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Worin bestehen die mechanischen Eigenschaften von Knochen?

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Knochen sind nicht steif. Der lebendige Knochen ist flexibel, geschmeidig und plastisch. Es handelt sich nicht um das trockene, starre Exemplar aus unserem anatomischen Labor. Ein trockener, toter, brüchiger Zweig auf dem Waldboden weist auch nicht die gleiche Struktur wie das flexible und geschmeidige Exemplar auf, das sich zuvor am Baum befand. Beim Knochengewebe handelt es sich um eine visköse, biphasige, nachgiebige und elastische Substanz wie Fiberglas10ist. Es absorbiert verformend wirkende Kräfte, gibt nach und nimmt wieder die ursprüngliche Form an. Darin besteht hauptsächlich seine Stärke. Denn vollständige Starrheit ließe den Knochen brüchiger werden. Eine erheblich größere Masse und Menge wäre erforderlich, um dieselbe Stärke zu erreichen. Das Knochengewebe ähnelt in seiner Flexibilität eher Stahl als Eisen.11 Die gelungene Mischung harter anorganischer und nachgiebiger organischer Komponenten im Knochen leistet ungefähr den gleichen Widerstand gegenüber Druck und Spannung12. Man kann das ganz einfach messen. Die Verformung der Tibia durch die Kontraktion des M. tibialis anterior kann beispielsweise mit gängigen Instrumenten beobachtet werden13.

Knochen erweist sich als hoch vaskularisiertes, lebendiges, sich fortwährend veränderndes, mineralisiertes Bindegewebe14. Es besteht aus Zellen, die in einer amorphen und faserigen organischen Matrix eingebettet sind. Diese Matrix ist von anorganischen Knochensalzen durchzogen15. 20 % des Gewichtes der Grundsubstanz bestehen aus Wasser. 30 bis 40 % des Trockengewichtes besteht aus organischem Material, hauptsächlich aus Kollagen. Bei 60 bis 70 % handelt es sich um anorganische mineralische Salze wie Kalzium, Magnesium, Phosphat und Karbonat16. Die mineralischen Bestandteile des Knochens lassen sich durch schwache Säuren auflösen. Der verbleibende organische Knochen erhält seine Form, ist jedoch höchst flexibel, kann mit einem Messer durchgeschnitten werden und lässt sich verknoten17. Das Vertrocknen von Knochenexemplaren belegt einen fortschreitenden Verlust der mechanischen Charakteristika lebendiger Knochen wie Elastizität, plastische Verformung sowie druck- und spannungsbezogene Eigenschaften. Wenn der Knochen freilich feucht gehalten wird, behält er einige seiner lebendigen mechanischen Eigenschaften18.

Die aus ossifizierter Haut entstandene Form der Knochen des Schädeldaches teilt als Invasion mineralischer Salze in der Mitte der mesenchymatösen Schicht des embryonalen Schädels die Membran in zwei Bereiche. Die äußere Schicht wird zum Periost des Schädeldaches und die innere Schicht wird zur intrakranialen Dura mater. Bei der Sektion eines frühgeborenen Embryos kann ein Os parietale wie bei einer Tasche aus seinem meningealen Einschluss herausgezogen und wieder hineingesteckt werden19. Knochen sollten daher als verfestigte Membrane verstanden werden, die dem Körper Form verleihen – wie dies bei einem Bügel an der Garderobe der Fall ist, der den Kleidungsstücken Form verleiht. Die Knochen des Schädeldaches, die Gesichtsknochen, die Mandibula und die Clavicula ossifizieren auf diese Weise unmittelbar aus Membranen. Demgegenüber werden die Schädelbasis und das übrige Skelett in Knorpel vorgeformt. Gleichwohl erlaubt der Knochen auch nach der Ossifikation sämtliche Bewegungsmuster, die in der knorpeligen Form möglich waren. Ungeachtet dieser Plastizität besitzt der Knochen jedoch allein nicht genügend Flexibilität, um den körperlichen Erfordernissen zu entsprechen. Daher sind Scharniere vonnöten. Diese Scharniere werden als Gelenke und Suturen bezeichnet.

Die üblichen [anatomischen] Lehrtexte verwenden einen beachtlichen Anteil darauf, die Flexibilität und Elastizität der Knochen zu betonen, zugleich aber betonen sie möglicherweise mit dem gleichen Aufwand die Starrheit der kranialen Suturen. Doch dies ist mutmaßlich irreführend. Entsprechende Passagen aus Grays Anatomy lassen sich außerhalb ihres Kontextes so verstehen, als ob ein Knochen flexibler als seine Suturen sei. Doch das ist schwerlich so gemeint. Wahrscheinlich ist eher von der Starrheit menschlicher mentaler Prozesse die Rede als von derjenigen der kranialen Suturen: „Die anspruchsvolle Flexibilität der Knochen ähnelt mehr derjenigen von Stahl als derjenigen von Eisen … Das Vertrocknen von aufgequollenen Knochen belegt … einen langsam fortschreitenden Verlust der mechanischen Eigenschaften wie Elastizität, die sich beim lebendigen Knochen finden … Die Suturen sind in jeder praktischen Hinsicht unbeweglich … Es ist offensichtlich notwendig, dass die Suturen nach der Geburt so schnell wie möglich aufhören als bewegliche Gelenke zu fungieren.“20 Wenn Knochen flexibel und elastisch sind, ist es wohl vernünftigerweise zu erwarten, dass Suturen doch eher flexibel und elastisch sind.

Die Suturen stellen den überlebenden Rest der Mesenchymschicht an der Begrenzung der aus ossifizierter Haut [Membran] entstandenen Knochen dar. Sie sind am weitesten von den Ossifikationszentren entfernt und stellen die Wachstumszonen in der Jugend dar. Sie enthalten kollagene, gelbe elastische Fasern und Sharpey’sche Fasern sowie retikuläres Bindegewebe. Diese Aspekte indizieren allesamt das Potenzial für Bewegung21. Die kranialen Suturen bleiben solange geöffnet, wie sie als Ergänzung der Plastizität des Knochens benötigt werden, um die körperlichen Beweglichkeit zu ermöglichen. Sie können jedoch ossifizieren, sobald die Bewegungsvoraussetzungen reduziert sind. Im Alter wird der Bewegungsumfang fortschreitend reduziert – gelegentlich mit paralleler Verwischung einiger kranialen Suturen. Die Sutura metopica des Os frontale ossifiziert beispielsweise bei den meisten Menschen vor dem achten Lebensjahr, weil in diesem Alter die reduzierten Bewegungsreize allein durch die Biegsamkeit des Knochens kompensiert werden können. Nach meiner Erfahrung zeigen Fälle, in denen die Sutura metopica bis ins Erwachsenalter geöffnet bleibt, dass es irgendwo einen oder mehrere Bereiche mit veränderter Bewegung im Cranium gibt, die darauf hindeuten, dass noch zusätzliche Bewegung im frontalen Bereich erforderlich ist, um eine Abweichung vom normalen Bewegungsmuster andernorts zu kompensieren. Die langfristigen Auswirkungen einer durch ein Trauma blockierten Sutur können schließlich in ihrer vorzeitigen Ossifikation bestehen. Die unterbrochene Beweglichkeit ist oft mit der Geschichte eines Traumas verbunden. Ein derartiges Trauma kann etwa aus einem einzelnen größeren Ereignis wie einem Verkehrsunfall entstehen. Aber es kann sich auch aus einer Serie kleinerer Ereignissen wie rezidivierende Sportverletzungen oder einer chronischen haltungsbedingten Verformung aufbauen. Dabei muss das Trauma nicht physisch sein. Jedes Trauma kann eine Auswirkung besitzen. Beispielsweise kann ein emotionales Trauma wie ein Trauerfall eine signifikante Auswirkung auf den mechanischen Ausdruck der Gesundheit eines Menschen aufweisen.

Die Unterbrechung kann sich bei der Palpation als Dysfunktion der suturalen Beweglichkeit zeigen – etwa als suturale oder als intraossäre Kompression im Knochen selbst. Im klinischen Alltag ist mir keine isolierte Blockade oder Kompression einer Sutur begegnet. Es kann sein, dass sie nicht oft vorkommen oder auch, dass sie, wenn sie vorkommen, sich in den meisten Fällen spontan selbst beheben. Ich habe herausgefunden, dass suturale Kompressionen gewöhnlich mit einem größeren mechanischen Problem zusammenhängen. Wenn dies der Fall ist, ist die suturale Kompression sekundär abhängig von einer ossären Kompression – und genau so klassifiziere ich sie.

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