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Eldrit und Kuno

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Fenrir war langsam auf dem Weg der Besserung. Sehr langsam. Felinas Trupp, Caspars Gemeinschaft sowie Thewak und Yalia waren sich darüber einig, dass man nicht viel länger mit dem Aufbruch warten durfte. Hätten sie noch all die Nekiséer und Einhörner bei sich gehabt, dann wäre es eine wahre Armee gewesen, die nach Angelswin marschiert wäre. Doch man hatte nach dem überstandenen Bergabenteuer den Freunden nur viel Glück gewünscht und war dann nach Nekisé zurückgekehrt. Solange sie sich in der eigenen Welt befanden, war es für die Einwohner der Untergrundstadt kein Problem gewesen, sich für Thewak und seine Nichte einzusetzen. Doch als es dann hieß, einen Dimensionenwechsel vorzunehmen, möglicherweise sogar noch über mehrere Welten hinweg, da hatten sie plötzlich ihren Unmut bekundet, und sich tausendfach entschuldigt. Die Einhörner ihrerseits hatten es den Nekiséern gleichgetan und sich ihnen angeschlossen.

Lediglich drei weitere Leute waren bei Eldrit und den anderen geblieben: Inoh, der Doppelgänger von Narbenkralle, der überaus wendige Vez und der kleine Tekpan, der ohne seine Schwester nicht mehr in den Reisenden Wald zurückkehren wollte, obgleich er es gekonnt hätte.

Doch das eigentliche Problem zur Zeit war nicht die recht schwache Besetzung, mit der sie aufzubrechen gedachten, und auch nicht Fenrirs Zustand. Nicht einmal der Umstand, dass ihnen die Zeit davonlief, war augenblicklich relevant. Vielmehr hing alles nur von einer Frage ab: Wie kamen sie überhaupt nach Angelswin? Denn Thewak und seine Nichte hatten zwar lange Zeit dort gelebt, doch war ihre Flucht damals so überstürzt gewesen und hatte beide durch so viele Abschnitte geführt, dass weder Thewak noch Yalia den Weg hätten beschreiben können.

Zwei Tage nach ihrer Ankunft in Wolkenlauf schien eine Antwort in Sicht zu sein. Ein Vagabund, der im Gasthaus um eine kleine Mahlzeit gebeten hatte, berichtete dem Wirt von einer Händlerin, die auf dem Weg hierher sei, und dass sie etwas ganz besonderes im Angebot führe: Einen Immerweg, der seinem Besitzer Tore zu allen nur erdenklichen Welten öffnen konnte. Doch der Wirt schüttelte nur verächtlich den Kopf. Immerwege waren selten in Bunyarba, doch nicht wegen ihrer Popularität oder ihrer Fähigkeit. Eher war es der Unglaube der Leute, dass es einen solchen Gegenstand tatsächlich gab. Und genau deswegen verkauften sich Immerwege auch so schlecht, weshalb viele Kaufleute den Handel mit diesen Ladenhütern aufgegeben hatten. Irgendwie waren sie aber auch selbst Schuld daran: Auf Kundenfragen, ob man solch einen Immerweg mal sehen dürfe, bevor man ihn kauft, kam immer ein Nein als Antwort. Nur wer sich absolut sicher war, einen Immerweg kaufen zu wollen, und auch vorher bezahlte, durfte ihn demnach auch sehen. Auf diese Weise waren die speziellen Dimensionstore nach all den Jahren, seit sie entdeckt worden waren, zu einer Legende geworden. Nichtsdestoweniger erzählte der Wirt seinen Gästen von dieser Neuigkeit, denn jeder Grashalm konnte nützlich sein.

Eldrit, Ubrum, Fegat und Juliet saßen also, wie schon so oft, zusammen in einer Ecke des Lokals, das im Erdgeschoss vom Gasthaus war und an diesem kühlen Morgen wieder platzte vor Gästen, die ihr Frühstück einnahmen. Der Panther war leicht missgestimmt; er hatte nicht die gewünschte Anzahl Medizin bekommen können. Lediglich vier Flaschen hatten den Besitzer gewechselt, denn über mehr Vorrat verfügte die Stadt nicht. Er sprach mit gedrückter Stimme:

"Wenn wir uns wirklich darauf einlassen, es mit dieser Händlerin zu versuchen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass wir ihr notfalls den Immerweg gewaltsam abnehmen müssen. Denn wenn sie den Ernst der Lage nicht begreifen will, können wir schlecht sagen, dass wir bezahlen. Dazu sind wir nun einmal nicht in der Lage.''

Eldrit nickte. "Du hast Recht. Wir haben keinen müden Targo mehr. Ich bin ja schon froh, dass der Wirt uns kostenlos hier wohnen lässt. Juliet, dein Gespräch mit Kuno hat auch nichts ergeben, nehme ich an?''

Die Magierin, die einiges Geschick bei der Kommunikation mit Tieren besaß, schüttelte den Kopf, wobei ihr blond schimmerndes Haar leicht vibrierte. "Leider nein. Allerdings auf anderer Ebene, als mir lieb wäre. Er will gar nicht mit mir reden, sondern mit dir. Doch unglücklicherweise beherrsche nur ich seine Sprache. Womöglich weiß er etwas, das uns weiterhelfen könnte, aber es ist ungenutztes Wissen, solange er sich uns nicht mitteilt.''

"Hast du ihm erklärt, dass ich mit ihm reden würde, wenn ich könnte?''

"Ja, aber er meinte, dass du es sehr wohl könntest, weil alle Trollgeschöpfe dies könnten, demnach auch Edeltrolle.''

"Wundervoll. Da haben wir also eine potenzielle Informationsquelle, die darauf beharrt, ich besäße eine Eigenschaft, die ich jedoch nicht besitze. Es wird immer besser!''

Fegat, der neben dem Trollenprinzen saß, entgegnete: "Nun mal nicht den Kopf hängen lassen. Vielleicht hat Euer Reittier ja Recht, Prinz. Manchmal hat man versteckte Fähigkeiten, ohne es zu wissen. Habt Ihr denn schon mal ernsthaft versucht, mit Tieren zu reden? Denn anders werdet Ihr es nicht herausfinden können.''

"Ich werde es versuchen. Schließlich könnte viel davon abhängen. Und hör auf, mich so förmlich anzureden, das bin ich gar nicht mehr gewohnt.''

Und er stand auf, verließ das Gasthaus und schritt eilig zum Nachtlager des Neprecerbullen, welches sich immer noch an der Seite des Gebäudes befand. Kuno stand leicht abseits und fraß gerade, als Eldrit kam. Sofort neigte das mächtige Tier seinen Kopf herab zum Erdboden und blickte seinen Herrn erwartungsvoll an. Eldrit erwiderte den Blick und meinte:

"Hör mir zu, mein Freund. Wir müssen so schnell wie möglich aufbrechen, aber um die Richtung zu wissen, brauchen wir mehr Informationen. Und wenn ich dich verstehen könnte, dann könntest du uns vielleicht sogar helfen. Aber ...''

"Und warum versuchst du es dann nicht einfach, das Verstehen?''

Eine bronzene Stimme war im Kopf des Prinzen erklungen, aber es war mehr ein Gedanke als ein gesprochener Satz. Eldrit wollte gerade sprechen, aber dann dachte er nur:

"Bist du das, Kuno?''

"Na endlich, das wurde auch Zeit. Wenn du erlaubst, fresse ich weiter, während wir uns unterhalten.''

Und sein Kopf befand sich schon wieder über dem Futtertrog, der an der Stadtmauer hoch über der Erde angebracht war. Für den Prinzen war es ungewohnt, das, was er sagen wollte, nur zu denken, aber gleichzeitig freute er sich immens über die Sinneserweiterung, die er durch die Telepathie mit Kuno erfuhr.

"Zuerst, in eigener Sache, wieso hast du nicht mit mir geredet, als wir uns zum ersten Mal begegneten? Und dann, bitte, erzähl mir alles, was du über Dimensionsreisen und den Weg nach Angelswin weißt.''

"Erstens, du hast dich total gesperrt; weißt du, wie schwer es da ist, in deine Gedanken einkehren zu können? Also habe ich es erst mal gelassen. Und als diese Magierin dann mit der Behauptung ankam, du könntest nicht mit mir reden, da musste ich erst einmal lachen. So einen Unsinn hatte ich lange nicht gehört. Also ließ ich dich kommen. Denn zwar lasse ich auch die anderen auf mir reiten, aber ganz ehrlich, wenn du nicht dabei wärst, dann ließe ich sie auch nicht hinauf. Trollgeruch, auch der von Edeltrollen, ist irgendwie der einzige, der meiner empfindlichen Nase angenehm ist. Ach ja, und was ich über Dimensionsreisen und Angelswin weiß: So gut wie nichts, oder sogar noch weniger als das. Ich bin noch nie in einer Stadt gewesen, die so heißt. Aber ich kenne sie doch vom Namen her und weiß, wo sie sich befindet. Ich kann dir folglich sagen, wie du in die fragliche Welt kommst. Aber da ich denke, dass es eilt, muss ich mich mit einem Artgenossen in Verbindung setzen, um einen schnelleren Weg als den, welchen ich kenne, auszuarbeiten. Führe mich vor das Stadttor, und ich will versuchen, mich zu beeilen.''

Eldrit war begeistert. "Ja, warte nur kurz, ich sage den anderen Bescheid.''

"Aber schlepp' sie nicht mit, hörst du? Ich lasse nur dich dabei sein, du darfst dich daher geehrt fühlen.''

Kurz darauf standen die beiden auch schon vor dem prunkvollen Tor. Kuno sah sich um.

"Wo ist Osten?'', dachte er, und der Edeltroll zeigte in die entsprechende Richtung.

"Gut, dann werde ich jetzt beginnen.''

Und es waren hohle, tiefe Brummlaute, die die Gegend um Wolkenlauf herum an diesem Morgen vernahm. Diejenigen unter den Wolkenläufern, welche bereits von der Anwesenheit eines Neprecers in der Stadt wussten, machten sich keine weiteren Gedanken darum; die anderen jedoch meinten, ein besonders finsterer Kampf fände irgendwo außerhalb der Mauern statt, bei dem sie lieber nicht dabei sein wollten.

Was genau es war, das Kuno da äußerte, war unklar, aber es dauerte nicht lange, da stimmte ein zweiter, recht ähnlich klingender Brummlaut, der sich in weiter Entfernung befand, mit ein. Das Duett verlief eine ganze Weile, mal hörte Kuno auf und horchte, dann war es wieder das andere Neprecer, das still war und lauschte. Eldrit empfand es als eine Art Singsang, wie er da so stand, der Nebel gemütlich umherzog und ein leichter Wind aufkam, welcher seinen goldschwarzen Mantel flattern ließ. Der Prinz sah sich um und nahm auf einmal eine schwarze Silhouette wahr, die sich ihren Weg durch den Nebel bahnte. In Begleitung der Brummlaute der beiden Neprecer kam ein altertümlicher Wagen daher, gezogen von zwei Pferden.

Weißbrauner Leinenstoff war über drei Metallbügel gespannt, die am hölzernen Gerüst des Wagens befestigt waren. Vorne saß eine leicht ergraute Frau, deren Gesicht sehr eingefallen anmutete, und neben ihr lag zusammengerollt ein großer weißer Hund mit schwarzen Flecken. Sie hielt mit beachtlicher Leichtsinnigkeit die Zügel locker in den Händen, als würde sie ihren Zugtieren sehr vertrauen. Bei diesen handelte es sich um einfache Pferde, wenngleich schöne Geschöpfe in ihrer Erscheinung. Was die Alte auf ihrem Wagen geladen hatte, konnte Eldrit nicht erkennen, doch es schien allerlei Plunder zu sein. Das konnte nur die Händlerin sein, von der der Vagabund gesprochen hatte. Da das Gespräch zwischen Kuno und dem anderen Neprecer noch dauern konnte, konzentrierte der Trollenprinz sich auf den nahenden Wagen. Die Alte pfiff ein langsames, traurig anmutendes Lied, und beim Näherkommen waren ihre Augen besser zu erkennen: Sie schien blind zu sein. Milchig weiße Seen waren da zwischen den ergrauten, schmalen Augenbrauen und den tiefen Tränensäcken. Eine blinde Händlerin also, die mit ihrem Wagen unterwegs war, und die folgerichtig ihren Zugtieren tatsächlich vertrauen musste. Sie war auf die Augen der Pferde angewiesen. Doch sie schien noch etwas anderes zur Orientierung zu benutzen. Als der Wagen nur noch etwa gute sieben Meter von den Stadtmauern entfernt war, hielt die Frau ihre klobige Nase in die Luft und schnupperte. Ihr Hund rührte sich keinen Zentimeter; erst, als sie mit einer kratzigen Stimme zu sprechen begann, hob er seinen Kopf und sah sich um, stand auf und streckte sich ausgiebig.

"Ah, ja. Hier sind wir also bei Wolkenlauf, wenn ich mich nicht sehr täusche!''

Eldrit, der höflich erscheinen wollte, sprach: "Ja, das hier ist die Stadt Wolkenlauf. Und Ihr seid gewiss die Händlerin, welche man uns angekündigt hat?''

Die Alte und ihr Hund sahen ruckartig in seine Richtung, wobei das vierbeinige Ungetüm sofort von dem nur noch sehr langsam fahrenden Wagen sprang und dem Edeltroll entgegen trippelte. Kuno, der nahe bei Eldrit stand, ließ sich nicht beirren und brummte weiter seine Weise. Der Hund schnupperte an Eldrits Mantel und setzte sich dann vor ihn hin. Der Wagen blieb stehen.

"Eh, Shatter, komm her!''

Der Hund rührte sich nicht von der Stelle; er drehte nur seinen Kopf zum Wagen und bellte zweimal.

"Ah, ein Freund. Ja, Fremder, ich bin die Händlerin, von der du hörtest. Komm doch her und sieh dir meine Waren an. Ich habe sicher einiges, das dich interessieren mag.''

Eldrit war hoch erfreut, obgleich noch nicht sicher war, dass der Immerweg, wenn es ihn denn wirklich gab, schon ihrer sein würde. "Wenn Ihr so gut wäret, dann würde ich Euch erst meinen Freunden vorstellen, denn es betrifft uns alle, wenn Waren feilgeboten werden, deren Nutzen wir benötigen könnten.''

Diese Worte zauberten ein hintergründiges Lächeln auf die faltigen Lippen der Alten. Viele Leute verhießen auch viele interessierte Augen und bisweilen sogar spendable Geldbörsen. Sie nickte einverstanden dem Edeltroll entgegen.

"Gut, so werde ich dich denn auf dem Rathausplatz erwarten, wo ich nun schon mal ein paar andere Kunden beglücken möchte – das bedeutet, wenn es dir nichts ausmacht.''

"Nein, natürlich nicht. Dann also auf dem Rathausplatz!''

Die Alte nickte abermals und schickte ihre Pferde an, weiterzutraben. Shatter erhob sich und lief vergnügt neben dem Wagen her.

Inzwischen hatte Kuno mit der Unterhaltung aufgehört. Ein gedanklicher Seufzer erreichte Eldrit, und dieser sah sich zu dem Neprecer um.

"Was ist? Schlechte Neuigkeiten?''

"Nun, das nicht gerade. Zumindest nicht, was den schnelleren Weg anbelangt. Aber es gibt dennoch ein Problem, welches es zu lösen gilt.''

Jetzt war es an Eldrit, zu seufzen, wenn auch in normaler Form. "Muss ich mir Sorgen wegen diesem Problem machen, oder kann es einstweilen warten?''

Jetzt sah Kuno ihn offen an; seine großen Augen glänzten und schienen den Nebel vortrefflich zu spiegeln. "Es könnte warten, würde ich sagen. Aber ratsam ist dies nicht, wenn für eine reibungslose Reise gesorgt werden soll.''

Eldrit schüttelte den Kopf und dachte: "Wir müssen überhaupt erst mal auf dem Weg sein. Alles weitere kann zwischendurch geklärt werden. Die Zeit drängt, und wenn du mir versichern kannst, dass die Reise schnell voran geht, so will ich dieses Risiko eingehen. Kannst du es mir versichern?''

"Das kann ich.''

Eldrit nickte. "Dann komm, wir wollen zurückgehen und deine Fortschritte den anderen mitteilen.''

Die beiden Schatten, ein gigantischer und ein sehr viel kleinerer, welche langsamen Schrittes aus dem Nebel auf die Stadtmauern zu gingen, blieben unbemerkt, als Eldrit und Kuno sich wieder in die Stadt aufmachten.

Tausendfürst

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