nicht mit dem, was ich sah. Männer hockten in Gräben, sie trugen Helme auf ihren Köpfen. Überall war Rauch und Feuer! Einige von ihnen schrien und sanken blutig verletzt zu Boden! Ich sah Leid und Gewalt und hoffte inständig, dass sich die Grenze schnell wieder schließen möge. Doch das geschah nicht sofort. Es dauerte einige Zeit.«

Jogasch räusperte sich kurz, dann sprach er weiter:

»Noch lange danach verfolgten mich die Bilder in meinem Kopf. Nachts kam ich nicht zur Ruhe. Immer wieder musste ich an das fürchterliche Elend dieser Männer denken. Du siehst, die Versuchung, heimlich etwas zu probieren, kann verheerende Folgen haben! Als Mattis mir alt genug schien, entschied ich mich, ihm von meinen Erlebnissen zu berichten. Es sollte ihn Weisheit und Vorsicht lehren. Doch anscheinend war dies nicht der Fall, sonst hätte er sicherlich anders gehandelt.«

Mattis unterbrach den Alten. »Niemand außer mir unternimmt hier etwas! Alle warten nur ab! Da musste ich doch etwas tun. Jemanden aus Caleida zu uns zu holen, der unerschrocken ist und sich mit Gefahren auskennt, hielt ich für das einzig Richtige! Also habe ich mir LIBRA genommen und darin nach den Worten gesucht, die mir den Weg weisen würden. So kam ich zu dir, Alexander, in deine Welt und holte dich in meine, nach Lusakata!«

Alexander wurde ganz anders zumute. »Das war aber doch zu einer vollkommen anderen Zeit, Mattis! Damals herrschte Krieg, doch nun ist es friedlich dort, wo ich herkomme! Ich habe also nicht den blassesten Schimmer, wie ich euch helfen kann. Ich bin kein Held, sondern nur ein Junge und kein besonders mutiger dazu! Ich möchte nur eines - heim!«

Jogasch sah Mattis an, der betreten zu Boden schaute und legte seine Pfeife auf den Tisch.

Dann wandte er sich Alexander zu und sprach mitfühlend: »Mein lieber Junge, es tut mir sehr leid, aber ganz offensichtlich hat Mattis das Kapitel über den Zauber, dessen er sich bedient hat, wohl sehr oberflächlich gelesen. Hätte er dieses etwas gewissenhafter getan, dann wäre ihm sicherlich bewusst gewesen, dass die Grenze nur eine bestimmte Zeit geöffnet bleibt. Danach ist sie für 60 Monde geschlossen! Es sind die Elemente, die dies bestimmen: Wega, die das Wasser befehligt, Oxya, die die Winde strömen lässt, Ferex, die das Feuer bändigt und zu guter Letzt Galania, die über den Erdboden wacht und dich zu uns führte. Sie ermöglichen eine Verbindung und zwar auf ganz unterschiedliche Weise. Manches Mal zeigen sie sich als Wasserlauf oder Windstrom. Dann wiederum als Feuerkreis oder, wie in deinem Fall, als Erdloch. Sie sind es, die unser Land vor Gefahren schützen. So ist es und so muss es bleiben.«

Alexander verspürte einen Kloß im Hals. Fragend blickte er zu Jogasch: »Soll das etwa bedeuten, ich kann nicht zurück? Die Grenze ist doch noch geöffnet, oder?« Jogasch schüttelte mitfühlend den Kopf und erklärte: »Nachdem Mattis den Zauberspruch verwendet hat, verging viel Zeit - zu viel Zeit. Wie es aussieht, gibt es für dich im Moment kein Zurück. Du wirst wohl vorerst hier bleiben müssen.«

Alexander schluckte. »Wie lang sind 60 Monde?«, fragte er mit dünner Stimme.

Mattis ergriff das Wort. »Ziemlich lang«, antwortete er schuldbewusst. »So lange wie die ersten Blumen aus dem Schnee wachsen, die Sonne am Himmel länger steht, die Blätter fallen und der Schnee wiederkommt. So lang sind 60 Monde.«

Lusakata

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