Читать книгу Wild leben! - Nick Baker - Страница 7

Einleitung Entkleideter Bär

Оглавление

Alles schien so vertraut. Es war, als würde ich alles, was ich begutachtete, durch eine Linse betrachten, die die Einzelheiten verschwimmen ließ. Wenn ich die Augen zusammenkniff, hätte ich zu Hause in England sein können. Erst wenn ich sie weit öffnete, konnte ich erkennen, dass die Details leicht verzogen waren. Ich stand auf einem ausgetretenen Pfad, ohne Pflanzen und vom regelmäßigen Gebrauch wie poliert. Ich stand unter einer Erle. Das Dickicht aus dürren, zwergenhaften Bäumen, aus dem sie aufragte, umschloss den Pfad wie ein dunkler, natürlicher Tunnel, ihre Zweige ein paar Meter über mir ausgestreckt und verschränkt wie die Finger eines Denkers, gelegentlich locker genug, um Pfützen klaren Lichts durchzulassen, Schlaglichter auf das, was darunter lag.

Zu Hause, rund achttausend Kilometer entfernt, würde ich einen solchen Lebensraum als Bruchwald bezeichnen: ein verkümmertes Waldland, in dem die an durchweichte Böden gewöhnten Bäume ihre Wurzeln in Schlingen und Windungen in den sumpfigen Mulch aus Wasser und totem Laub bohren.

Ein paar Meter über dem stehenden Sumpf, gespiegelt in den öligen Wasserpfützen an der Oberfläche, inspizierten verschiedene Arten von Grasmücken, so schwierig zu identifizieren wie zu Hause, verstohlen Blätter und rissige Rinde auf der Suche nach winzigen Wirbellosen.

Aber wenn ich ein herabgefallenes Blatt aufnahm und untersuchte oder mehr als einen kurzen Blick auf eine Grasmücke erhaschte, sah ich, dass Form und Gefieder anders waren. Die Blätter waren sägezahnartig eingekerbt und war das nicht ein Hauch von Schwarz auf dem Kopf des Wacholderlaubsängers?

Diese neue Ansicht zeigte eine irgendwie vergrößerte und verzerrte Welt, mehr Leuchtkraft und Farben in einer wie gekrümmten Perspektive. Das war gleichzeitig der Wald im Sussex meiner Kindheit und etwas Fremdes. Dann fiel mir eine Beere ins Auge, die wie ein LED-Licht aus den trüben herbstlichen Grün- und Brauntönen leuchtete, in einer Lache hereingemogelten Sonnenlichtes badend.

Sie sah ein bisschen aus wie eine Himbeere. Sie hielt sich an die allgemeinen Merkmale von Himbeeren, obwohl es sich mit großer Sicherheit um eine andere Art handelte als die beliebte Rubus idaeus – die europäische Himbeere, die in meiner Beerenecke im heimischen Garten steht. Etwas flüsterte mir zu, ich sollte diese fremde Beere pflücken.

Als die lachsrote Beere sich willig vom Strauch löste, konnte ich durch Riechen und Berühren feststellen, wie reif sie war, und obwohl die Stimmen der kulturellen Konditionierung in meinem Kopf – die Stimmen meiner Eltern, Tanten, Onkel, Lehrer und vieler anderer Autoritäten in meinem Leben – mich ermahnten, keine unbekannten Früchte in den Mund zu stecken, tat ich es. Eine viel größere Autorität sagte mir, dass es in Ordnung sei.

Sie schmeckte gut, so gut. Als die scharlachroten Einzelbeerchen zwischen meinen Zähnen zerbarsten, lösten sie ein natürliches Zuckerhoch aus. Mir wurde klar, dass mich die Süße auf vielen Ebenen erfasste. Sie hatte auf eine sehr banale Weise etwas tief in mir befriedigt. Ich hatte gesehen, gespürt, geschmeckt und gerochen wie ein richtiges Tier, ein menschliches Tier; mein latentes eingeborenes Ich hatte die Situation eingeschätzt und dem modernen, konditionierten Ich gesagt, dass alles in Ordnung war. Es waren keine Bücher, Naturführer oder Websites konsultiert worden. Wenn es ein Risiko gegeben hatte, dass ich mich irrte, dann gehörte auch das sicherlich zu diesem urzeitlichen Nervenkitzel dazu.

Dann, kurz bevor ich mich dazu hinreißen lassen konnte, mir noch eine Beere in den Mund zu stopfen, schob sich ein anderer Moment, diesmal etwas dringlicher, in den Vordergrund.

Mein Guide an diesem wilden Ort, der so weit von meinem richtigen Zuhause entfernt lag, drängte mich langsam und bestimmt rückwärts vom Pfad hinunter. Mit der Hand auf meiner Brust und dem Flüsterton, den er anschlug, hatte er sofort meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Mein Überlebensinstinkt war geweckt, die Stimmung hatte sich verändert und etwas stand kurz davor, all meine Gedanken und Vorstellungen im Handumdrehen neu zu ordnen. Von den Geschmacksknospen zum Entsetzen im Bruchteil einer Sekunde.

Alle Sinne waren aufs Äußerste gespannt, die Zapfen in meiner Netzhaut versuchten, jedes Lichtphoton zu erfassen, das sich durch die dichte Laubdecke über uns kämpfte. Meine Intuition verlangte verzweifelt nach Informationen, die mir irgendeinen Hinweis darauf geben könnten, was da durch den langen, dunklen, dämmrigen Tunnel geschlurft kam, den die Bäume vor uns bildeten.

Die Härchen auf meinem Nacken stellten sich tatsächlich auf, alle Neuronen feuerten. Dann hörte ich es, zuerst kaum wahrnehmbar: ein tiefes Grollen, tief und vibrierend; ein fernes Gewitter zog näher heran. Ich spürte diese Naturgewalt über den bebenden Boden, durch die feuchte, schwere Luft herankommen.

Als mein Blick sich schließlich auf den Koloss scharf stellte und meine Augen den dunklen Pelz von dem störrischen Laub im Zwielicht unterscheiden konnte, durchfuhr mich ein urzeitlicher Schreck, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Eine direkte Verbindung zu allem, das war und jetzt ist. Vielleicht eine genetische Erinnerung?

Ein Bär trottete heran und im Abstand von wenigen Metern an uns vorbei. Er drehte kaum den Kopf, um von uns Notiz zu nehmen – er hatte ein Ziel, vielleicht einen Ort mit besseren Beeren? Nahrung für den Winterspeck. Das Einzige, was hier in Alaska im Winter zählt, in der Welt eines Bären, ist das Überleben. Ein paar Menschen hatten keinen Platz in den Wintervorbereitungen dieses speziellen Bären, er hatte andere Dinge im Kopf.

Ich allerdings nicht. Mein Kopf war voll mit dem Bären – wie hätte es anders sein können? Ich konnte ihn sehen, hören, riechen, spüren, fast sogar schmecken – jede urzeitliche Verbindung, jedes Neuron, das ich besaß, war von jetzt auf gleich hellwach. Ob ich Angst hatte? Vielleicht für einen klitzekleinen Augenblick, als mein zentrales Nervensystem alle Sinne zusammennahm, um die Situation zu verstehen. Ob ich weglaufen wollte? Eigentlich nicht. Ich war ganz und gar „im Moment“.

Das war etwas, wovon meine alternativen Freunde (manche würden sagen, meine Hippiefreunde) immer redeten, was ich aber bis zu diesem Augenblick nie verstanden hatte. Ich fühlte mich so vollkommen und absolut lebendig. Ich hatte für diesen kurzen Moment eine vollkommene und absolute Verbin dung zur Natur um mich aufgenommen, auf eine Weise, die mir vollkommen klar erschien. Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich es. In einem Augenblick hatte dieser Bär mir gezeigt, was „wild“ bedeutet, er stellte innerhalb weniger Sekunden meine gesamte Persönlichkeit scharf und gab jedem Naturerlebnis, das ich je gehabt hatte, einen Sinn.

In meinem Aha-Erlebnis spielte ein Bär eine Rolle. Ziemlich angemessen, wenn man seine kulturelle und symbolische Bedeutung in den Völkern bedenkt, die noch eine enge Beziehung zur Natur pflegen. Viele nordamerikanische Kulturen halten Bären für Krafttiere und tatsächlich sind sie eine starke erdende Kraft, die uns auf den Boden zurückzieht, uns in Verbindung und im Gleichgewicht mit der Erde und miteinander halten und uns zudem mit der Stärke und dem Mut versorgen, gegen Veränderungen standhaft zu bleiben, und uns zu körperlicher und emotionaler Heilung führen.

Einige sagen, dass der Bär die Lehre der Selbstprüfung vermittelt. Wenn er in deinem Leben auftaucht, solltest du darauf achten, wie du denkst, handelst und interagierst. Der Bär gilt als Tier, das eine Brücke zwischen Nacht und Tag bildet, zwischen Stärke und Frieden, dem Spirituellen und dem Körperlichen.

Dieser „mein Bär“ hatte mir eine plötzliche Einsicht in eine tief verwurzelte Verbindung mit einer uralten Weisheit verschafft. Er hatte mich bis ins Innerste erschüttert und von diesem Augenblick an veränderte sich meine Beziehung zur Natur in jeglicher Form für immer.

Ich hatte schon vorher eine Ahnung dieses Gefühls verspürt. Als hätten sich die Finger der Natur und meiner wilden Seite nacheinander ausgestreckt, sich aber nie richtig berührt, als hätte mein Bewusstsein das Wilde in meinem Leben nicht ganz begriffen. Als Kind war ich nachts durch einen Wald in East Sussex gelaufen, in Unkenntnis der Tatsache, dass die Landschaft ein vom Menschen zerstörter, zahmer Schatten ihrer eigenen Vergangenheit war. In meinem achtjährigen Kopf war das anthropogene Wesen der Gesamtheit meiner Natur noch nicht angekommen.

Ich verspürte noch die urzeitliche Angst vor der Dunkelheit – die Bären, Wölfe und Raubkatzen meiner Fantasie waren noch echt für mich. Die aufgeschreckte Explosion von Taube oder Fasan, das Klopfen von Hasenfüßen oder das Grunzen und Lärmen eines flüchtenden Dachses durchschnitt meine sorglose Gegenwart und mein rasendes Herz und meine angespannten Sinne brachten mich zu dem zurück, wie es in einem anderen Leben gewesen war. Was ich in diesen Augenblicken erlebte, hatte jeder achtjährige menschliche Affe in den letzten rund 7,5 Millionen Jahren genauso erfahren. Ironischerweise war ich für die Tiere, denen ich unwissentlich über den Weg lief, tatsächlich eine bedrohliche Art; sie waren immer noch auf den ursprünglichen wilden Wald geprägt, nicht auf das von Menschen begärtnerte „Weald“ mit seinem Ackerland, Zwischenfrüchten und beengten Flüssen.

Mein restlicher allzu kurzer Aufenthalt im Katmai-Nationalpark in Alaska war voll von dem, was ich nur als Wiedererweckung beschreiben kann. Ich erforschte ein Ökosystem, das noch viel vollständiger war als das in England verbliebene, und wenn auch die einzelnen Merkmale der Arten sich leicht voneinander unterschieden, war der Gesamteindruck doch derselbe und es galten dieselben Spielregeln. Dieses Spiel des Überlebens, das Biber und Dachs, Elch und Krähe, Meise und Buchfink hier spielten, fand in derselben Intensität auf der anderen Seite der Welt ebenfalls statt, auch wenn zu Hause einige Teile fehlten.

Diese Begegnung mit dem Bären war eine von vielen und bei einigen kam ich ihnen noch näher; einmal stand ich einem gewaltigen, fünfhundert Kilo schweren Grizzlymännchen von Angesicht zu Angesicht gegenüber, das auf einer deckungslosen Schlammebene einer Flussmündung erst auf mich zugegangen, dann zugerannt war, um mich unter die Lupe zu nehmen. Ich hatte nichts als einen Müllbeutel in der Tasche (ein offizieller Bärenschreck), um mich zu verteidigen. All diese Erfahrungen und andere, die mit den Warnrufen von Grasmücken, dem nicht identifizierten Rascheln im Dickicht, dem entfremdeten Schrei in der Nacht zu tun hatten, durchdrangen mich noch etwa für die folgende Woche bis ins Mark.

Besonders fiel mir in dieser Zeit auf, wie stark ich die Dinge wahrnahm, richtig wahrnahm. Als wären die Scheuklappen meiner domestizierten Erziehung zusammen mit der Sinnesbeschränkung, die sie erzeugt hatte, von meinen Augen gefallen, und alle meine anderen Sinne wären auf ähnliche Weise befreit worden. Nichts konzentriert die Aufmerksamkeit besser auf die Umgebung – die Lage des Landes, die Pflanzen, Tiere, Geräusche, Gerüche –, als die Vorstellung, das eigene Leben könnte davon abhängen. Als Naturforscher habe ich viel Zeit damit verbracht, anderen meine Sicht auf die Welt als bekennender Biophiler mitzuteilen. Meine Karriere umfasst mehrere Jahrzehnte des Filmemachens, Schreibens, Vermittelns und informellen Lehrens der wilden Tier- und Pflanzenarten vor Ort. In dieser Zeit wurde mir oft gesagt (und ich erwähne das mit so viel Bescheidenheit, wie ich aufbringen kann), dass ich so viel bemerke.

„Wie haben Sie nur diese Raupe gesehen?“ „Woher wissen Sie, dass da ein Baumläufer singt?“ „Wow, Sie haben da gerade das Ei eines Aurorafalters entdeckt!“ Meine Klienten scheinen diesen Fähigkeiten geradezu ehrfürchtig gegenüberzustehen. Ich sehe es in ihren Augen, ich höre es in ihren geflüsterten Bemerkungen. Aber die Fertigkeiten, die es uns ermöglichen, diese Einzelheiten in der Welt um uns herum wahrzunehmen, sind nicht schwierig zu erwerben. Eigentlich müssen wir sie gar nicht erwerben; wir besitzen sie schon und das von Geburt an. Wir alle sind geborene Naturforscher. Über das Werkzeug, mit dem wir eine wilde Welt wahrnehmen und in ihr überleben können, verfügen wir alle. Es gehört zu unserer Anlage, aber unsere Umwelt lenkt unseren angeborenen Affen ab. Der funkelnde Tand und Glitzer im Kokon unserer eigenen Technologien füllt unsere Sinne aus. Unsere Neuronen lassen die Schaltanlage aufgrund schlechter Kopien dieser wilden Verbindungen zur Natur, unserer Natur, aufleuchten. In der Ersetzung der Gesetze der Wildnis durch unsere selbst geschaffenen führen wir uns meiner Meinung nach selbst hinters Licht; wir sind nicht auf dem Weg zu einer Art von utopischer Perfektion, sondern ins Verderben durch Unzufriedenheit, Ablenkung, Abkoppelung und alle Arten von Störungen, und dafür gibt es reichlich Belege. Die Zunahme von psychischen und körperlichen Gesundheitsstörungen sowie anderen Krankheiten aufgrund einer zunehmend sitzenden Lebensweise gehört zu dieser Trennung von uns selbst, aber mehr dazu später.

Ich muss wohl meinen vorausschauenden Eltern dafür danken, dass sie mich genau im richtigen Alter aufs Land verpflanzt haben, damit mein innerer Naturforscher sich entwickeln konnte. Die ländliche Umgebung meines Elternhauses bot die Faszination und Aufregung, die ich brauchte, um Körper und Geist zu trainieren und zu stimulieren. Sie wurde in ebensolchem Maß zum Mentor wie meine Eltern und engen Familienangehörigen. Sie wurde zu einem Ort des Lernens, der es mit jedem Klassenzimmer aufnehmen konnte, und war mir zur rechten Zeit Lehrer, Freund, Turnhalle, Spielplatz und unwissentlich auch Therapie. Ich war schon biophil und auch wenn diese Leidenschaft sich damals noch nicht voll entfaltet hatte, erreichte meine natürliche Faszination für die wilde Welt eine neue Stufe.

Unser erstes Zuhause lag in einer Neubausiedlung nicht weit von Crawley, wo sich keine Gelegenheit bot, einem Hirsch oder einem Fuchs zu begegnen. Aber hier in der ländlichen Idylle meiner Kindheit wurden diese und weitere Tiere zu etwas, das ich tatsächlich außerhalb der Seiten der Hamlyn-Enzyklopädie des Tierreichs antreffen konnte. Die frühen 1980er waren eine Zeit vor PCs und digitaler Ablenkung. In einem untypischen Satz in Richtung Modernität investierten meine Eltern in einen Heimcomputer, den BBC Micro, Modell B, weil er „pädagogisch wertvoll“ war. Selbst in den Tagen der Blockgrafiken und großen Pixel regte sich schon die suchterzeugende Verlockung der Computerspiele, aber meine Eltern stellten schnell Regeln und Zeitbegrenzungen auf.

Ich entdeckte jedoch, dass die embryonische, kalte und langsam reagierende digitale Welt wenig zu bieten hatte im Vergleich zu einer Handvoll glitschigem Froschlaich, der Aufregung, zwölf Meter an einem Baum hochzuklettern, um in ein Krähennest zu spähen, oder der düsteren, aber reizvollen Sinfonie, in der ein totes Lebewesen langsam zerlegt und in seine einzelnen Bestandteile zurückgeführt wurde. All diese Erfahrungen waren echt und beschäftigten mein wahres Ich. Während ich übte, nicht im Sinne von erzwungenen außerschulischen Klavier- oder Flötenstunden, sondern auf natürliche Weise und in meiner Freizeit, schärfte ich meine Sinneswerkzeuge.

Stück für Stück, Lektion für Lektion, während ich frei durch die Felder und Wälder streifte, gelangte ich immer tiefer in eine Welt voller Nervenkitzel und Fertigkeiten, die ich bis heute nutze und weiter verfeinere. Ich erinnere mich noch an den Film Legend of the Wild (die fiktive Geschichte eines amerikanischen Einsiedlers, der fälschlicherweise des Mordes bezichtigt wird und in die Berge flieht, wo er überleben lernt und sich mit verschiedenen Tieren anfreundet) und wie ich durch die Konzepte und Bilder darin vollkommen verzaubert war.

Die betörende Freiheit und die Beziehung, die Grizzly Adams zur Natur hatte, fand in mir einen Widerhall. In der Schule war ich ein ziemlicher Einzelgänger und konnte in den regulierten Grenzen des Klassenzimmers nie so recht ich selbst sein, und wenn im ländlichen Sussex auch ein gewisser Mangel an großen, zottigen Bären herrschte, gab es dort doch wenigstens Dachse. Kaum war der Film zu Ende, zog ich die Schaffellweste an, die meine Oma mir von einer Bustour durch die westlichen US-Bundesstaaten mitgebracht hatte – sie kam von allen meinen Kleidungsstücken am nächsten an Wildleder heran – und band ein Fahrtenmesser an meinen Gürtel. Ich ging hinaus, kroch durch Dickichte, watete durch Flüsse und versuchte, so nahe wie möglich an die wilden Tiere heranzukommen und eine Beziehung zu ihnen aufzubauen. Dieser Abenteuergeist gehörte damals und gehört noch heute zu meinem Leben. Damals war es das, was mich begeisterte, was ich wollte und wonach ich strebte und was ich am meisten schätzte. Eine Beziehung zu Tieren und damit auch zur restlichen Natur ist das, was mir am meisten wert war und worin ich erklärtermaßen im Laufe der Zeit auch glänzte. Das ist das Wichtigste – man muss gut in dem werden, was man für wichtig hält.

Es ist eine Sache der Lebensführung. Vielleicht sind Sie nicht in der Lage, die Liedvariante eines Rotkehlchens zu bemerken, zu erkennen oder einen Grund dafür zu finden, das zu können, aber dann haben Sie vielleicht andere Fertigkeiten, die mir ähnlich bizarr erscheinen. Einige von uns können einen Zug am Geräusch erkennen und sogar datieren: Das Rasseln, der Metallgegen-Metall-Rhythmus der Lager und Kolben und der Feueratem vereinen sich zu einer Sinfonie, die (für diejenigen, die zuhören) ebenso erkennbar und unverwechselbar ist wie ein philharmonisches Orchester oder auch wie eine Band, ein Musiker oder ein Instrument. Auf was man speziell achtet, hängt sehr davon ab, welchen Dingen man einen persönlichen Wert beimisst, und auch wenn diese speziellen Beispiele sich auf Geräusche beziehen, gelten dieselben Prinzipien im Großen und Ganzen auch für unsere anderen Sinne. Vielleicht sind Sie ja in der Lage, die Phenole in einem guten Single Malt zu erschmecken oder die zarten Schokoladennoten in einem australischen Shiraz oder die homöopathische Dosis Chili in einem Salatöl.

Eigentlich könnte ich dieses Buch auch an dieser Stelle beenden, da nichts davon sonderlich komplex ist. Ich sehe mich um und erkenne eine Welt voller kluger Affen, die vergessen haben, woher sie kommen, im Kreis rennen, unglücklich und funktionsgestört, und das kommt daher, dass wir uns gestattet haben, genau das zu werden.

Tatsache ist, dass Sie es wollen müssen, dass Sie dieser Verbindung zur Natur in irgendeiner Weise einen Wert beimessen müssen. Wenn Sie also zurück zur Natur gelangen, die Welt besser verstehen, Ihre eigene Ökologie kennenlernen, in Körper und Geist fit werden, ein hervorragender Vogelbeobachter oder eine preisgekrönte Naturfotografin werden oder einfach echte Befriedigung erfahren möchten und nicht nur die urbane, entkoppelte Begeisterung über zwei Portionen Krabbenchips zum Preis von einer, dann lesen Sie weiter.

Wild leben!

Подняться наверх