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Eine Villa in Abwehrhaltung
ОглавлениеDie nächsten Tage verbrachten Felina und die anderen damit, sich an die Umgebung der alten Villa zu gewöhnen. Man teilte ihnen sichere Zimmer in der ersten Etage zu, die nahe am Berg lagen und kein mögliches Ziel für die Respen boten. In den knapp zwei Monaten, die man hier schon aushielt, war einiges passiert. Anfangs hatten sich um Thewak und seine Nichte Yalia etwa hundertzwanzig Mann geschart, und sie hatten den langen Bergpfad bestiegen, weil Gerüchte um die Tochter von Yol bereits bis nach Kisé vorgedrungen waren. Die Kiséer wollten jedoch keine Massenkämpfe in ihren Straßen, weshalb die Kleine verbannt wurde. Glücklicherweise waren einige Nekiséer hilfsbereit genug gewesen, ihre Untergrundstadt zu verlassen und mit Yalia und ihrem Onkel zu ziehen. So fanden sich alle in der Villa wieder und hatten sich etwa zwei Wochen, bevor die Respen kamen, auf einen Angriff vorbereitet. In der Waffenkammer des Kellers fanden sich genügend Utensilien, um es länger auszuhalten. Auch die Vorratskammern waren reich gefüllt - scheinbar hatte der Besitzer des Hauses vorgehabt, bald wiederzukommen. Dann waren die Respen angerückt, und mit ihnen die zwei Monster. Man sah nur Schatten von ihnen, denn sie hielten sich immer im Nebel auf. Aber dass es keine Menschen waren, sah man deutlich. Irgendwann war Vez aufgetaucht, und sie hielten ihn zuerst für einen Feind. Aber dann kam der Zwischenfall mit dem Kind, das durch eine Explosion aus der Villa geschleudert wurde. Es hatte sich beim Aufstieg in ein großes Bündel der Nekiséer gedrängt, weil es Angst hatte, und war nun dort oben. Vez hatte keinen Augenblick gezögert, eine der bereits fertigen Planken genommen und war unter reichem Pfeilhagel nach drüben geeilt, hatte das schwer verletzte Kind geholt und war zurückgekommen. Er hatte keinen Kratzer erlitten, und die Elfe, eine der einzigen vier Heiler in der Villa, hatte das Kind bald wieder gesund gepflegt. Ab diesem Moment war Vez der stärkste Verbündete, den sie hatten. Vor allem war er der einzige, der in der Lage war, eine ganze Planke allein zu verlegen. Kurz nachdem die Kluft am Pfad entstanden war, hatte sich ein weiterer, unbekannter Schutz zu ihnen gesellt: Wollte der Feind mittels eigener Planken oder durch Sprungmanöver hinüber, so zog eine übernatürlich wirkende Kraft Planken und Feinde direkt in die Tiefe. Was immer es war, es agierte nur nachts. So jedoch konnten die Belagerer keine Überraschungsangriffe starten, was den Insassen der Villa einen ruhigen Schlaf ermöglichte, und sie waren tagsüber bereit für die Abwehr. So lief die Belagerung einige Zeit weiter, bis schließlich Felina und die anderen aufgetaucht waren. Und nun wartete man nur noch auf den Menschen und seine Truppe, um endlich stark genug zu sein, dem Feind den Kampf anzusagen, zumindest hoffte das jeder in der Villa. War Vez für sie schon wie ein Held, so dachten sie bei dem Menschen an einen magischen Überflieger, der die Respen mit einem Schlag vom Berg fegen würde.
So verliefen die Tage recht mühsam, voll von Angriffen, Abwehrmanövern und Verlusten, mal auf der eigenen, mal auf der gegnerischen Seite. Die Nächte waren friedlich und ruhig, Thewak hatte nicht zu viel versprochen. Das unbekannte Kluftwesen leistete vortreffliche Arbeit, denn jede Nacht konnten sie durchschlafen. Nur Fegat wachte immer mal wieder schweißgebadet auf und erwartete, dass Narbenkralle, sein uredanischer bester Freund, an die Tür klopfen würde, blutbefleckt und halb tot. Doch niemand klopfte. Dennoch hielt er die Heiler, neben der Elfe waren noch zwei Mönchsmagier und ein Himmelskobold im Haus, ständig dazu an, alles vorbereitet zu haben, falls sein Freund doch noch auftauchen würde. Kommandant Ubrum, der andere Uredan, der sich oft mit der Füchsin Moonwolf und dem Wildschwein Plexus unterhielt, schüttelte nur den Kopf. Der Panther glaubte nicht mehr, dass Narbenkralle den Fall in die Kluft überlebt hatte. Stattdessen beratschlagten sie Tag um Tag die besten Angriffstaktiken und spekulierten, was für Kämpfer sich um den Menschen geschart hatten, ob jemand Brauchbares dabei war, und sie machten sich auch Gedanken um die geheimnisvolle dritte Gruppe, die unterwegs war. Sechzig Mann waren keine Kleinigkeit, und je nachdem, was für Wesen sie sein mochten, konnte jeder von ihnen auch so stark wie hundert sein. Von den über Hundertzwanzig, die mit Yalia nach oben gekommen waren, schienen jetzt nur noch weniger als die Hälfte übrig zu sein. Dass sie so überhaupt gegen die Soldaten da draußen Stand halten konnten, grenzte für die Füchsin an ein Wunder.
Plexus erwies sich in den Tagen, seit sie angekommen waren, als ein wahrer Stratege. Selbst Ubrum staunte, als der Eber die Bogenschützen der vierten Etage dazu anwies, in einem bestimmten Winkel auf den Feind zu schießen, da die Treffer dann effektiver seien. Auch die Wurfgeschosse der Nekiséer machte er durchschlagskräftiger, indem er täglich daran arbeitete und sie schwerer, schärfer und teilweise sogar explosiv machte.
"Verrate mir mal, wie du ein solcher Kampfexperte werden konntest'', kam der Panther eines Tages zu ihm.
"Ich habe viel gelernt. Auf unserer Reise waren gute Kämpfer und ich habe aufgepasst. Naja, und manches habe ich mir auch selbst beigebracht.''
Sein Können verhinderte leider nicht, dass den Eber ein Fernangriff des Feindes erschlug, als er gerade dabei war, eine Stelle an der Außenseite des Gebäudes auszubessern. Fiskus, der riesige Falke, hatte daraufhin zusammen mit einem Einhorn auf den obersten Trümmern eines Schornsteins Platz genommen und hielt seitdem mit ihm Ausschau. Nachts lag alles unter Nebel und nichts war zu erkennen, aber tagsüber fiel jeder Schatten sofort auf, der sich der Villa auf weniger als hundert Fuß näherte. Tipkin und Tekpan, die beiden jungen Krieger aus dem Reisenden Wald, hatten sich dazu bereit erklärt, die zerstörten Teile des Hauses wieder zu erneuern. Es war erstaunlich, wie raffiniert die Waldzwillinge es verstanden, mit ein paar dicken Ästen und Zweigen, die eigentlich für den großen Kamin im Wohnzimmer gedacht waren, eine vernünftige Wand nach der anderen zu zimmern. Als der Vorrat knapp wurde, machte der Sphärenteufel Windhauch, den alle nur Wisi nannten, einen kurzen Erkundungsflug um den Gipfel. Tatsächlich entdeckte er ein kleines Wäldchen, zu dem ein schmaler Pfad von der Rückseite der Villa führte und den sie kurzerhand Stabwald tauften. So hatten die Zwillinge binnen kurzer Zeit große Teile der sechsten Etage nicht nur wiederhergestellt, sondern auch verstärkt.
Felina unterhielt sich während dieser ganzen Zeit mit ihrem Dimensionenzwilling Yalia, oben in dem großen Zimmer, wo sie sich zum ersten Mal gegenüber gestanden hatten. Die beiden Mädchen hatten sich viel zu erzählen, und Felina fand zu ihrer Freude heraus, dass Yalia sogar mal in ihrem Reich gewesen war. Damals hatte Yol ein Bauprojekt nahe des königlichen Schlosses gehabt und Yalia durfte ihn, wie schon so oft, begleiten. Felina war erstaunt, denn sie hatte dieses Gebäude ab und zu mit ihren Eltern besucht, als sie kleiner war. Und auch in den letzten Tagen, bevor sie nach Hauptbunyarba geriet, war sie dort gewesen. Es handelte sich um einen sehr hohen Turm, von dessen oberstem Fenster aus man weite Teile des Königreiches erblicken konnte. Es war auch der einzige Turm, dem der König es gestattete, höher als sein eigenes Schloss zu sein. Bei all den Erzählungen wusste aber auch Yalia nicht, wie man in Felinas Welt kommen konnte. Damals war sie noch zu klein, um sich den genauen Ort des Tores zu merken. Sie wusste nur noch, dass es in dem Dorf war, in dem sie anfangs gewohnt hatten. Und ob dieses Tor, falls Felina es überhaupt fände, auch noch in die gleiche Welt führen würde, war ebenfalls zu bezweifeln.
"Also lautet meine nächstmögliche Station wohl Angelswin, hm?'' seufzte Felina. "Denn wenn ich überhaupt einen Anhaltspunkt habe, so unwahrscheinlich er auch sein mag, dann sollte ich ihn auch nutzen. Das ist immerhin besser als nichts.''
Yalia nickte. "Wenn das alles hier vorbei ist, will mein Onkel auch wieder zurück nach Angelswin. Du kannst ja gern mitkommen, wenn du magst.''
So vergingen die Tage, und noch immer warteten alle auf die Ankunft des Menschen und seiner Gruppe.