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7.

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Der Unterricht an diesem Vormittag war alles andere als interessant, vor allem für Isabell. Nachdenklich blickte sie immer wieder zu dem freien Platz neben sich, auf dem jetzt eigentlich Jana hätte sitzen müssen. Zwei Tage waren schon vergangen, seit Herr Hongo in der Schule angerufen hatte und Isabell machte sich immer größere Sorgen um ihre Freundin. Plötzlich sprang sie auf und lief zur Tür.

»Die Stunde ist noch nicht vorbei, Isabell. Würdest du dich bitte wieder setzen!«, rief Herr Maier ihr hinterher.

Doch das Mädchen hörte nicht, öffnete die Tür und lief weiter. Nun sprang auch Dorothea auf und rannte Izzy hinterher. »Könnt ihr mir mal verraten, was in euch gefahren ist?« Herrn Maier riss allmählich der Geduldsfaden. »Sie sind wieder da!«, rief Doro ihm noch über die Schulter zu und verschwand ebenfalls.


Izzy erreichte den Korridor in dem Moment, als die drei durch die Pforte schritten, und fiel Jana freudestrahlend um den Hals. »Du bist wieder da, endlich«, schniefte sie.

»Was ist denn hier los? Wenn ich mich nicht täusche, solltet ihr doch noch im Unterricht sitzen«, durchbrach Herr Hongo die rührselige Szene, blickte von Izzy zu Doro, die nur wenige Meter entfernt stand, jetzt aber ebenfalls auf Jana zu trat. »Jana, es tut mir so so leid. Wenn ich gewusst hätte, was …«

»Dafür ist später noch genug Zeit«, unterbrach Hongo. »Ihr zwei macht euch jetzt sofort wieder in den Unterricht! Und Jana, du gehst auf dein Zimmer! Du hast noch zwei Tage Bettruhe.«

Missmutig machten sich alle auf den Weg.


Einige Stunden später versammelten sich die Lehrer im Konferenzraum. Hauptprogrammpunkt war die Sache mit dem LSD, in der es neue Hinweise gab und Herr Hongo auf den neuesten Stand gebracht werden musste. Nach Dorotheas und Theresias Aussage war Eva für den feigen Anschlag auf Jana verantwortlich gewesen, schwieg allerdings zu den Vorwürfen.

»Was willst du jetzt tun?«, wandte sich einer der Lehrer an den Direktor.

»Ich kann und will so ein Verhalten an meiner Schule nicht tolerieren. Auch wenn wir keine konkreten und stichhaltigen Beweise haben, müssen wir dafür Sorge tragen, dass so etwas nie wieder vorkommt und deshalb hart durchgreifen. Aus diesem Grund bleibt mir keine andere Wahl, als Eva Schless von der Schule zu weisen. Ich will gar nicht erst daran denken, was als Nächstes passiert, wenn wir jetzt nichts unternehmen. Gleich morgen werde ich mich mit ihren Eltern in Verbindung setzen. Irgendwelche Einwände?«

Da es diese nicht gab, konnte man sich nun angenehmeren Themen zuwenden. »Welche Klassen wollen noch vor den Zwischenprüfungen eine Klassenfahrt unternehmen?«, fragte Hongo in die Runde.

Die hierdurch angefachten Diskussionen, Budget– und Terminplanungen und Reisezielüberlegungen dauerten fast drei Stunden, doch wenigstens waren sich danach alle einig. Als sich die Versammlung auflöste, blieb Herr Maier noch einen kurzen Moment. Da sein Referendariat noch nicht allzu lange zurücklag und er kaum Ahnung von der Organisation einer Klassenfahrt hatte, fühlte er sich leicht benachteiligt.

»Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe schon alles durchdacht und geplant«, beruhigte ihn der Direktor. »Vor ein paar Tagen hat mich mein alter Schulfreund kontaktiert, der uns sozusagen zu sich eingeladen hat, und da weder bei Ihrer achten noch bei meiner neunten Klasse in nächster Zeit irgendetwas wichtiges auf dem Plan steht, dachte ich mir, legen wir die Klassenfahrten zusammen. Mein Freund hat vor einigen Jahren in der Schweiz eine Organisation ins Leben gerufen, die ›Zweite Chance‹. Dort kümmert er sich um benachteiligte Jugendliche, die entweder schon mit halbem Bein auf der schiefen Bahn oder schon darauf stehen. Die Rehabilitierungsquoten sind überdurchschnittlich gut, und außerdem ist die Schweiz ein sehr schöner Urlaubsort. Man kann vieles unternehmen und lernen und das auch im Winter. Was meinen Sie?«

»Hört sich nicht verkehrt an, aber wann soll es denn losgehen?«

»Wenn es nach mir ginge, könnten wir morgen schon los. Spaß beiseite, mir wäre es zwar lieb, wenn wir es noch vor den Weihnachtsferien über die Bühne bekommen würden, aber da Jana und Isabell noch verletzt sind und keine stundenlangen Wanderungen überstehen würden, werden wir die Klassenfahrt wohl erst im neuen Jahr abhalten können. Bis dahin bleibt genug Zeit für die Organisation.«


* * *


Erst als sich die Sonne bereits allmählich neigte, kehrte Isabell an diesem Tag auf ihr Zimmer zurück. Eigentlich wollte sie schon viel früher bei ihrer Freundin sein, doch hatte sie sich nicht vor der Physiotherapie drücken können und da sie jetzt nicht wusste, ob Jana wach war oder schlief, schlich sie sich äußerst leise in ihr Zimmer.

Umso verwunderter war sie, als sie ihre Freundin auf der Fensterbank sitzen sah – so traurig hatte sie sie schon lange nicht mehr gesehen, und das obwohl sie doch gerade erst ein wichtiges Turnier gewonnen hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, was ihrer Freundin auf dem Herzen lag, ging nun aber langsam auf sie zu und legte ihre Hand auf deren Schulter.

So in Gedanken vertieft hatte Jana nicht mitbekommen, dass Isabell das Zimmer betreten hatte, und fuhr vor Schreck sichtlich zusammen, als sie deren Hand spürte.

»Hey, hey. Was ist denn los?« Izzy hatte gerade noch sehen können, wie sich Jana ein paar Tränen aus den Augen gewischt hatte, bevor sie sich zu ihr wandte.

»Gar nichts!«

»Du weißt schon, dass du keine besonders gute Lügnerin bist, oder? Also raus mit der Sprache!«

Ohne weitere Gegenwehr, ließ Jana den Bilderrahmen zum Vorschein kommen, den sie eben noch fest an ihren Körper gepresst hatte, sodass Isabell ihn nicht hatte sehen können.

»Deine Eltern?«

»Hm … ob sie stolz auf mich wären?«

»Aber klar doch, Süße. Ich kenne keinen, der nicht stolz auf dich ist … na ja, abgesehen von der eifersüchtigen Eva. Und Sorgen haben wir uns auch alle gemacht. Mann, war der Maier fertig.« Bei seinem Namen wurde Jana hellhörig und Izzy musste ihr jedes Detail erzählen.


* * *


Zwei Tage später durfte Jana wieder am Unterricht teilnehmen, nur aufs Eis durfte sie noch nicht, gerade auch wegen der zwei angebrochenen Rippen. Während Izzy ihre Zeit in der Therapie verbrachte und Jana nicht wusste, was sie alleine machen sollte, entschied sie sich dazu, ein wenig spazieren zu gehen. Die Floskel ›frische Luft‹ bekam dabei ganz neue Dimensionen, es war wirklich eisig kalt draußen. Der Rasen, der hinter der Schule lag, knirschte bei jedem Schritt, so gefroren war er und sogar die Äste der Bäume waren mit einer dicken Eisschicht behangen. Munter versuchte Jana, beim Ausatmen Ringe in die Luft zu pusten, doch war das schwieriger als gedacht.

»Da musst du wohl noch etwas üben, was?«

Abrupt blieb das Mädchen stehen und blickte sich um. Herr Maier, der sich ebenfalls an der frischen Luft die Beine vertreten wollte, stand direkt hinter ihr. »Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken.«

»Haben Sie nicht«, log Jana und lächelte ihn an.

»Wollen wir ein Stück gemeinsam laufen?«

Instinktiv hätte sie eigentlich die Flucht ergriffen, doch wie sähe das denn aus, also antwortete sie: »Gerne.«

Nach einer ganzen Weile des Schweigens – sie waren bereits am See angekommen, der beinahe zugefroren war –, durchbrach er die Stille. »Ich muss dir noch zu deinem Sieg gratulieren. Das hast du echt super gemacht.«

»Danke«, murmelte sie ganz verlegen. Zum Glück konnte er nicht sehen, dass sie rot angelaufen war, da ihr Gesicht von der Kälte sowieso ganz rot war.

»Aber eigentlich gehörst du auch übers Knie gelegt. Wie konntest du nur trotz deiner Verletzung antreten?«

»Ich hab doch nicht gewusst, dass die Rippen angebrochen sind. Ich dachte, es sei nur eine Prellung«, versuchte sich Jana zu rechtfertigen.

»Spielt das eine Rolle? Schmerzen hattest du doch trotzdem. Jana, ich will dir, um Gottes willen, keine Vorhaltungen machen, aber denk doch bitte in Zukunft etwas mehr an dich!« Er blieb stehen. »Versprich es mir!«


* * *


Die Weihnachtsferien waren schneller vorüber, als den Mädchen lieb sein konnte. Wahrscheinlich war Jana die Einzige, die sich auf den Unterricht freute, denn so kam sie endlich wieder auf andere Gedanken. Das erste Weihnachten ohne ihre Eltern war so schwer gewesen, und hätte sie Izzy nicht an ihrer Seite gehabt, wäre sie sicher in schwere Depressionen gefallen.

Umso erstaunter war sie, und natürlich auch die anderen Mädchen aus ihrer Klasse, als sie von der bevorstehenden Klassenfahrt erfuhren, die in zwei Wochen stattfinden sollte. Die Zeit bis dahin verging, bei der unbändigen Vorfreude sogar noch viel schneller und dann war es endlich soweit. Unzählige Koffer und Taschen wurden in dem großen Bus verstaut. Außer den Klassenlehrern der beiden Jahrgangsstufen traten noch zwei weitere Lehrer die Reise an, und zwar die Biologielehrerin Frau Schirr und der Geschichtslehrer Herr Kruse. Immerhin wollte Herr Hongo sichergehen, dass seine Mädchen während der Tage in der Schweiz auch etwas lernten.

Die Fahrt dauerte unendlich lang und niemand wusste so recht, mit was er sich die Zeit am besten vertreiben sollte. Ob es nun Karten spielen, lesen oder eine Unterhaltung war, nach etlichen Stunden hatte man die Nase davon voll und wollte sich etwas anderem widmen. Da es draußen allmählich dunkel wurde und die Reise noch einige Stunden dauern sollte, beschlossen viele der Mädchen und auch die Lehrer, ein wenig zu schlafen, so gut es eben möglich war – Busse sind ja nicht gerade für ihre Bequemlichkeit bekannt.


Als Jana wieder erwachte, stellte sie verwundert fest, dass es bereits halb fünf war. Die flache Umgebung außerhalb des Busses war in ein bergiges Panorama übergegangen, und fast alles, was Jana zu Gesicht bekam, war mit einer zarten weißen Schneedecke überzogen.

Kaum zehn Minuten später schien das Reiseziel endlich erreicht zu sein, denn völlig unerwartet war der Bus zum Stehen gekommen. In der Ferne konnte man ein kleines Dörflein erkennen, aber unmittelbar vor dem Fahrzeug stand ein großer Mann mittleren Alters, der, wie sich nur Minuten später herausstellte, der Leiter der Organisation Edgar Raun war.

Ohne viel Zeit zu verlieren, wurden nun die Koffer und Taschen von ein paar jungen Männern, die zweifelsohne zu Herrn Raun gehörten, in die vier Kleinbusse verfrachtet, die nur ein paar Meter weiter entfernt standen, und schon ging die Fahrt weiter. Der Weg war nicht sehr breit und irgendwie auch nur schwer befahrbar, sodass die Mädchen regelrecht durchgeschüttelt wurden.

Die Sonne war inzwischen aufgegangen und stieg immer höher. Jana schaute sich vorsichtig um.

Mit einem Mal hörte der Wald auf und die Weiden begannen. Durch die vorherrschende Kälte waren sie kahl, und das letzte Gras, welches noch hier und da durch die Schneedecke zu sehen war, blass. Doch noch immer grasten auf ihnen Rinderherden. Dann sah sie einen Fluss, über den eine schmale Brücke führte, die genauso aussah wie der Weg sich anfühlte, nämlich alt und kaputt. In der Ferne erblickte sie eine Talsperre, die sie sehr faszinierte.

Das Haus, welches sie nach einer langen und holprigen Fahrt erreichten, lag unmittelbar an dem Fluss, der wiederum geradewegs zu der Talsperre zu führen schien, die nur wenige Kilometer entfernt war. Etwas weiter östlich fing der Wald an, durch dessen Bäume man eine kleinere Scheune sehen konnte. Der Anblick war so idyllisch, dass man die Strapazen der endlosen Fahrt schnell vergaß.

Auch wenn es bereits morgens war und eigentlich Unterricht stattfinden sollte, konnten die Mädchen nach dem Frühstück erst mal auf ihre Zimmer gehen – jeweils vier Mädchen auf einem Zimmer – und für ein paar Stunden schlafen. Erst gegen sechzehn Uhr sollten sich alle wieder vor dem Gebäude versammeln, damit alles Organisatorische geklärt werden konnte.

Als Isabell und Jana in ihrem Zimmer angekommen waren, platzte Izzy auch schon heraus: »Oh mein Gott! Habt ihr diesen John gesehen? Sieht er nicht einfach umwerfend aus?«

Ein wenig skeptisch antwortete Jana: »Diesen Kerl findest du süß? Ich weiß nicht so recht, der macht mir eher Angst. Allein seine Augen, so dunkel und bedrohlich. Nee, wenn ich den sehe, bekomme ich nur eine Gänsehaut.«

»Ach, red doch nicht so einen Blödsinn. Ich finde seine Augen ganz besonders atemberaubend. Ich glaube, ich werde ihn morgen mal ansprechen.«

»Wenn ich du wäre, würde ich meine Finger von diesem Typen lassen! Hast du vergessen, dass wir hier in so einer Art Erziehungscamp sind? Wer weiß, was der verbrochen hat oder warum er hier ist.«

»Du bist so eine Spielverderberin. Immer musst du alles so negativ sehen!«


Ehe man sich versah, war es vier Uhr nachmittags, und das bedeutete das Ende der Freizeit, denn kaum hatten sich alle Schülerinnen vor dem Haus versammelt, traten die Lehrer vor sie und verteilten die Aufgaben. So sollte zum Beispiel jeden Morgen eine vierstündige Wanderung stattfinden, und auch danach sollte keine Zeit zum Faulenzen bleiben, denn zu jeder Wanderung musste ein Aufsatz von mindestens drei Seiten Länge verfasst werden. Die Krönung des Ganzen, was alle Mädchen zu Wutanfällen brachte, war die sogenannte Zusatzarbeit, die auf jeden zukommen sollte und die daraus bestand, den Jugendlichen der Organisation, die sich im Moment bei Herrn Raun aufhielten, bei der Arbeit zu helfen. Dagegen wäre wahrscheinlich nichts einzuwenden gewesen, wären es nicht Aufgaben wie Ställe ausmisten, Abwasch oder auf dem Feld arbeiten. Allein bei dem Gedanken daran verging den Mädchen die gute Laune; das erinnerte sie an ein Straflager. Doch auch wenn sie noch so schimpften, die Lehrer ließen sich nicht umstimmen und blieben dabei, denn auf dieser Klassenfahrt sollten die Mädchen etwas lernen; sie war nicht zur Erholung gedacht.

So neigte sich also der erste, und vermutlich auch der einzige arbeitsfreie Tag dem Ende zu. Nach dem Abendbrot verzogen sich alle recht schnell wieder auf ihre Zimmer und ließen ihrem Frust freie Bahn, indem sie sich lautstark über die Lehrer und deren Methoden ärgerten.


Der nächste Morgen begann schon um sechs Uhr, als ein erschreckender Ton, welcher aus den Lautsprechern vor jeder zweiten Tür kam, durch die Flure des Hauses hallte, und alle aus den Betten warf. Mürrisch und unausgeschlafen gingen die Mädchen zum Frühstück und konnten ihren Augen kaum trauen, als sie dort auf den Tischen eine wirklich große Auswahl an Lebensmitteln entdeckten. Dort standen etliche Arten von Cornflakes, verschiedene Sorten Milch, Käse und Joghurt – aus eigener Produktion – Marmelade, Wurst und vieles, vieles mehr.

Eine halbe Stunde später – draußen war es noch immer neblig –, als alle gesättigt waren, konnte schließlich die erste Wanderung beginnen, welche die achte Klasse zusammen mit den Herren Maier und Kruse zu der Talsperre und die neunte Klasse mit Herrn Hongo und Frau Schirr in das naheliegende Dörflein führte. Unendliche Stunden des Herumwanderns gehörte nicht gerade zu der Lieblingsbeschäftigung der Mädchen, und erst recht nicht, da sie sich auch noch Notizen zu den angesprochenen Themen machen mussten, zu denen sie die Aufsätze zu schreiben hatten. Erst um dreizehn Uhr kehrten beide Gruppen fast zeitgleich in die Anlage zurück – alle total erschöpft und mit geschundenen Füßen. Doch zum Ausruhen blieb, dank der Lehrer, ja keine Zeit, da es jetzt darum ging, den Hausbewohnern zu helfen, und so wurden die Schülerinnen wieder in kleinere Gruppen aufgeteilt. Jana, Isabell und noch fünf weitere Mädchen mussten mit dem großen, unheimlich wirkenden John König in den Ställen arbeiten. Ganze drei Stunden waren sie damit beschäftigt, die Tiere zu verpflegen und deren Mist zu entsorgen, bis sie endlich fertig waren und auf ihre Zimmer konnten.

Total erschöpft sank Jana, nachdem sie zuerst ausgiebig geduscht hatte, in ihr Bett und wollte eigentlich nur ihre Ruhe haben, als Isabell wieder aufgeregt anfing, von diesem John zu schwärmen. Am liebsten hätte sie einfach nur gesagt: ›Sei bitte nur still und lass mich mit diesem Typen in Ruhe!‹ Oder hätte sie auf einen späteren Zeitpunkt vertröstet, aber da sie auch immer mit ihren Problemen zu Izzy kommen konnte, ließ sie ihre Freundin weitererzählen und nickte nur ab und zu abwesend mit dem Kopf.


Einige Stunden später trafen sich dann alle wieder zum Essen und wie schon beim Frühstück gab es eine riesige Auswahl an Nahrungsmitteln. Doch Jana war viel zu müde, um auch nur einen Bissen hinunter zu bekommen und steckte sich nur ein Brötchen für später in die Tasche, als ihr auffiel, dass es nicht nur ihr so zu gehen schien. Beinahe alle ihre Mitschülerinnen hingen wie schlaffe Säcke über ihren Tellern und sogar die Lehrer – ausgenommen natürlich Herr Hongo, der munter und ohne äußerliche Anzeichen von Schwäche mit Herrn Raun sprach – schienen nichts anderes zu wollen, als sich einfach nur schlafen zu legen.


Die nächsten zwei Tage liefen in diesem Rhythmus ab – erst die stundenlange Wanderung quer durch die Gegend, dann die harte körperliche Arbeit mit den »vernachlässigten Jugendlichen«, wie sie Jana so gerne nannte, und zum Schluss die Ausarbeitung der Aufsätze, die pünktlich um zwanzig Uhr bei den Lehrern sein mussten.

Doch an ihrem vierten Tag in der Schweiz erlebten die Mädchen eine Überraschung, als sie sich am Morgen zum Frühstück versammelt hatten. Da es bereits am Vorabend angefangen hatte, stark zu regnen und es noch immer nicht aufgehört hatte, musste die Wanderung leider ausfallen, was natürlich allgemeinen Jubel nach sich zog. Somit hatten die beiden Klassen endlich mal einen Tag nur für sich allein, konnten tun und lassen, was sie wollten. So machte sogar die Hilfsarbeit am Nachmittag Spaß. An diesem Abend wurde dann auch noch ein großes Gemeinschaftskochen veranstaltet, was allen eine riesige Freude bereitete.

Während der Zubereitens – vor dem Kochen mussten unzählige Gemüsesorten geputzt und geschnippelt, Fleisch geschnitten und gewürzt und Dressings angemixt werden – stand Jana die meiste Zeit alleine vor ihrem Arbeitsplatz. Izzy hatte es tatsächlich geschafft, diesen John in eine Unterhaltung zu verstricken, und wich keinen Millimeter mehr von seiner Seite. Zu Janas Überraschung ließ John es über sich ergehen, machte sogar den Eindruck, als genieße er Izzys Gesellschaft. Scheinbar hatte sie sich mal wieder nur von Äußerlichkeiten leiten lassen.

Da sich die riesige Schweinerei, die während des Kochens angefallen war, nicht von alleine beseitigte, mussten wieder die Mädchen tatkräftige Unterstützung leisten. Jana musste zusammen mit zwei Mädchen aus der neunten Klasse diesem John und zwei weiteren jungen Männern beim Abwasch helfen, während Isabell, zu ihrem Bedauern, im Stall aushelfen musste.

Mäßig begeistert wollte sich Jana an die Arbeit machen, doch hörte dann die jungen Männer miteinander reden.

»Ich hoffe, diese ganze Scheiße hier ist bald vorbei«, spottete John und erntete die Zustimmung seiner beiden Kollegen.

»Die Weiber hier können ganz schön nervtötend sein. Vor allem die Blonde, die mir vorhin dauernd am Arsch hing. Obwohl, zum Vögeln ist die bestimmt gut.«

Die drei johlten vor Lachen. Jana stand der Zorn deutlich ins Gesicht geschrieben. »Du Arsch, du redest da von meiner Freundin.«

»Na und? Und wenn sie die Kaiserin von China wäre, es interessiert mich einen Scheiß. Und jetzt mach, dass du in die Pötte kommst, sonst kriegst du ein Problem. Ich hab noch was Besseres vor, als mit euch Weibern hier rumzuhängen. Ist das klar?«

Jana traute ihren Ohren nicht und stand einfach nur wie angewurzelt da, ohne auch nur ein Wort zu sagen, was John nur noch mehr reizte: »Ob das klar ist, Mann.« Erbost hatte er die Topfbürste genommen und sie so geschleudert, dass das dreckige Seifenwasser in Janas Gesicht spritzte. »Hör auf, du Arsch«, schrie sie mit blanker Abscheu in der Stimme, doch bevor sie weitersprechen konnte, wurde sie von John unterbrochen: »Mann, was glaubst du eigentlich, wer du bist? Ich reiß mir doch nicht wegen so einer wie dir den Arsch auf. Bloß, weil so Tussis wie ihr denkt, ihr seid was Besseres …«

Es war totenstill im Raum, keiner wagte es, auch nur ein Wort zu sagen, keiner außer Jana. »Du …«

Weiter kam sie nicht, denn Melissa hatte sie am Arm gepackt und zu sich gezogen. »Lass es gut sein, er ist es doch nicht wert«, flüsterte sie Jana zu, die immer noch außer sich war und jeden Moment zu explodieren drohte.

John verließ die Spülküche ohne ein weiteres Wort und ließ sie alleine. Keine halbe Stunde später war der restliche Abwasch erledigt; es war bereits kurz vor halb zwölf, somit war auch endlich dieser Tag so gut wie vorüber. Nur noch die Bioabfälle mussten nach draußen gebracht werden. Jana, die immer noch vor Wut kochte und sich so etwas Abkühlung versprach, übernahm diese Aufgabe gerne, bereute diese Entscheidung aber sofort, als sie erkannte, dass es immer noch in Strömen regnete und sie, bis sie am Komposthaufen angelangt war, bestimmt pitschnass sein würde. Doch musste sie das jetzt in Kauf nehmen und so lief sie, ohne irgendwelche Umwege, so schnell sie eben konnte zu dem Müllberg, entleerte die beiden Eimer und wollte sich gerade auf den Rückweg machen, als jemand sie am Arm packte. Erschrocken ließ sie die Behälter fallen, wandte ihren Blick auf die Person und blickte dabei geradewegs in die dunklen Augen von John.

»Lass mich sofort los!« Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch es war zwecklos, er hielt sie so fest, dass es fast weh tat.

»Mitkommen!«, knurrte er sie an und schleifte sie hinter sich her, bis sie völlig durchnässt die Scheune erreicht hatten.

»Toll, und was wollen wir jetzt hier?«, wagte sich Jana zu fragen, als sie den Stall betreten hatten.

Entweder hatte John ihre Frage nicht gehört oder ignorierte sie einfach, jedenfalls schloss er die Tür hinter sich und legte den Riegel vor, so konnte niemand mehr von draußen hineinkommen.

»Was soll das denn jetzt? Mach sofort die Tür wieder auf!« Da sie keine Lust auf solche Spielchen hatte, schritt sie schnell zum Tor, doch gerade, als sie den Hebel zur Seite schieben wollte, spürte sie John hinter sich, der sie sofort ein Stück beiseiteschob und an die Wand drückte.

»Hey, hör auf der Stelle auf damit und lass mich gehen, oder ich …«

Er stand dem Mädchen so nah gegenüber, dass sie seinen widerlichen Atem riechen und sogar auf ihrer Haut spüren konnte. »Oder was, hä? Schrei doch! Hier draußen hört dich sowieso keiner.«

Eisig kalte Schauer liefen ihr den Rücken hinunter. Sie musste sich schleunigst aus dieser misslichen Lage befreien, bevor noch etwas Schreckliches geschah. Sie versuchte, ihn wegzuschieben, doch konnte sie rein gar nichts gegen ihn ausrichten. Ehe sie sich versah, packte er ihre Arme und presste diese mit einer Hand über ihren Kopf an die Wand. Die andere Hand schob er unter ihren Pulli und grabschte nach ihren Brüsten. Verzweifelt versuchte sie alles, um sich aus seinen Fängen zu befreien, doch jeder Versuch schlug fehl. Er war einfach viel größer und vor allem viel stärker als sie.

Panisch spuckte sie ihm ins Gesicht, aber auch das half nichts. Sein Händedruck wurde nur fester. Jetzt tat es richtig weh. Sie biss die Zähne zusammen. Tränen schossen ihr in die Augen, aber sie wollte nicht heulen, nicht vor diesem Typen.

Ihr blieb nur eine Möglichkeit zu entkommen, und ohne weiter über mögliche Folgen nachzudenken, trat sie ihm mit voller Wucht zwischen die Beine. Sein lauter Aufschrei war das Einzige, was sie hörte, bevor er seinen Griff löste und mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden sank. Jetzt hatte sie die Chance zu entkommen, sie musste hier raus, und zwar schnell. Sie versuchte, die Tür zu öffnen, doch bewegte sich der Riegel keinen Millimeter. Verzweifelt rüttelte und zerrte sie an dem einzigen Fluchtweg.

»Du miese kleine Nutte«, zischte John, während er sich aufrichtete und sie, bevor sie auch nur reagieren konnte, am Kragen ihres Shirts packte und zu Boden schleuderte.

Der harte Aufschlag auf dem kalten Boden raubte ihr für einen Moment völlig die Orientierung, sodass sie keine Chance hatte, dem Jungen zu entkommen, der sich blitzartig auf ihre Beine setzte und ihre Handgelenke zu Boden drückte. Jetzt überkam sie die nackte Panik – sie war absolut bewegungsunfähig. In der Hoffnung, dass sie jemand hören würde, fing sie an zu schreien, doch schien ihn das nicht zu beeindrucken.

»Du kannst so laut schreien, wie du willst. Hier draußen hört dich sowieso keiner!«, sagte er nur spöttisch und schob erneut eine seiner Hände unter ihren Pulli.

»Lass mich bitte gehen!«, flehte sie immer und immer wieder, doch ließ er sich das nicht im Traum einfallen.

Plötzlich ließ er ihre Handgelenke los, doch nicht etwa, um das Mädchen doch gehen zu lassen, sondern um mit einem kräftigen Ruck ihren Pullover zu zerreißen, sodass sie obenrum fast nackt unter diesem Widerling lag. Mit aller Kraft versuchte sie weiter, sich zu wehren und schlug sogar so hart und fest sie konnte gegen seine Brust, doch hörte er nicht auf und war nun drauf und dran seine Hose zu öffnen.

»Halt endlich still, du Biest! Du wolltest es doch so. Nun kriegst du, was dir zusteht.«

»Tu mir das nicht an, bitte!«

Was sollte sie jetzt nur tun? Was konnte sie jetzt noch tun?


Liebe ist Schicksal

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