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Kapitel 6

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„Fahren Sie nach Hause. Machen Sie sich frisch.“

Vollgepackt mit riesigen Tüten stand Sean, zusammen mit Bourdain, der lediglich die Autoschlüssel mit sich trug, auf dem Parkplatz. Er hatte es sich nicht nehmen lassen, Sean zwei neue Anzüge, mitsamt Krawatte, Schuhe und Anstecktuch, sowie einer edle Abendgarderobe, die einer Oscarverleihung würdig wäre, zu kaufen. Tragen musste Sean sie aber dann doch selbst. Bourdain verlangsamte ihm zuliebe nicht einmal seinen energischen Schritt. Entsprechend atemlos stand der Blonde neben ihm und versuchte - zum zweiten Mal an diesem Tag - Sauerstoff in seine malträtierten Lungen zu lassen.

„Willst du mir nicht endlich einmal sagen, was das heute für eine Verabredung ist? Vielleicht muss ich mich mental darauf vorbereiten.“

Bourdain warf Sean einen strengen Blick zu, sodass dieser schwer schluckte. Wie selbstverständlich war er bei der lässigen Anrede geblieben.

„Wie gesagt, und ich hasse es mich zu wiederholen, du brauchst dich nicht mit den Einzelheiten zu quälen“, sagte er. Und öffnete mit einem leisen Klicken den Audi.

Sean seufzte. „Ich fühle mich nicht wohl bei dem Gedanken, dass du meinetwegen so viel Geld ausgegeben hast. Früher oder später werde ich dafür bezahlen müssen.“

„Wahrscheinlich. Aber auch darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen. Sieh den heutigen Abend als deine Feuertaufe.“

„Das ist ja zum Fürchten.“

„Übertreib nicht so maßlos.“

„Du bist unheimlich. In der Kabine hast du mit mir geflirtet, jetzt lässt du den eiskalten Geschäftsmann raushängen.“

„Und?“

„Ich weiß gar nicht, woran ich bin“, Bourdain zuckte mit den Achseln, als ob er Sean keine Erklärung schuldig wäre. Sean seufzte. „Und, was sage ich jetzt meiner Frau?“

„Wie wäre es mit der Wahrheit?“

„Du spinnst wohl. Ich soll ihr sagen, ich hätte mit meinem Chef eine Sache laufen - ich will dem einfach keinen Namen geben - damit ich meinen Job wieder kriege?“

„Das ist wirklich nicht mein Problem.“

„Das kann ich mir denken. Durch dich werde ich zur Untreue gezwungen.“

„Immer langsam, Grandy“, Bourdain machte ein paar Schritte in seine Richtung. Er wirkte auf eine absurde Art und Weise bedrohlich, obwohl Sean ihm körperlich definitiv überlegen war. „Du bist freiwillig hier. Wenn dir die Bedingungen nicht passen, kannst du noch immer verschwinden. Das kannst du gut.“

Sean runzelte die Stirn. Was sollte das bedeuten?

„Was meinst du damit?“

Bourdain warf ihm einen langen durchdringenden Blick zu, bei dem sich Sean nackt und schutzlos fühlte.

„Sie sehen aus, als ob Sie schnell aufgeben, Mr. Grandy.“

„Das tue ich nicht. Schließlich bin ich noch immer hier.“

„Wir werden sehen, für wie lange.“ Mit den Augen tastete Bourdain sich über Seans verwirrtes Gesicht. „Ich denke, Sie kommen zurecht. Ich habe noch einen wichtigen Termin. Wir sehen uns heute Abend. Kommen Sie nicht zu spät.“

Mit diesen Worten brauste Bourdain davon, ohne einen Blick zurückzuwerfen.


Fast eine ganze Stunde brauchte Sean, um aus der Innenstadt zu seinem Fahrzeug zu gelangen und dann klapperte die alte Blechdose müde nach Hause. Sein Gefährt kam ihm nach der Fahrt mit dem Audi, wie ein stinkendes, altersschwache Kamel vor. Es war kaum zu ertragen. Der Tag war furchtbar lang und die Kette der Demütigungen würde so bald nicht abreißen. Das grausame Piepen und das dauerhafte Blinken auf dem Armaturenbrett signalisierte Sean, dass sein Kamel dringend Futter benötigte. Er hoffte inständig es bis nach Hause zu schaffen, bevor ihm der Treibstoff ausging. Einen Abschleppdienst konnte er sich nicht leisten.

Amanda erwartete ihn bereits in der Tür. Glücklicherweise hielt sie dieses Mal kein Messer in der Hand.

„Hast du ihn zurück?“, fragte sie gleich zwischen Tür und Angel, während Sean sich mit seinen Einkäufen an ihr vorbeizwängte. Ihm war überhaupt nicht danach mit ihr zu reden. Dafür beunruhigte ihn der bevorstehende Abend zu sehr. Achtlos ließ er im Wohnzimmer alles zu Boden fallen.

„Ja“, erwiderte er knapp.

„Was ist damit?“, fragte sie und zeigte auf die Tüten.

„Arbeitskleidung.“ Und dann beeilte er sich schnell hinzuzufügen, dass sein Chef dafür aufgekommen war.

„Das ist wirklich nett von ihm. Aber ungewöhnlich“, erwiderte sie skeptisch.

Eine Schweißperle sammelte sich verräterisch auf Sean Schläfe. Amanda war nicht dumm. Die ganze Sache stank drei Meilen gegen den Wind, das wusste er selbst. Zuerst die Kündigung und dann eine Wiedereinstellung mit solchen Vergünstigungen.

„Du lügst mich doch nicht an? Ich sehe, wenn du lügst.“

„Selbstverständlich nicht,“ sagte Sean. „Ich muss heute Abend arbeiten.“

„Tatsächlich?“, verwundert zog sie die Augenbrauen hoch.

„Bourdain hat heute ein-“, Sean stockte und lauter nicht hilfreiche Bilder tauchten vor seinem geistigem Auge auf. Es konnte alles ganz harmlos laufen. Er sollte auf das Beste hoffen, aber mit dem Schlimmsten rechnen, dann konnte nichts schief gehen. Sean schluckte. „-ein Geschäftsessen. Also, wenn du mich entschuldigst, Schatz, ich muss mich fertigmachen.“

„Ist gut“, gab sie etwas pikiert zurück. Und irgendwie hatte Sean so eine Ahnung gehabt. Amanda konnte ziemlich einnehmend werden, wenn es darum ging, ihre Langeweile zu zerstreuen. „Dann gehe ich heute eben ins Kino.“

Sean nickte und machte sich auf den anstrengenden Weg die Treppe hoch, jede Stufe zog ihn in einen Sog grimmiger Gedanken.

Die Dusche tat gut, spülte die Nervosität weg, solange das warme Wasser sanft seinen Nacken streichelte. Sobald er sich aber die Frage stellte, welche Unterwäsche er tragen sollte, begann das Dilemma von vorne. Was, wenn er sich heute präsentieren musste? Da konnte er ja nicht irgendwas anziehen. Vielleicht war es sicherer gar nichts zu tragen? Aber, nein, das wäre provokativ. Er kam sich ohnehin billig vor, aber das würde seiner absurden Situation die Krone aufsetzten.

Der Anzug, den Rosaline für ihn ausgesucht hatte, war elegant. Leicht tailliert, betonte er dekadent seinen Körper, ohne aufdringlich zu wirken. Der Schalkragen war aus matt glänzender, echter Seide, die sich optisch von dem Rest des pechschwarzen Kostüms abhob. Ebenso wie die schmale, dunkelgraue Krawatte. Sean wirkte bis auf den nervösen Zug um seine Mundwinkel seriös und selbstbewusst. Verzweifelt versuchte er sein trostloses Spiegelbild durch ein mageres Lächeln aufzuheitern. Leider funktionierte das nicht.

Nach einer Weile fiel ihm ein, dass er keine Zeit hatte, sich zu bemitleiden. Stattdessen machte er sich auf die Suche nach dem letzten Accessoire, der seinen Look komplementieren würde. Kopflos hastete er umher und scannte mit den Augen die Umgebung ab. Wo war nur dieses verdammte Anstecktuch? Eigenartig.

„Nein, nein, nein, nein. Anakin, du verdammter Satansbraten.“

In einer Ecke im hintersten Winkel, umgeben von einer Flut an halb zerrupftem und ausgeweidetem Spielzeug, lag etwas schmutzig Gräuliches, das mit viel Fantasie einmal sein Anstecktuch gewesen war. Allerdings jegliche Würde verloren hatte, nachdem Anakin das teure Stück Stoff mit seinen kleinen Reißzähnen bearbeitet hatte. Da war nichts mehr zu retten.

Sean wusste, wie viel Wert Bourdain auf das Gesamtbild legte. Er würde das fehlende Anstecktuch sofort bemerken und dann würde er sich erneut Rüffel einfangen. Vielleicht würde er ihm seinen Lohn kürzen oder einen Ausgleich einfordern. Sean wollte diese Gedanken nicht weiter ausführen. Er musste sich konzentrieren.

Das Haus lag in völliger Dunkelheit, als er die Treppe herunterhastete, um nach seinen Autoschlüsseln zu suchen. Amanda war ohne einen Abschiedsgruß verschwunden. Sean bedauerte dies nicht. Die Wahrscheinlichkeit war nicht sehr groß, dass er überhaupt aus der Einfahrt kam, aber er hatte keine andere Wahl. Ohne Auto würde er definitiv zuspät kommen.

„Anakin, wo ist dein Vater? Such Papa!“, rief er und sobald er das gesagt hatte, kam ein kleines Wollknäuel mit dem Hintern voran unter dem Sofa hervorgekrochen. Aufmerksam beobachtete der kleine, hellbraune Chihuahua sein Herrchen, während dieser seine Aufforderung wiederholte und ein paar ausladende Gesten mit dem Armen machte. Anakin wedelte mit dem buschigen Schwänzchen, glupschte ihn mit seinen großen, runden Augen an, machte darüber hinaus aber nichts Nützliches.

„Auf dich kann man sich nicht verlassen. Wir müssen endlich an deiner Erziehung arbeiten“, murrte Sean und machte sich auf die Suche nach den Schlüsseln.

Er suchte auf dem Tisch, in sämtlichen Taschen, dann hob er die Kissen auf dem Sofa, wo er die Schüssel zu seiner großen Freude fand. Sobald er nach diesen greifen wollte, sah er etwas Braunes in seinem Augenwinkel auftauchen und schon stand Anakin mit den Schlüsseln im Mäulchen schwanzwedelnd vor ihm. Darth Vader blitze zwischen den kleinen Haizähnen des Chihuahuas hervor.

„Clever. Du bist ein cleverer Hund, Anakin. Jetzt gib Papa wieder her.“

Sean streckte die Hand aus, aber der Hund machte keine Anstalten seinen Worten Folge zu leisten, stattdessen rannte er in sein Körbchen und begann an dem Anhänger zu nagen. Der Blonde eilte in die Küche, holte kleine Knochenkekse, lockte den Hund, holte Wurst, dann Käse. Der Hund gab seine Beute nicht her. Bis Sean wohl oder übel seine Schlüssel aus dessen Maul zerrte. Dabei verlor er wertvolle Zeit und Darth Vader seinen Kopf.

Anakin wendete sich ab und rollte sich in seinem Körbchen ein. Beleidigt zeigte er Sean die kalte Schulter, als dieser sich entschuldigend über ihn beugte. Mehr als seinen flauschigen Rücken bekam er nicht zu Gesicht.

Letzten Endes rannte Sean gehetzt aus der Haustür, setzte sich in sein Auto und versuchte den Motor zu starten. Mit einem lauten Schnauben erstickte er und ließ sich auch mit Flehen und Fluchen nicht wieder einschalten. Er war restlos geleert. Bis auf den letzten Tropfen.

Hilfe suchend betrachtete Sean seine Umgebung. Er könnte sich das Auto seiner Nachbarin borgen. Er wusste genau, wo Mrs. Pekles ihre Schlüssel aufbewahrte und sie würden den Wagen vielleicht erst morgen als gestohlen melden. Er überlegte fieberhaft, gestand sich aber dann ein, dass er so tief nicht sinken wollte und rannte dann los.

Die edlen Armanischuhe machten ein dumpfes Geräusch auf dem Asphalt und die ersten 60 Sekunden fühlten sich verdammt erfrischend an. Wind zerzauste ihm das Haar und schmeichelte seinen Wangen. Sean fühlte die Geschwindigkeit, die Arbeit seiner Beinmuskulatur, die rasende Umgebung, die schemenhaft in seinen Augenwinkeln vorbeizog, während er seinen Blick nach vorne auf die Straße richtete.

Dann war der Zauber vorbei und er begann das Brennen in seinen Lungen zu spüren. Seine Knie schmerzten leidvoll unter dem falschen Schuhwerk. Er strauchelte und wäre fast hingefallen. Scheinwerfer in seinem Rücken irritierten ihn zusätzlich. Penetrant verfolgten sie seinen Weg, seit er losgerannt war. Ihm war das nicht aufgefallen, solange er sich gut gefühlt hatte.

„Bist du übergeschnappt? Steig ein, verdammt“, bellte eine bekannte Stimme von der Seite.

Atemlos griff Sean nach der Tür. Plump ließ er sich in die Sitzpolster des Audis fallen. „Was zum Teufel machst du hier?“

„Ich sorge dafür, dass du es nicht vermasselst, indem du durchgeschwitzt und zu spät zur Party erscheinst. Und jetzt schnall dich gefälligst an!“, befahl Bourdain brüsk, bevor er mit einer Mordsgeschwindigkeit davon brauste.

„Was ist nur mit dir los? Gibt es irgendetwas, das bei dir einfach nicht richtig läuft, wie es soll? Oder endet einfach nur alles in einem brennenden Desaster?“, maulte Bourdain ihn in einer für ihn ungewöhnlich flapsigen Sprache an.

„Woher weißt du überhaupt, wo ich wohne?“, fragte Sean.

„Steht in der Akte.“

„Über mich gibt es eine Akte?“

„Jeder Mitarbeiter hat eine Akte. Lenk nicht vom Thema ab. Ich hab gefragt, warum du so ein verdammter Idiot bist?“

Sein Auto hatte kein Benzin mehr, sein Hund wollte Darth Vader schreddern und er hatte sich Sorgen, um seine Unterwäsche gemacht. Alles Dinge, die ihn in Bourdains Augen noch idiotischer aussehen lassen würden. Also schwieg Sean lieber.

„Ich glaube, ich war nicht deutlich genug. Ich ziehe dir mit jeder Minute, mit der du dich verspätest deinen Stundenlohnsatz ab.“

„Aber ich bin noch nicht zu spät.“

„Das wärst du aber gewesen, Grandy, wenn ich nicht so eine Ahnung gehabt hätte.“ Damit beugte Bourdain sich zu ihm und einen Augenblick lang dachte Sean, er würde ihn wieder küssen, was er nicht tat. Er richtete ihm lediglich die verrutschte Krawatte. „Wir sind da.“

Sean hatte nicht bemerkt, dass sie bereits parkten. Aber das war auch nicht verwunderlich, schließlich musste man bei Bourdains Fahrstil seine Konzentration darauf lenken, sich nicht zu übergeben.

Bourdain öffnete das Handschuhfach und zog eine schmale Schatulle hervor, die er Sean in den Schoß warf.

„Was ist das?“, fragte Sean verwirrt. „Willst du mir einen Heiratsantrag machen?“

„Weit gefehlt.“

Sean öffnete die Schatulle. Darin lagen zwei säuberlich polierte Manschettenknöpfe, die ziemlich teuer aussahen und in dessen Mitte sich ein schwarzer Opal befand. In dessen glatte Oberfläche war ein Buchstabe eingefräst. Ein großes B. Sean hoffte inständig, dass es nicht Bourdains Initialen waren. Das würde ihn irgendwie als dessen Besitz brandmarken. Soweit wollte er nicht gehen.

„Erde an Sean. Gott, was ist nur los? Erst versuchst du mit edlen Armanischuhen einen Marathon zu laufen, dann fällst du mir beim Anblick von Manschettenknöpfen fast ins Koma. Bitte übergib dich nicht noch in die Regenrinne, sonst lasse ich mich einweisen.“

Fassungslos schüttelte der Brünette seinen Kopf und blickte ihn aus dessen klaren, blauen Augen heraus direkt an. Dann griff er nach der Schatulle und nach Seans Handgelenken. Mit geübten Fingern, legte er ihm die Manschetten an. Nichts an seiner Art war liebevoll.

Schließlich öffnete Bourdain die Fahrertür und stieg aus. Sean starrte auf den leeren Sitz, erst das laute Klopfen an der Glasscheibe zu seiner Rechten, ließ ihn erschreckt zusammenzucken. Mit einer aggressiven Geste bedeutete Bourdain ihm, seinen Arsch zu bewegen. Sean tat wie ihm geheißen. Und trottete in gewissem Abstand hinter seinem Arbeitgeber her.

Bourdain meldete sie beide am Empfang. Alles wirkte teuer und edel. Als Sean Bourdains Rücken betrachtete, kam ihm die absurde Idee, dass sie alleine wären. Dass das tatsächlich eine Verabredung war. Ein Date.

Bevor Bourdain ihn weiterführte, drehte er sich zu ihm und begutachtete Seans Erscheinung kritisch.

„Wo ist dein Anstecktuch?“

„Gefressen“, räusperte Sean sich unter dem bitterbösen Blick seines Chefs. „Lange Geschichte.“

Unerwartet griff Holden in seine Brusttasche und entfaltete sein eigenes Anstecktuch, dabei kam ein Zweites zum Vorschein. „Unzuverlässig! Was habe ich mir nur dabei gedacht, dich wieder einzustellen?“

Bourdain wollte keine Antwort darauf, das wusste Sean. Er redete mit sich selbst. Seiner inneren Stimme. Die Anspannung, die er den Einkauf über gezeigt hatte, verdreifachte sich. Sean bewegte sich auf dünnem Eis, bei dem er nicht wusste, wann er einbrechen würde.

Mit geschickten Fingern faltete der Brünette das Tuch und schob es in Seans Brusttasche, dann richtete er sein eigenes Tuch. Bourdain warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, bevor er ihn zu einem großen Tisch führte, an dem bereits eine Menge fremder Männer saßen. Und sie alle starrten ihn an. Doch kein beschauliches Candelightdinner zu zweit.

„Meine Herren“, grüßte Bourdain höflich. „Ich hoffe, Sie haben alle gut hergefunden?“ Nicken. „Darf ich vorstellen. Sean Grandy.“

Sean schloss für einen Moment die Augen. Ihm brach erneut der Schweiß aus. Hoffentlich erlaubten sie ihm etwas Alkohol in sich hineinzukippen, bevor er sich ausziehen musste.

Bourdain lächelte. „Er ist mein Assistent.“

Was?

Sean versuchte sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen. Bourdains Griff an seinem Arm war fest und schmerzhaft. Er mahnte Sean dezent zur Achtsamkeit. Mit sanfter Gewalt führte er sie zu den einzigen freien Plätzen. Etwas perplex versuchte Sean die Situation neu zu analysieren. Das war ein verdammtes Geschäftsessen. Gott sei Dank.

Obwohl es nicht bedeutete, dass Sean sich nicht noch ausziehen musste. Er verdrängte alle Gedanken. Darüber konnte er sich sorgen, wenn es so weit war. Die Gelegenheit dazu bekam er gar nicht, da sich der junge Mann zu seiner Rechten an ihn wandte und ihn in unverfänglichen Small Talk hineinzog.

Zwischendurch nippte Sean an seinem Wein. Das Gespräch, zu dem sich bald auch noch zwei weitere dazugesellten, und der Alkohol beruhigten ihn. Ein eifriger Kellner sorgte dafür, dass sein Glas nie leer wurde. Sobald sich der Inhalt zu minimieren begann, wurde ihm nachgeschenkt. Sean war sich durchaus bewusst, dass er zuviel trank. Bald würde er sich nicht mehr unter Kontrolle haben, sobald seine Sinne erst einmal vernebelt waren. Aber solange sie auf das Essen warteten, wusste er mit seinen Händen nichts Besseres anzufangen. Schlimmer war es, gar nichts zu tun.

Verstohlen warf er einen Blick zu seinem Chef, der in einem Gespräch mit seinem fossilen Sitznachbarn - er musste mindestens an die 100 sein - vertieft war. Obwohl der Blonde das Gefühl hatte, dieser würde einen Monolog halten. Der Alte reagierte nicht mal mit einem Zucken. Bourdains Interesse an den etwas aktiveren Mitgliedern der Gruppe blieb eingeschränkt. Er wirkte auf Sean distanziert. Das noch immer volle Weinglas hatte er bis dato nicht einmal eines Blickes gewürdigt. Auch keiner der anderen Gäste zeigte mehr Interesse an Bourdain, als dieser an ihnen. Höchst eigenartig.

Dann wurde die Vorspeise serviert, das Hauptgericht und eine delikate Kleinigkeit zum Nachtisch. Währenddessen trank Sean ausgiebig von seinem Wein, lachte lauthals über die Witze seines Nachbarn und erzählte selbst ein paar pikante Storys, die wiederum die ganze Gesellschaft erheiterten. Er verspürte überhaupt keine Hemmungen mit Fremden zu reden. Ganz im Gegenteil. Ihn überkam die wohlige Wärme, sich auf vertrautem Terrain zu bewegen. Für Bob hatte er zahlreiche Geschäftsessen mit mehr Tiefgang bewerkstelligt.

Zwischendurch bemerkte er Bourdains Hand auf seinem Oberschenkel, die unter dem Tisch nicht gerade sanft in seinen Muskel stach. Der Ausdruck in seinen Augen war zwar ernst, aber das charmante Lächeln wies lediglich ein freches Kind zurecht, ohne zu strafen. Keiner der Anwesenden würde diese Geste unangemessen finden. Für eine Weile dämpfte Sean seine laut gewordene Stimme, verfiel aber schnell in alte Muster. Dann spürte er wieder den Griff um seinen Oberschenkel. Fester. Etwas höher. Gefährlicher.

„Entschuldige, Matt. Ich glaub, ich muss mir mal das Näschen nachpudern“, witzelte Sean ausgelassen. Bei Bourdains letztem festen Griff kippte er beinahe sein Weinglas um und bespritzte sich mit deren Inhalt die Hemdmanschette. Unbeholfen kippte er zur Seite, als er aufstand. Ein paar laute Lacher und der Kommentar, ob ihm jemand das Haar hochalten sollte, wenn er sich in die Toilette übergab, begleiteten ihn durch das Restaurant.

Verlassen war die Toilette des luxuriösen Restaurants, als Sean sich erleichtert an die schwere Messingtür lehnte. Die Kälte in seinem Nacken tat gut. Sie sorgte dafür, dass sich der marmorierte Raum mit den vergoldeten Wasserhähnen und Spiegeln im Barockstil nicht ganz so schnell drehte. Sean schnaubte und schüttelte den Kopf. Selbst die Pissoirs bestanden aus Marmor und Gold, was er mächtig übertrieben fand.

Schwankend trat er an eins der Waschbecken. Er ließ das Wasser in seine offenen Handflächen laufen, dann wusch er sich das Gesicht. Das kühle Nass erfrischte und schärfte seine vernebelten Sinne. Vielleicht sollte er lieber nichts mehr trinken. Es war lange her, seitdem er Alkohol getrunken hatte und das betäubende Gefühl war ihm fremd geworden.

Ihm entwich ein leiser Schrei, als er mit müden Augen in den Spiegel blickte und Holden hinter sich stehen sah. Wie ein Geist war er lautlos aus dem Nichts aufgetaucht.

„Hast du mich erschreckt“, gab er zu und stützte sich erleichtert am Waschbecken ab.

„Was ist nur los mit dir?“, grollte der Brünette drohend. „Du weißt, wie wichtig das Treffen für mich ist.“

„Wäre mir fast entgangen. Im Vergleich zu dir ist Mr. Darcy ein richtiger Partylöwe.“

Bourdain runzelte die Stirn und stemmte die Hände in die Hüften, eine Geste, die er in letzter Zeit gar nicht selten zu wiederholen pflegte. Meistens, wenn er unzufrieden mit Sean war.

„Du blamierst mich. Die Firma“, zischte Holden. Dieses Mal wütender.

„Ich sorge dafür, dass dieses Treffen keine Totenwache wird“, erklärte Sean leichtfertig.

Bourdain trat nah an ihn heran, sodass Sean die Wut in Funken förmlich aus dessen Augen sprühen sah. Sein Zeigefinger bohrte sich schmerzhaft in Seans Brust. „Das ist kein Spiel, Grandy.“

„Oh, doch. Ist es sehr wohl. Und das weißt du.“

Es fiel ihm schwer, sich richtig zu artikulieren. Seine Zunge lag faul in seinem Mund herum. Gleichzeitig sank seine Hemmschwelle unter das Niveau eines Gauners. Und plötzlich erschienen ihm die schmalen Lippen seines Gegenübers, die Wellen, die seine Wangenknochen rahmten und die kleinen Furchen, die sich auf seiner Stirn bildeten, absurd attraktiv. Reue würde ihn morgen hart treffen, wenn er sich dann noch daran erinnern würde.

„Irgendwann werde ich herausfinden müssen, wie lang dein Schwanz ist“, sprach Sean seine Gedanken laut aus. Sofort bereute er seine Offenheit. Verwirrt starrte Bourdain ihn an, was noch mehr krause Furchen in dessen Stirn trieb. Mit Zeigefinger und Daumen massierte er sich den Nasenrücken.

„Du bist so unreif. Ich werde dich schon nicht zwingen, dich nackt mit einem Apfel im Mund auf den Tisch zu legen. Ich hab dir nicht zwischen die Beine gefasst, also beruhig dich wieder. Du bist einfach zu laut und unprofessionell. “

Sean überhörte die Kritik.

„Nicht hier. Aber doch. Genau das hast du“, erinnerte ihn Sean und dachte dabei an ihren ersten Kuss im Büro. „Ich kann diese Gedanken nicht aus mir herausschneiden. Ich hatte mit dem Schlimmsten gerechnet, als ich hergekommen bin. Ganz kurz sogar, dass wir ein Date haben, bevor du mich zu entjungfern versuchst. Das kann alles nicht harmlos sein.“

„Das ist ein gottverdammtes Essen mit Klienten. Wenn dich das so beschäftigt, dann können wir es gleich in der Kabine tun“, sagte Bourdain nüchtern und machte einen provokativen Schritt auf seinen Mitarbeiter zu, der augenblicklich einen Schritt zurück machte. „Nein? Dann hör auf mit dem Scheiß und schieb deinen Arsch wieder nach draußen, solange du ihn noch hast. Hätte ich nur gewusst, dass du so verflucht anstrengend bist, dann hätte ich mich gar nicht auf diese Scharade eingelassen. Das ist es nicht wert.“

Den Bruchteil einer Sekunde glaubte Sean verletzten Stolz zu sehen, bevor die Anspannung alle anderen Gefühle überdeckte. Er wurde das Gefühl nicht los, dass Bourdain sich sogar noch deplatzierter fühlte, als er. Der Mann war der Boss einer monströsen Computerentwicklungsfirma, wirkte aber in diesem Raum neben ihm normal und menschlich. Seine Ängste waren echt.

„Du musst nicht nervös sein“, sagte Sean leise. Ein unangenehmes Schweigen beherrschte den Raum. Seine Offenheit würde ihm den Hals brechen.

„Das bin ich nicht“, erwiderte Bourdain.

„Das ist doch kindisch. Wenn du dir das eingestehst, wird‘s leichter.“

„Du bist betrunken, Grandy. Und weißt nicht, was du redest.“

„Bis vor Kurzem warst du ein fantastischer Chef.“

Holden wich seinem Blick aus. Für dieses Gespräch fehlten ihm die Nerven.

„Es wäre auffällig, wenn wir zusammen gehen“, damit verließ er die Toilette. Seine Schritte waren auf dem gefliesten Boden nahezu geräuschlos. Sean starrte noch einige Sekunden in den Spiegel, bevor er ihm folgte.

Es war bereits weit nach Mitternacht, als Sean sich gerädert ins Bett fallen ließ, ohne sich Schuhe oder Jackett auszuziehen. Am nächsten Morgen würde er es bedauern so faul gewesen zu sein. Seine Muskeln würden schmerzen. Die Haut würde sich schlaff anfühlen. Aber jede Bewegung, die nicht lebensnotwendig war, raubte ihm die Kraft. Deshalb strengte er sich gar nicht erst an.

Er konnte sich nicht erinnern, wie er zurückgekommen war. Ob Holden ihn gefahren hatte? Vielleicht war er gelaufen. Amanda war noch nicht zurück.

Als sich die Matratze neben ihm herabsenkte, war Sean bereits in einem tiefen, traumlosen Schlaf versunken.

Chicago Affair

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