Читать книгу Chicago Affair - Niko Arendt - Страница 10

Kapitel 7

Оглавление

Die Sonnenstrahlen brannten ihm ein Loch direkt durch seinen malträtierten Schädel, indem mehrere Presslufthammer um die Wette die Schutzschicht seiner Erinnerungen aufbrachen. Schnatternd unterhielten sich ein Haufen Spatzen vor dem Fenster und leisteten gute Arbeit seinen Brummschädel zum explodieren zu bringen. Während ein gleichmäßiges, nerviges Dröhnen seine Ruhe störte. Stöhnend zog Sean sich die weiche Decke über den Kopf, in der müden Hoffnung, die Geräuschkulisse von seinem Kopf fernzuhalten.

Dunkel regte sich in ihm der Gedanke, dass er arbeiten musste und mit großer Wahrscheinlichkeit verschlafen hatte. Doch die Rebellion seines Körpers hielt ihn davon ab, erschrocken aufzuspringen und sich eventuell zu beeilen. Ihm war übel. Die Schmerzen in seinem Kopf und in seinen Gliedern gingen über einen normalen Kater hinaus. Es war viel mehr, als hätte er einen Liter KO-Tropfen getrunken, die seinen Körper eisern in die Matratze quetschten.

Sean beobachtete, wie er den kleinen Finger seiner rechten Hand bewegte. Das tat beschissen weh und er wollte es nicht mehr wiederholen. Mit dem Bauch nach unten lag er auf dem Bett, das Gesicht in die Kissen gepresst, während die frische Morgenluft seine nackten Fußballen und seine Beine kitzelte. Wenigstens hatte er es geschafft sich zu entkleiden, bevor er ins Koma eines Betrunkenen gefallen war.

Er sollte versuchen aufzustehen, aber das Bett war so verdammt bequem. Es war weich, frisch und verströmte einen ganz neuen Duft, der seinen müden Sinnen schmeichelte. Leicht holzig. Nach warmen Zedernholz. Würzig süßer Bitter-Orange und aromatischem Kardamom, der durch sein betörendes Aroma sein Gehirn stimulierte. Plötzlich kam ihm der Gedanke, dass dieser Geruch nicht typisch war. Nicht typisch für sein Zuhause. In diesem Moment erinnerte er sich an einen Artikel aus der Frauenzeitschrift, die Amanda abonniert hatte.

Kardamom, nach Safran das teuerste Gewürzöl. Löst Minderwertigkeitsgefühle und sexuelle Blockierung.

Mit lautem Japsen fuhr Sean aus den Kissen hoch. Es roch nach Holden! Ihm wurde um einiges schlechter. Er lag im Bett seines Chefs. Nackt, wie er mit wachsendem Schrecken feststellte.

„Kotzen Sie mir bloß nicht auf den orientalischen Teppich. Ich hab ihn erst vor Kurzem reinigen lassen“, sagte eine nasale Stimme nicht weit von ihm entfernt. Eine korpulente Schwarze stand, die Hände in die üppigen Hüften gestemmt, vor dem Bett. Einen Staubsauger in der einen Hand und einen Wedel in der anderen Hand. Genau diesen Wedel richtete sie auf sein Gesicht.

„Das Bad ist da vorn.“ Der Wedel schwenkte nach rechts.

Schnell sprang Sean aus dem Bett und rannte in die ihm zugewiesene Richtung, bevor er sich mit der Frage beschäftigte, wer diese Person war. Gerade rechtzeitig erreichte er die Kloschüssel, bevor er einen Teil seines Abendessens wieder sah. Augenblicklich ließ der Schwindel und die Übelkeit nach und eine befreiende Erleichterung erfasste ihn. Seine Hand zitterte, als er die Spülung betätigen wollte. Nach mehreren erfolglosen Versuchen hörte er ein Schnauben. Dann erschien aus dem Nichts eine Hand und drückte den altmodischen Henkel mit solcher Leichtigkeit, dass es an göttliche Kraft grenzte.

Wenige Augenblicke später leuchtete es Sean ein, dass er gerade breitbeinig auf dem Fußboden saß. Noch immer nackt. Peinlich berührt griff er nach einem Handtuch und bedeckte damit sein bestes Stück. Allerdings war das verdammte Ding verrucht klein, dass er es auch hätte bleiben lassen können. So wirkte er lächerlich. Die Frau verdrehte die großen runden Augen. Ihr molliger Körper beherrschte den ganzen Raum. Sie sah aus wie aus einem Gospel Chor.

„Ich habe sechs Kinder und du glaubst, es würde mir was ausmachen deinen kleinen Peter zu sehen?“ Ein verschmitztes Grinsen zierte ihre vollen Lippen und erweckte trotz der peinlichen Situation Sympathie.

„Er ist nicht klein.“

„Etwas verschrumpelt.“

„Er hatte bestimmt eine harte Nacht hinter sich.“

Sie zog die dunklen Augenbrauen so weit nach oben, dass Sean glaubte, sie müssten gleich in dem Ansatz ihres schwarzen Haares verschwinden, das sie zu einem strengen Dutt nach hinten gekämmt hatte. Während sie einige Schritte nach hinten machte, ließ sie ihn nicht aus den Augen. Als wäre er ein Irrer, der sie jeden Moment anspringen könnte.

„Diese Unterhaltung sollten wir fortsetzen, wenn Sie eine Hose anhaben, Mr. Grandy. Nehmen Sie eine Dusche. Sie stinken.“ Sie rümpfte angewidert die breite Nase. „Tabletten liegen auf dem Nachttisch. Kleider auf dem Bett. Er wartet unten auf Sie.“

Bevor sie den Raum tatsächlich verlassen konnte, sprang Sean nach vorne und packte sie am Arm.

„Halt. Woher kennen Sie meinen Namen?“

„Steht auf Ihrem Namensschildchen.“

Sie grinste humorlos und wollte verschwinden, doch Sean hielt immer noch ihren Arm fest. Als sie das bemerkte, wanderte ihr Blick so lange zwischen Seans Gesicht und seiner Hand hin und her, bis er sie losließ und eine leise Entschuldigung flüsterte.

„Wer sind Sie?“, fragte er.

„Die gute Fee. Was denken Sie denn?“

„Ich will lieber nichts denken.“

„Würde ich auch nicht empfehlen, vielleicht brennen Ihnen da noch ein paar wichtige Verbindungen durch.“ Ihr Zeigefinger bohrte sich tief in Seans Stirn.

„Bin ich bei-?“

„Korrekt“, sagte sie wie ein Showmaster auf der Bühne.

Sean entglitt das Gesicht vollkommen. Seine allerschlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Fast durchsichtig wirkte Seans Haut, als er krampfhaft die Erinnerungen hervorzuholen versuchte, was er und Bourdain letzte Nacht getan hatten. Er förderte nichts Hilfreiches zutage.

„Haben wir …?“

„Von den Nachbarn liegt eine Beschwerde wegen Ruhestörung vor und der eingerissenen Putz über dem Bett lässt sich nicht auf einen Wasserschaden zurückführen“, meinte sie voller Ironie, die Sean nicht heraushörte.

„Oh. mein. Gott“, hauchte er erschrocken, riss die Augen weit auf und bedeckte vor Entsetzen seinen Mund mit der Handfläche. „Wir haben wirklich-?“

Beleidig zog die Schwarze eine lange Schnute.

„Woher, um Himmels willen, soll ich das wissen? Sehe ich so aus, als würde ich mit dem Ohr an der Tür, andere beim Sex belauschen? Flegel.“ Diesmal hielt Sean sie nicht davon ab, den Raum zu verlassen. Die Situation war demütigend genug.

Mechanisch setzte er sich in Bewegung, duschte, zog sich frische Sachen, die für ihn auf dem Bett bereitlagen, an und trank das Glas mit zwei Aspirin. Vorsichtig streckte er den Kopf aus der Schlafzimmertür. Kurzerhand beschloss er, dass dem Gang zu folgen sicherlich nicht gefährlich werden konnte. Die Einrichtung war modern, stillvoll und ziemlich exklusiv. Das konnte selbst er erkennen.

Dem Lauf einer schmalen Wendeltreppe folgend gelangte er in einen Wohnraum, der größer war, als manches Besprechungszimmer in der Firma. Ein surrendes Geräusch beherrschte den Raum, er konnte aber die korpulente Schwarze nirgends mit ihrem Staubsauger entdecken.

Rot und Weiß beherrschten mit einigen ausgesuchten Schwarzakzenten die Kücheneinrichtung. Hinter dem großen Herd entdeckte er die kräftige Frau wieder, die ein Lied summte. Sie verstummte, als sie seine Anwesenheit bemerkte und ihre gute Laune gefror. Unsicher blickte Sean über die Schulter in der Hoffnung jemand oder etwas anderes könnte der Grund für ihren plötzlichen Stimmungswechsel sein. Aber hinter ihm war niemand.

Dabei fand er aber den Verursacher des monotonen, zurrenden Geräusches, zu dem sich schweres Keuchen dazugesellte. Durch den Rundbogen der Küche sah er eine Frau im Nebenzimmer. Ihre langen, kastanienbraunen Haare hielt ein buntes Stirnband zurück. Sie trat in einer Geschwindigkeit in die Pedalen eines Hometrainers, als würde ihr Leben davon abhängen. Im Mund hatte sie ein Nugat-Crossant, während sie mit ernstem Gesicht einen Liebesroman studierte. Ihn hatte sie nicht bemerkt.

„Mund zumachen und setzen“, befahl die Schwarze hinter dem Herd und blickte ihn mit einem Ausdruck unverhohlenem Missfallens an, als wäre er eine missratene, ungenießbare Sahnetorte. Dabei kannte sie ihn nicht einmal. Mit einem hölzernen Kochlöffel zeigte sie auf einen der hohen schwarzen Barhocker vor ihm.

Verwirrt starrte Sean sie an. Die ganze Situation war fast unheimlich. Wo war nur Holden? Sie unterbrach seine Gedanken, indem sie einen großen Teller mit Eiern und goldgebratenem Speck vor seine Nase stellte, nachdem er sich auf einen der Stühle bei der Anrichte niedergelassen hatte.

„Es ist wirklich nicht meine Art Sie zu beleidigen, indem ich dieses liebevoll zubereitetes Frühstück verschmähe“, begann er „aber ich habe die Befürchtung dann wieder über meinem Freund, der Kloschüssel, zu hängen.“

„Charmeur.“, grunzte sie. „Und jetzt iss!“

„Wissen Sie, was hier vor sich geht?“, fragte Sean und knabberte vorsichtig an einem Stück Speck.

„Wenn Sie wissen wollen, ob Sie‘s wie die Karnickel getrieben haben, bin ich echt der falsche Ansprechpartner.“

„Nein, wer sind Sie? Und wer ist das Krümmelmonster dort, das den armen Trainer an den Rand der Verzweiflung treibt?“ Sean nickte mit dem Kopf in Richtung der Unbekannten auf dem Fahrrad.

„Eine Menge Fragen. Ich weiß gar nicht, ob ich befugt bin, mit Ihnen darüber zu sprechen.“

„Bourdain ist mein Boss.“

Ein krachendes Geräusch unterbrach ihr Gespräch. Ächzend stand die junge Frau vom Boden auf, ihr Fuß hatte sich noch in einer Pedale verfangen. Schockiert starrte sie Sean an. Er hegte die leise Befürchtung, sie wäre seinetwegen gefallen.

„Was?“, rief sie entsetzt.

Beide hatten die Köpfe nach der jungen Frau umgedreht. Sean machte Anstalten in ihre Richtung zu gehen und ihr aufzuhelfen, aber sie war schneller. Mit wenigen energischen Schritten stand sie neben ihm. Ihre Haare standen wild von ihrem Kopf ab.

„Sie arbeiten für Holden?“, musterte sie ihn interessiert. „Und-“, ein vielsagender Blick. „Sie schlafen mit ihm?“

„Ich war gestern ziemlich breit. Bewahre mir aber die Hoffnung, ich hätte einfach meinen Rausch in seinem Bett ausgeschlafen. Und nicht auch mit meiner Unschuld bezahlt“, witzelte Sean.

Verständnislos blickte sie ihn an, zog ungefragt einen Speckstreifen von seinem Teller und biss hinein. „Was? Ich dachte, Sie seien schwul.“

„Nicht, dass ich wüsste.“

„Tatsächlich? Nicht schwul?“ Ein strahlendes Lächeln erhellte ihre Züge. Ihre Wangen waren gerötet vom Radfahren und ihre Augen glänzten verräterisch, als hätte sie eine unglaubliche Entdeckung gemacht, die allen anderen aber entgangen war.

„Ich bin verheiratet. Mit einer Frau“, sagte Sean und killte mit drei einfachen Worten ihre gute Laune. Die dunkelhäutige Frau, dessen Name Sean noch immer nicht in Erfahrung gebracht hatte, schüttelte den Kopf und schob einen Teller mit kleinen Schokotörtchen herüber. Die junge Frau machte ein verzweifeltes Gesicht und nahm einen großen Bissen von dem cremigen Gebäck.

„Schokolade ist mein einziger Freund“, stellte sie enttäuscht fest. „Ich versteh das einfach nicht. Sie sind heiß, verheiratet und schlafen trotzdem mit Ihrem Boss. Ich kann‘s verstehen. Er ist echt scharf. Dafür könnte man schon einen kleinen Betrug wagen.“

„Ganz so ist es nicht“, rechtfertigte Sean sich, nahm ihr aber ihre Vermutung nicht übel, da sie einen ganz untypischen Charme ausstrahlte und so locker mit ihm umging, als würde sie ihn bereits gut kennen. „Ich hab da eher so einen Knebelvertrag, der mich physisch an ihn bindet.“

Sie blickte ihn aus großen Augen heraus an, dann zog sie eine Schnute und verdrückte ihr Törtchen. „Sie sind zu beneiden.“

„Warum?“

„Holden ist eine verdammt gute Partie. Sogar als Affäre. Ich bin richtig eifersüchtig“, stellte sie mit Bedauern fest. „Würde er nicht auf Männer stehen, hätte ich nichts dagegen ein paar süße, pummelige Babys von ihm zu haben.“

Sean musste an sich halten, um nicht loszulachen. Das aufkeimende Schmunzeln konnte er jedoch nicht verbergen. „Wirklich?“

Ihr gerade erst interessant werdendes Gespräch wurde durch das Eintreten einer weiteren Person unterbrochen.

„Na, Dornröschen, auch von den Toten erwacht?“, kam es charmant aus Bourdains zu einem sympathischen Lächeln verzogenen Mund, während Sean ihn seinerseits einfach nur mit offenem Mund anstarrte.

„Morgen, Ivy“, grüßte er die korpulente Schwarze und drückte ihr einen Kuss auf die Wange, nachdem er ihr eine herrlich duftende Papiertüte mit frischem Gebäck überreichte. Ivy ihrerseits gab ihm eine große Tasse Kaffee.

„Danke, Ivy.“ Dann wandte er sich an die junge Frau, schenkte ihr ein warmes Lächeln, dass Sean ohne Zweifel als flirtend bezeichnet hätte und reichte ihr einen wunderschön verzierten Karton. „Für dich Jesse. Es tut mir leid, dass ich unseren Termin versäumt habe, aber ich hatte eine Kleinigkeit zu erledigen“, entschuldigte er sich mit samtig weicher, beinahe unterwürfiger Stimme.

„Ich finde, du hättest ihn seinen Dreck ruhig selbst wegmachen lassen können, sonst lernt der Idiot nichts daraus“, mischte Ivy sich ein und warf Sean einen bitterbösen Blick zu, der diesen allerdings amüsierte. Die Frau sah zu ulkig aus, als das man sich vor ihr hätte fürchten müssen.

Währenddessen hatte Jesse den Karton geöffnet, indem, entgegen jeder Erwartung, wieder Süßkram drin war. Edler Süßkram, über den sie sich gleich hermachte, wie eine Maus über Speck. Dabei blendete sie ihre Umgebung völlig aus.

Sean beugte sich ein wenig zu Bourdain und raunte ihm hinter vorgehaltener Hand zu: „Warum ist sie denn so feindselig? Sie kennt mich doch überhaupt nicht.“

Bourdain wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, doch Ivy kam ihm zuvor. „Sie brauchen nicht zu flüstern, Mr. Grandy. Ich kann Sie gut hören. Gestern waren Sie von Ihren verdammten Schuhsohlen bis zu den Haarspitzen voller Kotze. Wir mussten Sie baden. Sie haben geklammert wie ein Babyäffchen, das man seiner Mutter entrissen hat. Und lauter unverständliches Zeug geschwafelt, dass ich nicht wiederholen möchte.“

„Ist das wahr?“, fragte Sean in Holdens Richtung, der nur die Augenbrauen hochzog und bestätigen nickte. „Du hast einen ganz schön festen Griff.“

„Und heute musste Mr. Bourdain seinen wertvollen Morgen darauf verschwenden Ihre Sauerei wegzumachen. Ich an seiner Stelle hätte es nicht getan“, drohend richtete Ivy den Kochlöffel auf Seans Gesicht.

„Keine Sorge, Ivy. Ich habe mir eine nette Bestrafung für ihn ausgedacht“, Bourdain warf ihr einen vielsagenden Blick zu. Sie grinste und Sean hatte das Gefühl, die zwei hätten sich gegen ihn verbündet. Sein Magen kribbelte, als er Bourdain aus dem Augenwinkel musterte, während dieser mit Ivy sprach.

Holden hatte den Schlaf noch nicht komplett abgeschüttelt. Seine Frisur saß nicht ganz so perfekt. Dunkle Locken glänzten in der frühen Morgensonne, während einige dicke Strähnen seine Wangen belagerten. Das Hemd, das er trug, war blütenweiß. Der Kragen und die Manschetten gestärkt. Er trug die Manschettenknöpfe, die auch Sean bei dem Essen getragen hatte. Das Gefühl dessen Besitz zu sein verstärkte sich.

„Na hoffentlich behältst du das in deinem Magen, ansonsten lass auch ich mir was für dich einfallen. Und das wird dir nicht gefallen.“ Ein diabolisches Lächeln zierte Ivys vollen Lippen. Sie erinnerte Sean an einen Charakter aus einem 50‘s Feel-Good-Movie, dessen Titel ihm gerade nicht einfallen wollte. Man mochte sie, obwohl sie kein Blatt vor den Mund nahm und offensichtlich sagte, was sie dachte. Mit unverfälschter Hingabe widmete sie sich dem Essen, das sie zu kochen begonnen hatte und dessen köstlicher Duft den Wohnraum einnahm.

Inzwischen hatte Jesse ihre Fressorgie beendet und erinnerte sich, dass sie ein paar wichtige Fragen an Bourdain hatte, die durch ihr Gespräch mit Sean aufgekommen waren. Puderzucker klebte an ihrer Wange, als sie ihre Aufmerksamkeit vom leeren Karton auf die beiden Männer richtete.

„Sag mal, Holden, seit wann knetest du denn Heten?“

Sean verschluckte sich an seinem Orangensaft. Unkontrolliert hustete er, sodass ihm Tränen in die Augen schossen und Bourdain ihm ein paar kräftige Klopfer auf den Rücken verpasste.

„Und seit wann ist Sex am Arbeitsplatz kein No-Go mehr?“, fragte Jesse ungeniert weiter, bevor sie eine Antwort bekommen hatte.

„Wir hatten keinen Sex am Arbeitsplatz“, gab Bourdain unberührt zurück, dann grinste er und legte Sean die Hand auf den Oberschenkel, sodass dieser zusammenzuckte. „Noch nicht.“

„Habt ihr es denn letzte Nacht getan?“, fragte Jesse und platzte fast vor Neugier. Sie spitzte die Ohren und schürzte amüsiert die Lippen, als sie dem Brünetten einen neugierigen Blick zuwarf.

„Ein paar Geheimnisse sollte man auch für sich behalten können“, erwiderte Bourdain.

„Du verdammter Fuchs.“ Jesse boxte ihn spielerisch mit der Faust in den Oberarm. „Gib mir wenigstens irgendetwas, damit ich mich ein wenig besser fühle.“

Das tat er. Und er zog eine unglaubliche Show ab. Auf Seans Kosten natürlich. Holden beugte sich vor und küsste ihn leidenschaftlich auf die Lippen. Ohne Gegenwehr gewährte Sean ihm diesen Moment. Vielleicht weil es ungebetene Zuschauer gab. Er wusste es nicht.

Hungrig strich Bourdains Zunge über seine Lippen. Ohne Schamgefühle, die er wegen der beiden weiblichen Zuschauer gehabt haben könnte. Fordernd bewegten sich Bourdains Lippen unter Seans, der dessen Hände zuerst an seinen Oberschenkel und dann zu weit oben verspürte. Sein natürlicher Fluchtreflex führte dazu, dass Sean den Teller vor sich mit dem Ellenbogen umstieß, als er sich immer weiter nach hinten lehnte. Scheppernd zerbarst das Keramik auf dem Fußboden.

Dann verlor Sean das Gleichgewicht. Verzweifelt griffen seine Hände nach dem Erstbesten, das sie erreichen konnten. Und das war Bourdains Hemd. Allerdings war die Schwerkraft größer und so riss er sie beide zu Boden. Dumpf kollidierten ihre Körper mit dem Fußboden.

„Können Sie nicht einmal wie ein normaler Mensch sitzen, Mr. Grandy? Ich hole den Handfeger“, grunzte Ivy.

„Eins muss man euch lassen. Immerhin habt ihr zwei Leidenschaft.“ Jesse krümmte sich vor Lachen. Sean grunzte. Vom Gewicht des anderen Mannes ächzte sein Rückgrat und sein Bein hatte sich schmerzhaft im Stuhl verkeilt.

„Vielleicht willst du mich auch noch gleich vor ihren Augen ausziehen?“, stöhnte Sean unter Bourdains Körper, der sich ein wenig hochgerappelt hatte.

„Vorsicht, ich könnte das als Aufforderung auffassen“, raunte er und Sean musste zugeben, dass er fasziniert in das tiefe Blau von Holdens Augen starrte. Sein Haar fiel seitlich herunter und streichelte Seans Wangen, während sich ihre Lippen gefährlich nahe waren. Im Bruchteil einer Sekunde war der Moment vorbei und Bourdain hatte sich in einer eleganten fließenden Bewegung von ihm abgerollt. Während Sean sich einem gebrechlichen, alten Mann gleich vom Boden aufraffte, richtete Bourdain sein zerknautschtes Äußeres.

„Wegen mir hättet ihr nicht aufhören müssen. Ich habe kein Privatleben und deswegen ist eures umso pikanter.“ Wieder knabberte Jesse an einem Schokotörtchen. Sean wunderte sich, dass ihr noch nicht schlecht von dem vielen Zucker war. „Du bist offensichtlich unglücklich verheiratet. Und betrügst deine Liebste mit deinem Boss. Einem Mann.“ Sie wies zuerst auf Sean, dann auf Bourdain. „Und du nötigst deinen Mitarbeiter zu sexuellen Handlungen. Durch eine Drohung? Ist eigentlich nur mein Leben so eintönig und langweilig?“ Bedrückt ließ sie das ganze Törtchen mitsamt Schokoladenguss in ihrem Mund verschwinden.

„Du siehst zu viele Telenovelas, Jesse. Wird Zeit, dass du auch jemanden bedrohst, damit dieser seine Frau für dich betrügt“, witzelte Bourdain.

Ihre ungezwungene Art miteinander umzugehen, war erfrischend. „Wer sind Sie?“, fragte Sean und sprach laut einen Gedanken aus, den er schon die ganze Zeit hegte. Bourdains Schwester womöglich? Aber die Ähnlichkeit war nicht gerade überragend, außer die beiden hatten nicht dieselbe Mutter. Und auch nicht denselben Vater.

„Ich bin sein Personal Trainer. Der kleine Quälgeist, der ihn jeden Morgen mit einem Arschtritt aus dem Bett holt“, johlte Jesse fröhlich. Sie grinste. „Heute habe ich es aber nicht über mich gebracht, als ich euch beide so eng umschlungen liegen gesehen hab. Nackt.“ Sie betonte das letzte Wort mit verschwörerischer Stimme. Sean vergrub das Gesicht in seinen Händen. Das durfte alles nicht wahr sein, oder?

„Hast du noch Kopfschmerzen?“, fragte Bourdain mit sanfter Fürsorge in der Stimme.

„Sie sind anwesend und beehren mich, solange ich mich nicht an gestern Nacht erinnern kann.“

„Ich habe die Befürchtung, sie könnten sich verstärken, wenn du es erfährst“, prophezeite Bourdain und lehnte sich unnötig nah zu ihm heran um ihm ins Ohr zu flüstern. „Du bist so sensibel. Dein Körper ist Butter unter meinen Händen.“

Geschirr klirrte neben ihm, doch Sean wollte nicht nachsehen, was er dieses Mal umgeschmissen hatte. Ivys brennender Blick in seinem Nacken reichte dafür vollkommen aus. Sie war gerade mit Handfeger und Schaufel in den Wohnraum zurückgekehrt. Aus dem Augenwinkel sah er sie die Hände in die Hüfte stemmen.

„Verschwinden Sie aus meiner Küche, bevor ich Sie mit dem Löffel verdresche.“ Bourdain lachte leise über ihre Worte. „Das gilt für euch beide“, knurrte Ivy ihn an.

Sie scheuchte sie beide weg. Zumindest von allem Zerbrechlichem in ihrer Nähe.

„Du solltest etwas Sonne tanken. Du siehst blass aus“, sagte Holden und strich aus einem Reflex heraus über Seans Schläfe.

Der Blonde hatte die Hände vor der Brust verschränkt und versuchte sich nicht zu bewegen, solange Ivy ihn fixierte.

„Und, was schlägst du vor?“

Chicago Affair

Подняться наверх