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Welke Blüten

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Warum hole ich im Sommer den Rasenmäher heraus und massakriere die Gänseblümchen und den Löwenzahn? Warum pflücke ich welke Blüten aus? Ja, wie viele von uns tue ich das von Zeit zu Zeit. Trotzdem verbringe ich viel Zeit im Garten damit, die winzigen Bewohner zu beobachten, die diese Pflanzen bevölkern, und ehrlich gesagt, verbringe ich wahrscheinlich mehr Zeit mit diesen Tierchen und sie machen mir mehr Freude als die bewusst gepflanzten Blumen.

Der Grund, warum ich die Spindel mit den Klingen rückwärts und vorwärts bewege, sobald das Gras zu wachsen beginnt, ist ganz einfach die gesellschaftliche Konditionierung; damit bin ich aufgewachsen, das habe ich als Norm wahrzunehmen gelernt. Das ist auch der Grund dafür, dass wir als Art Probleme haben und zu heuchlerischen Vertretern des Sankt-Florian-Prinzips werden, die sich eifrig dafür einsetzen, dass die Biber in unseren Flüssen bleiben, aber das Gras im eigenen Garten nicht wachsen lassen wollen.

Bei der Renaturierung geht es darum, das zu verbinden, was von den zerstreuten Lebensräumen von einst noch übrig ist, und Arten wieder einzuführen, die früher als Rivalen oder Bedrohung gesehen wurden, um eine natürliche Ordnung wieder einzusetzen. Dasselbe kann man auch von uns Menschen behaupten: Wir haben uns von unserem natürlichen Ich getrennt, distanziert, und es besteht ein verzweifeltes Bedürfnis danach, die Verbindung wiederherzustellen. Wir sind aus dem Gleichgewicht geraten, sind desillusioniert, verloren in einem selbst erzeugten Schattenland sowohl in uns, auf der Wahrnehmungsseite, als auch außen, auf ökologischer Ebene. Ich glaube, „Renaturierung“ ist ein großer Begriff, der unsere Beziehung zur Welt verändern kann.

Auch wenn „Renaturierung“ ein mächtiges Konzept mit vielen Facetten darstellt, ist sie für uns alle relevanter und uns näher, als wir zunächst denken mögen. Die Renaturierung unserer Haltung zur Natur, die kulturelle Anerkennung ihrer guten Eigenschaften könnte genauso gut als „Reekstasierung“, „Resensorisierung“, „Reinzentivierung“ oder „Rebeglückung“ beschrieben werden.

Was die Notlage des Austernfischers mit einem Vielfraß, eine Biene mit einem Biber verbindet, ist unsere Beziehung zur Natur; es zählt, wie wir über sie denken, wie wir sie wahrnehmen und wie wir sie in unserem Herzen spüren.

Natürlich birgt der Prozess der Renaturierung eine Reihe von theoretischen und praktischen Herausforderungen und auch wenn das langfristige Ziel der Wiedereinführung einiger fehlender großer Akteure in unserem gegenwärtigen Geisterland von entscheidender Bedeutung ist, sind wir tatsächlich noch sehr weit davon entfernt. Wenn wir Erfolg damit und mit der Wiederherstellung großer Landstriche haben wollen, müssen wir uns deutlich mehr Toleranz gegenüber dem Wilden beibringen.

Und das bedeutet viel mehr, als über die Schlagzeilen der Boulevardpresse hinauszukommen, wo schon die Erwähnung von Wolf, Bär oder Biber alle in helle Aufregung versetzt. Es besteht kein Zweifel, dass wir diese „Schlagzeilen-Akteure“ brauchen; natürlich tun wir das. Es sind die Schlüsselarten und wir können die Funktionsfähigkeit eines Ökosystems nicht vollständig wiederherstellen, wenn sie nicht ihren Platz darin haben.

Sie sind die Maskottchen des Begriffs „Renaturierung“ und erinnern uns an das größere Ziel, das ehrgeizige Ziel. Wir können das ökologische i-Tüpfelchen nicht haben, bevor das i nicht steht. Wir haben an vielen Orten sowohl in Großbritannien als auch im Rest der Welt immer noch ein paar Reste der ursprünglichen funktionsfähigen Landschaft und solange wir die noch haben und das, was ihnen fehlt, besteht Hoffnung. Wir können sie immer noch alle zusammenbringen und unsere Welt erneuern und renaturieren, aber zuerst müssen wir unser Wertesystem wieder verbinden, wiederherstellen und neu kalibrieren. Wir müssen eine Veränderung herbeiführen in der Art, wie wir die Natur betrachten und mit ihr interagieren. Nicht als etwas, das immer geordnet, unterteilt oder kontrolliert werden muss – wir müssen beginnen, sie in unseren Alltag zu integrieren. Das Tolle an dieser Art der Renaturierung ist, dass wir alle dazu in der Lage sind. Sie ist einfacher zugänglich, als Sie vielleicht glauben.

Es hat wenig Sinn, sich damit abzufinden, dass Wölfe oder Luchse durch den nahen Wald laufen, wenn man schon einen umgestürzten Baum unordentlich findet, Probleme mit ein bisschen Schlamm hat und mit der Vorstellung, eine Ecke des Gartens verwildern zu lassen, den Rasen nicht zu mähen oder auch Sandbienen in den eigenen Blumenrabatten zu dulden. Aber um zu verstehen, warum das wichtig ist, muss man sich zunächst ansehen, wie man die Natur betrachtet. Wie denken Sie über die anderen Arten, mit denen Sie Ihren Lebensraum teilen? Bemerken Sie sie überhaupt? Das ist die Art von Renaturierung, um die es in diesem Buch geht. Es geht darum, Sie selbst zu renaturieren, Ihr Leben, Ihre Haltung, Ihren Geist, während Sie Herz und Seele wieder einsetzen – und damit die Entstehung tiefer Zufriedenheit, einer Liebe zu sich selbst, zu anderen Tieren und dem Ort einleiten, den wir Heimat nennen. Es ist eine natürliche Therapie und ein Gegenmittel zur modernen, technologischen Blase, in der wir eine Runde nach der anderen drehen.

Wo fängt man an? Ganz einfach: Beginnen Sie mit dem, was Sie verändern können, und das sind Sie selbst. Irgendwo in Ihnen steckt ein empfindsames Wesen, geprägt durch sieben Millionen Jahre hominider Evolution. Sie haben in diesem Augenblick schon alles, was Sie brauchen, um sich auf die Natur einzulassen und sie zu erleben, genau wie alle anderen heute lebenden Menschen. Sie stecken voller Sinnesorgane, die Ihnen fantastische Erfahrungen bescheren können, die Ihnen ein tieferes Verständnis sowohl Ihrer selbst als auch Ihrer natürlichen Umgebung verschaffen. Dieses Buch ist keine Gebrauchsanleitung, die Sie gewissenhaft befolgen müssen; betrachten Sie es vielmehr als einen hilfreichen Verkäufer, der eine dieser Waren zu Hause hat, sie gut findet und Ihnen ihre besten Eigenschaften zeigen möchte und wie er dazu gekommen ist, zu lieben, zu würdigen und hochzuschätzen, was sie für ihn getan hat.

Es gibt viele Bücher auf dem Markt, die Ihnen sagen, wie man das macht und wie man das Ganze betrachten sollte. Ich sollte das wissen, ich habe einige davon geschrieben. Sie sind auf einer bestimmten Ebene großartig, aber sie können nicht den Platz der wahren Freude einnehmen – der erlesenen persönlichen Entdeckungsreise. Ein Naturforscher zu sein und die Verbindung zur Natur herzustellen, besteht zu einem großen Teil in dem, was man selbst lernt und entdeckt, all dem, was man nicht in Büchern findet. Ich verbringe einen großen Teil meines Lebens damit, Fragen zu beantworten und Menschen Dinge zu zeigen, die mich zum Staunen bringen; ich kann mir nicht helfen, das ist einfach natürlich.

Meine große Sorge ist, dass man mit jeder beantworteten Frage, ob im Fernsehen, in einem Internetforum, in den sozialen Medien oder bei einer Schulversammlung, dem Fragesteller diese unbeschreibliche Ergötzlichkeit nimmt, die Antwort selbst herauszufinden – den Prozess der Jagd und die schwer verdiente Antwort, die „Beute“, die uns bleibt, das Hochgefühl, den Nervenkitzel der Jagd und natürlich die unbestreitbare Wahrheit der Entdeckung. Wir leben in einer Welt der sofortigen Befriedigung, der faulen Suchanfragen und einer Google-Mentalität; wie erfrischend ist es da, sich selbst überlassen zu sein, es selbst herauszufinden? Ich sage, gehen Sie hinaus und öffnen Sie die Sinne, erleben Sie die Natur aus erster Hand, kosten Sie die Einzelheiten und Komplexitäten aus und schwelgen Sie in der Verbundenheit aller Dinge; bestaunen Sie sie und haben Sie Spaß daran, die Punkte selbst zu verbinden. Dabei werden Sie Ihr inneres Kind wachrütteln und den verborgenen Affen wecken.

Wild leben!

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