Читать книгу Vergiss nicht, mich zu lieben - Nicole Beisel - Страница 4
Fast wie damals
ОглавлениеIch verschlucke mich beinahe, als ich meinen Kopf nach links drehe und die Dame neben mir höflicherweise begrüßen will. Meine Hand bleibt auf halber Strecke in der Luft hängen, als ich sie erkenne.
Elizabeth.
Ich wusste nicht, dass sie auch eingeladen war und hatte nicht erwartet, sie hier zu sehen. Ich hatte ohnehin nicht erwartet, sie überhaupt je wiederzusehen. Als sie damals ging, klang es nach einem endgültigen Abschied. Das Schicksal sollte uns wieder zusammenführen, hatte sie geschrieben. Ich habe gewartet, lange sogar.
Bis ich Jane fand, die mich an diesem Abend begleitet. Und auch Elizabeth ist nicht alleine, wie ich sehen kann. Endlich finde ich meine Sprache wieder und versuche, so locker wie möglich zu klingen, obwohl ich angespannter bin denn je.
„Hallo Elizabeth. Das ist ja eine Überraschung.“ Ich strecke ihr noch immer die Hand hin, und zögerlich nimmt sie meine Geste an. Gott, alleine diese kurze Berührung lässt mich innerlich zusammenzucken und ruft sämtliche Erinnerungen wach.
Erinnerungen, sie waren unser Problem.
„Hallo Tim. Ganz gut, danke.“ Ich bin mir nicht sicher, aber ich könnte schwören, sie ist ebenfalls nervös.
„Oh, Sie kennen sich? Das ist ja schön“, meldet sich Mr. Rutherford zu Wort.
„Ja, wir hatten mal miteinander zu tun.“ Verstohlen werfe ich einen Blick auf Jane, die ziemlich ratlos aussieht. „Jane, darf ich vorstellen: Elizabeth Austen. Elizabeth, das ist Jane Miller.“ Die beiden reichen sich die Hände, und es kommt mir beinahe schon absurd vor, dass wir uns hier alle in einem Raum befinden.
„Das hier ist Samuel Dalton. Samuel, das ist Timothy Bold, der Anwalt der Bank.“ Wir reichen uns ebenfalls die Hände, aber ich glaube, dieser Typ wirkt nicht gerade erfreut, mich zu sehen. Ob er wohl etwas ahnt und eifersüchtig ist? Er macht allgemein einen eher reservierten und griesgrämigen Eindruck auf mich. Wie konnte Elizabeth nur an so jemanden geraten? Ach, wenn doch damals nur alles anders gekommen wäre …
Dieser Samuel kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich kann mich auch täuschen. Ich habe mit so vielen Menschen zu tun, dass ich mir nicht immer alle Gesichter merken kann, aber hätte er mich erkannt, hätte er sicher etwas gesagt.
„Dann lass ich Sie mal alleine. Sie haben sich sicherlich viel zu erzählen. Fühlen Sie sich wie Zuhause und lassen Sie es sich gutgehen.“ Mit diesen Worten verschwindet Mr. Rutherford zu seinen nächsten Gästen. Betreten stehen wir da und schweigen uns an. Ich fühle mich seltsam, steht doch meine Freundin neben mir, obwohl es das Schicksal ausnahmsweise mal gut mit mir meint und ich ausgerechnet hier und jetzt Elizabeth begegne. Meine Gedanken kreisen wild umher und ich bemerke kaum, wie Jane versucht, meine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Oder hast du etwa keinen Hunger?“ Verwirrt schaue ich sie an, nicke dann jedoch eifrig.
„Doch, doch. Einige Häppchen, natürlich. Wollt ihr auch was?“, wende ich mich an Elizabeth und ihren seltsamen Begleiter.
„Ja, gerne. Komm, Sam, wir holen uns auch eine Kleinigkeit.“ Sie nimmt ihn an der Hand und zieht ihn mit sich, und ich tue es ihr gleich und nehme Jane bei der Hand. Zu viert steuern wir das riesige Büffet an. Ich habe Mühe, meinen Blick von Elizabeth abzuwenden. Wenn ich sie so betrachte fällt mir auf, dass sie noch genauso aussieht, wie in der Zeit vor ihrer Amnesie, als wir noch glücklich zusammen waren. Schick, edel gekleidet, die Haare in der Reihe und ein freundliches Lächeln im Gesicht. Trotzdem kann ich die Unsicherheit in ihren Augen erkennen. Es muss sie viel Überwindung gekostet haben, hierherzukommen. Ich weiß nicht, wie es derzeit um ihren Zustand steht, aber ich bin mir sicher, dass sie hier an vieles erinnert wird, Positives sowie Negatives. Ich kann nur hoffen, dass meine Person zu den positiven Dingen gehört und dass sie diese Erinnerungen nicht unterdrückt.
Eigentlich sollte ich nicht so denken. Unsere Zeit war schön, wenn auch turbulent, und sie ist vorbei. Wir haben beide neue Partner und scheinen glücklich zu sein. Auch wenn ich immer gehofft hatte, dass wir wieder zusammenfinden, habe ich mich auf Jane eingelassen, und ich mag sie wirklich sehr. Ich habe sie bei Gericht kennengelernt, sie ist Urkundsbeamtin beim Central Court und ist mir vor einem halben Jahr bei einer Verhandlung positiv aufgefallen. Nach mehreren Sitzungstagen haben wir uns zum Abendessen verabredet und sind seitdem zusammen. Wir verbringen möglichst viel Zeit miteinander, und mit der Zeit habe ich gelernt, diese Zeit mit ihr zu genießen und meine Gefühle für Liz, wie ich sie immer gerne genannt habe, in den Hintergrund zu drängen und mich damit abzufinden, dass ich sie endgültig hinter mir lassen muss.
Aber nun, da sie hier neben mir steht, weiß ich nicht, was ich denken oder fühlen soll. War es nicht so gewesen, dass sie in ihrem letzten Brief an mich selbst schrieb, dass das Schicksal uns wieder zusammenführen würde? Nun, scheinbar hat es das, aber auf eine andere Art und Weise, wie ich gehofft hatte. Scheinbar haben wir beide unsere Chance verpasst. Also versuche ich, das zu nehmen, das ich kriegen kann.
„Und, wie geht es dir? Was machst du denn jetzt?“
„Ich arbeite wieder bei einer Bank im Büro und kümmere mich um die Schreibarbeit. Was du machst, brauche ich dich wohl nicht zu fragen.“ Liz lacht, und sofort schmelze ich dahin. Wenigstens ihr Lachen hat sie bei dem Anschlag nicht verloren, es ist noch immer das Lachen, das ich von ihr kenne und das ich bis heute tief in meinem Herzen trage. Samuel beobachtet uns von der Seite und wirkt nicht sonderlich begeistert über unsere lockere Unterhaltung. Jane hingegen hat sich dem Essen gewidmet, das wir gemeinsam an einem der Stehtische zu uns nehmen.
„Werdet ihr heute hier übernachten?“, richtet Liz die Frage an Jane und mich als Paar.
„Nein, wir fahren wieder nach Hause. Aber ihr werdet doch sicher hierbleiben über Nacht, oder?“ Liz schüttelt den Kopf.
„Nein, wir haben uns ein Zimmer in einem anderen Hotel genommen. War mir so lieber.“ Sie braucht nichts weiter zu sagen, denn ich kann mir denken, warum sie diesen Weg gewählt hat. Sofort denke ich an die Zeit zurück als ich glaubte, Elizabeth für immer verloren zu haben und sie dann als „Lilly Jenkins“ vor mir stand. Als wäre es Gedankenübertragung, spricht auch sie diese Zeit an.
„Kannst du dich noch an Rachel erinnern? Ich hatte sie damals in der Therapie kennengelernt.“ Ich nicke. „Wir treffen uns morgen zum Brunch.“ Sie wirkt glücklich, und ich freue mich für sie. Wenigstens diese Beziehung hat gehalten, und für einen kurzen Moment beneide ich ihre Freundin Rachel dafür, bis mir einfällt, wie kindisch das ist.
„Das ist schön. Grüß sie von mir.“ Bei all den Dingen, die ich hier von mir gebe, wundere ich mich, dass Jane noch nicht eifersüchtig reagiert hat. Vielleicht kommt das noch, nachher, wenn wir alleine sind. Gerade mache ich mich innerlich auf eine Standpauke gefasst, als mich Liz völlig aus der Bahn wirft.
„Komm doch mit?“ Drei Augenpaare richten sich auf Liz, und sie scheint zu merken, dass sie vielleicht zwei Sekunden länger hätte nachdenken sollen, bevor sie diesen Vorschlag laut ausspricht. „War nur eine Idee, sorry.“ Ich schaue zu Jane und beiße mir auf die Lippe. Sam würdige ich keines Blickes, der hat mich scheinbar eh schon gefressen.
„Hättest du was dagegen?“ Jane schaut mich an und schüttelt gleichgültig den Kopf. „Nein, geh du ruhig. Ich bin sowieso bei meinen Eltern zum Essen. Du hättest mitgehen können, aber die kommen sicher auch mal ohne dich aus.“ Sie lacht, und scheinbar ist dieses Thema für sie erledigt. Ich zucke die Schultern und lächle vorsichtig.
„Also schön, dann sehen wir uns morgen.“ Liz leiht sich von einem Kellner Zettel und Stift und schreibt mir die Adresse des Hotels und die Uhrzeit auf. Dankend nehme ich den Zettel entgegen und umarme sie kurz zum Abschied. Dann gehen wir wieder einmal getrennte Wege und widmen uns den weiteren Gästen. Auch wenn ich versuche, mich auf die vielen Unterhaltungen des restlichen Abends zu konzentrieren, schaue ich mich immer wieder suchend nach ihr um, bis ich sie vollends aus den Augen verliere.
Wenigstens bleibt mir noch der morgige Tag.
Samuel