Читать книгу Liebe ist Schicksal - Nikki Deed - Страница 3
1.
ОглавлениеEin vorwitziger Sonnenstrahl kitzelte Jana in der Nase. Mit einem lauten Niesen erwachte das junge Mädchen, dehnte sich ausgiebig und sprang mit einem Satz aus dem Bett. Mit bloßen Füßen tappte sie über den weichen Teppich zum Fenster und schob die Vorhänge beiseite.
Strahlend helles Sonnenlicht durchflutete den Raum, am Himmel war kein Wölkchen zu sehen. Begeistert riss sie das Fenster auf, beugte sich hinaus und atmete tief durch.
Der Juni präsentierte sich heute wirklich von seiner allerschönsten Seite. Das Haus der Familie Hansen lag direkt an einem kleinen See. Das Wasser, das sich in einer Brise leicht kräuselte, blitzte und funkelte in der Sonne. Im dichten Wald zwitscherten die Vögel, auf der Wiese leuchteten die Blumen in den verschiedensten Farben.
Genau solche Tage mochte Jana am liebsten, denn dann konnte sie stundenlang mit ihren Inlineskates durch die Gegend fahren. Das war nicht nur Spaß für sie, sondern gleichzeitig auch Training. Seit mehreren Jahren schon war sie eine begeisterte Eiskunstläuferin und nutzte jede freie Minute, ihre Fähigkeiten zu verbessern, um einen ihrer großen Träume zu verwirklichen. Einmal, nur ein einziges Mal, wollte sie an der Weltmeisterschaft im Eiskunstlauf teilnehmen, und genau dafür musste sie jede freie Minute opfern. Auch wenn sie gerade einmal vierzehn Jahre alt war, wusste sie genau, was sie wollte.
Um möglichst keine einzige der wertvollen Minuten dieses schönen Samstagmorgens zu verschwenden, zog sie sich rasch an und ging nach draußen, um zu trainieren.
An der frischen Luft vergaß sie alles um sich herum, vor allem die Zeit, und so vergingen die Stunden, ohne dass das Mädchen sich darum kümmerte, wie lange sie unterwegs war. Erst als die Sonne hoch am Himmel stand, beschloss sie widerwillig umzukehren, denn sie befürchtete, wieder einmal Ärger mit ihren Eltern zu bekommen. Die mochten es nämlich gar nicht, wenn sie sich ohne vorher abzumelden, aus dem Staub machte und ihren eigenen Dingen nachging. In letzter Zeit war es ziemlich oft deswegen zum Streit gekommen.
So nahmen die Dinge ihren Lauf. Kaum hatte Jana die Eingangshalle ihres Heimes erreicht, kam ihr auch schon Hanna, die Haushälterin, aufgeregt entgegen. Hanna war eine kleine dicke Frau, die schon seit über achtzehn Jahren im Dienst der Familie stand. Sie war schon sechzig, dafür aber noch recht fit und eine der besten Freundinnen des jungen Mädchens. Sie konnte ihr einfach alles anvertrauen, was ihr auf dem Herzen lag.
»Oh mein Gott, Jana. Wo warst du denn den ganzen Morgen? Wir haben uns schon Sorgen um dich gemacht! Mach schnell, dass du ins Esszimmer kommst, deine Eltern warten schon mit dem Mittagessen auf dich!«
»Damit sie wieder die ganze Zeit an mir rumnörgeln können? Nein danke, darauf hab ich echt keine Lust.«
»Du würdest dem Ärger aus dem Wege gehen, wenn du einfach mal das machen würdest, was sie dir sagen. Aber du nutzt doch jede Gelegenheit, ihnen auf der Nase herum zu tanzen.«
»Das ist doch gar nicht wahr …«
»Ach nein? Und wie soll ich dein Verhalten im Moment deuten? Sie haben dir doch schon mindestens hundertmal gesagt, dass du dich abzumelden hast, bevor du nach draußen gehst. Und hast du das heute getan?«
»Aber es ist so ein schöner Tag – da hab ich es vergessen. Kann doch mal vorkommen, oder etwa nicht?«
»Du hast auch immer eine Ausrede parat. Jetzt mach aber, dass du ins Esszimmer kommst!«, fügte Hanna hinzu und gab Jana einen kleinen Stoß in die richtige Richtung.
Zögernd machte sie sich also auf den Weg, blieb aber vor der Tür noch einmal stehen, um sich auf den Ärger gefasst zu machen, der wohl jetzt auf sie zukommen würde. Drinnen konnte sie die Stimmen ihrer Eltern hören und entschied, noch ein wenig stehen zu bleiben und zu lauschen.
»So kann das nicht weitergehen! Sie tanzt uns ja nur noch auf der Nase herum, widerspricht am laufenden Band und hat immer das letzte Wort. Ich gebe mir ja die größte Mühe, aber … Wir sollten endlich etwas unternehmen, meinst du nicht?«, hörte sie ihren Vater schimpfen.
»Was willst du denn unternehmen, Thomas? Sie ist jetzt vierzehn Jahre alt, ein Teenager und die haben nun mal ihren eigenen Kopf.«
»Du weißt genau, was ich meine, Mariella. Die Schule in Neustadt ist die beste Lösung, und außerdem wird es langsam Zeit, dass sie die Wahrheit erfährt!«
Jana stutzte, ihre Neugier war geweckt und dann hörte sie ihre Mutter empört schnauben: »DU willst ES ihr doch nicht etwa sagen?«
»Sie hat ein Recht darauf, es zu erfahren, und wenn du es nicht tust, werde ich es tun. Früher oder später wird sie es sowieso herausfinden.«
»Klar, hat sie ein Recht darauf, aber es ist noch zu früh. Sie wird es nicht verstehen.«
Da Jana vor Neugier beinahe platzte, öffnete sie nun die Tür, betrat den Raum und fragte: »Was werde ich nicht verstehen?«
Erschrocken drehten sich ihre Eltern zu ihr um, doch anstatt eine Antwort zu bekommen, fing ihr Vater sofort an zu brüllen: »Das kann doch nicht angehen! Erst verschwindest du einfach ohne uns Bescheid zu sagen, und dann hast du auch noch die Frechheit, uns zu belauschen? Was zum Teufel denkst du dir eigentlich?«
»Beruhige dich, Thomas!«, versuchte Frau Hansen die Situation zu retten, doch es half nichts.
»Ich soll mich beruhigen? Was zu viel ist, ist zu viel. Mit diesem Verhalten hast du das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht! Ich werde dein Verhalten uns gegenüber nicht mehr länger tolerieren, es wird für uns alle das Beste sein, wenn du ab sofort auf ein Internat gehst!«
Jana glaubte kaum, was sie da zu hören bekam: »Das soll wohl ein Witz sein? Wegen so ein paar Kleinigkeiten wollt ihr mich gleich abschieben? Vielleicht solltet ihr erst einmal anfangen, die Fehler auch bei euch zu suchen. Nie seid ihr für mich da, immer seid ihr nur am Arbeiten.«
»Dich will doch hier keiner abschieben …«, lenkte Janas Mutter ein, wurde aber sofort von ihrem Mann unterbrochen. »Lass gut sein, Mariella. Wenn unser liebes Töchterchen der Meinung ist, dass wir sie nur abschieben wollen, dann lassen wir sie in dem Glauben. Sie wird diese Schule besuchen, ob sie nun will oder nicht!«
Dickköpfig und erbost erwiderte Jana allerdings: »Das könnte dir so passen, was? Ich hasse dich! Ich hasse euch beide!«
Bevor sie so richtig wusste, was geschah, holte ihr Vater aus und schlug ihr mitten ins Gesicht. Mit einem Mal war es totenstill im Zimmer. Einen Moment lang blickte Jana irritiert zu Boden, doch schon im nächsten Augenblick lief sie mit Tränen in den Augen davon und ließ ihre Eltern zurück.
Bestürzt richtete sich Frau Hansen an ihren Mann: »Was ist denn nur in dich gefahren? War das denn wirklich nötig?«
Ohne weiter auf seine Frau zu achten, verließ auch er den Raum.
»Das ist doch zum verrückt werden! Einer ist sturer als der andere«, richtete sich Frau Hansen nun an Hanna, die gerade rechtzeitig den Raum betreten hatte, um die Szene zu verfolgen. Fassungslos stand sie vor Frau Hansen, die erklärte: »Am besten, ich gehe erst mal zu ihr. Wer weiß, wie sie sich gerade fühlt.«
»Es wäre besser, wenn ich mit ihr rede! Meinen Sie nicht auch?«, meinte Hanna und erntete ein erleichtertes Nicken der Hausherrin.
Währenddessen saß Jana auf der Fensterbank ihres Zimmers und starrte verträumt in den Himmel. Noch immer schmerzte ihre Wange, und noch immer konnte das junge Mädchen nicht glauben, was eben gerade vorgefallen war. Noch nie hatte ihr Vater seine Hand gegen sie erhoben. Was war nur in ihn gefahren? Konnte sie ihn wegen so einer Kleinigkeit wirklich derart aus der Reserve locken? Wie konnte es zwischen ihnen nur so weit kommen?
Das Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Es wunderte sie kein bisschen, als Hanna ihr Zimmer betrat und so meinte sie: »Hat dich mein Vater geschickt?«
»Nein, Liebes. Ich bin gekommen, um zu sehen, wie es dir geht. Niemand hat mich geschickt, aber wenn du so denkst, dann sollte ich wohl besser wieder gehen.«
»Oh nein, so hab ich das doch nicht gemeint. Bitte, bleib hier!«, rief Jana, sprang von der Fensterbank und auf Hanna zu, ergriff deren Hand, bevor diese auch nur einen Schritt machen konnte.
Nachdem sich die beiden aufs Bett gesetzt hatten, herrschte eine Weile Stille, bis Jana schließlich fragte: »Wusstest du das?«
»Was meinst du?«
»Na, dass mich meine Eltern wegschicken wollen.«
»Hm, wie soll ich dir das erklären? Ja, ich wusste es, aber auch erst seit gestern. Das musst du mir glauben! Aber meinst du nicht, dass dieses Internat eine gute Chance für dich sein wird?«
»Wieso das denn?«
»Überleg doch mal! Du liebst das Eiskunstlaufen mehr als alles andere und würdest doch am liebsten jede Minute trainieren. In dieser Schule kannst du das tun. Im Winter, wie auch im Sommer. Und auch wenn sie ein wenig weit weg ist, kannst du doch immer nach Hause kommen, wenn dir danach ist. Deine Eltern wollen dich nicht abschieben! Sie wollen doch nur das Beste für dich. Sie wollen, dass du deine Träume verwirklichen kannst.«
»Vielleicht hast du ja recht, aber warum konnten sie mir das nicht so sagen, wie du gerade?«
»Na, weil du ihnen nicht die Gelegenheit dazu gegeben hast. Du musstest ja wie immer das letzte Wort haben, und deshalb hat dein Vater auch die Fassung verloren.«
Jana wusste genau, dass Hanna recht hatte mit dem, was sie sagte, doch sie war einfach zu stur, um das zuzugeben und so schaute sie wieder aus dem Fenster.
»Jana«, sagte Hanna noch, als sie aufstand, um das Zimmer zu verlassen, »weißt du eigentlich, was heute für ein Tag ist?«
Das Mädchen überlegte einen kurzen Augenblick, bevor es ihr wie Schuppen von den Augen fiel: »Oh nein, heute ist der dreiundzwanzigste Juni, ihr Hochzeitstag! Wie konnte ich das nur vergessen? Nun habe ich ihnen ihren Tag wohl total vermasselt!«
»Das kommt davon, dass du immer nur deinen Kopf durchsetzen willst. Also wirf deinen Eltern nicht vor, dass sie immer nur an sich denken, du machst es doch genauso – denk mal darüber nach!«
Hanna wandte sich zur Tür, fügte dann aber noch hinzu: »Vergiss nicht, dass wir heute Abend nach Köln fahren, um dort essen zu gehen. Sei bitte um siebzehn Uhr unten! Passende Sachen habe ich dir schon raus gelegt.«
Wieder alleine im Zimmer, alleine mit ihren Gedanken, überlegte Jana hin und her, was sie tun sollte. Sollte sie denn wirklich mitfahren und wieder auf heile Familie machen oder lieber in ihrem Zimmer bleiben und beleidigte Leberwurst spielen? Nach einer ganzen Weile entschied sie schließlich, nicht noch mehr Ärger verursachen zu wollen und machte sich für das Restaurant fertig.
Als um siebzehn Uhr alle Hansens und Hanna in der Garage zusammentrafen, sagte keiner auch nur ein Wort, selbst während der Fahrt herrschte zunächst eisige Stille. Erst als der BMW nach guten zwanzig Minuten in den Königsforst einbog, brach Herr Hansen das Schweigen: »Hast du nicht etwas zu sagen, Jana?«
»Ich wüsste nicht was.«
»Wie wäre es denn mit einer Entschuldigung?«
»Für was soll ich mich denn entschuldigen?«
Erbost und ohne Vorwarnung trat Herr Hansen auf die Bremse und der Wagen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. »Pass mal gut auf, mein Fräulein!«, sagte er, während er sich zu ihr umdrehte, »Wenn du nicht bald ein bisschen Respekt uns gegenüber zeigst, wird das Internat dein kleinstes Problem sein. Ich lasse mir doch von dir nicht auf der Nase herumtanzen!«, schrie er nun.
Gerade als Jana dem etwas entgegensetzen wollte, ergriff Frau Hansen das Wort, um die angespannte Situation zu beenden: »Wenn wir uns jetzt nicht ranhalten, kommen wir noch zu spät!«
Ohne ein weiteres Wort ging die Fahrt weiter, doch die Atmosphäre im Auto war noch immer kurz vor dem Überkochen. Und so hielt die Stille auch nur wenige Sekunden an, da Jana die Worte ihres Vaters einfach nicht auf sich beruhen lassen wollte und konnte: »Wie darf ich denn eigentlich deine Drohung verstehen? Willst du mich wieder schlagen? Ich hasse dich! Ich wünschte, ich müsste euch alle nie wiedersehen!«
Etwas Verkehrteres hätte sie nicht sagen können, und schon wieder kam es zu einem heftigen Streit. Alle Insassen des Autos brüllten sich gegenseitig an und keiner verstand so richtig, was der andere eigentlich sagte. Völlig abgelenkt durch dieses ganze Gezeter bemerkte Herr Hansen nicht, dass nur wenige Meter vor ihnen zwei Hirsche auf der Straße standen. Viel zu spät erkannte Frau Hansen die Gefahr, versuchte noch ihren Mann zu warnen und schrie: »PASS AUF!«, bevor sie ihm schließlich ins Lenkrad griff, um das Schlimmste zu verhindern. Der Wagen brach aus und krachte mit mehr als achtzig Stundenkilometern gegen die Leitplanke, die dem massiven Druck nicht standhalten konnte. Mitsamt seiner vier Insassen stürzte das Auto den steilen Abhang hinunter und blieb, nachdem es sich einige Male überschlagen hatte, liegen.