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Das Geheimnis

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Es ist ein seltsames Gefühl, nach Hause zurückzukehren. Jane wird nachher vorbeikommen, und ich weiß nicht, wie ich mich ihr gegenüber verhalten soll. Ich weiß ja noch nicht einmal, was überhaupt mit mir los ist. Oder weiß ich es doch, bin aber nur zu feige, mir selbst einzugestehen, was offensichtlich ist? Wie konnte ich nur glauben, Elizabeth vergessen zu haben? Wie habe ich mich nur auf Jane einlassen können mit dem Wissen, nicht vollkommen frei zu sein für eine neue Beziehung?

Nun, ich schätze, es war die Hoffnungslosigkeit, die mich in diese Beziehung getrieben hat. Jane ist sehr nett und liebenswürdig, keine Frage. Sie sieht auch nicht schlecht aus und lässt mir sämtliche Freiheiten, auch wenn sie dadurch manchmal ein wenig geheimnisvoll wirkt. Sie weiß nicht, dass Elizabeth und ich mal ein Paar waren. Ich habe ihr allgemein nur sehr wenig über mein bisheriges Leben erzählt, aber sollte sie mich nachher nach Elizabeth fragen, werde ich sie nicht belügen. Zumindest werde ich ihr sagen, dass wir lange Zeit zusammen waren. Aber was ist mit dem Kuss? Oh Gott, wieder eine Beziehung mit Geheimnissen? Ich war doch sonst nicht so, war immer offen und ehrlich. Aber ich weiß nicht, was nun aus dem Kontakt zu Elizabeth wird, immerhin hat sie doch auch wieder jemanden gefunden, und ob sie sich nach meiner überstürzten Aktion in der Hotellobby überhaupt bei mir melden wird, ist auch fraglich. Vielleicht sollte ich nicht zu viel aufs Spiel setzen, den Kuss vergessen und ihm nicht so viel Bedeutung beimessen. Es war ein kleiner Ausflug in die Vergangenheit, eine Erinnerung an alte Zeiten und ein kurzes Aufflackern längst vergessener Gefühle, die sich nur versteckt hatten. Kein Grund, Jane in die Flucht zu schlagen und am Ende wieder alleine dazustehen.

Jane kommt nach dem Essen bei ihren Eltern vorbei und wirkt entspannt. Ich kann weder Misstrauen noch Enttäuschung erkennen. Also war es scheinbar tatsächlich völlig okay für sie, mich alleine zum Brunch zu lassen. Und ich habe ihr Vertrauen missbraucht.

„Hallo. Na, wie war das Essen?“

„Ganz gut, ich soll dir liebe Grüße ausrichten.“ Ich habe ihre Eltern einmal kennengelernt, als wir erst wenige Wochen zusammen waren.

„Danke.“

„Und wie war dein Brunch? Woher kennst du Elizabeth eigentlich?“ Jane klingt neutral, und ich gedenke, ihr ehrlich zu antworten.

„Wir waren mal zusammen, vor einigen Jahren.“ Jane schaut mich mit großen Augen an.

„Wirklich? Ich dachte, sie wäre mal deine Mandantin oder so gewesen.“ Verzweifelt ringe ich nach einer Antwort.

„Das auch, aber das ist eine lange Geschichte und wie du selbst weißt, darf ich darüber nichts sagen.“ Ein Hoch auf die Schweigepflicht.

„Ja, ich weiß. Kein Problem.“ Ich weiß nicht, was sie jetzt denkt. Ich hoffe, dass die Eifersucht weiterhin ausbleibt, und sei es nur darum, mein Gewissen zu beruhigen. Für Jane scheint das Thema vorerst erledigt. Wir unternehmen einen langen Spaziergang und gönnen uns ein Eis, sprechen über den bevorstehenden Tag und die Arbeit. Trotzdem bin ich viel zu oft abgelenkt. Ich denke ständig an den Kuss vor wenigen Stunden, an den gestrigen Abend und daran, wie unsicher Elizabeth war, als wir uns verabschiedeten. Ich hoffe, ich habe meine allerletzte Chance auf einen Kontakt zu ihr nicht ganz verspielt. Obwohl sich meine Freundin wirklich Mühe gibt, kann ich ihren Erzählungen kaum folgen. Ich sollte mich besser auf sie konzentrieren und Elizabeth endlich vergessen. Wir werden nicht wieder zusammenkommen, egal, wie sehr ich mir das immer gewünscht habe. Ich sollte endlich aufhören, mir Hoffnungen zu machen.

Stattdessen schicke ich ihr am nächsten Morgen eine kurze SMS.

Es tut mir leid. Tim.

Ihre Antwort hierauf lässt mich vollkommen im Regen stehen.

Mir auch. Liz.

Liz … So hab ich sie früher immer genannt. Vor ihrer Zeit als Lilly. Was hat das zu bedeuten? Ach, wahrscheinlich gar nichts. Von der einstigen Vertrautheit zwischen uns kann ich heute nur noch träumen. Am Abend fahre ich zu Jane, die mir auf den Zahn fühlt.

„Ist alles okay mit dir?“ Ich fühle mich seltsam ertappt.

„Ja, ich bin nur etwas erschöpft.“

„Okay. Bestellen wir uns was zu essen?“ Ich nicke und gebe meine Stimme für den Italiener ab. Eine große, deftige Pizza muss jetzt her. Jane wählt Pasta.

Den ganzen Abend über muss ich weiterhin an Liz denken und an den verbotenen Kuss, aber Jane schafft es, mich noch an diesem Abend zumindest für eine Stunde abzulenken. Sie ist gut. Sie ist wirklich gut, und es macht großen Spaß mit ihr. Trotzdem bemerke ich den Unterschied, der mir heute deutlicher erscheint denn je. Ich kann es in ihren Augen sehen, sie würde mich am liebsten noch einmal fragen, ob alles in Ordnung ist, aber sie unterdrückt den Drang danach. Obwohl ich wüsste, was das Beste für uns wäre, komme ich mir ratlos vor. Und ich kann es ihr nicht übelnehmen, wenn sie nun doch beginnt, misstrauisch zu werden.

Jane behält in den nächsten Tagen Stillschweigen über ihre Gefühle, ebenso wie ich selbst. Es dauert etwa eine Woche, bis ich wider Erwarten doch eine Nachricht von Liz erhalte.

Hallo Tim. Hast du nächsten Freitag Zeit? Habe frei und könnte nach Cookstown kommen. Liz.

Mein Herzschlag beschleunigt sich beim Lesen ihrer Worte. Ich weiß, dass ich nur eine kurze Gerichtsverhandlung am Vormittag habe. Ich könnte mir also die Mittagsstunden freinehmen.

Habe eine Verhandlung, dürfte gegen eins zu Ende sein. Grieche am Ortseingang? Versuche gegen halb zwei da zu sein. Tim.

Elizabeth bestätigt meinen Vorschlag mit einer weiteren, kurzen SMS, und damit ist unser heimliches Treffen beschlossene Sache. Einerseits hasse ich es, Geheimnisse zu haben, aber andererseits möchte ich Jane nicht unnötig verletzen oder gar unsere Beziehung aufs Spiel setzen, auch wenn es vielleicht nicht unbedingt die große Liebe ist. So bewahre ich vorerst also doch mein kleines Geheimnis und fiebere dem Ende der kommenden Woche entgegen in der Hoffnung, dass mir meine Freundin nichts anmerkt, auch wenn ich nicht weiß, dass ich mir dadurch erhoffe.


Elizabeth

Vergiss nicht, mich zu lieben

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