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Sechs Tage Krankenhaus

Am Tag darauf, dem 16. August 2003, war mit Nino der Besuch der Helmut Newton Ausstellung geplant. Da ich schon seit meiner Jugend gern selbst fotografierte, wollte ich unbedingt die viel besprochene Ausstellung eines der populärsten Fotografen des 20. Jahrhunderts sehen. Stattdessen wartete ich nun darauf, meinen Kopf zum ersten Mal mittels MRT untersuchen zu lassen.

Bei der Vorbesprechung bat mich die zuständige Krankenschwester jeglichen Schmuck abzulegen, inklusive meines Nasen- und Bauchnabelpiercings. Anschließend sollte ich mich auf eine weiße Liege legen. Als ich wie gewünscht ausgestreckt dalag, gab sie mir einen Drücker in die Hand, mit dem ich Hilfe rufen konnte, wenn ich Angst in der Röhre bekäme. Über meinem Kopf platzierte sie einen weißen Aufsatz, dessen Verstrebungen ein Kreuz bildeten. Ich sollte mich darauf konzentrieren und möglichst mittig liegen bleiben, damit die Einzelbilder scharf wurden und sich am Ende zu einem korrekten dreidimensionalen Abbild zusammensetzen ließen. Ansonsten müsste die Prozedur wiederholt werden.

Die Schwester verließ den Raum mit dem Hinweis, dass es mehrere Aufnahmezyklen gäbe und sie mir immer eine Zwischenmeldung geben würde sowie die Information, wann der Prozess abgeschlossen wäre. Die Tür fiel ins Schloss und ich blieb allein im Raum zurück. Ich versuchte, so ruhig wie möglich zu atmen, während die Liege ein Stück in die Höhe und anschließend in die Röhre des MRT fuhr. Mit dem Kopf voran lag ich bis zum Brustbein in der Röhre.

Es war ein komisches Gefühl, von so viel Technik umgeben zu sein. Um gar nicht erst in Panik zu geraten, versuchte ich bewusst langsam über die Nase einzuatmen und die verbrauchte Luft über die leicht geöffneten Lippen ausströmen zu lassen.

Um mich herum klopfte, ratterte, röhrte, hackte und piepte es. Ich schloss die Augen und versuchte die Geräusche in etwas für mich Greifbares umzuwandeln. Aber es gelang mir nicht so recht, das Innenleben des MRT zu verstehen. Doch allein der Versuch lenkte mich so sehr ab, dass die Zeit verging und dann fuhr die Liege mit mir auch schon wieder aus der Röhre heraus und wurde außen abgesenkt. Nachdem ich meinen Schmuck wieder angelegt hatte, durfte ich auf mein Zimmer gehen. Eine Auswertung erhielt ich nicht.

Ich fragte eine Krankenschwester, ob für heute noch weitere Tests geplant wären. Sie verneinte. Die nächste Cortisongabe stand erst abends an. Also beschloss ich, dass noch Zeit für den Ausflug zu Helmut Newton blieb und gab Nino Bescheid. Im Krankenhaus fragte ich niemanden um Erlaubnis, schnappte mir meine Sachen und wartete am Ausgang. Nino holte mich mit seiner Freundin und seiner Schwester ab und wir fuhren zum NRW-Forum Kultur und Wirtschaft, wo die Retrospektive mit 200 Bildern Newtons gezeigt wurde. Wir sahen die »Big Nudes« und andere provokante Bilder. Auf einem Foto steckte ein Model kopfüber in einem ausgestopften Krokodil und man sah nur ihren nackten Po und die langen Beine. Auf einem anderen Bild stand eine Polizistin obenrum bekleidet und untenrum unverhüllt da. Alle Bilder zeigten die Frauen circa 30 Prozent größer als in Lebensgröße, so dass sie wie Amazonen wirkten.

Der Ausflug lenkte mich wunderbar von der Klinik und meinen ausstehenden Befunden ab. Nino scherzte sogar: »Düsseldorf ist wirklich nicht so eine schlechte Stadt, dass du dich gleich krank stellen musst.«

Sein lockerer Umgang mit dem Ungewissen tat mir gut.

Ich kaufte das Buch zur Ausstellung, um eine schöne Erinnerung an den Ausflug zu behalten und gleichzeitig eine interessante Lektüre für die kommenden Tage zu haben. Anschließend besuchten wir ein kleines Café und sprachen über die Fotos der Ausstellung. Die vier Models mit und ohne Bekleidung sowie das Foto von Brigitte Nielsen am Pool hatten uns alle beeindruckt. Kuchen und Cappuccino schmeckten lecker, während uns die Nachmittagssonne wärmte. Als ich auf die Uhr schaute, war es schon 17 Uhr. Ich hätte bereits auf meinem Zimmer sein sollen. Die erholsame Auszeit von Sorgen und Grübeleien nahm ein abruptes Ende. Nino bezahlte umgehend und wir fuhren schnell zurück.

Ins Krankenhaus kehrte ich 20 Minuten zu spät für die abendliche Infusion zurück. Die Schwester hatte mich bereits vergeblich gesucht. Als ich mich zurückmeldete, bekam ich eine Standpauke zu hören. »Das hier ist ein Krankenhaus und kein Hotel, wo man kommen und gehen kann, wie man will.«

Ich fühlte mich etwas schuldig, denn mir war klar, dass sie recht hatte und mich nur gut versorgen wollte.

Mit dem Tropf neben meinem Bett, von dem aus das Cortison in meinen Körper floss, kehrten die düsteren Gedanken zurück. Doch ich konnte mich immerhin an dem entspannten Nachmittag mit Kultur und Freunden erfreuen und die Trübsal etwas zur Seite schieben.

In dieser Nacht schlief ich besser. Sogar so gut, dass ich meinen Arm anwinkelte und dabei den Zugang aus der Vene verlor. Am nächsten Morgen legte mir die Krankenschwester einen neuen Zugang, diesmal auf meinem Handrücken, was mir unter den gegebenen Umständen lieber war.

Das Cortison vertrug ich gut. Ich sah bereits wieder besser, Farbe und Sehschärfe kehrten zurück. Was so schnell zu reparieren war, konnte doch gar nicht gefährlich sein, oder?

Ursprünglich wollte ich meine Schwester in Münster besuchen, doch nun kam sie zu mir, was mich sehr freute und vom Klinikaufenthalt ablenkte. Wir spazierten ganz brav auf dem Krankenhausgelände. Einen zweiten Ausflug unterließ ich lieber. Offenbar war das nicht erwünscht.

Meine Schwester fragte, ob ich wieder gut sehen könne, ob es schon eine Diagnose gäbe oder wenigstens ein paar Möglichkeiten ausgeschlossen werden konnten. Eine Diagnose hatte mir bisher niemand mitgeteilt, aber zumindest konnten die Ärzte einen Gehirntumor ausschließen. Und ich sah schon wieder mehr Farbe als am Tag der Einweisung. Das beruhigte meine Schwester etwas und auch, dass ich genug Energie gehabt hatte, um mir die Ausstellung anzuschauen und mich beim Krankenhauspersonal unbeliebt zu machen. Als unternehmungslustiges Wesen kannte sie mich. Sie sprach mir Mut zu, dass bestimmt bald alles geklärt wäre und gewiss eine völlig harmlose Sache hinter all dem stecken würde. Nach ein paar Stunden Aufmunterung fuhr sie zurück nach Münster.

Die Tage im Krankenhaus krochen dahin. Der Tag begann mit dem Frühstück, das aus einem weißen Brötchen und zwei Scheiben Brot mit Marmelade und Butter im Plastiknapf und zwei Scheiben Käse bestand. Dazu trank ich einmal Kaffee, wechselte jedoch schnell zum Tee, weil der besser schmeckte. Nach dem Frühstück informierte uns eine Krankenschwester, wann die Visite voraussichtlich vorbeikäme. Denn die Zeit variierte von Tag zu Tag und die Anwesenheit der Patienten war Pflicht. Je nachdem ob der Arztbesuch vormittags oder nachmittags stattfinden sollte, blieb ich in der Zeit auf dem Zimmer und studierte mein Helmut Newton Buch. Ich schaute mir nochmals die Bilder der Ausstellung an und las mir die Texte durch, in denen er beschrieb, wie einzelne Fotoserien entstanden waren. Meine beiden Zimmergenossinnen und die Frauen aus den Nachbarzimmern waren freundlich, aber wir unterhielten uns kaum. Zum einen betrug der Altersunterschied mehrere Jahrzehnte und zum anderen war mir nicht nach Small Talk zumute.

Zur Visite kam der Stationsarzt, fragte kurz nach meinem Befinden und wie es um mein Sehvermögen stand. Zweimal begleiteten ihn Studierende, die alle im Halbkreis um mein Bett standen, während der Oberarzt in ihrer Mitte meine Symptome, die durchgeführten Tests und die Dosis und Dauer meiner Cortisongabe erklärte. Mir war es unangenehm, zumal die Studierenden ungefähr in meinem Alter waren und ich ihnen lieber auf einer Party begegnet wäre.

Mittags gab es warmes Essen. Mehrfach enthielt das Gericht Gemüsepaprika, die ich sorgsam entfernte. Seit meiner Kindheit reagierte mein Magen intensiv auf Paprika und beförderte sie meist durch den Mund wieder nach draußen oder bewirkte eine mehrstündige Übelkeit. Nach dem Mittagessen versuchte ich meist zu schlafen.

Über den Tag verteilt telefonierte ich mit meiner Familie und Freunden und setzte mich dafür auf eine Bank der Parkanlage des Krankenhauses oder lief die Spazierwege ab. Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel und da es fast windstill war, stand die Luft im Zimmer.

Am Nachmittag kam Karl für eine gute Stunde vorbei. Meist munterte er mich mit Anekdoten aus der Bibliothek auf oder berichtete von den Fortschritten seiner Recherche. Nachdem feststand, dass ich am 21. August entlassen werden sollte, verlängerte er seinen Aufenthalt, um mich wieder per Auto mit nach Dresden zu nehmen. Die Universitätsbibliothek bot ihm genügend Lesestoff, sodass er die Zeit effektiv nutzen konnte. Und da er bei einem Freund nächtigte, entstanden ihm keine Zusatzkosten. Ich freute mich sehr über die tägliche Ablenkung und dass er ich mit ihm zurück nach Dresden fahren würde.

Zum Abendessen erhielt ich stets Graubrot, Käse, Butter und etwas Obst. Außerdem gab es intravenös Cortison. Die Infusion dauerte bestimmt 20 Minuten. In der Zeit versuchte ich nicht auf die Nadel zu schauen, die in meinem Körper steckte, und fixierte stattdessen den Cortisonbeutel, der sich langsam leerte.

Im Laufe der nächsten Woche bekam ich viel Zuspruch von meiner Familie. Alle machten sich Sorgen, aber erklärten mir, dass gewiss bald alles überstanden sein würde. Mein Cousin aus Dresden bot mir an, mich aus Düsseldorf abzuholen. Ich lehnte dankend ab, da meine Rückreise bereits gesichert war.

Nach einer Woche wurde ich endlich entlassen. Ich hatte Düsseldorf kaum kennengelernt, dafür sah ich nun wieder scharf und vollfarbig. Die Diagnose lautete: klinisch isoliertes Syndrom (CIS)*. Außerdem wurde vermerkt, dass sich meine Opticus Neuritis (Sehnerventzündung)* mit demyelisierender Schädigung der rechten Sehbahn unter Cortison schnell gebessert hatte. Man riet mir, mich im Uniklinikum Dresden in zwei Wochen nochmals vorzustellen, um eine Lumbalpunktion* durchzuführen. Ich erhielt Cortisontabletten mit einer genauen Anleitung, wie die Dosis über die folgenden elf Tage auszuschleichen sei.

Das typische Vollmondgesicht von der Cortisongabe erinnerte mich noch für ein paar Wochen an meinen Krankenhausaufenthalt und war leider nicht nach der letzten Tabletteneinnahme verschwunden.

Multiple Sklerose? Keine Angst!

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