Читать книгу Liebe ist Schicksal - Nikki Deed - Страница 4
2.
ОглавлениеErst viele Stunden nach dem schrecklichen Unfall erlangte Jana das Bewusstsein wieder und öffnete völlig orientierungslos und benommen die Augen. Das Erste, was sie wahrzunehmen vermochte, waren diese stechenden Schmerzen bei jedem Atemzug. Nur langsam nahm ihre Umgebung klare Konturen an, doch schon sehr schnell stellte sie fest, dass sie nicht alleine in dem ihr völlig fremden Raum war. Am Fenster, welches nicht allzu weit von dem Bett entfernt war, stand eine große männliche Person, die sich genau in diesem Moment zu ihr drehte. Gerade noch konnte Jana erkennen, wie sich der Fremde über die Augen wischte. Weinte er? Wieso? Schon trat er an ihr Bett und sagte mit leiser, aber ausdrucksstarker Stimme: »Schön, dass du endlich wieder zu dir gekommen bist, Jana. Weißt du noch, was passiert ist?«
Langsam schloss das Mädchen die Augen, konzentrierte sich, doch die letzten Stunden schienen wie ausgelöscht, so sehr sie sich auch zu erinnern versuchte. Der fremde Mann bemerkte es und meinte: »Du siehst müde aus. Versuch, noch ein wenig zu schlafen, um wieder zu Kräften zu kommen! Du wirst sehen, es wird dir helfen! Ich muss jetzt leider gehen, morgen komme ich wieder und dann werde ich dir alles erklären!«
Nur kurz darauf war sie ganz alleine in diesem Zimmer, doch schlafen konnte sie beim besten Willen nicht. Sie konnte einfach nicht verstehen, warum sie sich an so vieles nicht mehr erinnern konnte. All das, was nach der Ohrfeige, die sie von ihrem Vater bekommen hatte, passiert war, war wie von einer dunklen Wolke verschleiert. So viele Fragen schossen ihr durch den Kopf, doch auf keine fand sie eine Antwort. Sie wusste ja nicht einmal, wo sie war oder wer dieser fremde Mann war, und das machte sie fast wahnsinnig. Und dazu kamen dann auch noch diese Schmerzen, die immer stärker wurden und sich in ihrem ganzen Körper breit machten, sodass es kaum möglich war, sich zu bewegen. Draußen dämmerte es bereits, als sie endlich zur Ruhe kam und völlig erschöpft einschlief.
Es war bereits vierzehn Uhr, als Jana wieder erwachte und das erste, was sie erblickte, war dieser fremde Mann von gestern, der neben ihr auf einem Stuhl saß und sie freundlich anlächelte. Da sich das Mädchen etwas stärker fühlte als noch am Vortag, fragte sie schließlich mit etwas zitternder Stimme: »Wer sind Sie? Was wollen Sie von mir? Und was zum Teufel ist passiert?«
»Langsam, langsam. Nur mit der Ruhe. Mein Name ist Hongo, Stefan Hongo, und ich bin hier, weil mich deine Eltern schon vor einer Weile darum gebeten haben … bevor all das hier passiert ist.« Er schien nach den richtigen Worten suchen zu müssen, bevor er weitersprach: »Ich weiß nicht, wie ich dir das sagen soll, aber du wirst es sowieso bald erfahren. Also: Du und deine Familie, ihr hattet einen schrecklichen Autounfall. Euer Wagen ist gegen eine Leitplanke geprallt und danach einen Abhang hinuntergestürzt. Keiner kann sich erklären, wie es dazu kommen konnte. Du bist die Einzige, die aufklären kann, wie es genau zu diesem Unfall kam.«
»Aber ich kann mich an rein gar nichts davon erinnern. Wie soll ich also …« Mit einem Schlag wurde Jana etwas bewusst … Aber das konnte doch nicht sein! Mit ihren smaragdgrünen Augen blickte sie den Mann Hilfe suchend an. »Ich … bin … die … Einzige?«, stotterte sie und schluckte schwer. »Was soll das heißen? Was ist mit meinen Eltern und … und Hanna? Sind sie … sind sie …« Sie brach ab, schaffte es einfach nicht, dieses grauenhafte Wort über die Lippen zu bringen. Tränen sammelten sich in ihren Augen, während Herr Hongo den Satz beendete: »… tot. Ja. Es tut mir sehr leid, Jana. Die Ärzte konnten nichts tun …« Auch er brach mitten im Satz ab, scheinbar ging auch ihm das alles sehr nahe. Nach einem kurzen Moment des Schweigens fügte er hinzu: »Es war ein Wunder, dass du überlebt hast. Die Ärzte meinen, dass du außer ein paar Rippenbrüchen, einem gebrochenen Bein und einer ausgerenkten Schulter nur Schürfwunden und Prellungen hast. Du musst dich jetzt nur ausruhen, doch du wirst wieder ganz gesund!«
Doch das nahm Jana gar nicht mehr wahr. Ihr war jetzt alles egal. Die Nachricht vom Tod ihrer Eltern hatte sie einfach zu sehr geschockt. Sie konnte nicht einmal weinen. Sie würde sie alle nie wiedersehen, jetzt aber wollte sie einfach nur noch alleine sein. Herr Hongo, der das gut nachvollziehen konnte, stand auf und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer.
Allmählich wurde ihr bewusst, dass nun alles anders war. Sie würde nie wieder die Stimmen ihrer Eltern oder die von Hanna hören, sie würde von nun an alleine sein, ganz alleine. Bei diesen Gedanken überfielen sie ihre Emotionen, dicke Tränen rollten ihr über die zarten Wangen. So einsam und verlassen, hatte sie sich noch nie in ihrem ganzen Leben gefühlt. Immer und immer wieder kam ihr nur ein Gedanke in den Kopf und mit aller Kraft klammerte sie sich daran fest, denn: ›Vielleicht ist das alles nur ein böser Traum.‹
Mit dem nächsten Morgen allerdings kam auch die Gewissheit, dass sie nicht geträumt hatte, dass alles real war und so sehr es auch schmerzte, sie würde es irgendwie akzeptieren müssen. Doch sie konnte und wollte sich das nicht eingestehen und blockte alles um sich her ab. Es war ihr egal, was die anderen sagten oder taten; es war ihr egal, was mit ihr geschehen würde. Sie starrte die ganze Zeit nur abwesend aus dem Fenster, sprach mit niemandem auch nur ein Wort und rührte noch nicht mal das Essen an, welches die Krankenschwestern ihr brachten.
Als es draußen allmählich dunkel wurde, klopfte es wieder an der Tür, doch achtete sie gar nicht darauf, merkte so auch nicht, dass Herr Hongo den Raum betreten hatte und jetzt langsam aufs Bett zuschritt. Auch jetzt beachtete sie ihn nicht, und er stand schweigend da und starrte die an. Nach einem tiefen Seufzer sagte er schließlich: »So kann das nicht weitergehen. Ich weiß, dass das alles sehr schwer für dich ist, aber du kannst doch nicht einfach den Kopf in den Sand stecken. Du lebst, und das ist wichtig. Du musst jetzt an deine Zukunft denken! Du musst jetzt stark sein!«
Das war das Letzte, was sie hören wollte. Mit Tränen in den Augen wandte sie sich zu ihm um. »Meine Familie, alle Menschen, die ich geliebt habe, sind tot und das Einzige, was Sie mir sagen, ist, dass ich stark sein soll? Ich will aber nicht stark sein! Nein, ich will nicht mehr! Ich will einfach nicht mehr! Warum habt ihr mich nicht auch sterben lassen? Wieso musstet ihr mich retten? Wieso … Wieso …«
»Jetzt ist es genug! Wie kannst du nur so etwas sagen? Wir alle sind traurig darüber, aber einfach aufzugeben, ist doch auch keine Lösung. Was glaubst du denn, was deine Mutter denken würde, wenn sie dich so reden hören könnte?«, schrie Herr Hongo das Mädchen an.
Für einen kurzen Moment lang war es ganz ruhig in dem Zimmer, bis der Mann schließlich sagte: »Es tut mir leid. Ich wollte dich wirklich nicht anschreien. Denk doch nur mal an die Menschen, die dich lieben und froh darüber sind, dass dir nichts passiert ist. Du bist doch nicht allein!«
»Und wer soll das sein?«
Einen Moment lang herrschte Totenstille, dann ging Stefan Hongo zur Tür hinüber und sagte: »Ich denke es ist besser, wenn ich jetzt gehe.« Doch bevor er die Tür hinter sich schließen konnte, fragte Jana mit zittriger Stimme: »Was soll ich denn jetzt machen? Ich bin allein, ganz egal, was sie sagen. Ich habe doch keine Verwandten mehr und …«
Der Mann ließ die Tür ins Schloss fallen, kehrte zu dem Mädchen zurück und setzte sich auf den Stuhl neben ihrem Bett. »Genau aus diesem Grund bin ich hierhergekommen.«
»Das verstehe ich nicht. Wer sind Sie wirklich und, vor allem, was wollen Sie?«
»Die Frage ist nicht, was ich will, sondern was deine Eltern wollten. Ich weiß, dass sie vorhatten, dich auf ein Internat in Norddeutschland zu schicken.«
Jana konnte es einfach nicht fassen. Völlig irritiert fragte sie: »Woher wissen Sie das denn?«
»Ganz einfach. Ich bin der Direktor dieses Internats.«
Jetzt verstand das Mädchen gar nichts mehr: »Und warum genau sind Sie hierhergekommen?«
»Deine Eltern hatten es so gewollt. Man hatte an der Unfallstelle eine Nachricht gefunden, eine Art Testament, dass ich im Falle einer Notsituation gerufen werden sollte. Als ich von dieser Tragödie erfahren habe, bin ich sofort hierhergekommen. Außerdem stand in ihrem Testament, dass mir im Falle ihres Ablebens deine Vormundschaft übertragen wird und ich mich, solange du noch minderjährig bist, um alles kümmern soll. Sie haben mir die Vollmacht über ihre Konten übertragen, und sobald du dein zwanzigstes Lebensjahr vollendet hast, kannst du mit dem Erbe tun und lassen, was dir lieb ist. Du musst dir keine Sorgen machen, deine Eltern haben sich um alles gekümmert und dich gut abgesichert.
Bedrückt schaute Jana aus dem Fenster und fragte: »Aber warum gerade Sie?«
Er zögerte einen Moment, bevor er sagte: »Deine Eltern und ich kannten uns von früher und ich denke, dass sie mir wohl vertrauten. Sonst wäre das Alles kaum nachzuvollziehen. Bevor ich aber irgendwas in die Wege leite, würde ich gerne von dir wissen, was du dazu sagst.«
»Was soll ich denn dazu sagen? Hab ich denn eine andere Wahl?«
In jener Nacht konnte Jana keinen Schlaf finden. Alles drehte sich in ihrem Kopf und ihre Gedanken kreisten nur um ein einziges Thema – ihr neues ungreifbares Leben, das so plötzlich über sie hereingebrochen war und doch so weit entfernt schien. Und noch etwas machte ihr Kopfzerbrechen: Sie konnte sich einfach nicht an die letzten Minuten vor dem Unfall erinnern. Immer noch war alles wie ausradiert.
Wirklich alles würde sich nun ändern. Eine neue Schule am anderen Ende von Deutschland und die Gewissheit, ihre Eltern nie wieder sehen zu können. Allein der Gedanke daran schnürte ihr fast den Hals zu. Sie wollte das alles einfach nicht glauben.