Читать книгу Tausendfürst - Nick Finkler - Страница 12
Die Pläne ändern sich
ОглавлениеDas Dorf Feuersicht lag am äußersten Rande des Lexing-Kontinents in der Welt Brackt. Feuersicht war ein beschauliches kleines Dorf mit nicht mehr als siebzig Einwohnern, die allesamt vom Export der Fischbestände lebten. Bracktischer Hecht war eine Delikatesse in den angrenzenden Dimensionen, und neben einigen wenigen Städten auf Lexing war Feuersicht führend im Fischhandel. Eine große Hilfe war den Fischern bei ihrer Arbeit ein älterer Mann, der immer mit auf See kam und die Hechte herbeilockte. Er verstand ihre Sprache perfekt, und so gingen regelmäßig einige Dutzend ins Netz. Der Mann war vor nicht allzu langer Zeit in das Dorf gezogen; woher er kam, interessierte hier niemanden. Die Einwohner waren aus allen Himmelsrichtungen hierher gekommen und hatten das Dorf gegründet. Sie hielten sich verschlossen gegenüber Fremden, und nur wer sein Lager für längere Zeit im Dorf aufzuschlagen gedachte, den hießen sie willkommen. Von den anderen Dörfern und Städten auf Lexing wollten sie nichts wissen; seit einiger Zeit herrschte Funkstille.
Der alte Mann sammelte im angrenzenden Wäldchen gerade einige Pilze, als die Erde unter seinen Füßen erzitterte und sich ihm der Anblick eines Erdwälzers bot. Auf dessen dunklem, vernarbten Haupt saßen zwei scheinbar menschliche Wesen, aber der Mann wusste, dass sie keine gewöhnlichen Personen waren. Die Frau, eine atemberaubende Göttliche Nymphe, sah den Alten an und schenkte ihm ihr schönstes Lächeln.
"Schau an, Nilana. Dein Freund hat uns zufällig direkt an unser Ziel gebracht. Dafür würde ich ihm eine doppelte Belohnung geben!''
Sie stiegen ab und Nilana machte die Lohnübergabe an einem bekannten Treffpunkt aus, während der Mann vor Cléo zurückwich.
"Was wollt ihr von mir?'' fragte er nichtsahnend.
Der loyale Erdwälzer war im Erdreich verschwunden, und Nilana kam näher.
"Du brauchst doch keine Angst zu haben, Alterchen. Wir bitten nur um eine Auskunft.''
"Genau. Und wenn du mir und meinem Begleiter ganz artig antwortest, dann passiert dir auch nichts.''
Der alte Mann musste leicht lächeln.
"Ihr wisst scheinbar nicht, mit wem ihr es zu tun habt. Ich muss euch gar nichts sagen, zumal weiß ich auch nicht, was ich euch erzählen könnte, das für euch Wert hätte. Ihr könnt also wieder gehen.''
Nun war es an Cléo, zu grinsen. "Verzeih, aber ich schätze, du bist hier derjenige, der sein Gegenüber nicht kennt. Deswegen wird es uns eine wahre Freude sein, den großen Erwic Rupan zur Strecke zu bringen, einen der größten Magier Bunyarbas, falls er nicht folgsam sein sollte. Also rede, oder du wirst schneller mit meinen Mächten Bekanntschaft machen, als dir lieb ist!''
Erwic spürte, dass diese Frau es ernst meinte. Und ein zu schönes Leben führte er hier, als dass er es nun aufs Spiel setzen wollte. Also ließ er sich auf den Waldboden nieder und sah die beiden ernst an.
"Gut, was wollt ihr wissen?''
"So ist es schon besser.''
Nilana nahm ihm gegenüber Platz, Cléo ebenfalls.
Dann sprach sie: "Ich weiß von deinem Geheimnis, Rupan. Ich weiß, dass du das Schiff hast verschwinden lassen. Wir sind hier, damit du uns sagst, wo es sich befindet.''
Erwic wusste augenblicklich, was sie meinte. Es war einige Zeit her, da hatte ihn ein alter Freund darum gebeten, eine mächtige Kriegsmaschinerie fortzuschaffen, da sie sonst großes Unheil anrichten würde. Natürlich war es leicht für ihn, der Bitte nachzukommen. Und da niemand außer seinem Freund und dessen Nichte von der Bitte wusste, hatte ihn auch niemand deshalb belästigt. Als aber die nahe gelegene Stadt Angelswin angegriffen wurde, weil jemand in dem Glauben war, dort einen Anhaltspunkt zum Schiff zu finden, hatte der Magier es für zu gefährlich gehalten. Also war er aus dem Dorf ausgezogen und hierher gekommen. Aber es war eigentlich klar gewesen, dass über kurz oder lang jemand seinen neuen Wohnort ausfindig machen würde und ihn auch mit der Sache in Verbindung bringen konnte.
"Was nützt es euch, wenn ich euch den Ort nenne? Niemand kann dorthin gelangen; gerade aus diesem Grund habe ich das Schiff doch dorthin gezaubert.''
Cléo passte es ganz und gar nicht, wenn jemand nicht nach ihren Wünschen handelte. Sie streckte ihre Hand aus, die in diesem Moment geradezu überwuchert wurde von dicken, blutgetränkten Adern, und wollte ihm an die Kehle, doch Nilana hielt sie zurück.
"Das lass mal unsere Sorge sein, Alter. Sag uns einfach, wo es ist, und wir sind weg. Du siehst ja, wie leicht erregbar sie ist.''
Erwic nickte schluckend.
"Gut. Aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt. Das Schiff befindet sich auf Coracth, der Festung des Fürsten.''
Cléo und Nilana sahen sich vollkommen entgeistert an. Das war tatsächlich ein Ort, an den zu gelangen schwierig werden konnte. Und gerade an diesem Ort hätten sie das Schiff nie vermutet, denn wenn einer garantiert auf der Suche nach diesem Mordinstrument sein würde, dann der Fürst. Und die Tatsache, dass die Ländereien um sie herum noch standen, konnte nur bedeuten, dass er keine Ahnung hatte, was sich in seiner Zuflucht befand.
"Und wo genau ist es dort? Sicherlich hast du den Ort so gewählt, dass niemand einfach darüber stolpern könnte.''
Doch Nilana hatte sich verrechnet: Der Magier sagte kein Wort mehr. Sollten sie selbst sehen, wie sie die Reise bewältigten. Über Coracth existierten seit Jahrzehnten mehr Gerüchte und Geschichten als Fakten, weil auch die Festung selbst seit Jahrzehnten existierte.
Sie galt als uneinnehmbar; warum, darüber stritten sich die Leute inzwischen. Als sicher galt zumindest, dass nie einer der Untergebenen des Fürsten die Festung verlassen musste, weil es dort alles gab, was das Herz begehrte. Auch lag die Festung wohl weit abseits jedes in Gebrauch stehenden Dimensionstores. Coracth umgab ein besonders abenteuerliches Gerücht, nachdem die Festung selbst jeden unerwünschten Besucher bei lebendigem Leib verspeisen würde, was aber nur die wenigsten glaubten. Fest stand, dass schon viele tapfere Männer den Versuch unternommen hatten, Coracth zu betreten, doch als sie davor standen, zogen sie laut der Erzählungen unverrichteter Dinge ab.
Cléo wollte gerade schon wieder ihre Hand nach dem Hals des Magiers ausstrecken, aber Nilana war bereits aufgestanden und blickte ins Landesinnere.
"Komm, lass ihn in Ruhe. Er hat gesagt, was er sagen sollte. Mehr müssen wir nicht wissen.''
Sie sah zu ihm hoch. "Aber er hat uns gesehen! Und wenn er uns verrät? Wir dürfen keine Zeugen hinterlassen.''
Nilana sah sie zornig an. "Bist du so dumm oder was? Denk doch mal nach! Er hat etwas verdammt Gutes getan. Die Oberen werden ihn sicherlich nicht auf der Liste der Sünder stehen haben, da kannst du wetten. Folgerichtig hast du keinerlei Befugnis, ihn zu eliminieren. Und jetzt komm!''
Cléo warf Erwic noch einen letzten, giftigen Blick zu, bevor sie sich erhob und Nilana hinterher rannte. "Und wo willst du jetzt hin, wenn ich fragen darf?''
"Ganz einfach: Wir gehen nach Angelswin. Hattest du nicht etwas von einem Schalter erzählt, der dort sein soll? Du kannst darauf wetten, dass sich alles, was Beine hat, auf den Weg dorthin macht, um diesen Schalter zuerst zu bekommen. Immerhin ist er für den zukünftigen Besitzer des Schiffes unersetzlich. Wir werden uns zeitweise ein schönes Leben dort machen, bis alle in der Stadt ankommen. Und wer den Schalter findet, dem nehmen wir das nette Kleinod direkt wieder ab. Oder wir machen es noch schlauer, indem wir nämlich demjenigen folgen, der den Schalter hat. Mit etwas Glück wird er kein Weichei sein, und er wird uns zur Festung führen, womöglich sogar bis ans Schiff heran.''
Cléo verdrehte die Augen. "Wie kann man nur so naiv sein! Denk mal nach. Wir haben doch gerade selbst erst erfahren, wo sich die Solid Yol befindet. Wie sollte dann jemand anders mehr darüber wissen als wir? Es sei denn, du spielst Brieftaube und sagst ihnen höchstpersönlich den Standort.''
"Erraten, meine Liebe!'', grinste Nilana. "Und du wirst lachen: Es wird sich sogar doppelt lohnen, wart's nur ab!''
Die beiden verließen das Wäldchen bei Feuersicht und wanderten auf den dicht begrünten Wiesen der umliegenden Ländereien, kamen an einigen kleinen und größeren Dörfern vorbei und genossen das anheimelnde Wetter, welches den Sommer in Brackt ankündigte. Es vergingen noch ein paar Tage, bis sie eines Abends einen ausnehmenden Wald vor sich sahen.
"Angelswin ist zum Greifen nah'', meinte Cléo. "Hinter diesem Wald liegt die Bucht von Lexing, wo auch die Stadt errichtet wurde. Wenn wir uns beeilen, sind wir zum Sonnenaufgang da.''
Also betraten sie das dunkle Unterholz.
Es gab etwas, das weder Nilana noch Cléo wussten. Zwar hatten beide schon einmal die Stadt Angelswin betreten, allerdings noch nie auf diesem Wege. Nilana war seinerzeit mit einer Fähre angekommen, auf der sich auch Händler und Touristen befanden. Und Cléo hatte sich von einem Kondor an den Stadtrand fliegen lassen, der auch Post für die Einwohner mit sich führte. Mit anderen Worten: Sie hatten Wege benutzt, die nicht sonderlich überwacht wurden. Aber der Wald, in den sie sich nun wagten, wurde streng bewacht. Angelswin war nicht umsonst eine der am besten geschützten Städte Bunyarbas. Und eines der obersten Gebote in vielen Dimensionen war, dass man den Wäldern nicht trauen durfte. Nuant der Mächtige, gelegen an der Bucht von Lexing, war kein gewöhnlicher Wald. Denn seine ersten Bäume wuchsen direkt am Ufer des Bracktischen Ozeans. Und obgleich der Hecht in dieser Welt vom Wasser begünstigt war, so hatten die Fluten doch eine magische Wirkung ganz anderer Art auf die Bäume und die Wesen, die zwischen ihnen gingen und lebten.
Das ungleiche Paar schlug sich durch das Gestrüpp, auf der Suche nach einem Trampelpfad. Cléo vertraute schlicht ihrem Instinkt. Jahrelang hatte sie sich durch die wüstesten Urwälder kämpfen müssen, und unzählige Tiere hatte sie dabei schon verspeist, die sie lieber von ihrer Menüliste ferngehalten hätte. Aber durch dieses raue Leben war sie ein zielsicherer Spürhund geworden, der jeden Weg finden konnte. Sie erahnte ausgehobene Fallen bereits weit im Voraus und wusste bisher auch, wie man sich diesem oder jenem Tier gegenüber verhalten musste.
Es dauerte nicht lange, bis das Duo an eine kleine Lichtung gelangte, auf der einige Bäume dicht beieinander standen. Der Mond schien hell und klar auf die Szenerie, und nur zwischen den Stämmen der Baumgruppe lag alles in völliger Finsternis. Ein leichter Wind zog durchs Geäst, hier und da schlichen Tiere herum auf der Jagd oder aber auf der Flucht. Gerade ging Nilana an der kleinen Baumgruppe vorbei, als von innerhalb ein Flüstern erklang:
"Dies ist die Umkehrlichtung. Sagt, wer ihr seid, oder kehrt um. Sonst kann ich für nichts garantieren.''
Nilana drehte sich um und flüsterte kühl zurück: "Wer meinen Namen erfahren will, soll mir erst seinen nennen oder schweigen.''
Das Flüstern in den Baumkronen begann sich zu entfernen, während es erwiderte: "Ich habe euch gewarnt.''
Ein blaues Licht leuchtete in den Spitzen der Baumgruppe auf, dann war es dunkel und ruhig wie zuvor; nur der Wind pfiff seine seichte Melodie durch die Blätter.
"Kann es sein, dass wir jetzt in Schwierigkeiten stecken?'', sah Nilana Cléo leicht beunruhigt an.
Diese aber meinte: "Keine Sorge, etwas schlimmeres als wilde Waldtiere kann man uns nicht schicken. Und mit denen werde ich fertig.''
Sie verließen also die Umkehrlichtung und drangen wieder in das Dickicht von Nuant ein.